Italien: Draghi und die große Koalition

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Wer also ist die Frau, die Draghi beerben könnte? Giorgia Meloni ist 45 Jahre alt und seit 2014 Parteivorsitzende der rechtsextremen Fratelli d'Italia. Geboren in Rom, engagierte sie sich schon als junge Frau in der "Jugendfront", der Jugendorganisation der neofaschistischen Partei MSI. Sie gründete außerdem eine Protestbewegung gegen die von der christdemokratischen Bildungsministerin Rosa Russo Iervolino eingeleitete Schulreform. Angetrieben sei sie von dem Wunsch, "Italien zu erlösen und eine andere Zukunft für ihre Nation aufzubauen", heißt es auf ihrer Internetseite.
Die Politikerin hatte bereits zahlreiche Ämter inne, etwa als Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer und Mitglied der Arbeitskommission, der Sozialkommission, der Abgeordnetenkammer sowie der parlamentarischen Untersuchungskommission zum Banken- und Finanzsystem. 2016 kandidierte sie zudem als Bürgermeisterin in Rom, verlor aber gegen die Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung, Virginia Raggi.

 

... mit. Es könnte mit Draghi als Regierungschef weitergehen oder es kommt zu vorgezogenen Wahlen.

In Italien mehren sich Unterschriftensammlungen und Aufrufe an den Premier, im Amt zu bleiben. Italiens Expremier Matteo Renzi hat mit seiner Petition für den Amtsverbleib Draghis in 3 Tagen 80.000 Unterschriften gesammelt. Sein Ziel sei es, bis Mittwoch 100.000 Unterschriften zu erreichen, erklärte er im Interview mit der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ (Montagsausgabe).

Einen Appell an Draghi richteten auch mehrere katholische Verbände, der Umweltschutzverband Legambiente und die Vereinigung der Universitätsrektoren. Draghis Verbleib sei notwendig, um die eingeleiteten Reformen umzusetzen, die mit dem EU-Wiederaufbauprogramm finanziert werden. Auch über 1000 italienische Bürgermeister unterzeichneten eine Petition an Draghi, um ihn zum Verzicht auf den Rücktritt aufzurufen.
 

... Länder gewesen, ihren Einsatz für die Stabilisierung im Mittelmeerraum zu bekräftigen.

Algerien ist der wichtigste Gaslieferant Italiens. Draghis Regierung beschloss nach dem russischen Angriff gegen die Ukraine, von Gaslieferungen aus Moskau unabhängig werden zu wollen. Die Russland pumpte zuvor jährlich 29 Milliarden Kubikmeter Gas nach Italien. Algerien sicherte nun zusätzliche 4 Milliarden Kubikmeter zu den schon vereinbarten 21 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr zu. Das italienische Ministerium für ökologischen Wandel sprach von einem wichtigen Schritt.
 

Normalerweise diskutieren die Italiener im Café über Fußball, selten über Politik. Jetzt geht es stattdessen fast ausschließlich um Draghi. Herr Luciano hat in der Vergangenheit Berlusconis Partei Forza Italia gewählt, Frau Anna wählt schon immer Mitte-Links. Sie trinken einen Kaffee zusammen und diskutieren über die "Unfähigkeit unserer Politiker, gleich welcher Partei". Zum ersten Mal sind sie einer Meinung: "Draghi muss bleiben. Ohne ihn geht das Land den Bach runter und die Glaubwürdigkeit, die er uns in Europa und weltweit wieder verschafft hat, ist auch weg", sagen sie unisono.
 

... Rom. Außerdem sprach er mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Enrico Letta. Draghi feilt an seiner Ansprache vor dem Parlament, in der er über die politische Lage berichten wird.
 

In aktuellen Umfragen bekommt der Regierungschef 65 Prozent Zustimmung. Bemerkenswert, sagt Politikprofessor Lorenzo Castellani von der Römer Universität Luiss: "Draghi wird im Moment vom aktivsten und produktivstem Teil des Landes als beste Lösung wahrgenommen. Er wird außerdem als eine Art Gegenmittel gegen die Parteien gesehen."

Die Bekenntnisse und Demonstrationen pro Draghi, meint Castellani, seien auch "ein Symptom des Misstrauens gegen die Parteien".
 

Für den Abend ist eine Vertrauensabstimmung in der kleineren der beiden Parlamentskammern angesetzt.


Der Akt der Cinque Stelle sei eine klare politische Geste, sagte Draghi am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Senat. Darin erläuterte er die bislang erreichten Ziele seiner Regierung, die gebildet wurde, um das Land aus der Corona-Pandemie und der wirtschaftlichen Krise heraus zu holen. "Ich war noch nie so stolz, Italiener zu sein", sagte Draghi. Er forderte jedoch: "Es braucht einen neuen Pakt des Vertrauens, der aufrichtig und korrekt ist, wie jener, der es uns bislang erlaubt hat, das Land zum Besseren zu verändern". Zum Ende seiner energisch geführten Rede fragte er die Senatoren: "Seid ihr bereit, den Vertrauenspakt wiederherzustellen?"

Mario Draghi spricht sich für Regierungsfortsetzung aus von Zeit online

Die spontane öffentliche Unterstützung für seine Regierung sei "beispiellos und unmöglich zu ignorieren", sagte Draghi, während er Appelle zur Rücknahme seines von Staatspräsident Sergio Mattarella abgelehnten Rücktrittsangebots abwog. Er sei persönlich berührt von den spontanen Appellen gewöhnlicher Italiener in den vergangenen Tagen, die ihn angefleht hätten, im Amt zu bleiben. Insbesondere erwähnte er entsprechende Petitionen italienischer Bürgermeister und medizinischer Angestellter, der "Helden der Pandemie".

"Diese Forderung nach Stabilität verlangt von uns allen, zu entscheiden, ob es möglich ist, die Bedingungen wiederherzustellen, unter denen die Regierung wirklich regieren kann", sagte Draghi und signalisierte, dass er gewillt sei, es zu versuchen.
 
Es bleibt spannend.
Am Ende seiner Rede wandte sich der Regierungschef direkt an die Senatorinnen und Senatoren. "Sind Sie bereit, die Anstrengungen zu bestätigen, die Sie in den ersten Monaten unternommen und dann abgeschwächt haben?" fragte Draghi. Er ergänzte: "Die Antwort auf diese Frage müssen Sie nicht mir geben, sondern allen Italienern."
Auffällig: Die Fraktion der Fünf-Sterne-Bewegung, die Draghis Rücktrittsangebot in der vergangenen Woche ausgelöst hatte, klatschte an dieser Stelle keinen Beifall - im Gegensatz zu den Fraktionen beispielsweise des sozialdemokratischen PD und der Partei Italia Viva des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi.
 

Angesichts der großen Unterstützung, die der ehemalige EZB-Präsident in der Bevölkerung genießt, erschien seine Bereitschaft, die Regierungsgeschäfte noch bis zu den Wahlen im März weiterzuführen, eigentlich als ein Angebot, das die Parteien nicht ablehnen konnten. Denn welcher Partei kann in der heutigen Situation – Inflation, Energie-Engpass, Ukraine-Krieg, Dürre, Pandemie – schon daran gelegen sein, die Verantwortung für den Sturz des beliebten Regierungschefs übernehmen zu müssen? Salvini und Berlusconi haben es mit den Neuwahlen aber offenbar derart eilig, dass sie dieses Risiko in Kauf nehmen.
 

... jedoch nicht mit ab. Damit ist es wahrscheinlich, dass Draghi erneut seinen Rücktritt bei Staatschef Sergio Mattarella anbieten könnte.
 

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi will nach seinem verpassten Ziel beim Vertrauensvotum im Senat heute in der Abgeordnetenkammer erscheinen. Die größere der beiden Parlamentskammern kündigte die Debatte über die Rede des Regierungschefs für heute an.

Nimmt Präsident Mattarella ein mögliches weiteres Rücktrittsgesuch Draghis diesmal an, könnte er danach jemanden suchen, der eine neue Regierungsmehrheit bildet, oder die beiden Kammern auflösen, was eine vorgezogene Wahl nach sich ziehen würde. Sollte es zu eine Neuwahl kommen, wäre diese wohl entweder Ende September oder Anfang Oktober. Bis eine Regierung steht, könnten dann noch weitere Wochen vergehen.

Italien wäre in der Zwischenzeit politisch kaum handlungsfähig, obwohl es eigentlich wichtige Reformen umsetzen muss, um sich milliardenschwere EU-Hilfsgelder zu sichern. Auch auf das Ansehen und die Stabilität des hoch verschuldeten Mittelmeerlandes könnte ein Wahlkampf negative Folgen haben, wenn etwa Investoren wegen der Unsicherheiten abgeschreckt werden. Im Moment könnte es nach Umfragen für eine Mitte-Rechts-Regierung mit den EU-abgeneigten Fratelli d'Italia reichen. Für Brüssel wäre das ein schlechtes Zeichen.
 

Das hatte Draghi vor einer Woche schon einmal getan, als die Cinque Stelle ihn bei einer Abstimmung hängenließen. Damals lehnte Mattarella ab - und schickte Draghi ins Parlament, auf dass er erneut um Vertrauen werben und eine tragfähige Regierung erhalten solle. Nun jedoch sind Neuwahlen wahrscheinlich. Sie könnten Anfang Oktober stattfinden.
 
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