Bericht: Riga, eine hanseatische Perle und mehr

Liebe Nihil, vielen Dank für deinen so schön geschriebenen Bericht und den tollen Bildern aus Riga. Für mich hat allein schon der Name eine Faszination. Und da ich einige Novellen von dem Leben der einstigen Gutsleute in Lettland gelesen habe, ersteht für mich ein ganz lebendiges Bild durch deine Ausführungen.

Viele Grüße
Tizia
 
Liebe Nihil,

auch ich bedanke mich für den interessanten Bericht einer mir vollständig unbekannten Stadt.
Einzig durch eine Studentin, die vor ein paar Jahren ein Erasmussemester dort verbracht hat (die Musikhochschule fand sie sehr gut!), habe ich schon einmal davon gehört ... ;)
 
Liebe Tizia, verrate mir bitte die Titel der lettischen Novellen. Ich habe mich noch nie mit Literatur aus dem Baltikum beschäftigt. Vielleicht bringt mir das ein bisschen Einsicht in die Mentalität der Letten. Die sind nämlich schon etwas speziell...
Und Angela gibt mir das richtige Stichwort: Musik.:) Genau, die Musikhochschule in Riga ist sehr , sehr gut. Die Geigenlehrerin meiner Tochter stammt aus Riga ;).
 
Musikalische Ausflüge in Riga:

Einen einzigen festen Termin hatte ich vor der Reise festgemacht. Eine Opernaufführung in der Nationaloper ( lett. Nationala Opera)

Gegründet wurde das Haus während der ersten lettischen Unabhängigkeit 1918. Das Haus ist ein musikalischer " Platzhirsch", für eine Stadt mit ca. 700 000 Einwohnern ungewöhnlich gross und umfassend. Es werden pro Spielzeit ca. 6 neue Aufführungen geboten mit Opern und Ballettaufführungen. Zur Nationaloper gehören ein eigenes Balletensemble, ein eigenes grosses Orchester, ein eigener Chor. Die Nationaloper residiert in einem Gebäude von 1863, was früher das deutsche Theater von Riga beherbergte, schön gelegen am Kanal.
Es wurden 2 Kurzopern geboten, mir völlig unbekannt( Ich bin aber nun auch ziemlicher Laie). Zunächst L´incantesimo, eine Ein-Akt- Oper von Italo Montemezzi, die wahrscheinlich nur eine Aufführung in Verona erlebte und dann in der Schublade verschwand. Es soll eine der letzten Opern im Verisimo-Stil sein. Der Verisimo-Stil ist eine postromantische, an die Realität der Menschen anknüpfende Richtung. Bedeutende Vertreter waren u.a. auch Giacomo Puccini. Nun ja, die Melodien sprangen bei mir nicht wirklich über. Aber die Choreographie war sehr modern und ansprechend. Gefolgt nach einer Pause von der Kurzoper "Pagliacci " von Ruggero Leoncavallo. Doch, da kamen mir die Melodien bekannter vor. Auch hier eine super Choreographie.

Oberhalb des Bühnenvorhanges sieht man einen schwarzen Balken in der Art einer modernen Bushaltestellen-Tafel.;) Und tatsächlich liefen dort als Untertitel( eigentlich eher Obertitel...:rolleyes:) die lettische und freundlicherweise auch englische Übersetzung des italienische gesungenen Textes. Sehr hilfreich, so verstand der Zuschauer doch viel besser die gesungenen Geschichten um Liebe, Intrige, Mord und Totschlag.

Und so elegant und chic, wie dieses Opernhaus daher kommt, sind auch die Letten für so eine Aufführung gekleidet. Echt gediegen fein, ohne overdressed zu sein. Wir ausländischen Besucher fielen doch mit unserer, eher im Bereich bequeme Funktionskleidung angesiedelte Oberbekleidung eleganzmässig ziemlich ab. Die meisten Aufführung sind übrigens ausverkauft, und es sitzen nicht nur grauhaarige Leute im Saal, sondern auch eine Menge junger Leute und auch Familien mit verständigen Kindern.

Auch in den Gassen der Stadt trifft man immer wieder auf Strassenmusiker, die ihr Repertoire beherrschen.

Und durch eine Strasse bummelten wir namens Riharda Vagnera Iela( lett. Strasse). Zunächst hielt ich den Namen der Strasse für eine Ehrung einer lokal bedeutenden weiblichen Persönlichkeit.:rolleyes: Nun nicht ganz...bei einer ( tollen) Stadtführung erfuhren wir, dass es sich bei dem Strassennamen um die " Einlettung" des Namens Richard Wagner handelte. Und da fiel mir ein, dass ich schon ein Café namens Rienzi gesehen hatte. Ja, auch Richard Wagner lebte kurze Zeit in Riga. Auf der ewigen Flucht vor Gläubigern und mit der Aussicht, ein gut bezahltes Engagement in dieser schon immer kulturell beweglichen Stadt zu erlangen, kam Wagner 1837 nach Riga, wo er als Kapellmeister im deutschen Stadt-Theater angestellt war. Dieses Theater zählte damals zu den modernsten Theatern, mit vertieftem Orchestergraben, die Zuschauerreihen angelegt wie ein Amphitheater, die Verdunkelung während der Aufführung. Vieles davon muss Wagner sehr beeindruckt haben und er hat später wohl einiges davon auf seinem Hügel in Bayreuth umgesetzt.

 
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Liebe Nihil,

toll, dass Ihr eine Opernaufführung erleben konntet!
Das versuchen wir ja auch immer zu realisieren, wenn wir woanders sind (siehe mein Palermobericht ;))
Die erstgenannte Oper kenne ich auch gar nicht, der Bajazzo wird bei uns meistens mit der Cavalleria Rusticana kombiniert.
 
Hallo Angela,

Ich denke immer, wenn man an einem bekannten oder unbekannten Ort einen musikalischen Einstieg findet, da erschliesst sich ( mir jedenfalls) die Stadt auf eine andere Art und Weise, tiefer und manchmal auch umfassender. Und in der Erinnerung bleiben einem dann diese schönen Bilder wie Barockmusik unter einem Bild von Caravaggio ( in Rom) oder bei dir die Oper in Palermo. Und nun eben das musikalische Riga.
 
Bei mir kommt dann natürlich noch das berufliche Interesse dazu - zu sehen und zu hören, wie es anderswo klingt.
Übrigens ist es seit vielen Jahren auch bei uns üblich, bei Opernaufführungen zu übertiteln, teilweise sogar bei deutschsprachigen Opern. Gerade Wagner oder Strauss sind ja sonst kaum verständlich.
 
Übrigens ist es seit vielen Jahren auch bei uns üblich, bei Opernaufführungen zu übertiteln, teilweise sogar bei deutschsprachigen Opern. Gerade Wagner oder Strauss sind ja sonst kaum verständlich.

Da sieht man es : ich bin zuwenig in der Oper! Die neuesten Entwicklungen( der letzten 20 Jahre :rolleyes::oops:) habe ich nicht mitbekommen.
 
Nach dem kulturellen Genuss, nun die Kulinarik, allerdings erstmal in roher Form.;) Ich bummele mit euch über den Rigas Centraltirgus,


dem riesigen Markt von Riga. Im Vorfeld meiner Reise hatte ich einen Dokumentarfilm von Arte in youtube über diesen Markt gesehen. Völlig faszinierend. Und da wir wirklich keine 5 Minuten Gehdistanz vom Markt wohnten, sind wir oft und gerne über und in diesem Faszinosum herumgeschlendert. Der Markt ist übrigens den ganzen Tag geöffnet, auch die kleineren Marktstände und auch am Sonntag!
Im Bauch von Riga muss keiner hungern.

Einen Markt gab es natürlich immer schon in der Stadt, war aber wohl ziemlich heruntergekommen und auch das Gelände durch Kriegsschäden stark in Mitleidenschaft gezogen. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts beschloss die Stadt, den Markt zu renovieren und bessere hygienische Bedingnungen zu schaffen. Zugleich konnte man in einer grossen Recyclingaktion die überflüssig gewordenen alten Zeppelin- Hangars aus Kurland weiterverwenden als Markthallen. Aus 2 Zeppelinhallen wurden 5 Markthallen, die insgesamt ca. 7500 m2 bedecken, der Markt ist aber noch viel, viel grösser, denn um die Hallen herum, tummeln sich unzählige Stände mit Gemüse, Blumen, Kleidung, etc. 1930 wurde der Markt feierlich mit einem Gottesdienst eingeweiht.

Ähnlich wie die Musik ist der Markt ein Fest für die Sinne:

Ganz so adrett mit Häubchen sind die Bedienungen heute nicht mehr gekleidet, alle sehr freundlich, aber die Sprachbarriere ist unüberwindlich: Lettisch und Russisch ginge ja noch, aber Deutsch oder Englisch, nichts da! Es sei denn man trifft auf jüngere Leute, die in der Schule Englisch gelernt haben. So blieb hat nur das Zeigen mit dem Finger auf die gewünschten Produkte. Und die Kamera zeigt euch jetzt was sonst noch so zu kaufen ist. Die meisten Gemüse und Obststände sind draussen um die Markthallen herum aufgestellt.




Ein Stand verkaufte nur angetrocknete Zweige und Wacholder. Erschloss sich mir zunächst nicht, aber die sind wahrscheinlich für die Saunabesuche gedacht. Die Nordlichter sind für so was ja bekannt. Ich dagegen in Spanien schwitze auch ohne Sauna. :)

Dieser Stand rief bei mir Erstaunen und auch Neid hervor: Granatäpfel so fett, feist und rot, dagegen ist die spanische Variante eine Schrumpfgranate. :eek:

Viel Obst kommt aus Georgien, Usbekistan, die Erdbeeren kamen aus Griechenland. Der Rharbaber und der Bärlauch kamen aus Lettland. Gewogen wird mit alten Waagen oder elektronisch hochmodernen Geräten, gerechnet wir oft noch mit dem Abakus (Rechenhilfsmittel) – Wikipedia


Hinter den Kulissen wird ebenfalls hart gearbeitet. Permanent rollen LKWs heran, werden die Waren in die Lagerhäuser umgelagert, von dort her an die Marktstände verteilt. Man kann überall herumlaufen und gucken, ohne dass man verscheucht wird.
Nun hinein in die Markthallen, mit jeweils Hallen für Fleisch, Milchprodukte, Fisch. In den Markthallen gibt es auch einen Gastrobereich, wo man die typischen lettischen Gerichte probieren kann.





Eine Besonderheit der Lettischen Küche ist das Räuchern von Fleisch und Fisch. Hühnchen sind fast karbonisiert, so schwarz sind sie, auch Fleisch und Wurst ist oft geräuchert. Geschmacklich ziemlich neutral fand ich unser erstandenes Rauchfleisch, aber in Kombination mit Meerrettich...beissende Sensationen :eek:




 
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So ein Rundgang erschöpft natürlich, Marktleute wie auch Kunden. Da tut es gut mal zwischendurch eine schöpferische Pause einzulegen.


Auch wir legten gerne mal ein Päuschen bei Plörrkaffee und Kuchen im Marktcafé "Cepelin" ein. Das Café hat den Charme einer sozialistischen Kantine...das Personal ist aber sehr nett, man bekommt zum Frühstück sehr währschafte Kost wie Eintopf mit grauen Bohnen und Speck oder Kartoffelpuffer mit Marmelade , wahlweise auch mit saurer Sahne. Süsse Sachen gibt es auch, die Zimtschnecken kann ich empfehlen. Die Kartoffelpuffer auch, und den Eintopf sowieso...;). Nur der Kaffee ist plörrig. :( Toll ist aber die Aussicht auf das Marktgeschehen. Man sitzt direkt hinter den Blumenständen und hat die Blumenpracht immer vor Augen.


Dass die Letten Blumen lieben, hatte ich schon gehört. Aber die Mengen, die dort auf dem Markt gekauft wurden, das war wirklich beeindruckend. Ich schmückte unsere Ferienwohnung auch gleich mit einem üppigen Narzissenstrauss. Dass es so viele verschiedenen Narzissensorten gibt...o_O


Da wird kritisch geschaut, abgewogen, diskutiert und dann doch gekauft:


 
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Wow, was für ein Fest für die Augen! Das hat richtig Spaß gemacht, virtuell mit dir über und durch den Markt zu schlendern. Ich glaube, wir hätten dort auch öfter mal einen Abstecher hin gemacht.
Dein Bericht ist wirklich interessant, auch wenn ich nicht immer zum Kommentieren komme. Riga kenne ich auch nicht - leider!
 
Liebe ColleMarina
Danke für´s Mitlesen. Wer weiss, vielleicht lernst du Riga mal persönlich kennen? Es lohnt sich, und eine Woche ist nicht zuviel! Riga ist verkehrtechnisch gut erreichbar mit Flieger, Fähre und bestimmt auch mit der Bahn. Und der Markt ist wirklich im wörtlichen Sinn ein" Genuss".
 
So, des Pflastertretens müde, nehme ich euch mit auf eine Landpartie.:) Zunächst galt es nach Jelgava zu kommen, wo unser Sohn ein Studienjahr an der dortigen Universität absolviert. Wir nahmen die Bahn; Latvijas dzelzcels...:oops:, da waren noch ganz viele Haken an den Buchstaben, die mein Computer aber nicht hergibt... Also , jedenfalls handelt es sich um die lettische Staatsbahn. Der Hauptbahnhof, gleich um die Ecke beim Markt, ist ganz zentral. Der Fahrkartenverkauf war sogar auf Englisch möglich, die Fahrkarte nach Jelgava, was etwa 50 km südlich von Riga liegt, kostete 1,80 Euro. Die Preise sind niedrig , die Bahn ist breiter, denn man fährt mit russischer Spurweite von 1520 mm.

Wir zuckelten gemütlich dahin, durch grüne Auen, Moorlandschaften, Wirtschaftswälder, kamen an Neubaugebieten vorbei, die sich nicht von denen im Westen unterscheiden ( Toskanavilla neben Bauhausstil) und Industriebrachen. Jelgava empfing uns mit Hitze von satten 27 Grad! Jelgava ( ehemals auf Deutsch: Mitau) war einst die betriebsame Hauptstadt der Provinz Kurland. Die Stadt mit heute ca. 60000 Einwohnern liegt am Fluss Lielupe( Kurländische Aa). Leider erlitt Jelgava im 2. Weltkrieg als Frontstadt den Totalverlust an historischer Substanz. In der Sowjetzeit wurden entsprechende Gebäude hochgezogen, die vorallem diesen Eindruck erwecken: sozialistische Tristesse. Wir drehten eine kleine Runde um die wenigen sehenswerten Gebäude der Stadt:

Die Academia Petrina, gegründet vom letzten kurländischen Herzog Peter von Biron 1775, fungierte als hochangesehene Reformschule, die Lettland, aber auch Litauen und Polen einen gewaltigen interlektuellen Impuls gab. Aus ihr gingen mehrere spätere Politiker, Künstler und Philosophen hervor. Heute beherbergt das Gebäude das Geschichts-und Kunstmuseum.
Das andere sehenswerte Gebäude ist das Schloss, das Grösste im Baltikum. Heute ist es der Sitz der landwirtschaftlichen Hochschule. Das Schloss wurde 1738 im Auftrag des kurländischen Herzogs Johann Ernst von Biron, vom italienischen Architekten Francesco Bartolomeo Rastrelli erbaut. Dieser Architekt war auch in S. Petersburg für die Zaren tätig.


Nach einer Erfrischung in einem am Kanal/ Fluss nett gelegenen Café,


brachen wir dann mit dem Mietwagen auf nach Rundale, wo wir wieder auf die Spuren von Herzog Johann Ernst von Biron und Rastrelli stossen werden.

Davor lag aber erstmal ein Abenteuer namens Autofahren in Lettland. Es gibt keine Autobahn, aber eine etwas breitere Überlandstrasse. Also breit ist sie nur , weil man den mehr oder meistens eher weniger befestigten Seitenstreifen mit einrechnet. Die Asphaltdecke der Fahrspur weist Löcher auf wie in Rom! Von den tiefen Spurrillen ganz zu schweigen. Die lettischen Autofahrer fahren flott, die LKW-Fahrer rasen!:eek:Ohne Rücksicht wird von hinten so dicht aufgefahren, dass man die Motornummer durch die Kühlhaube studieren kann. Wenn sich trotz Gegenverkehr die Möglichkeit eines Überholmanövers ergibt, wird der Vordermann einfach aus dem Weg gehupt :mad:, landet auf dem unbefestigten Seitenstreifen, und muss dann beten, dass nicht zufällig ein altes Bäuerlein dort Fahrrad fährt. Der LKW überholt in dritter Spur auf dem geschlossenen Mittelstreifen, während sich auch der Gegenverkehr auf seinen unbefestigten Seitenstreifen retten muss.
Als wir in Rundale ankamen, war ich ziemlich verschwitzt, und das nicht wegen der Hitze!:(
In Rundale kann man wunderbar flanieren in der barocken Gartenanlage, und ein ordentliches lettische Mahl kann man dort in verschiedenen Lokalitäten einnehmen. Ich kann das Balta Maja( das weisse Haus) empfehlen. Wir stärkten uns dort nach dem Rundgang durch das Schloss flüssig mit Kwas und Kefir, fest mit Hering und roten Beeten, Blutwurst und Forelle. Exzellent! So eine Stärkung braucht man dann aber auch, wenn man die 138 Säle und Zimmer von insgesamt 7000 m2 hinter sich hat! Und die zeige ich euch demnächst.

 
Schloss Rundale:

Man sieht das Schloss vom Parkplatz aus schon liegen, nähert sich ihm aber durch eine hübsche Kastanien-Allee.


Das Vorgelände besteht aus günen Wiesen und Obstgärten, durchzogen von kleinen Kanälen und besagten Lokalitäten, in denen zu Birons Zeiten ein Teil der Bediensteten lebte.

Das Schloss liegt dann plötzlich vor einem und man betritt den Aussenbereich der Anlage über eine Brücke. Schon die ehemaligen Pferdeställe, die den Eingang in einem Halbrund flankieren, sind schön gestaltet und leuchten kräftig rot, während das Schloss in dezent gelb-weiss im Hintergrund leuchtet.



Der Bauherr war der schon erwähnte Johann Ernst von Biron, ein kurländischer Machiavelli, der einen rasanten Aufstieg erlebte und später einen tiefen Fall.



Die Familie von Johann Ernst hiess ursprünglich " von Bühren", aber gehörte nicht der kurländischen Ritterschaft an. Die Familie war erst spät vom polnischen König überhaupt in den Adelsstand erhoben worden und erst seit 1664 in Kurland ansässig. Also über solche Zuwanderer und Emporkömmlinge rümpften die Ritter nur die Nase. Biron studierte in Königsberg und heiratete eine kurländische Adlige, Benigna Gottliebe von Trotta Treyden, mit der er drei Kinder hatte.
Sein Aufstieg beginnt, als er Sekretär, später Hofberater und engster Vertrauter der Herzogswitwe Anna Iwanowna von Kurland wurde. Anna, eine Tochter des Zaren Iwan, und die Nichte des regierenden Zaren Peter der Grosse, war mit dem Herzog von Kurland verheiratet worden, jedoch schon 2 Wochen nach der Heirat wurde sie Witwe. Biron nahm sich ihrer an und wurde ihr unentbehrlich. Als nach dem Tod des Zars, plötzlich die verwitwete, im hintersten Kurland steckende Anna zur Zarin ausgerufen wurde, zog Johann Ernst von Biron mit ihr nach Moskau und machte dort eine steile Karriere. Er regierte für Anna mit harter Hand, liess Tausende von Gegnern hinrichten und verbannen und raffte einen ungeheuren Reichtum und Titel zusammen. In diesen 10 Jahren der Regierungszeit Annas fing Biron mit dem Bau der Schlösser an. Bis in die dünne Luft des Reichsregenten für den unmündige Neffen der 1740 verstorbenen Zarin Anna, führte in sein Ehrgeiz, um danach tief zu fallen: es folgte die Verbannung nach Sibirien, die Konfiszierung seiner Güter. Er wurde später von Katharina der Grossen begnadigt und konnte wieder seine Position als Herzog des Kurlandes einnehmen. Und auch die Schlösser zu Ende bauen.


Interessanterweise gibt es seither im Russischen einen Begriff für die Herrschaft einer fremdländischen Adelsclique und Günstlingswirtschaft: Bironowschtschina.

Der Architekt von der Residenz in Jelgava und vom Sommerschloss Rundale war Bartolomeo Francesco Rastrelli ( geboren in Paris 1700, gestorben in Petersburg 1771). Er war italienischer Abstammung und ging mit seinem als Bildhauer arbeitenden Vater als 17 jähriger nach Petersburg, um am Hof von Zar Peter, dem Grossen zu arbeiten. Von Rastrelli stammen viele barocke Schlösser, Klöster wie z.B.: die Eremitage, das Smolny-Kloster und viele mehr.
Rundale ist eine lettische Version von Versailles, es ist dreiflügelig angelegt und geht über zwei Stockwerke und beinhaltet 138 Zimmer und Säle auf 7000 m2. In Rundale wurde auch ein grosser Barockgarten angelegt und mit 328.000 Linden bepflanzt. Also alles XXL.
Natürlich ergab sich auch für das Schloss ein Schicksal, ähnlich dem seines Besitzers, mit Glanz und Glorie bis hin zum Abstieg als Kornspeicher. Die ursprüngliche Inneneinrichtung ging im Laufe der Zeiten verloren, aber seit der Gründung der Schlossmuseums 1972, gehen die Restaurationarbeiten vorwärts und das Schloss erstrahlt wieder in goldenem Glanz.


Auch in einem Sommerschloss kann es mal kalt werden, fast in jedem Raum befinden sich riesige Kachelöfen mit schönen Delfterkachelmustern.

Schön sind die Aussichten ins spriessende Grün der Gartenanlage mit ihren geometrischen Mustern und dem ausgetüfftelten Wegesystem.

Auch innen blüht es farbenfroh aus dreidimensionalen Blütengirlanden. (Wie im Palast der Colonnas zu Rom ;))

Auch die Tischkultur der damaligen Zeit wurde wiederbelebt;

An den Wänden hängen allerei Bilder, wobei ich glaube, dass vieles Kopien von Werken sind, die irgendwo auf der Welt in Museen hängen. Aber sie vermitteln doch einen Eindruck davon, was bei Birons so an der Wand gebammelt haben könnte. Der Mann konnte es sich schliesslich leisten.

Beim Betrachten der Bilder gab es plötzlich eine Dejá vu: also diese Ansicht hatte ich schon gesehen, etwas bunter, etwas modern-städtischer, aber die Sehnsucht nach Rom kam scheinbar auch bis Rundale! :) Mir zitterten vor Rührung die Hände, ich bitte die schlechte Qualität meiner Fotos zu verzeihen.



Leider waren die Erklärungen nur auf lettisch, ich nehme mal an, es handelt sich um eine Nachbildung eines klassischen Römerkopfes


und um eine römische Ansicht in Öl ( das Grabmal der Cecilia Metella im Hintergrund?)

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Es rankelte in Gold, es überzuckerte die Wände mit Blümchen und Puttos



So langsam machte sich Ermüdung breit, die Füsse qualmten von den immens langen Zimmerfluchten, das Auge wurde träge, Die Kamera machte nur noch schräge Aufnahmen :cool: Wir strebten dem Ausgang zu


Das Schloss Rundale ist eine wunderbare und erschöpfende Gelegenheit, ein Barock-Ensemble im hohen Norden zu entdecken. Ein Zeitzeuge der unübersichtlichen Geschichte Lettlands mit seinen deutschen, russischen, polnischen und auch italienischen Einflüssen.
 
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Beim Betrachten der Bilder gab es plötzlich eine Dejá vu: also diese Ansicht hatte ich schon gesehen, etwas bunter, etwas modern-städtischer, aber die Sehnsucht nach Rom kam scheinbar auch bis Rundale! :) Mir zitterten vor Rührung die Hände, ich bitte die schlechte Qualität meiner Fotos zu verzeihen.

Rom verfolgt dich :)
 
Was für schöne Bilder der barocken lettischen Pracht!
Vielen Dank fürs Mitnehmen!
 
Nicht weit von Rondale, nur ca. 10 km weiter liegt Bauskas, eine Gründung aus dem Jahr 1443 des Deutschen Ordens am Zusammenfluss der Flüsse Memele und Musa zur Lielupe( Kurischen Aa). Die Ordensburg thront auf einem Hügel über den Flüssen und konnte den Feinden ( in dem Fall die litauische Fürsten) aufhalten.


Drum herum entstand eine kleine Ansiedlung, die 1609 Stadtrechte bekam. In einer der häufigen Kriegshandlungen wurde die Festung zerstört.

Der kurländische Herzog Keppler( der Vorgänger von Johannes Ernst von Biron) liess sich einen Teil der Festung in ein hübsches Renaissance-Schloss umwandeln. Die Burg ist täglich geöffnet für das Publikum.
Die weitere Geschichte Bauskas gleicht der von Riga und anderen Städten. Es gab oft eine kleine reiche deutsch-baltische Oberschicht, eine grosse jüdische Gemeinde, und ein Gemisch aus lettischen, litauischen, polnischen und russischen Bevölkerungsanteilen. Nach dem Hitler-Stalinpakt wurden die Deutschbalten 1939 umgesiedelt in den Warthegau ( also den Teil, den die Nazis von Polen für ihre Reichserweiterung beanspruchten. Alles östlich davon fiel nach diesem geheimen Pakt an die Sowjetunion. Als 1941 die Nazis der Sowjetunion den Krieg erklärten, wurde Lettland von der Wehmacht überrollt. Und es begannen sofort die Errichtung von Ghettos und die Massenvernichtung der Juden. Mehr als 2000 Juden wurde allein in Bauska und Umgebung getötet.
Die Stadt selber schauten wir nicht an, sondern machten nur einen kleinen Spaziergang durch das Gelände. um die Burg herum.





Am nächsten Tag ging es über kleine Landstrassen in den Norden nach Cesis, welches mitten in einem Naturpark liegt und jede Menge Wanderwege aufweist. Cesis wurde 1224 erstmals urkundlich erwähnt. Der Schwertritter- Orden baute hier eine grosse Burganlage ( auf deutsch: die Burg Wenden), die bis 1561 der Hauptsitz des Ritterordens blieb( später Deutscher Orden).


Bei einer Belagerung durch die Truppen des Zaren Ivan, der Schreckliche, sprengte sich die Besatzung mit der Burg in die Luft. Ivan der Schrecklich trug seinen Beinamen nicht zu Unrecht :rolleyes:. In der Burg ist heute das Stadtmuseum untergebracht. Und in diesem Ort entstand angeblich die Nationalflagge Lettlands, natürlich auch während einer kriegerischen Auseinandersetzung. Das Städtchen selber ist klein und überschaubar. Die grosse gotische Johannis-Kirche, war leider wegen Restaurationsarbeiten geschlossen.
Interessantes Detail: die Schlacht von Cesis im Juni 1919 ( !), in dieser errangen die Letten gemeinsam mit den Esten gegen die deutschen Freikorps und Landwehrtruppen den entscheidenen Sieg, der zur Unabhängigkeit Lettlands führte.

Für den Fall, dass man bei einem Besuch dort vom Hunger überwältigt wird, da kann ich das Restaurant: H.E.Vanadzins Ziemelu restorans unbedingt empfehlen.




 
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Danke für die sehr hübschen Detailaufnahmen und den Geschichtsunterricht. Mal sehen, vielleicht schaffen wir das auch noch.
 
Danke Ludovico für´s Mitlesen. Ich mache diese etwas vertiefenden Ausflüge in die Geschichte von diesem Landstrich durchaus im eigenen Interesse...:). Ich hatte nicht viel Zeit mich auf die Reise vorzubereiten, ausser den bekannten Kurzinformationen aus dem Netz. Das habe ich jetzt mit Nachlesen nachgeholt. Ohne Geschichtswissen bleibt alles Fassade, auch schön , aber das geht nicht in die Tiefe und ist austauschbar: ob Riga, Rom, Singapur, Paris, Pusemuckel. Da sieht man nur die Abziehbilder, farbkräftig, aber belanglos. Instagramig, youtubebig, blödsinnig.
 
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