Fontana di Piazza Mattei
oder
Fontana delle Tartarughe
1581 bis 1588
Den meisten Foristi wird der Schildkrötenbrunnen mit den eleganten Jünglingsgestalten und den so lebensechten Schildkröten am oberen Brunnenrand bekannt sein. Ich freue mich immer wieder an der graziösen Leichtigkeit dieser Komposition wenn ich an der kleinen Piazza Mattei im Rione Sant'Angelo vorbeikomme.
Im Zuge meiner Recherchen habe ich viel Neues, vor allem zur Ikonographie des Brunnens, gelernt und freue mich darauf, ihn bei nächster Gelegenheit mit diesem Wissen neu zu betrachten.
Zwei Künstlern verdanken wir die Entstehung dieses kleinen Juwels des römischen Manierismus, dem Baumeister Giacomo della Porta und dem Bildhauer
Taddeo Landini. Von späteren Veränderungen wird zu berichten sein.
Die Einweihung des Brunnens fand mitten im Sommer, am 15. Juli 1585 statt. Umgeben ist er von den Palästen der Adelsfamilie Mattei und dem Palast der Familie Costaguti.
Wie die bereits vorgestellten Brunnen, war auch dieser Teil eines Wasserversorgungsprogramms um die Bewohner der Altstadt mit frischem Wasser aus den Sabiner Bergen zu versorgen. Die Kommission, welche u.a. über die Standorte der Brunnen zu entscheiden hatte (die “Congregazione sopra le strade e le fontane”) und der Giacomo della Porta als päpstlicher Architekt vorstand, hatte sich dafür entschieden, dass auch die Piazza Giudia im römischen Ghetto einen Brunnen erhalten sollte. Die Wasserleitung erreichte die Piazza Giudia 1580 aber dann sollte es doch anders kommen.
Der Brunnen verdankt seinen Standort an der Piazza Mattei dem Einfluss der Adelsfamilie der Mattei auf die Kommission, welche über die Standorte der Brunnen zur Wasserversorgung der Bevölkerung entschied.
Der Adlige
Muzio Mattei, selbst Mitglied in dieser Kommission wusste seinen Einfluss geltend zu machen und setzte die Verlegung zur Piazza Mattei am nördlichen Rand des Ghettos durch. Hier besass seine Familie einige Palazzi. Auf den Ruinen des Balbustheaters hatte die Familie das erste wichtige Gebäude des Komplexes errichten lassen.
Mit diesem Brunnen unterstrich die wirtschaftlich mächtige Adelsfamilie ihr Geltungsbedürfnis. Man vermutet, dass sie sich die Verlegung zur Isola Mattei Einiges kosten liess. Auch übernahmen die Mattei die Kosten für den Unterhalt des Brunnens und versprachen den Platz pflastern zu lassen.
Die Bevölkerung im Ghetto musste bis 1591 auf einen Brunnen warten. Dazu mehr in der nächsten Brunnengeschichte.
Der Legende nach liess Herzog Mattei den Brunnen direkt vor dem Portal seines Palazzo an einem einzigen Tag errichten um seinen zukünftigen Schwiegervater zu beeindrucken. Mattei hielt zu dieser Zeit um die Hand einer reichen Römerin an aber nachdem er sein ganzes Vermögen beim Glücksspiel verloren hatte, weigerte sich der Vater der jungen Frau ihm seine Tochter zu geben. Aus der Hochzeit könne nach dieser Leichtsinnigkeit nichts werden, seine Tochter wolle er keinem Hungerleider zur Frau geben, liess er mitteilen.Am nächsten Tag lud Herzog Mattei die junge Frau und ihren Vater in seinen Palast ein. Er liess sie durch einen Seiteneingang hineinführen und öffnete dann die Fensterläden zur Piazza Mattei an der nun ein wunderschöner Brunnen stand, der am Abend zuvor noch nicht dort gewesen war. „Das kann kein Hungerleider“, soll der Vater der jungen Frau gesagt haben und die Hochzeit konnte doch stattfinden. Das Fenster, aus dem heraus die Drei auf den Brunnen geblickt hatten liess der Herzog vermauern. Keinem anderen Menschen sollte dieser einmalige Blick vergönnt sein.
Tatsächlich wurde der Schildkrötenbrunnen 1581 bis 1588 von Giacomo della Porta und Taddeo Landini vor dem alten Palazzo des Muzio Mattei errichtet. Der Palazzo mit dem heute sichtbaren vermauerten Fenster allerdings entstand erst 1616.
Von Giacomo della Porta stammen die Marmorteile des Brunnens, d.h. die tiefgraue obere Brunnenschale aus afrikanischem Marmor, der Baluster aus weissem Marmor mit wenigen hellgrauen Adern sowie die vier unteren Brunnenschalen in Muschelform aus grau-rot-weiss-gesprenkeltem Portasanta-Marmor.
Ein Werk des Florentiner Bildhauers Taddeo Landini sind die vier Bronzeskulpturen junger Männer, welche jeweils einen Fuss auf einen Delphin stellen und eine Hand über den Kopf zur oberen Brunnenschale heben. Dort sollten ursprünglich vier weitere Delphine Wasser in die Schale speien. Doch der Wasserdruck war zu niedrig und della Porta verzichtete auf die Platzierung der bereits gegossenen Delphine. So griffen die Jünglinge nach oben ins Leere. Das sollte auch bis etwa 1659 also rund 80 Jahre lang so bleiben!
Was mit den vier verbliebenen Delphinen geschah, werden wir auch noch erfahren.
Wer sich jetzt das Plätschern des Brunnens anhören möchte, findet in
diesem Videoclip von jüngsten Dreharbeiten an der Piazza Mattei die Möglichkeit dazu.
1658/59 wurde der Brunnen erstmals renoviert.Damals verschwanden z.B. die Stufen, die ursprünglich zu ihm hinaufgeführt hatten und die man in alten Abbildungen erkennen kann.
Statt dessen wurde rings um den Brunnen das heute noch sichtbare Bassin angelegt sowie vier Inschriften, die Papst Alexander VII. als Auftraggeber der Restaurierung ausweisen, angebracht.
Auch die vier wasserspeienden Puttenköpfe an der oberen Brunnenschale verdanken ihre Entstehung dieser Restaurierung.
Vor allem aber wurden damals die vier Schildkröten hinzugefügt.
Die letzte Darstellung des Brunnenns an der Piazza Mattei ohne Schildkröten stammt aus dem Jahr 1647, die erste mit den vier Schildkröten von 1662. Wahrscheinlich wurden sie zwischen 1658 und 1660 dem Brunnen hinzugefügt. Nun hatte die dem Beobachter unnatürlich erscheinende Haltung der Bronzejünglinge einen Sinn.
Wie sehr diese sich über die Ankunft der Schildkröten freuten, belegt sehr nett dieser Spot:
Man weiss nicht, wer diese Ergänzung vornahm aber meistens wir angenommen, dass die Schildkröten von
Gian Lorenzo Bernini stammen könnten. Auch den Namen
Andrea Sacchi liest man in diesem Zusammenhang.
Von dieser Zeit an trägt der zuerst als Fontana dei Mattei oder Fontana di Piazza Mattei bekannte Brunnen den Namen Fontana delle Tartarughe, Schildkrötenbrunnen.
Bevor wir uns der Ikonographie des Brunnens zuwenden, betrachten wir zunächst einige alte Ansichten des Brunnens:
Auf der Suche nach einem Bild des Brunnens aus der Zeit vor der Hinzufügung der Schildkröten, stiess ich auf die
englische Seite zum Brunnen bei Wikipedia. Dort fand ich nicht nur
das gewünschte Bild, sondern auch und vor allem den
Link zur Doktorarbeit der norwegischen Kunsthistorikerin Anne Kristine Togstad "Fontana delle Tartarughe. The iconography of a Roman fountain."
Die Lektüre der rund 100 Seiten habe ich gestern beendet und fand sie unglaublich interessant, spannend und überzeugend. Da dies aber wenig mit della Porta zu tun hat, beschränke ich mich auf ein paar wenige Hinweise.
Die Epheben werden von ihr als Darstellungen des jungen Hirten
Ganymed interpretiert.
Dieser wurde von Jupiter in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführt, wo er als Mundschenk der Götter Unsterblickkeit erlangte. Die Familie Mattei führte den Titel Mattei di Giove (=Jupiter) und die Kunsthistorikerin weist nach, dass Jupiter und Ganymed auf vielen Kunstwerken im Besitz der Familie Thema sind. In einem der Palazzi an der Piazza Mattei gab es einen weiteren von Landini errichteten Brunnen der Jupiter zeigte. Später (und bis heute) zierte diesen ein Neptun-Bild. Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen der Jupiter-Ganymed-Sage und der Familie Mattei. Früher schmückte auch ein heute verschwundenes Wappen mit einem Adler den Eingang zum Palazzo Mattei.
Die Schildkröten
sind in der römischen Mythologie mit der Gestalt des Jupiter-
Sabazius verbunden. Sogenannte Sabazius-Hände (Votivfiguren) zeigen oft Schildkröten. Hier zwei Beispiele, die ich im Netz gefunden habe:
Barakat Gallery Store und
Hand of Sabazius.
Die Autorin hält es durchaus für möglich, dass der Künstler (Bernini?), der die Schildkröten dem Brunnen hinzufügte, Kenntnis dieser Zusammenhänge hatte und ganz bewusst, und nicht etwa zum Scherz, Schildkröten als Zusatz zum Brunnen der Mattei di Giove wählte.
Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen zum Schicksal des Brunnens während des Zweiten Weltkrieges und bis heute:
Im Juni 1940, nach dem Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg, liess die Stadtverwaltung, als eine der ersten Massnahmen nach diesem Ereignis, die vier Epheben zu ihrer eigenen Sicherheit entfernen. Die Bronzejünglinge und die Schildkröten kamen ins Museo di Roma und der Brunnen blieb seines Schmuckes beraubt zurück. Nach Kriegsende verlangte die römische Presse die schnelle Rückkehr an den angestammten Platz aber es sollte bis zum Jahresende 1948 dauern bevor die Bronzefiguren zur Piazza Mattei zurückkehren durften.
1906, 1944 und (je nach Quelle) 1979 oder 1981 wurden mehrere und zuletzt eine Schildkröte gestohlen. Alle vier sind nun durch Kopien ersetzt. Die drei verbliebenen Originale befinden sich in den Kapitolinischen Museen. Wer sie dort schon gesehen hat oder entdeckt, bitte melden!
Ergänzung des Brunnenberichts am 27.8.2013.
Ende 2012 wurde der Schildkrötenbrunnen an der Piazza Mattei renoviert. Siehe:
Renovierung des Schildkrötenbrunnens . Es folgen ein paar Photos aus dem Reisebericht der Tre a Roma, aufgenommen im Februar 2013:
Nach dem Essen wollte ich mir unbedingt noch den frisch renovierten Schildkrötenbrunnen, die
ansehen und fand sie munter plätschernd vor.
Sehr interessante neue Informationen in Zusammenhang mit dem Schildkrötenbrunnen hat die Forista Claude am 26.8.2013 hier im Thread gepostet. Siehe:
Die Brunnen Giacomo della Portas - Seite 17
Ich möchte auch an dieser Stelle auf sie verweisen:
Ich kann die spannenden Ausführungen noch durch ein interessantes Detail ergänzen. Der Schildkrötenbrunnen inspirierte auch einen so bedeutenden Künstler wie Caravaggio.
Die Armhaltung der Jünglinge des Schildkrötenbrunnens übernahm er für sein Gemälde von Johannes dem Täufer, welches in der Pinakothek der kapitolinischen Museen zu bewundern ist.
Caravaggio (Michelangelo Merisi) - Saint John the Baptist - Google Art Project
Hier findet nicht nur eine Auseinandersetzung mit den berühmten Ignudi des Michelangelo aus der Sixtina statt, mit der Armhaltung erweist er auch den Auftraggebern zu diesem Bild, den Mattei (vor deren Palazzo der Schildkrötenbrunnen stand), seine Reverenz. Zudem wird der Paragone, der Streit um die Überlegenheit von Malerei oder Skulptur hier deutlich - ein Thema, mit dem sich Ciriaco Mattei beschäftigt hatte.