Oh Rome! my country! city of the soul! (Canto IV, Childe Harold's Pilgrimage)

Seneca,
herzlichen Dank für diesen lebhaften, eindrucksvollen Bericht. Man kann Euren Weg und Deine Stimmungen direkt miterleben, ein Genuss. Es fehlen eigentlich nur noch einige Fotos.

In gespannter Vorfreude auf die Fortsetzung
Ludovico
 
Hallo Seneca,

auch von mir ein herzliches "Danke"! Ein sehr schön geschriebener und unterhaltsamer Bericht.

Als ich vom "morbiden Charme" der Häuser las, musste ich sofort an unseren Besuch in der gleichen Gegend vor wenigen Wochen denken. Ich war so begeistert von diesen Häusern, die trotz ihres teilweise heruntergekommenen Aussehens viel Atmosphäre haben, dass irgendwann einmal Domitilla ihre Geduld mit mir verlor und es beinahe zum Ehekrach gekommen wäre. Der morbide Charakter muss ja auch nicht jedem gefallen. Als wir aber dann kurz darauf an der Piazza Campo dei Fiori für einen Kaffee Halt machten, war sie wieder mit Rom und auch mit mir versöhnt.

Vom Grab Fra Angelicos habe ich bisher nichts gewusst. Aber in 75 Tagen oder so sind wir wieder da, dann gehe ich hin.

So, und jetzt freut sich auf die Fortsetzung des schönen Berichts
mit einem lieben Gruß aus der noch nicht - aber bald - schneebedeckten Eifel

Spurensucher
 
Montag, d. 29. September 2008: das centro storico


Beim morgendlichen Joggen am Tiber


Am nächsten Morgen bin ich schon in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, während die anderen noch tief und fest schliefen – der Wein hatte seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt. Ich hatte schnell meine Joggingsachen übergezogen und mich ganz leise aus der Wohnung geschlichen Richtung Tiber.
Der Einstieg zum Tiberufer lag beim Ponte Sisto. Hier musste ich jedesmal die Luft anhalten sowohl beim Hinuntergehen als auch beim Wiederaufstieg, da man die gesamte Treppenanlage zu einer neuzeitlichen cloaca maxima verhunzt hat, und der Gestank bestialisch war.
Unten angekommen war ich in einer ganz anderen Welt, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, Rom und ich sind eins, und dieser Teil der Stadt gehört mir ganz allein. Hier unten auf dem breiten, gepflasterten Uferstreifen war es ganz still, über mir hörte man wie von ferne, dass die Stadt allmählich zum Leben erwachte. Das Ganze hatte schon fast mystischen Charakter: die Lichter der Uferbeleuchtung spiegelten sich in dem gemächlich dahinfließenden Tiber, und auch die Brücken erstrahlten im Glanz der Scheinwerfer wie verzaubert. Also beste Voraussetzungen, um sich auf die Strecke zu begeben und den eigenen Gedanken nachzugehen.



Einmal erlebte ich auf meinen morgendlichen Läufen eine böse Überraschung, als plötzlich wie aus dem Nichts eine Bestie von Hund zähnefletschend und geifernd vor mir auftauchte. Er gehörte zu einer Gruppe von „clochards“, die unter einer Brücke ihr nächtliches Quartier eingerichtet hatten. Gottseidank war der Hund angeleint. Trotzdem war der Schreck, den mir dieses Tier eingejagt hatte, gewaltig. Aber zum Glück war es das einzige Vorkommnis dieser Art.
Zurück in der Wohnung, machten wir uns dann fertig für den Tag. Da Katzenwäsche angesagt war, ging es an diesem Morgen besonders schnell. Zuallererst musste für das Frühstück gesorgt werden. Es war abgemacht, dass immer zwei von uns losziehen sollten, um die nötigen Besorgungen zu erledigen. Heute morgen hatten mein Schwager und ich uns bereitwillig dazu entschieden. Also machten wir uns auf den Weg zum Campo de’ Fiori.



Einkaufen auf dem Campo de'Fiori

Mein Gott, was hatte sich dieser Platz geändert: gestern Abend noch in ein magisches Licht getaucht vom indirekten Schein der unzähligen Lampen rings um die Häuserfronten, war die ganze Szenerie beherrscht von Musikern, von Pantomimen, von Verkäufern, die versuchten, ihr unnützes Zeug gewinnbringend unter die Leute zu bringen, und von einer unübersehbaren Menschenmenge, – jung und alt - die wie wir einfach über den Platz schlenderte und sich von der einzigartigen Atmosphäre treiben ließ, um früher oder später an einem der vielen Tische Platz zu nehmen und ein Gläschen zu trinken.
Und heute morgen? Die allermeisten Cafés waren noch geschlossen,Tische und Stühle an die Seite geräumt, und jetzt waren es die Marktleute mit ihren Ständen, die das Bild des Campo de’ Fiori beherrschten, wie man es von den vielen Photos her kennt.
Wir beide machten erst einmal die Runde, mit kritischem Blick die Qualität der Produkte prüfend, aber es gab nichts auszusetzen, die Ware war tip-top, was sich auch im Preis niederschlug.
Dann begaben wir uns an die Einkäufe: ofenwarme, handgeformte panini aus einem kleinen unscheinbaren, aber sehr gut geführten panificio, frisches Obst und prosciutto cotto vom Wagen. Mein Schwager hatte den Ehrgeiz, seine Italienischkenntnisse, die wir ihm auf die Schnelle beigebracht hatten, zu testen, und siehe da: es klappte. Die Signora mit ihrem schwarz gefärbten, sorgfältig gestylten Haar („bella figura“ gehört zum Geschäft) und dem viel zu dick aufgetragenen Make-up hatte alles verstanden, nur als es ans Zahlen ging, gab es ein kleines Missverständnis, das allgemeine Heiterkeit auslöste. Er sagte „zahlen“, sie verstand „sale(Salz) und zog zu unserem Erstaunen ein riesiges Paket Salz unter der Theke hervor, bis ich ihr erklärte, dass wir nur eins wollten: nämlich pagare. Wir mussten alle herzlich lachen, und am nächsten Tag konnte sie sich noch genau an uns erinnern, und es gab auch schon ein bisschen sconto - typisch Italien!
Die Runde beendeten wir dann in einem kleinen Feinkostgeschäft, wo wir noch etwas Butter, Käse usw. holten. Ich hatte den Eindruck, dass die Kassiererin noch gar nicht auf so frühe Kundschaft eingestellt war, denn als wir bezahlen wollten, musste sie erst ihr Morgenbrot weglegen, und auch bei der Herausgabe des Wechselgeldes wirkte sie sehr fahrig.

Jetzt stand einem ausgiebigen Frühstück nichts mehr im Wege. Wir ließen es uns richtig gut gehen: es duftete nach frischem Kaffee und nach ciabatta, der Tisch war schön gedeckt, alles sah so einladend und appetitlich aus, und dazu verströmte die Sonne ihr mildes Licht … quanto sei bella, Roma!
So gestärkt konnten wir jetzt an die nächsten Aufgaben herangehen. Da waren die unvermeidlichen, aber notwendigen Anrufe mit den Verantwortlichen der beiden Agenturen. Die gaben sich verständnisvoll, wollten sich um einen Wohnungstausch bemühen und uns telephonisch über den Stand der Dinge auf dem Laufenden halten.
„Ob das wohl reine Hinhaltetaktik ist?“, dachte ich so im Stillen. Man konnte gespannt sein.



Als Tourist auf dem Campo de'Fiori

Auf jeden Fall konnte es jetzt richtig losgehen. Wir hatten alle keine Lust mehr, uns länger mit Banalitäten aufzuhalten. Erstes Ziel war die Pz. Navona; aber da unser Weg wieder über den Campo de’ Fiori führte, nahmen wir die Gelegenheit wahr, uns erst einmal gründlich umzusehen. Mittlerweile herrschte hier ordentlich Betrieb: schaulustige Touris wie wir, Photographen auf der Suche nach den besten Motiven und Szenen, Leute, die sich vor dem Sockel der finster dreinblickenden Statue des Giordano Bruno zu einer Verabredung eingefunden hatten, und nicht zu vergessen die zahlreichen Einheimischen, die hier auf diesem Markt alles für ihren täglichen Bedarf vorfanden. Es war ein buntes Gemisch quer durch alle Nationen.
An einem Stand war besonders viel los; da hatte sich eine ganze Menschentraube gebildet, die voll Bewunderung einem Schausteller – ich nannte ihn ciarlatano – zusah, wie er ein „Haushaltsgerät“ vorführte, bestehend aus einer Art Handgriff mit den dazu passenden Aufsätzen, mit dem er aus Gemüse(Zucchini / Gurken / Möhren usw.) die tollsten Kreationen und Garnituren modellierte. Verblüffend!





Auf der Piazza Navona

Nun wurde es aber Zeit, unser erstes Ziel anzusteuern: wir überquerten den Corso V. Emanuele und dann trennten uns nur noch wenige Schritte von der Pz. Navona, diesem brunnengekrönten Glanzstück der Stadt Rom. Aber vom Glanz war an diesem Tag nicht viel zu spüren, denn der gesamte Innenraum war wegen einer kirchlichen Veranstaltung(ich glaube, es ging um Mission) mit Bühnen, Sitzreihen und Zelten zugestellt und von außen mit hässlichen Stellgittern eingezäunt. Auch der Hauptbrunnen in der Mitte – die Fontana dei quattro fiumi – war eingerüstet, lediglich der Obelisk des Domitian mit dem seltsamen Hieroglyphen-Kauderwelsch ragte heraus. Uns konnte das alles nicht daran hindern, auf dem Beckenrand des Neptun-Brunnens Platz zu nehmen, um dort für ein paar Augenblicke zu verweilen, die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen und das Treiben um uns herum zu beobachten. Obwohl dieser Platz im römischen Leben so viele Funktionen erfüllt hatte, war ich in dieser Situation nicht in der Lage, sie aus meinem Gedächtnis abzurufen, zu sehr hatte mich die Gegenwart mit all ihren Reizen in den Bann gezogen. Wen interessiert da schon die Dauerfehde zwischen Bernini und Borromini? Wen interessiert da schon die von Macht und Habgier berauschte Olimpia, die durch ihren Einfluss erreichte, dass ihrem Schwager als Innocenz X. das höchste Kirchenamt zufiel?





Auf dem Weg zum Patheon

Es fiel uns nicht leicht, diesen Ort, der so reich ist an Geschichten und Erinnerungen, zu verlassen, aber in Gedanken waren wir schon auf das nächste „highlight“ eingestellt, das Pantheon nämlich. Wir näherten uns diesem vielleicht schönsten Gebäude, das das Altertum hervorgebracht hat, von der kleinen, beschaulich wirkenden Pz. S. Eustachio.
Obwohl wir den Platz vor der Rotonda nicht einsehen konnten, hörten wir schon „des Dorfs Getümmel“. Jetzt trennten uns noch wenige Schritte(pochi passi) von Pz. della Rotonda und dann das: ein Gewimmel von Menschen, es ging zu wie in einem Ameisenhaufen. Wie sollte man sich da zurechtfinden, wie die Sinne beisammen halten? Während meine drei Begleiter (meine Frau, meine Schwägerin und ihr Mann) staunend das Kommen und Gehen der Leute – diesen nie enden wollenden Zug der Schaulustigen – beobachteten, interessierte ich mich für ein Objekt, dem die allermeisten Rombesucher keine Aufmerksamkeit schenken, den kleinen ägyptischen Obelisken, inmitten des schönen Brunnens von G. della Porta errichtet. Auf dieser „Sonnennadel“ deutlich zu sehen die Kartusche Ramses II., die ich für eine der klarsten Königskartuschen halte, die aufgrund der symmetrischen Anordnung der Zeichen eine vertikale und horizontale Achse aufweist. Übrigens der eigentliche Name dieses Pharaos lautet (auf deutsch) so: Ra hat ihn gezeugt, geliebt von Imen(Amun).

Ich verspürte kein Bedürfnis, mich unter diese Meute zu stürzen, daher mein Vorschlag: weg von dieser Fabrikware der Natur und erst einmal eine granita di caffè con panna im Tazza d’oro ausprobieren. Auch hier ging es zu wie in einem Taubenschlag, ein bloßes Rein-Raus-Geschäft.



In der Kirche S. M. sopra Minerva

Kurzfristig änderten wir dann die Reihenfolge unseres Programms. Erst einmal kam es darauf an, den Eingang der Bibliotheca Casanatense zu finden, die sich in den Räumen des ehemaligen Dominikanerklosters befinden sollte. Gar nicht so einfach, aber nach mehrmaligem Fragen wurden unsere Bemühungen belohnt. Leider ist der Zutritt zu dieser Bibliothek nur möglich nach vorheriger Anmeldung, die wir ja heute vornehmen könnten, wie die freundliche Dame im Eingangsbereich meinte, um morgen wiederzukommen. Aber das war mit unserer Planung nicht in Einklang zu bringen. Vielleicht beim nächsten Mal – forse alla prossima.
Bis zur Kirche S. M. sopra Minerva sind es (wieder!) nur wenige Schritte – pochi passi. In der Hoffnung, dass sich die Besucherschwärme vor und in dem Pantheon auflösen würden, statteten wir dieser Kirche zunächst unseren Besuch ab. Hier empfing uns eine wohltuende Ruhe, und so konnten wir ungestört die Hauptsehenswürdigkeiten betrachten, wobei ich große Ehrfurcht empfand, als ich vor dem Grab des Fra Angelico stand, dieses so begnadeten Malers, der wie kein anderer das Lob Gottes und die himmlische Freude darzustellen wusste.
Draußen auf dem kleinen Platz vor der Kirche blieben wir noch kurz stehen vor dem „Küken der Minerva“, dem Elefanten-Obelisken Berninis. Die Idee, einem Elefanten den Obelisken aufzubürden, soll ihm gekommen sein, als er vom Hof Ludwig IV. nach Rom zurückkehrte. Überall drängten sich Neugierige an seine Kutsche, um dem großen Bernini ihre Bewunderung zu zeigen. Er selbst hat es vermutlich wohlwollend hingenommen, dass man ihn wie ein „Wundertier“, einen Elefanten eben, bestaunte. Legende oder Wahrheit?



Im Pantheon

Wieder ein paar Schritte – diesmal aber nur due passi – dann sollten wir in den Tempel der sieben planetarischen Gottheiten, das Pantheon, eintreten. Die Menschenmassen waren nicht weniger geworden, ein unglaubliches Geschiebe und Gedränge mit einem Stimmengewirr, das einen ganz konfus machte. Kein Ort der Besinnung und Selbstfindung, sondern Rummel wie auf einem Jahrmarkt. Wie gerne hätte ich mir jetzt die alten Götter gewünscht, die aus „rollenden Wolken Blitze“ herabgeschickt hätten, um dieses chaotische Treiben für immer zu beenden. Aber lassen wir das! Man muss sich wohl mit dem Gedanken abfinden, dass es in Rom Orte gibt, die exklusives Betrachten nicht gestatten, sondern die man immer mit anderen teilen muss: man sieht sich hier, man sieht sich am Trevibrunnen, und man trifft sich gemeinsam am Vatikan. Ci vediamo …

Das Aufregendste an diesem Gebäude ist seine Raumwirkung. Als sich für mich zum ersten Mal die Türen zu diesem Heiligtum öffneten, hatte ich für den Bruchteil eines Augenblicks den Eindruck, die Gesetze der Schwerkraft überwinden zu können: so leicht, so schwebend wurde mein Gang. Ich hoffte, das gleiche Wunder noch einmal zu erleben, aber in diesem Gewusel verspürte ich nur eine Verwirrung der Sinne und Gefühle. Mehr nicht. Ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen.
Daher schnell ein paar Photos vom Innenraum und von der Kuppel, dann hinüber zum Grab Raffaels, dort einige Minuten in Gedanken verweilend an den Mann, dessen Genie das Schönste, Erhabenste und Stimmigste der gesamten italienischen Malerei hervorgebracht hat: Raffaelo stupendo …



Ein Telephonanruf und drei Kugeln Eis

Wir hatten noch nicht den Ausgang des Pantheon erreicht, da klingelte das Telephon: schlagartig wurden wir mit der rauhen Wirklichkeit des Alltags konfrontiert. Die italienische Agentur hatte sich gemeldet, und was ich befürchtet hatte, war eingetroffen: man konnte uns keine neue Wohnung zur Verfügung stellen, dafür versprach man uns, morgen früh einen idraulico(Klempner) zu schicken, der sich um die defekte tubature dell’acqua kümmern sollte. Die gleiche Mitteilung erhielten wir auch später vom deutschen Büro, das uns sogar eine Ermäßigung von 20% des Mietpreises verbindlich zusagte. Na also, wenigstens ein kleines Trostpflaster, und mit dieser Lösung konnten wir auch „leben“.
In diesem Augenblick glaubten wir eigentlich schon, dass diese lästige Angelegenheit für uns positiv ausgehen würde. Deshalb beschlossen wir, uns erst einmal mit einem richtig schönen gelato zu verwöhnen. Da uns die Pz. S. Eustachio so gut gefallen hatte, kehrten wir dahin zurück, ließen uns am Tisch einer kleinen, sehr sympathisch wirkenden Bar nieder, und jeder von uns bestellte sich ein Eis mit drei Kugeln(tre palline). Mein Schwager fühlte sich hier so wohl, dass er die Pause noch gerne verlängert hätte, und schon drauf und dran war, einen cappuccino zu ordern. Ich sagte ihm, das würden wir bei der nächsten Gelegenheit nachholen, mir wäre es lieber, wenn wir jetzt bezahlen könnten. Damit war er auch einverstanden, und ganz stolz rief er der Bedienung zu: „Il conto, prego!“ Und was dann kam, war der Hammer: 28 € (ventotto Euro!) für vier mittlere Portionen Eis! Das konnte nicht wahr sein, dachten wir, und da meine Frau am besten italienisch spricht, ist sie rein in den Laden, um von der padrona selbst zu erfahren, ob sie sich nicht vertan hätten. Aber die ließ nicht mit sich verhandeln. Vergogna! Gottseidank ist uns so ein Nepp nur einmal passiert.





An der Fontana di Trevi

Jetzt stand nur noch ein Besichtigungspunkt auf unserem Programm: die Fontana di Trevi. Meine Vorliebe für Obelisken respektierend, gingen wir nicht gleich dorthin, sondern machten erst einen Abstecher zur Pz. di Monteciterio. Hier vor dem Parlamentsgebäude steht einer der größten Obelisken der Welt. Die beiden Ringnamen der Pharao Psam(e)tik und einige seiner Beinamen waren deutlich zu erkennen. Da ich die Laune der anderen drei nicht zu sehr strapazieren wollte, habe ich darauf verzichtet, die Zeichen in allen Einzelheiten zu erklären.
Wie der Zufall es wollte, kamen wir auf dem Weg zum Trevibrunnen an einer ganz modernen Galleria vorbei. Im Foyer dieses Konsumtempels gab es den versprochenen, hervorragend zubereiteten cappuccino.
Und jetzt endlich durften wir das sehen, worauf wir uns schon so lange gefreut hatten: die Fontana di Trevi. Spontan dachte ich, – den kleinen Platz vor dem Brunnen zuerst im Blick – ich käme in ein Freilichttheater: hier standen, saßen, quetschten sich die Leute, alles dicht an dicht. Warteten sie darauf, dass die Vorstellung gleich beginnen würde, dass vielleicht Neptun und seine Gefährten aus ihrer starren Haltung erwachten und sie mit dem Tanz ihrer Bewegungen verzauberten? Es war eine grandiose Kulisse, alle waren hierher gekommen, eine der schönsten Schöpfungen der Renaissance zu bestaunen und durch ihre persönliche Anwesenheit ihren Respekt vor dem Geist dieser Künstler zu bezeugen, die ein Werk ewiger Größe hervorgebracht haben.
Und das ganze Ensemble war durchflutet von der Rosenhelle eines sanften Lichts, hervorgerufen durch den Widerschein der reflektierenden Sonnenstrahlen, die sich in den Pastellfarben der Häuser brachen, und dieses Licht ließ die Figurengruppe auf dem Brunnen besonders plastisch hervortreten.
Und nun kam es darauf an, sich die besten Postionen für ein photo-shooting zu erobern; dazu brauchte man Geduld, manchmal war auch sanfter Druck nötig, um die Leute von der „Linse“ zurückzuhalten. Aber es hat sich gelohnt: mit der Ausbeute meiner Bilder bin ich sehr zufrieden.



Da wir eigentlich gut in der Zeit waren, konnten wir uns sogar noch dazu durchringen, die letzten Reserven für den Aufstieg zum Monte Cavallo zu mobilisieren. Und hier oben wurden wir mit einem phantastischen Rundumblick belohnt. Irgendwo hinter dem Horizont verströmte die Sonne den noch verbleibenden Rest ihrer Kraft, und man ahnte, dass sie schon bald den Kampf gegen den hereinbrechenden Abend verlieren würde.



In der Trattoria 'Da Francesco'

Dann machten wir uns fertig für einen langen, aber nicht langweiligen Abstieg quer durch das centro storico. Ziel war die Pz. del fico, wo wir die trattoria da Francesco (auch ein Tip aus dem Forum!) ansteuerten. Die Mühe war nicht umsonst: wir haben hier sehr gut gegessen. Besonders angetan hatten es uns die ausgezeichneten antipasti, was uns dazu bewog, diese trattoria für einen zweiten Besuch vorzumerken; den wir allerdings in nicht so guter Erinnerung behalten haben. Wir wurden nämlich vom Personal auf „die nicht feine englische Art“ herauskomplementiert, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren. Wir waren gerade im Begriff, eine neue Flasche Wein zu bestellen, da legte man uns die Rechnung vor, forderte uns umgehend auf zu zahlen, ohne dass wir Gelegenheit hatten, unseren Wunsch vorzutragen. Und dann „ciao, ragazzi!“ So kann man mit Gästen nicht umgehen.

Wie dem auch sei, an diesem Abend verließen wir da Francesco in dem sicheren Bewusstsein, einen einzigartigen Tag erlebt zu haben, und wir beschlossen ihn – come sempre – auf dem Campo de’ Fiori.
 
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Dienstag, 30. September 2008: Pz. del Campidoglio und kapitolinische Museen / Domus aurea / S. Clemente


Ich brauche nicht zu erwähnen, dass der Start in den Tag nicht dazu angetan war, unsere Laune zu heben – wieder Katzenwäsche! Wie sehr sehnten wir uns jetzt nach einer „vernünftigen“ Dusche. So war der Zustand auf Dauer nicht hinnehmbar. Mal gespannt, ob sie die Vereinbarung auch wirklich einhalten.

Vor dem Frühstück noch schnell ein Anruf nach Deutschland, nichts Offizielles, ganz privat: Viola, unsere Tochter, wurde 30! Also herzliche Glückwünsche – Tanti auguri -, alles Liebe und Gute, wir sind in Gedanken den ganzen Tag bei dir, die Feier ist nicht aufgehoben, nur verschoben…



Auf dem Kapitolsplatz

Gut gestärkt und bei phantastischem Wetter, das uns noch einmal einen Spätsommertag bescherte, fühlten wir uns wieder ein bisschen besser. Und dann machten wir uns auf den Weg. Es ging über die Via dei Giubonnari quer durch das Regula-Viertel Richtung Kapitol. Hier nahmen wir zum ersten Mal Tuchfühlung auf mit der Welt der Antike.
Die cordonata Stufe für Stufe hochschreitend, gelangten wir am Ende der Rampe zwischen den mächtigen Figuren von Pollux und Castor hindurch auf den Kapitolsplatz, den salone di Roma – den Salon Roms im wahrsten Sinne des Wortes. Um uns einen Eindruck von der Gesamtanlage zu verschaffen, begaben wir uns in die Mitte des Platzes, über dessen Zentrum sich ein ovales Netz aus schwarzen und weißen Pflastersteinen spannt, und machten Halt am Standbild des Marc Aurel, der auf einem majestätischen Pferd mit einer Friedensgeste seine Stadt segnet. Vor uns lag der Senatorenpalast mit dem markanten Glockenturm und den zwei seitlichen Treppenaufgängen – oftmals kopiert - , davor die Wasser des Minervabrunnnes. Rechts und links der Konservatorenpalast und der Palazzo Nuovo und im Rücken von uns die beiden Dioskuren.
Da ich den Part für das alte Rom übernommen hatte, erklärte ich den dreien, wie sich dieser Ort im Laufe der Jahrhunderte verändert hatte, und wie er nach den Plänen des Michelangelo zu seiner heutigen Form umgestaltet wurde, indem er die Gebäude nicht mehr auf das Forum Romanum, das antike Trümmerfeld, ausrichtete, sondern auf die Altstadt hin, auf die Stadt seiner Zeit, der Päpste und der Renaissance.
Da die äußeren Bedingungen einfach ideal waren und nicht hätten besser sein können, habe ich von diesem Platz eine ganze Serie von Photos „geschossen“, immer darauf bedacht, nicht bloß abzudrücken, sondern Stimmungen einzufangen. Ich glaube, es ist mir einigermaßen gelungen.





In den Kapitolinische Museen

Und dann ging es hinein in die Kapitolinischen Museen. Bei dieser umfangreichen Sammlung haben wir uns von vornherein Schwerpunkte gesetzt: sehen wollten wir unbedingt die Lupa Capitolina, den Dornauszieher, Brutus, die Portraits der Kaiser und der großen Denker, die kapitolinische Venus, Amor und Psyche, das ineinander verschlungene Liebespaar, auf das ich Schwager und Schwägerin schon eingestimmt und dessen Pose ich ihnen zur Nachahmung wärmstens empfohlen hatte, und natürlich den sterbenden Gallier – den Galata moriente.
An dieser Stelle halte ich es für angebracht, ein paar kritische Bemerkungen einzuschieben. Ich bin schon in einigen italienischen Museen gewesen, und jedesmal stieg in mir Frust und Zorn empor: die einzigartige Schönheit der Figuren und Skulpturen steht in krassem Gegensatz zu deren Präsentation. Die ausgelegten Tafeln mit den Umrisszeichnungen sind nicht dazu geeignet, dem Besucher eine echte Orientierungshilfe zu bieten, geschweige denn ihn genau zu informieren. Wie häufig ist es vorgekommen, dass ich mich ans Aufsichtspersonal wenden musste, wenn ich mich nicht zurechtfand. Das kann es doch nicht sein. Da ist man doch bei uns einen anderen Standard gewohnt; die herausragenden Exponate werden richtig in Szene gesetzt: da stimmt der Ort, da stimmt das Licht, da stimmt die Dokumentation. Hier könnte ein Wissenstransfer helfen, die gröbsten Fehler zu beheben.


Die bleibenden Erinnerungen

So weit, so gut.
Und was bleibt vom Besuch dieser beiden Museen hängen? Was wird sich dauerhaft im Gedächtnis einbrennen?
- Sicherlich die Furcht einflößende Wölfin mit den Zwillingen, die bei aller Bedrohung, die von ihr ausgeht, den Instinkt mütterlicher Fürsorge nie verloren hat.
- Die hinreißende Venus – ein Meisterwerk, dem das Attribut von der „edlen Größe und stillen Einfalt“ zusteht, und dem man anmerkt, dass der Künstler die visionäre Kraft in sich spürte, die ihn dazu befähigt hat, aus dem Marmor diese Figur zu meißeln.
- Der Blick von der Loggia des Tabulariums, des ehemaligen Staatsarchivs, durch die gewaltigen Bögen hindurch auf das Forum Romanum, den Mittelpunkt der ewigen Stadt und des damals bekannten Erdkreises (orbis terrae), auf einen Ort, der wie kaum ein anderer die Weltgeschichte geformt und beeinflusst hat. Obwohl sich heute ein Ruinenfeld, eine versunkene Stadt vor uns ausbreitet, hatte ich das Gefühl, dem alten Rom nie näher gekommen zu sein als an dieser Stelle. Das mag pathetisch klingen oder als Schwärmerei eines Phantasten, der im bürgerlichen Bildungstum des 20. Jahrhunderts seine Heimat hat, aber glaubt mir: es ist so.
- Dann die Portraits der Kaiser und der großen Denker der Antike. Ich dachte, alte Bekannte wieder zu sehen, „die früh sich einst dem jugendlichen Blick gezeigt“, um es mal in Anlehnung an Goethe zu sagen. Viele Gesichter waren mir als Schüler so vertraut, so unendlich nah und doch gleichzeitig entrückt in weite Ferne, weil Rom damals nur in meiner Gedankenwelt existierte, ein Traum – un sogno – blieb, unvorstellbar, jemals dorthin zu kommen. Und jetzt steht man diesen Figuren gegenüber auf gleicher Augenhöhe: einfach Wahnsinn!
- Und schließlich eine Begegnung der besonderen Art: der sterbende Gallier. Ich kann nicht aufzählen, wie oft ich auf das Bild dieser Figur geschaut habe; wobei ich gestehen muss, dass mir damals nicht bewusst war, dass es sich um eine der bedeutendsten Schöpfungen der Antike handelte.
Jedesmal, wenn wir im Lateinunterricht Caesars „De bello gallico“ aufschlugen, kam ich nicht darum herum, einen Blick darauf zu werfen, auf den sterbenden Gallier, den Galata moriente, der sozusagen das Markenzeichen war auf dem kleinen grauen Bändchen aus dem Schöningh-Verlag. Ihn hier in „natura“ zu sehen, das hatte doch starke Gefühle bei mir ausgelöst.





Auf dem Weg zur Domus aurea (zum Goldenen Haus)

Der Besuch in den Museen des Kapitols hatte länger gedauert als gedacht. Wir mussten uns jetzt beeilen, wenn wir unser nächstes Ziel, die Domus aurea (das goldene Haus des Nero) rechtzeitig erreichen wollten. Und das mussten wir schaffen, denn wir hatten schon lange im Voraus die Karten bestellt, was wegen der Begrenzung der Besucherzahlen nicht zu umgehen ist.
Ein Blick auf die Karte und die Markierung richtig deutend genügte, um die ungefähre Position der Domus aurea zu bestimmen: auf dem Colle Oppio, da, wo sich heute die spärlichen Reste der Trajans-Thermen befinden. „Kein Problem“, dachte ich. „Eine unserer leichtesten Übungen!“
Also ging es in zügigem Tempo auf dem breiten Bürgersteig der stark befahrenen Via dei Fori Imperiali entlang, dem schleichenden Tross der Touristen ausweichend oder ihn überholend – eine Art Slalomlauf am Rande des Forum Romanum, an dem wir jetzt so achtlos vorbeigingen wie es das Populo Romano heute auch tut. Als Fluchtpunkt diente uns das Colosseo, dieses steinere Zeugnis imperialer Macht, das mir immer vorkommt wie eine Riesenschildkröte, die gerade an Land gekommen sich am Fuße des Mons Esquilinus zum Ausruhen niedergelassen hat.
Der große Platz vor dem Colosseum schien mir die richtige Stelle zu sein, um einen Seitenwechsel vorzunehmen; und ich wurde in meiner Annahme noch dadurch bestärkt, dass auf der Gegenseite in ununterbrochener Reihenfolge – immer so schön im Gänsemarsch - eine unübersehbare Zahl von Besuchern den Abhang des Colle Oppio herabstieg. Für mich war klar: kein anderer Weg führt zur Domus aurea. Im Befehlston eines römischen Hauptmanns – eines Centurio - sagte ich den drei anderen: “Da müssen wir rüber. Da geht’s lang“.
Aber da ging es nicht lang. Wie sich später herausstellte, waren wir zu früh! abgebogen.
Auf jeden Fall waren wir jetzt mitten im Parco Oppio. „Hier muss es doch irgendwo sein“, diesen Satz immer wiederholend. Aber keine Beschilderung, keine Zeichen – einfach nichts. NIENTE
Wir haben mindestens 10, 15 , 20 Leute angesprochen auf deutsch, englisch, französisch und italienisch. Immer die gleiche Antwort: „Domus aurea? Dat kenn’ wa nich. Wo soll dat sein?“ Oder: „Sorry, I’m not from here. I can’t help you.“ Oder: „Comment? Domus …? Jamais entendu. Je regrette, je peux pas vous aider.“ Oder: „Mi dispiace, non lo so.“

Wir haben den Parco Oppio – eigentlich eine friedliche Oase inmitten des chaotischen Straßenlärms – von Anfang bis Ende durchmessen, immer die verdammte Zeit im Nacken und entgegen meiner inneren Stimme, die mir sagte: „Das kann nicht richtig sein.“
Meine Stimmung jedenfalls sank auf den Nullpunkt; zum ersten Mal herrschte bei uns das, was Shakespeare in seinem Hamlet so unübertroffen auf den Punkt gebracht hat: „And the rest is silence.“
Eigentlich hatten wir uns schon mit dem Gedanken abgefunden, das Unternehmen „Domus aurea“ zu streichen, als wir am Ende des Parks auf einen palazzo – vermutlich ein piekfeines Hotel - aufmerksam wurden, dessen Zufahrt durch eine Schranke abgesperrt und durch einen Kontrolleur bewacht war. Diesem Mann rief ich zu: „Scusi, per andare al domus aurea?“ Und dann die erlösende Antwort: „Dritto(geradeaus) e poi la prima a destra(die 1. rechts)!“
Ihr wisst ja, Wunder gibt es immer wieder … und ein dickes GRAZIE hinterher.
Jetzt war es natürlich ein Kinderspiel, die Domus aurea zu finden. Sie liegt sehr versteckt hinter einem wehrhaften Gitterzaun aus dicken Eisenstäben. Weit und breit kein Hinweisschild. That’s Italy.
Wir kamen aber gerade noch rechtzeitig an und erst einmal ein kräftiger Schluck aus der Wasserflasche; allmählich legte sich unsere Aufregung, und in wenigen Augenblicken sollten wir die Räume betreten, die einst zum größten, zum stattlichsten Palast der Antike gehörten.



In der Domus aurea

Die Domus aurea betreten? Hier stock’ ich schon. In dieses Haus geht man nicht wie in ein gewöhnliches Haus, man geht hinein wie in einen Zechenschacht, besser gesagt, wie in die Grabkammer eines Pharao. Am Eingang erhält jeder Besucher erst einmal einen Sicherheitshelm wegen der Steinschlaggefahr. Dann geht es einen langen, breiten und außergewöhnlich hohen Gang hinunter, der an einen Tunnel erinnert. Etwa auf halber Strecke wird ein Stop eingelegt, und der begleitende Führer erklärt den Aufbau der ganzen Anlage, und welche Teile des riesigen Komplexes besichtigt werden können. Unsere Führung erfolgte auf italienisch. Obwohl meine Kenntnisse rudimentär sind, konnte ich doch eine ganze Menge verstehen.
Dabei wurde klar, dass die eigentlichen Teile der Domus aurea weiter östlich – gefühlt weiter hinten – lagen. Heute präsentiert sich der ehemalige Palast des Nero als ein verschachteltes Labyrinth aus hohen (an die 10 m grob geschätzt) Gemächern, Sälen, Räumen, sogar teilweise mit Brunnenanlagen, und immer wieder Korridoren.
Nero ging offensichtlich zügig ans Werk, es ging ihm wohl alles nicht schnell genug. Er ließ das Gebäude nicht von einem Zentrum aus errichten, sondern man arbeitete sich von außen bis zur Mitte vor. Man kann es noch heute deutlich erkennen, denn im Schnittpunkt der beiden so erstellten Gebäudeteile stimmen die Proportionen nicht mehr: da sind die Räume stark verwinkelt.
Unsere Phantasie reicht nicht, um sich den Luxus (lusso) und die Pracht auszudenken, mit denen dieser Palast ausgestattet war; man kann sich heute in diesen „Katakomben“ hier unten nicht vorstellen, dass diese Räume einmal lichtdurchflutet waren, so dass Plinius sagen konnte, das Licht sei förmlich in den Sälen eingeschlossen, denn Nero als Inkarnation des unbesiegbaren Sonnengottes (sol invictus) hat dem Licht alles untergeordnet.
Die Räume, in die man heute gelangt, stellen ja nur! einen kleinen Teil der Gesamtanlage dar - vermutlich eine Art Pavillon, von dem man aus über einen künstlichen See, der an der Stelle lag, wo sich heute das Kolosseum erhebt, hinüberblicken konnte auf den Palatin und weiter in Campagna, die unvergleichlich schöne Landschaft, die Rom wie einen breiten Gürtel umschließt – damals wenigstens noch.
Ich kann jedem diesen Rundgang empfehlen, wenn man beabsichtigt, längere Zeit in Rom zu bleiben. Die Domus aurea liegt doch etwas abseits der bekannten Touristenziele, und es ist schon ein Abenteuer, sie überhaupt zu finden.



Auf einer Bank im Parco Oppio

Nach dem Besuch haben wir erst einmal eine längere Pause eingelegt. Das musste sein, nach allem, was wir heute schon erlebt hatten. Wir suchten also eine Bank, ließen uns nieder, ich holte aus unserem Stoffbeutel!(nicht Rucksack) die kleine Wegzehrung heraus, und anschließend haben wir über andere Dinge gesprochen als nur über Kunst oder über Nero mit seiner bis zum Exzess ausgelebten Hybris.
Wenn man uns so gesehen hätte, dann hätte man meinen können, da sitzen zwei Rentnerehepaare, die im Herbst ihres Lebens der Gräue des Nordens den Rücken gekehrt und in Rom ihre neue Bleibe gefunden hätten.
„Wie soll’s weitergehen? Hast du noch ’was auf Lager?“, fragte mich nach einiger Zeit mein Schwager. Natürlich! In Rom wird es doch nie langweilig, da geht einem doch nie der Stoff aus.
Da ich wusste, daß S. Clemente nicht weit von uns lag, antwortete ich: „Wir könnten uns eigentlich noch S. Clemente ansehen, es wird sich bestimmt lohnen.“ Gesagt, getan.



San Clemente

Von außen wirkt S. Clemente eher unscheinbar, mehr als eine Dorfkirche als eine Basilika. Und dass es sich um eine der ältesten Kirchen Roms handelt, sieht man ihr auf den ersten Blick auch nicht an. Merkwürdigerweise ist mir von der Innenausstattung nur wenig in Erinnerung geblieben – doch schon erste Zeichen mangelnder Konzentration. Das einzige, was mir im Gedächtnis geblieben ist, ist der hochgezogene Chor aus Marmor in der Mitte des Kirchenraums und das Mosaik in der Apsis, einen Lebensbaum darstellend? .
Das eigentliche Geheimnis dieses Ortes erschließt sich erst, wenn man in die Räume unterhalb der Kirche hinabsteigt – eine, wie wir empfanden, düstere, mystische Welt, deren Unheimlichkeit noch gesteigert wurde durch die stickig-feuchte Luft und das Rauschen eines Wasserlaufs tief unten in der Erde. Kein Ort zum Verweilen. Wenn wir nicht gewusst hätten, dass sich in den untersten Räumen ein Mithrasheiligtum befunden hatte – Mithras, auch ein Gott des Lichts, der mit dem Blut eines getöteten Stiers die Voraussetzungen für neues Leben schafft - , dann hätte man meinen können, sich in einem der grässlichen Verliese eines altrömischen Carcers zu befinden.
Deshalb waren wir froh, diese dunkle, wenig einladende Stätte zu verlassen und wieder ans Tageslicht zu kommen ganz im Geiste Goethes, der seinen Faust sagen lässt: „Die Erde hat mich wieder!“



Im Trastevere-Viertel und 'mangiare' auf der Pza. G. Tavani Arquati

Für heute war das offizielle Programm abgeschlossen, und wir konnten allmählich zu den „Präludien“ eines langen Abends übergehen. Bevor wir uns auf den Fußmarsch nach Trastevere begaben - den obligatorischen Cappuccino an der Bar(in piedi!).
Dann ging es die Via di S. Giovanni in Laterano hinunter, vorbei am Colosseo, vorbei am Circo Massimo, über die Pz. Bocca della Verità – das velabrum des antiken Roms - , ein kleines Stück den Tiber entlang und schließlich über die Tiberinsel nach Trastevere, in dieses ursprüngliche, lebensüberbordende Viertel Roms, zu dem wir uns immer magisch hingezogen fühlten. Essen wollten wir in der Osteria „Ai Bozzi“ auf der lauschigen Pz. G. Tavani Arquati, aber da nur wenige Plätze belegt waren, entschlossen wir uns, in die Trattoria links daneben zu gehen. Da war schon richtig ’was los. Wir fanden gerade noch einen Platz an einer der langen Tischreihen und unter einem riesigen Sonnenschirm. Und da war wieder gleich die mediterrane Atmosphäre, wie man sie nur im Süden antrifft, die ganz natürlich ist, ganz ungezwungen, nichts Aufgesetztes oder Kalt-Abweisendes, sondern einfach nur schön, pure Lebensfreude, die einen – ob man will oder nicht – mit all ihrer Kraft umschließt.
Wir haben hier gut und zudem preiswert gegessen. Dann schlenderten wir durch die verwinkelten und malerischen Gässchen von Trastevere, immer wieder gab es etwas Neues zu entdecken, einfach ein Festival für die Sinne. Und zum Schluss hinüber über den illuminierten Ponte Sisto und seine beleuchtete Uferzone in unser Viertel – den rione Regula. Und wohin? Ihr ahnt es schon. In unsere Stammbar auf dem Campo de’ Fiori!
Und jedesmal, wenn wir die Seite wechselten, kam mir doch dieser vor Schmalz triefende Schlager von Rudi Schuricke aus dem Anfang der 50er Jahre in den Sinn: „Florentinische Nächte …“ Wir veränderten in diesen Zeilen nur ein Wort, und so hieß es denn bei uns: „RÖMISCHE Nächte, ihr bleibt mir im Gedächtnis als das großes Vermächtnis einer Reise ins Glück!“ Obwohl so ungemein kitschig und nach heutigem Geschmack vollkommen unpassend, hier und nur hier und in dieser vorgerückten Abendstunde nach einem mezzo di vino - passte es. Hört einmal in YouTube rein!




Acqua fredda o acqua calda (Kaltes oder warmes Wasser)?

Und dann musste noch eine Frage geklärt werden, die spannendste überhaupt an diesem späten Abend: acqua calda oder immer noch acqua fredda? Wir hatten gerade unsere Wohnungstür geöffnet, da stürmte mein Schwager schon gleich ins Bad. Wenige Sekunden später rief er: „Bad und Klo gehören mir!“
Da wussten wir: es hatte mit dem Klempner geklappt.
Wir waren wieder um eine Erkenntnis reicher: mit Umsicht und Beharrlichkeit – mit der alten römischen Tugend der prudentia – erreicht man bei den Italienern mehr als wenn man starr und stur auf seinem Recht („Dafür haben wir ja schließlich bezahlt!“) beharrt.
Auch für so eine solche Erfahrung lohnt es sich nach Rom zu fahren.
An dieser Stelle möchte ich meiner Frau – der „principessa“ – ein dickes Lob aussprechen, denn sie war es, die durch ihren Einsatz und durch ihren geschickten Umgang mit den zuständigen Vertretern die für uns so „überlebenswichtige“ Situation gemeistert hat. Ohne sie wären wir nicht so weit gekommen, da zahlten sich ihre guten Sprachkenntnisse aus, vor allem im Italienischen, das sie sich – ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen – selbst zu Hause beigebracht hat, einfach motiviert durch viele Reisen und die Liebe zu einem Land, dessen Kultur und Kunst, Natur und Lebensart wir beide so schätzen.

Selten war eine Dusche herrlicher als in dieser Nacht. Wir fühlten uns alle wie neu geboren, und überspitzt gesagt, erlebten wir eine ‚Renaissance’ der besonderen Art.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, da hat sich einer viel Mühe gemacht! :nod: :thumbup:


Erstes Ziel war die Pz. Navona (...) brunnengekröntes Glanzstück der Stadt Rom. Aber vom Glanz war an diesem Tag nicht viel zu spüren, denn der gesamte Innenraum war wegen einer kirchlichen Veranstaltung (ich glaube, es ging um Mission) mit Bühnen, Sitzreihen und Zelten zugestellt und von außen mit häßlichen Stellgittern eingezäunt. Auch der Hauptbrunnen in der Mitte – die Fontana dei quattro fiumi – war eingerüstet.
Nein, die Piazza Navona ist nun schon seit Jahren kein Ziel mehr für uns; "ohne" den Brunnen ist für uns der ganze Platz verschandelt und irgendwie tot. Wir kommen zurück, wenn er wieder lebt! :nod:
Im Übrigen kenne ich auch eine derartige Veranstaltungsaufmachung nur zu gut aus eigener Anschauung: Vor ein paar Jahren haben wir in Rom eine Woche lang Sanitätsdienst gemacht für eine Wallfahrt der Kolpingbrüder und - schwestern, darunter auch einen Tag lang auf der Pizza Navona.



Pz. S. Eustachio (...) 28 € (ventotto Euro!) für vier mittlere Portionen Eis!
Da man ja inzwischen sagen darf, eine DM sei gleich 1 € (außer bei der Gehaltsabrechnung natürlich), darf ich für uns in Anspruch nehmen ;) 8O, dass es uns 2000 einmal noch ein klein wenig schlimmer, oder wenigstens ebenso schlimm, ergangen ist auf der Piazza della Rotonda: 10.000 Lire = 10,- DM pro Portion, ebenfalls höchstens mittelgroß. x(

Tja ... der alte Grundsatz: Niemals etwas essen oder trinken, wo man ein Denkmal sehen kann ... :uhoh:



S. Clemente (...) Das einzige, was mir im Gedächtnis geblieben ist, ist der hochgezogene Chor aus Marmor in der Mitte des Kirchenraums und das Mosaik in der Apsis, einen Lebensbaum darstellend?
Ja, eben dies; guckst du hier bei Ludovico - der vermutlich nichts dagegen hat :?:
Ludovico ROB schrieb:


Das eigentliche Geheimnis dieses Ortes erschließt sich erst, wenn man in die Räume unterhalb der Kirche hinabsteigt – eine, wie wir empfanden, düstere, mystische Welt, deren Unheimlichkeit noch gesteigert wurde durch die stickig-feuchte Luft und das Rauschen eines Wasserlaufs tief unten in der Erde. Kein Ort zum Verweilen. Wenn wir nicht gewußt hätten, dass sich in den untersten Räumen ein Mithrasheiligtum befunden hatte – Mithras, auch ein Gott des Lichts, der mit dem Blut eines getöten Stiers die Voraussetzungen für neues Leben schafft - , dann hätte man meinen können, sich in einem der gräßlichen Verliese eines altrömischen Carcers zu befinden.
Deshalb waren wir froh, diese dunkle, wenig einladende Stätte zu verlassen und wieder ans Tageslicht zu kommen ganz im Geiste Goethes, der seinen Faust sagen läßt: „Die Erde hat mich wieder!“

Na, so was 8O ... wir dagegen sind dort schon oft, gerne und gerade letzten Monat erst auch wieder ganz besonders lange verweilt. :nod: :nod: :thumbup: :thumbup: :thumbup: Nicht zuletzt, weil unsere Freundin M., die S. Clemente noch nicht kannte, außerordentlich fasziniert war von dessen "Unterwelt"; und darum kann ich hierzu nun selbst ein wenig an Illustration beitragen (ja, ich kenne das Photographierverbot; und natürlich sind die Bilder auch nachbearbeitet ... :~)

Medium 30197 anzeigenHier wäre also der Wasserlauf ...


Medium 30196 anzeigen... und hier das Mithras-Heiligtum ...

.... und hier die Unterkirche mit zwei ihrer Fresken.

 
Mittwoch, d. 1. Oktober 2008: Forum Romanum / Colosseum / Mons Palatinus

Nach unserer nächtlichen ‚Runderneuerung’ konnte einem ungestörten Ablauf unseres Rom-Aufenthaltes nichts mehr im Wege stehen. Wir konnten jetzt endgültig unsere Koffer auspacken und uns in dieser Wohnung richtig ‚ausbreiten’. Auch mit der Tatsache, nur ein Bad zur Verfügung zu haben, konnten wir uns abfinden. Schließlich hatten wir noch das ‚cesso’ – ein starker Ausdruck übrigens – zum Ausweichen. Und die Entschädigung war auch nicht zu verachten. Das Geld ist schon längst überwiesen und der ganze Fall für uns längst abgehakt.
Es gab wieder ein kräftiges und reichhaltiges Frühstück, und ich hatte schon so den Eindruck, dass es sich jeden Tag ein bisschen hinausschieben würde. Es war einfach klasse hier oben über den Dächern Roms, wo man dem Himmel schon ein Stückchen näher ist.



Was an der Pza. Venezia so passierte

Dann auf zu neuen Taten! Für heute stand nur ein Tagespunkt auf unserer Agenda: ROMA ANTIQUA - ROMA AETERNA .
Wir durchquerten wieder unser Viertel, das uns in der kurzen Zeit schon so vertraut geworden war, und veränderten die Route so, dass wir auf Höhe der Pz. Venezia herauskamen, einen Steinwurf entfernt vom Vittoriano, dem „Altare della Patria“.
Hier an dieser gleichen Stelle – einen oder zwei Abende später – hatte ich ein Erlebnis, das zu schildern ich nicht versäumen möchte. Es war gerade kurz nach sechs Uhr (abends) – also rush-hour in Rom, und an dem Knotenpunkt, wo die beiden dicken Verkehrsströme des Corso und der Via d. Plebiscito zusammentreffen, wo sich die Autos Stoßstange an Stoßstange durchzwängen, wagte ich ein Experiment, über das mein Schwager nur den Kopf schütteln konnte: Mit einer Handbewegung signalisierend, dass ich die Straße überqueren wollte, hielt der gesamte! Verkehr während meiner Passage, und in diesem ‚Meer’ von Autos, Bussen, Vespas usw. kam ich mir schon vor wie Moses, der mit seinem Volk durchs Rote Meer zog. Kein Gehupe, keine Beleidigungen, keine Aufregung – nur römische Gelassenheit. Drüben angekommen, rief ich im Triumph des sicheren Gefühls über die Straße hinüber: „Schwager, soll ich dich ans Händchen nehmen?“ Aber ich glaube, in dem Lärm hatte er mich nicht verstanden. Auch gut so.
Von solchen Tugenden träume ich manchmal in Deutschland. Eine ähnliche Situation – stellt Euch das mal vor auf dem Stachus in München!- wäre bei uns undenkbar: ein Hupkonzert wäre noch das Harmloseste, eine Schimpfkanonade der übelsten Art wäre auf mich niedergeprasselt. („Was will der Idiot da? Erschießen sollte man ihn. Kennt der die Verkehrsregeln nicht?“ Und Ähnliches mehr)




Endlich auf dem Weg zum Forum Romanum

Kehren wir zum eigentlichen Thema zurück! Die Antike stand auf dem Programm, und beginnen wollten wir mit dem Forum Romanum. Als Einstieg wählten wir den Eingang an der Via d. Fori Imperiali. Wir nahmen direkt ein Kombi-Ticket, weil wir uns an diesem Tag vorgenommen hatten, alle drei Sehenswürdigkeiten – also Forum Romanum, Colosseum und den Palatin – en bloc zu erkunden.
Und mit dem Spruch aus alten „Latrinerzeiten“: „sieben – fünf – drei, Rom kroch aus dem Ei“ ging es vom Kassenhäuschen den kleinen Weg hinunter, und dann standen wir auf dem Areal, auf das fast schon 30! Jahrhunderte Geschichte herabblicken - „Schauer (aber keine ohnmächtigen!) in meiner Brust!“ (wenigstens bei mir)
Dieser Tag heute war so richtig nach meinem gusto, und ich hatte deshalb auch freiwillig die Führung übernommen. Meine Frau hatte mich schon am Morgen gewarnt, mich nicht zu sehr in Einzelheiten zu verlieren: „Das würde uns alle nur überfordern.“ „Na! Na! So ein As bin ich auch nicht“, dachte ich. Und laut: „Fahrt ’mal mit Studiosus. Da wir euch aber ’was anderes geboten.“
Wie sich am Ende des Rundgangs herausstellte, verlief alles doch zur allgemeinen Zufriedenheit. Es gab kein Wort der Kritik. Ich bin – dem Wunsch meiner Frau entsprechend – nur auf die wichtigsten Baureste dieses weitläufigen Komplexes eingegangen, also alles wohl dosiert und wohl temperiert.
Als Erstes suchten wir uns ein schattiges Plätzchen ganz in der Nähe des zentralen Platzes, und dann gab es einen kurzen geschichtlichen Überblick über den Ort, der einmal das Herz Roms, das cor Romae, und gleichzeitig der Mittelpunkt der Welt gewesen ist, und den wir heute als museales Trümmerfeld, fast wie eine verträumt wirkende Landschaft wahrnehmen. Sic gloria mundi transit - so vergeht der Ruhm der Welt.


Der erste Eindruck:

Danach begannen wir mit unserem eigentlichen Rundgang. Der Weg führte uns über das alte Pflaster der via sacra, auf dem schon die Triumphzüge der siegreichen römischen Heere zogen – und nicht nur diese, sondern auch Horaz, der die schönen satirischen Verse verfasst hat („Ibam forte Via sacra sicut meus est mos …“ - "Ich ging zufällig auf der heiligen Straße, wie es meine Gewohnheit ist ..." ) – hindurch durch den figurenreichen Triumphbogen des Septimius Severus bis auf die Höhe des Saturntempels, da, wo die via sacra im Bogen zum Jupitertempel hinauf abbog. Von diesem Punkt aus konnten wir das ganze Trümmerfeld überblicken, das wie auf einem Tableau ausgebreitet vor uns lag. Sofort erkannte man die Struktur des Platzes: ein Markt, so wie wir es heute verstehen, ist das Forum Romanum nie gewesen. Es bestand aus einer Ansammlung aus öffentlichen Gebäuden und einer Vielzahl von Tempeln, wobei sich die öffentlichen Gebäude mehr um den zentralen Platz gruppierten (z. B. die beiden Basiliken, der kahle Ziegelbau der Curia, die berühmte Rostra an der Stirnseite), während die Tempel – also die Welt der Götter – dem äußeren Bereich zugeordnet waren, die so einen schützenden Ring um das Forum Romanum bildeten.
Aber genug der Belehrungen! Man kann es ja überall nachlesen und besser erklärt bekommen als ich es hier kann.



Von Anfang an war ich bei unserer Passeggiata darauf bedacht, nicht die ganz bekannten Gebäude des Forums (nicht die Curia, nicht die Tempel der Vesta und von Castor und Pollux, auch nicht den Tempels des Divi Iulii) in den Focus unserer Aufmerksamkeit zu rücken, sondern die unscheinbaren Trümmerreste, die eher nur wenig Beachtung finden.

Der Goldene Meilenstein:

Nicht weit von der Stelle, von der wir die einzelnen Stationen ablaufen wollten, befindet sich der Sockel, auf dem der berühmte Meilenstein stand – eine Marmorsäule mit Gold überzogen – der Punkt Null sozusagen, von dem aus alle Entfernungen des Imperium Romanum gemessen wurden: bis hin nach Afrika, bis hin nach England und bis hin nach Persien. „Alle Wege führen nach Rom“, ein geflügeltes Wort. Hier an dieser Stelle wurde es für jeden Bürger unmittelbar fassbar. Und nicht nur das. Von dieser Stelle führten auch alle Wege weg, die wie ein Netz den gesamten orbis umspannten, in deren Mitte Rom, die Hauptstadt der Welt, das caput mundi, lag; nicht nur als Machtmetropole des Imperiums, sondern auch als geistiges Zentrum, das durch sein Denken, seine Kultur, seine Sprache, seine Ideale, basierend auf den vier Kardinaltugenden, und später durch die katholische Religion unser Abendland bis auf den heutigen Tag geprägt hat.

Der 'Nabel' der Welt:

Nicht weit vom Goldenen Meilenstein entfernt - wenn man schräg nach links hinüberschaut, zwischen dem Septimius-Bogen und der Rednerbühne – liegt der Nabel der Welt, wenn man so will, das Gegenstück zum Miliarium aureum.
Nabel der Welt? Mein Schwager sah mich fragend an, als wolle er sagen: „Woher nimmt diese Stadt das Recht, Nabel der Welt zu sein? Ist das nicht Ausdruck von Selbstbeweihräucherung, von Arroganz und Überheblichkeit eines Imperiums, das seine Macht bis zur Allmacht gesteigert, das jedes Maß verloren hat, das nur noch mit sich selbst beschäftigt ist und den Blick nach innen gerichtet hat, nur noch fähig - im wahrsten Sinne des Wortes - ‚Nabelschau’ zu betreiben?“
Ja, natürlich! Aber man kann es auch anders herum betrachten: Rom hatte das Format zur Weltherrschaft, hatte das Format zu führen und den ersten Rang unter allen Städten für sich in Anspruch zu nehmen. Darin liegt keine Hybris, sondern der Wille, Geschichte zu verändern und zu gestalten.
Und sind wir doch mal ehrlich: Dieses Bewusstsein, Nabel der Welt zu sein, ist nie verloren gegangen. Die vielen Besucher, die jährlich nach Rom kommen, sind doch das unschlagbare Argument dafür, dass die Geschichte dieser Stadt nicht aufgehört hat. Für mich persönlich ist Rom nie untergegangen, Rom ist lebendiger, vitaler denn je. Und selbst in diese Trümmerlandschaft des Forum Romanum, das jahrhundertelang unter einer dicken Erdschicht versunken lag, zur Kuhweide – zum Campo vaccino – verkommen, ist das Leben zurückgekehrt. Und ist es nicht so, dass jeder, der hierher kommt, sich auf Spurensuche begibt, um die subtilen Vibrationen dieses geheimnisvollen Ortes zu ergründen?


Die berümsteste Rednerbühne der Welt: die Rostra:

Und was wäre das Forum Romanum ohne die Rostra, die Rednerbühne, die in diesem magischen Dreieck sozusagen den 3. geometrischen Punkt bildet - ausgestattet mit den Schiffsschnäbeln des ersten römischen Seesieges in der Schlacht von Antium – , und die die großen Redner – oratores genannt - zum Schauplatz ihrer rhetorischen Sprachkunst, ihrer Dialektik machten? Hier hat sich das Wechselspiel zwischen Senat (senatus) und Volk (populus) abgespielt, hier wurde das Kürzel SPQR, das noch heute auf dem Stadtwappen Roms zu sehen ist und das die Legionäre auf ihren Feldzeichen trugen, mit Leben gefüllt. Das war keine Worthülse, sondern Programm, das sichtbare Zeichen dafür, dass man nur stark und erfolgreich sein konnte, wenn man als Einheit auf Gedeih und Verderb zusammenhielt, wenn der einzelne seine Interessen dem Interesse des Gemeinwohls unterordnete.
Wer von uns erinnert sich nicht an Cicero, der mit der Gewalt seiner Worte das hier versammelte Volk elektrisiert hatte, wie er dem Catilina sein ‚Quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra …?’ (Wie lange noch missbrauchst du noch unsere Geduld, Catilina …?) entgegen schleuderte, wie er die Hinrichtung der Verschwörer verkündete, vom Applaus der Menge berauscht, und - ‚o tempora! o mores!’ - wie 20 Jahre später sein eigener, ausgebluteter Kopf auf den Rostra steckte?
Wer erinnert sich nicht daran, dass die Leiche Caesars nach seiner Ermordung hier aufgebahrt war, die dem Brutus zur Rechtfertigung und dem Marcus Antonius zur Anklage und zum Aufruf zur Rache diente, die Shakespeare zu einer der besten Reden der dramatischen Literatur inspirierte: „Friends, Romans, Countrymen! Lend me your ears. I come to bury Caesar, not to praise him!“ und deren Schluß ebenso fulminant ist wie deren Anfang: „… but were I Brutus, and Brutus Antony, … I put a tongue in every wound of Caesar, that shoud move the stones of Rome to rise and mutiny“.
Mein Gott, da wird Geschichte lebendig, da wird man selbst vom Strudel der Leidenschaften fortgerissen.


Am Titusbogen:

Von den repräsentativen Gebäuden auf dem Forum Romanum sind eigentlich nur zwei erhalten, und die stehen – Zufall oder nicht – jeweils an den Endpunkten des Forums: der Septimius-Bogen und der Titus-Bogen. Hier am Titus-Bogen – an der Stelle, wo früher die prunkvollen Triumphzüge durchzogen, wenn sie am Colosseum vorbeigeschritten waren – blieben wir kurz stehen. Und im Tone eines Oberlehrers, der auf ein Erfolgserlebnis wartet, sagte ich zu den dreien: „Schaut Euch ’mal oben rechts unter dem Bogen das Relief an! Könnt Ihr ’was erkennen? Achtet vor allem auf den Gegenstand in der Mitte!“
Dann fing die Suche an, Schule mal ganz anders, für Oldies, nicht im Klassenzimmer, sondern open-air und das auf klassischem Boden! Das war Motivation hoch drei! Zuerst zögerlich, und dann bestimmt: „Ein Leuchter!“ „Was für einer?“, fragte ich. „Ein Kronleuchter?“ - „Nein, ein Kerzenleuchter!“ - „Und wieviele Arme zählt der Leuchter?“ - „Sieben!“
Das war doch schon mal ’was. Und dann ergänzte ich, dass es sich hier um der siebenarmigen Leuchter aus dem Tempels des Salomo bzw. des Herodes handelt, den die Römer nach der Zerstörung Jerusalems mit anderen Kultgegenständen (Posaunen, Schaubrottischen usw.) abtransportiert hatten. Für mich frappierend, dass dieses kleine Volk der Juden bis auf den heutigen Tag alle Stürme der Zeiten überstanden hat, obwohl immer in der Gefahr, aus der Geschichte ausgemerzt zu werden. Und sie haben deshalb überlebt, anders als die Römer, weil sie seit den Tagen Abrahams ihr Schicksal in die Hand dessen gelegt haben, der das A und O aller Zeiten ist, in die Hand dessen, den wir GOTT nennen.
Hier am Titus-Bogen, am Bogen der Sieben Leuchten, den bis heute kein gläubiger Jude durchschritten hat, endete unser Rundgang auf dem Forum Romanum, und es ging von hieraus nahtlos hinüber zur nächsten Sehenswürdigkeit, zum Amphitheatrum Flaviorum, auch Colosseum genannt.




Unsere erste Begegnung mit dem Colosseum und wie wir der 'Schlange' entkamen

Vor dem Eingang und weit darüberhinaus hatte sich eine lange Schlange gebildet. Ohne nachzudenken – dem Herdentrieb folgend – stellten wir uns hinten an. Es ging nur schleppend vorwärts, wir mussten uns in Geduld üben, bis mir plötzlich einfiel, dass wir ja die Kombitickets gekauft hatten. Wir brauchten uns also gar nicht bis zur Kasse vorzuarbeiten. Und jetzt kommt der Witz: auf dem Forum haben mir die drei noch alles geglaubt; als ich ihnen aber erklärte, wir könnten an der Kasse vorbei direkt bis zur Personenschleuse durchgehen, wurde das nur mit einem müden Lächeln quittiert. Sie wollten partout ihre einmal eingenommene Position nicht verlassen, weil sie befürchteten, das ‚Spielchen’ ginge noch einmal von vorne los für den Fall, dass ich im Unrecht wäre.
„Dann gehe ich alleine nach vorne, um die Lage zu checken. Und wenn es doch stimmt, gebe ich euch Bescheid.“ Mit diesen Worten verabschiedete ich mich für eine Weile. Und siehe da, es war genauso wie ich vermutet hatte. Also wieder ein Stück zurück, ich winkte sie aus der Schlange und empfing sie mit einem Spruch, halb von Vergil, halb von mir: „Ne credite equo, sed credite mi!“ (Traut=Glaubt nicht dem Pferd – der Griechen - , sondern glaubt mir!“
Mein Schwager, als Fan von Borussia Dortmund im Besitz einer Dauerkarte und mit der Architektur, mit den baulichen Gegebenheiten eines modernen Stadions vertraut, war erstaunt über die Größe dieser Arena und über die ungeheuren Steinmassen, die hier verbaut wurden; und als ich noch hinzufügte, dass man die Ränge mit einem riesigen Segel – einem velum – beschatten und sogar Seegefechte durchführen konnte, indem man den Boden im Innenraum flutete, meinte er einfach nur: „Stark!“



Der Krater des Colosseums, und 'Seneca' macht sich so seine Gedanken:

Dann verließen wir den dunklen umlaufenden Korridor und traten durch einen breiten Durchgang in den Innenraum, und ich konnte mein Erstaunen über die Dimension dieses ‚Kraters’, dieses gigantischen Gebildes römischer Baukunst, nicht unterdrücken. Langsam wanderte mein Blick vom Innenraum bis zur oberen Umrandung, und diese Kombination aus hoher Fassade und steil ansteigenden Rängen verstärkte bei mir noch den Eindruck, dass man hier ein gewaltiges Oval mit einem noch gewaltigeren Luftraum darüber geschaffen hatte.

Was musste hier los gewesen sein, welche Emotionen, welche Leidenschaften wurden freigesetzt, wenn die Gladiatoren um ihr Leben kämpften oder die wilden Tiere zu Tode gehetzt wurden? Was hatte man sich nicht alles an Grausamkeiten einfallen lassen, um die Sensationslust der Massen zu befriedigen? Die, die es wissen könnten, hat die Zeit längst vergessen. Und wir? Uns bleibt nur die imaginäre Kraft, sich die dramatischen Szenen vorzustellen, die sich in diesem Halbrund abgespielt hatten.
Wie mussten die Wettkämpfer fühlen, die in den finsteren Katakomben auf ihren Einsatz warteten, in enger Nachbarschaft mit den Bestien? Waren sie nicht wie von Sinnen, wie paralysiert, wenn das Geschrei und Gejohle der Massen dumpf bis zu ihnen hinunterdrang? Was ging in ihnen vor, als sie – mit dem Aufzug nach oben befördert – in das gleißende Licht der Arena traten und vom frenetischen Beifallsorkan der Zuschauer in Empfang genommen wurden, wohl wissend, dass es vielleicht ihr letzter Auftritt sein könnte, um dann als Leiche durch die Porta Libitinaria auf der Ostseite des Colosseums hinausgeschafft zu werden?
Und als sei das Maß der Demütigung und Menschenverachtung noch nicht überschritten, warum mussten diese bedauernswerten Kreaturen auch noch vor den Kaiser treten mit den Worten: „Morituri te salutant!“? (Die Todgeweihten grüßen Dich!)
Der Tod – so scheint es – war Teil des Massenspektakels, an dem sich das Publikum durch ihr Votum aktiv beteiligte: ‚Missum’ bedeutete entlassen, also überleben, der Daumen nach unten den Tod.



Die übliche 'tour d'horizon':

Man verlässt das Colosseum nicht, ohne die übliche ‚Tour d’horizon’ gemacht zu haben: zuerst um die ellipsenförmige Manege herum, dann der Rundgang auf der obersten Etage. Immer blieben wir stehen, blickten in das ‚weite Rund’ der Arena oder durch die großen Öffnungen hindurch auf das Forum Romanum.
Obwohl fast ausgeweidet und in der Renaissance als Steinbruch zweckentfremdet, hat das Colosseum nichts an Attraktivität eingebüßt. Immer noch strömen die Massen herein, wie damals die Proletarier aus den umliegenden insulae (Wohnviertel); jetzt kommen die ‚Proletarier’ aus allen Winkeln der Welt, herangekarrt von den großen Reisegesellschaften.
Die Schreie von damals sind verstummt, keine blutigen Kämpfe, keine Tierhatzen (venationes) mehr. Heute gibt man sich erstaunt, man bewundert die Baukunst und die Ingenieurleistung des Altertums, man lacht und scherzt beim Eintreten wie das Publikum früher auch, schnell noch ein Erinnerungsphoto, am besten noch mit einem dieser auffälligen und teilweise aufdringlichen Pseudo-Legionäre, und hat längst vergessen, dass das Colosseum eine der grausamsten Stätten der Antike gewesen ist.



Die wohlverdiente Pause vor dem Triumphbogen des Konstantin


Nach dem Besuch des Colosseums gab es die wohlverdiente Pause. ‚Mens sana in corpore sano’, das wussten schon die alten Römer. Wir wollten uns dieser Weisheit nicht verschließen und ließen deshalb Taten folgen. Wir suchten einen Schattenplatz ganz in der Nähe des Konstantinsbogens, der sich an diesem frühen Nachmittag im Licht der Sonne von seiner schönsten Seite zeigte.
Unser Picknick fiel wie immer bescheiden aus: ein bisschen Obst, ein paar Knabbereien, etwas zu trinken, eben so viel, dass man nicht ‚verhungern’ muss. Das machen wir immer so, wenn wir im Urlaub tagsüber unterwegs sind; morgens ein kräftiges Frühstück, das lange vorhält, und dann den Tag ausklingen lassen mit einem guten Abendessen.
Das Picknickplätzchen war geradezu idyllisch: vor uns der mit Reliefschmuck so reich verzierte Ehrenbogen des Konstantin, dahinter die Bögen des Colosseums und links von uns die sanft ansteigenden Hänge des Palatin.
Natürlich hatten wir uns auch mit den bildlichen Darstellungen auf dem Konstantinsbogen beschäftigt, aber hauptsächlich mit denen über dem rechten Seitenportal, der genau in unserer Blickrichtung lag. Vor allem interessierte uns das schmale Reliefband direkt über dem Portal, das den entscheidenden Sieg Konstantins über seinen Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke zeigt. Das war eine der großen Schicksalsstunden unserer abendländischen Geschichte, ohne die sich die christliche Religion vielleicht nie als Staatsreligion hätte durchsetzen können.



... und der Aventin am späten Nachmittag

Eigentlich hatten wir schon ein Übermaß an Sehen und Erleben erreicht, mehr an Informationen konnten wir nicht aufnehmen. Daher bot es sich an, den Nachmittag mit einem Spaziergang, einer ‚passeggiata archeologica’, auf dem weiten Park des Palatin zu beschließen, der ehemaligen Residenz der römischen Kaiser - damals ein geheimnisumwitterter Ort, heilig und mächtig zugleich, streng bewacht und nur Eingeweihten zugänglich.
Vom Eingang aus gesehen nahmen wir den Weg rechts, der sich langsam an der Flanke des clivus Palatinus hochzieht, vorbei am Forum Romanum bis hin zu den Farnesischen Gärten; am Ende dieser Gartenanlage dann ein phantastischer Belvedere mit Blick auf das gesamte Ruinenfeld des Forum Romanum, das uns praktisch zu Füßen lag mitten im Kreis der quirligen und umtriebigen Stadt Rom: O Roma nobilis … salve per saecula (Oh wunderbares Rom … sei auf ewig gegrüßt)!
Es fiel uns nicht leicht, diesen Ort zu verlassen, aber irgendwie zog es uns doch hinüber auf die andere Seite des Palatin. Wir schlängelten uns durch ein Gewirr von Sälen, Hallen, Gemächern und Fluren des alten Kaiserpalastes, von denen nur noch die Fundamente übrig geblieben sind als stumme Zeugen verfallener Macht und Herrlichkeit und uns zur Mahnung, dass alles dem unerbittlichen Gesetz des Vergänglichen unterliegt.
An diesem späten Nachmittag lag etwas Heiteres über diesem riesigen Areal, versöhnt durch das Licht der Sonne, die ihr Gold darüber ausgegossen hatte. Wir wurden noch einmal mit einer prächtigen Aussicht belohnt, mit einem 180°-Blick, der vom Colosseum über den stillen Aventin bis hinunter zum Tiber reichte.
Ein Tag ohnegleichen näherte sich seinem Ende. Langsam stiegen wir vom Palatin herab mit unvergesslichen Eindrücken und in der Vorfreude auf den kulinarischen Höhepunkt an diesem Abend, wieder im Trastevere-Viertel.



In der Osteria 'Da Albino il sardo all'angoletto' in der Via della Luce

Für heute hatte ich die versteckt liegende Osteria ‚Da Albino il sardo all'angoletto’ in der Via della Luce favorisiert. Von außen betrachtet wenig einladend, spelunkenähnlich. „Willst du da etwa reingehen?“, fragte man mich skeptisch. „Ja, natürlich. Oder kennt Ihr ’was Besseres?“, konterte ich.
Gottseidank, dass wir es getan haben. Das Essen war ausgezeichnet, vor allem das sardische porcheddu. Dazu gab es einen schweren, rubinfarbenen Cannonau. „Ein komplexer Wein mit Charakter!“ Am Tisch war ich noch zu Scherzen aufgelegt. Aber diesen Charakter bekam ich zu spüren, als es wieder auf die andere Tiberseite ging: meine Beine schwer wie Blei, meine Schritte schleppend, immer wieder Pausen. „Lass Dich nicht so hängen!“, meinten die anderen, in Gedanken schon wieder in unserer Stammbar auf dem Campo de’ Fiori.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir durchquerten wieder unser Viertel, das uns in der kurzen Zeit schon so vertraut geworden war, und veränderten die Route so, dass wir auf Höhe der Pz. Venezia herauskamen, einen Steinwurf entfernt vom Vittoriano, dem „Altare della Patria“.
Hier an dieser gleichen Stelle – einen oder zwei Abende später – hatte ich ein Erlebnis, das zu schildern ich nicht versäumen möchte. Es war gerade kurz nach sechs Uhr (abends) – also rush-hour in Rom, und an dem Knotenpunkt, wo die beiden dicken Verkehrsströme des Corso und der Via d. Plebiscito zusammentreffen, wo sich die Autos Stoßstange an Stoßstange durchzwängen, wagte ich ein Experiment, über das mein Schwager nur den Kopf schütteln konnte: Mit einer Handbewegung signalisierend, dass ich die Straße überqueren wollte, hielt der gesamte! Verkehr während meiner Passage, und in diesem ‚Meer’ von Autos, Bussen, Vespas usw. kam ich mir schon vor wie Moses, der mit seinem Volk durchs Rote Meer zog. Kein Gehupe, keine Beleidigungen, keine Aufregung – nur römische Gelassenheit. Drüben angekommen, rief ich im Triumph des sicheren Gefühls über die Straße hinüber: „Schwager, soll ich dich an Händchen nehmen?“ Aber ich glaube, in dem Lärm hatte er mich nicht verstanden. Auch gut so.
Von solchen Tugenden träume ich manchmal in Deutschland. Eine ähnliche Situation – stellt Euch dasmal vor auf dem Stachus in München!- wäre bei uns undenkbar: ein Hupkonzert wäre noch das Harmloseste, eine Schimpfkanonade der übelsten Art wäre auf mich niedergeprasselt. („Was will der Idiot da? Erschießen sollte man ihn. Kennt der die Verkehrsregeln nicht?“ Und Ähnliches mehr)

Diese Erfahrungen durften wir auch immer wieder machen. Die römische Gelassenheit schien sich nur dann abzuschwächen, wenn wir keine eindeutigen Signale, dass wir gehen wollten, aussandten. Also: Einen Schritt vor, dann wieder zurück, usw. Aber selbst dann hat niemand gehupt oder geschimpft (jedenfalls habe ich nichts gehört).

Gespannt auf die Fortsetzungen dieses schönen Berichtes wartend

grüßt

Spurensucher
 
Wir durchquerten wieder unser Viertel, das uns in der kurzen Zeit schon so vertraut geworden war, und veränderten die Route so, dass wir auf Höhe der Pz. Venezia herauskamen, einen Steinwurf entfernt vom Vittoriano, dem „Altare della Patria“.
Hier an dieser gleichen Stelle – einen oder zwei Abende später – hatte ich ein Erlebnis, das zu schildern ich nicht versäumen möchte. Es war gerade kurz nach sechs Uhr (abends) – also rush-hour in Rom, und an dem Knotenpunkt, wo die beiden dicken Verkehrsströme des Corso und der Via d. Plebiscito zusammentreffen, wo sich die Autos Stoßstange an Stoßstange durchzwängen, wagte ich ein Experiment, über das mein Schwager nur den Kopf schütteln konnte: Mit einer Handbewegung signalisierend, dass ich die Straße überqueren wollte, hielt der gesamte! Verkehr während meiner Passage, und in diesem ‚Meer’ von Autos, Bussen, Vespas usw. kam ich mir schon vor wie Moses, der mit seinem Volk durchs Rote Meer zog. Kein Gehupe, keine Beleidigungen, keine Aufregung – nur römische Gelassenheit. Drüben angekommen, rief ich im Triumph des sicheren Gefühls über die Straße hinüber: „Schwager, soll ich dich an Händchen nehmen?“ Aber ich glaube, in dem Lärm hatte er mich nicht verstanden. Auch gut so.
Von solchen Tugenden träume ich manchmal in Deutschland. Eine ähnliche Situation – stellt Euch dasmal vor auf dem Stachus in München!- wäre bei uns undenkbar: ein Hupkonzert wäre noch das Harmloseste, eine Schimpfkanonade der übelsten Art wäre auf mich niedergeprasselt. („Was will der Idiot da? Erschießen sollte man ihn. Kennt der die Verkehrsregeln nicht?“ Und Ähnliches mehr)

Diese Erfahrungen durften wir auch immer wieder machen. Die römische Gelassenheit schien sich nur dann abzuschwächen, wenn wir keine eindeutigen Signale, dass wir gehen wollten, aussandten. Also: Einen Schritt vor, dann wieder zurück, usw. Aber selbst dann hat niemand gehupt oder geschimpft (jedenfalls habe ich nichts gehört).

Gespannt auf die Fortsetzungen dieses schönen Berichtes wartend

grüßt

Spurensucher

Ich weiß nicht, ob das viel mit Gelassenheit zu tun hat. Es ist einfach eine andere Einstellung. Römer sind im Durchschnitt sicher wesentlich impulsiver als wir Deutsche. Auch das kann man im Verkehr erleben.
Nein, die Regeln sind einfach anders. Während bei uns die Verkehrsregeln strikt eingehalten werden sollten, gilt in Rom und auch weiter im Süden eher die Rücksichtnahme. Da der Mensch die Augen vorne hat, sollte der Hintermann/-fahrer aufpassen. Bei dem dichten Verkehrsstrom mit relativ wenig Ampeln wäre es in Stoßzeiten häufig unmöglich aus einer Seitenstraße in eine Hauptstraße einzubiegen. Also kann man bei viel kleineren Lücken einbiegen als bei uns. Natürlich sollte der Abstand wenigstens so groß sein, dass der Verkehrspartner reagieren kann. Ähnliches bei Fußgängern. Man verständigt sich halt und ist aufmerksamer als bei uns. Der Zebrastreifen dagegen ist nicht als Fußgängerschutzzone zu sehen, sondern allenfalls als Gebiet wo der Autofahrer vermehrt mit Fußgängern zu rechnen hat.

Ich war vor einigen Jahren mit einem ADAC-Fahrer in Rom. Er hat sich, wie die meisten Deutschen, vor allem gewundert wie die Rollerfahrer in tierin Rom überleben. Aber in Rom würde ein Autofahrer kaum auf die Idee kommen die Lücke zuzumachen, da er ja Besitzanspruch auf diesen Straßenabschnitt hat.

Viele Italiener beschweren sich dagegen in Deutschland über die Rücksichtslosigkeit, die wir kaum wahrnehmen, da wir ein anderes Regelverständnis haben.

Man sollte halt die wesentlichen Mentalitätsunterschiede kennen und sich in dem jeweiligen Gastland möglichst anpassen.

Gruß Ludovico
 
Caro Ludovico,

Vielen Dank für Deinen ergänzenden Kommentar, für Deine ‚correctio fraterna’!
Ich hätte nie gedacht, dass sich aus diesem marginalen Ereignis eine solche rege Diskussion entwickeln würde. Du hast vollkommen Recht, die Leute im Süden haben in der Regel eine andere Einstellung: man fährt viel aufmerksamer und nimmt auch mehr Rücksicht untereinander. Daraus resultiert eben auch eine andere Haltung, und das meinte ich damit, als ich von Gelassenheit sprach.
Ich konnte z. B. öfter beobachten, daß, wenn es schwierig war, sich in den Straßenverkehr einzufädeln, kurz angehalten wurde, um dem andern die Chance zu geben einzuscheren.
Ich habe nur deshalb diese Begebenheit geschildert, um mehr Farbe in meinen Bericht zu bringen, der nicht zu steril ‚rüberkommen’ soll. Gottseidank hat es davon eine ganze Menge gegeben; sie alle spiegeln die ganz normale, die ganz menschliche Seite Roms wider. Ich zähle auch nicht zur Kategorie der reinen Bildungstouristen, für die nur Kunst und Kultur wichtig sind. Auch das Alltägliche darf nicht zu kurz kommen. Die Mischung von beidem muß stimmen.

Übrigens, was die Bilder angeht, bin ich auch schon auf einem guten Wege. Dank kompetenter Hilfe innerhalb der Familie, ist es mir gelungen schon einige Photos hochzuladen. Sie jetzt im Text an die richtige Stelle zu setzen, wird der nächste Schritt sein.

Ciao, e alla prossima
Seneca
 
Zuletzt bearbeitet:
Die römische Geschichte fasziniert uns hier ja alle und zwar bis heute. Ich bin nur froh, dass mir die Fährtensuche abgenommen wird. Andernfalls wäre ich in und an Rom längst verzweifelt.
Hier ein Dank an die vielen Archäologen und Historiker, die unsere Aufenthalte bereichern.

Gruß Ludovico
 
Hallo Seneca,

auch ich möchte mich für deinen überaus lebendigen und Enthusiasmus verströmenden Bericht bedanken. Es war mir eine Freude euch bis hierher zu begleiten. Ich freue mich über mehr.

Vielen Dank auch für die wunderbaren Fotos, die von einem guten Auge zeugen. Beim Einbinden gibt es noch ein wenig Verbesserungspotential. Nicht immer ist es bisher gelungen die Zoomfunktion zu aktivieren. Deshalb hier noch ein Zitat aus der Bedienungsanleitung

Einbinden von Bildern aus der Fotogalerie

Deine eigenen Bilder kannst Du ganz einfach mit Hilfe einer Popup-Galerie einfügen, die Du beim Erstellen eines Beitrages (in der erweiterten Ansicht) rechts unter den Smilies öffnen kannst ("meine Fotos").


Die schicke Zoomfunktion (siehe Beispielbild) erhält man, wenn man in dem genannten Auswahlfenster im dem mittleren Dropdown-Menü am oberen Rand ("als was einfügen") die Option "Thumbnail (neues Fenster)" auswählt.
Also, insbeondere den letzten Absatz beachten. Und darüber hinaus ist es angebracht zwischen jedes Foto einen Leerschritt zu setzen, weil sonst die Darstellung des gesamten Layouts bei einigen Browsern unschön wird.

Sollten noch Unklarheiten verbleiben, nur heraus damit. Wir helfen gern.

Gruß von

gengarde
 
Caro gengarde,

danke für die ermutigenden Worte und die fürsorgliche Begleitung. Es ist gut zu wissen, dass die Arbeit, die man in die Erstellung der Berichte investiert, eine so positive Anerkennung findet. Allerdings wird es noch einige Zeit dauern, bis ich den letzten Text geschrieben habe.
Das Problem mit den Photos ist mir auch aufgefallen. Ich bin bisher immer nach dem Prinzip 'Versuch und Irrtum' vorgegangen. Daher vielen Dank für den nützlichen Tip!

Ciao e alla prossima
Seneca
 
Donnerstag, d. 2. Oktober 2008: Peterskirche / Kuppel der Peterskirche / Petrusgrab


Heute morgen begann der Tag mit einem langen Augenblick des Schweigens und der Nachdenklichkeit, mit einem Augenblick, der allein uns gehörte, meiner Frau und mir. Wir waren nur mit uns beschäftigt, auf uns selbst geworfen und hörten ganz tief in uns hinein, bis auf den Grund der Seele. Heute wäre Fabian, unser Sohn 25 Jahre alt geworden. Viel zu früh ist seine ‚Silberschnur’, wie es das Alte Testament nennt, zerschnitten worden, zu einem Zeitpunkt, wo ein Mensch erst anfängt, das Tor zum Leben aufzustoßen. Er ist von uns gegangen wie ein junger Vogel, der in die Freiheit hinausfliegt und dessen Spuren sich in der Unendlichkeit von Zeit und Raum für immer verlieren. Und dabei war Fabian so verliebt ins Leben, ein Junge mit einer positiven Grundeinstellung, liebenswürdig, umgänglich und doch bescheiden geblieben; ein Junge, gesegnet mit vielen Begabungen und Interessen. Wie oft haben wir uns die Frage nach dem Warum gestellt, und wie oft blieben wir mit unserem Schmerz allein. Da gibt es keinen Trost, nur Leere und Sprachlosigkeit; ein solches Ereignis übersteigt alles Begreifen. Man kann es nicht aus seinem Gedächtnis löschen, es ist immer präsent, besonders an einem solchen Tag wie heute ist es ganz nah. Questa vita è così …


Nach dem Frühstück musste zunächst eine grundsätzliche Frage geklärt werden: wie sollten wir zum Petersplatz kommen? Zu Fuß oder mit dem Bus? Mein Schwager – ausgestattet mit einem Sinn für alles Praktische und Machbare – hatte sich an diesem Morgen schon die Strecke auf der Karte angeschaut und meinte, wir könnten ruhig zu Fuß gehen, so weit sei es ja auch nicht. Wenn man die Untertöne richtig deutete, dann war herauszuhören, dass es ihm unheimlich Spaß machte, durch die Gassen der Altstadt zu schlendern, die so viel Abwechslung boten, dass das Auge nicht zur Ruhe kommt. Mein Argument: „Ich möchte auch mal in den ‚Genuss’ eines überfüllten 64er (Busses) kommen“ fiel dagegen schwach aus.
Die Diskussion hatte sich schnell erledigt, indem ich die drei anderen an einen Leitgedanken erinnerte, wie ich mir einen reibungslosen Ablauf des Rom-Aufenthaltes vorstelle: „Hier in Rom kann jeder machen, was … ich will.“ Oder auch anders ausgedrückt, ich berief mich in meiner Entscheidung auf einen Grundsatz, den auch die Katholische Kirche schon mit Erfolg angewandt hat, wenn in einer Streitfrage ein klares Urteil gefragt war: „Ego locutus - causa finita!“
Also fuhren wir die kurze Strecke von der Pz. S. Andrea della Valle bis zur Pz. S. Uffizio mit dem Bus, was aber zeitlich gesehen keine Ersparnis brachte. Übrigens: überfüllt war er an diesem Tag auch nicht, zwei von uns konnten sich sogar setzen.



Auf dem Petersplatz

Wir waren alle vier erstaunt, wieviele Menschen an diesem Morgen hier zusammengeströmt waren. Es hatte sich eine lange Schlange vor dem Einlass zur Peterskirche gebildet, die von Minute zu Minute größer wurde; dabei überspannte das Menschenband den gesamten unteren Rand des Petersplatzes und reichte vom einen bis zum anderen Ende der Kolonnaden. Normalerweise meide ich solche Aufläufe, aber wenn wir Sankt Peter sehen wollten, mussten wir uns einreihen. Wir hatten keine andere Wahl.
Uns ist trotzdem nicht langweilig geworden, im Gegenteil, wir nahmen die Gelegenheit wahr, die Atmosphäre dieses Platzes auf uns wirken zu lassen.


Der Petersplatz - das Forum Romanum der Gegenwart?

Wenn man bedenkt, wieviele Menschen sich hier an einem gewöhnlichen Wochentag versammeln, und erst recht an einem der großen Feiertage, dann liegt doch der Vergleich mit dem Forum Romanum nahe. So wie zu Zeiten der Kaiser das Forum das Machtzentrum des römischen Imperiums war, so hat sich heute das Gewicht verlagert auf den Petersplatz: er ist das Zentrum in Rom, auf dem sich Gläubige und Ungläubige treffen, Menschen aller Schichten und Kulturen, Menschen aller Rassen und Farben, Menschen aus allen Teilen der Welt. Und ersetzt nicht heute der Obelisk den Goldenen Meilenstein, ersetzt nicht der Papstpalast die Kurie, ersetzt nicht die Loggia mit dem Namenszug des Borghese-Papstes Paul V. die alte Rostra, sind nicht die Rossebändiger auf dem Kapitol durch die mächtigen Statuen des Petrus und Paulus ausgetauscht, und ist nicht zuletzt der Sonnengott – der Sol invictus – verdrängt worden durch die Kolossalstatue des CHRISTUS auf dem Dach der Peterskirche? Er, der das Licht in die Finsternis gebracht hat, Er, der das Licht der Völker ist – das lumen gentium?

Die beiden Fontänen in den Brennpunkten der riesigen Ellipse:

Ich kenne keine andere Stadt, die so verschwenderisch mit ihrem Wasser umgeht und an den Endpunkten der unterirdisch verlaufenden ‚Adern’ so luxuriöse Wasserschlösser und Wassertore gebaut hat, als Rom. Auch hier auf dem Petersplatz fließt das Wasser seit Menschen Gedenken – unaufhörlich und unablässig - , und die beiden Fontänen mit den Becken darunter sind zwei wunderbare Zeugnisse römischer Wasserkunst. Gerade auf diesem Platz kommt dem Wasser eine besondere Bedeutung zu als Quell des ewigen Lebens und als Symbol der Zeit, die immer im Fluss ist, weder Anfang noch Ende kennt.
Gerade an den Brunnen konnten sich die Phantasie und die künstlerische Freiheit uneingeschränkt entfalten. Sie verfolgten nur ein Ziel, nämlich dem Element Wasser, das in seinem Ursprung, in den Quellen, Rinnsalen und Bachläufen noch völlig ungeordnet, eben natürlich ist, am Ende eines langen Weges unterschiedlichste Formen des Aufgefangenwerdens zu geben, denen in ihrem Gestaltungsreichtum keine Grenzen gesetzt wurden, die uns heute so spielerisch leicht erscheinen, voller Rafinesse und Bewegung und manchmal auch mit lustigen Einfällen, und ein Genuss für Ohr und Auge sind. Auch die dichterische Phantasie haben die Brunnen beflügelt. Wahrscheinlich haben die beiden Fontänen hier auf dem Petersplatz C. F. Meyer zu einem der schönsten Gedichte deutscher Sprache inspiriert:


Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jene nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.



Der große Obelisk - Objekt meiner besonderen Bewunderung:

Wir hatten uns gewundert, wie schnell wir in der Schlange vorwärtskamen: es gab so gut wie keinen Stillstand. Schon bald waren wir auf der Höhe des großen Obeslisken, den Papst Sixtus V. in einer spektakulären Aktion hier hatte aufrichten lassen. Aber nicht nur die Errichtung, sondern auch der Abtransport stellte eine unglaubliche Herausforderung an das technische Können der damaligen Zeit dar, obwohl der alte Standort – es war der Circus des Nero – nicht weit von dem jetzigen entfernt lag. Die Stelle ist heute mit einer Marmortafel markiert und befindet sich auf der linken Seite gleich hinter dem bewachten Eingang zum Vatikan, gegenüber der 'Fabbrica di San Pietro', der vatikanischen Verwaltung.
Da es der einzige Obelisk war, der nicht umgestürzt war, kam es darauf an, ihn unversehrt zu bergen und abzuschleppen. Auf der Baustelle musste absolute Stille herrschen.
Wer von den Zuschauern wagte, die Befehle des Bauleiters zu unterbrechen, wurde mit dem Tode bestraft. Als in einer kritischen Situation die überlasteten Seile drohten Feuer zu fangen, schrie ein Seemann dazwischen. Sein Ruf ‚Acqua alle rope - Wasser auf die Seile’ rettete die ganze Aktion.


Das Familienwappen des Chigi-Papstes Alexander VII. :

Wir waren schon wieder ein ganzes Stück vorgerückt und standen jetzt im Schatten der bogenförmig verlaufenden Kolonnaden Berninis. Offensichtlich hatte sich der maestro beim Bau dieser mächtigen Anlage von antiken Vorbildern leiten lassen, von den griechischen Tempeln bzw. von den beiden Basiliken auf dem Forum Romanum. Ich ließ meine Augen hin und her wandern, um die Dimension dieser Säulengalerie mit der Phalanx der Heiligen auf dem Dach zu erfassen. Schließlich blieb mein Blick hängen auf dem gewaltigen Wappen Alexanders VII. mit den für seine Familie kennzeichnenden Symbolen der zwei Eichen und der zwei Berge mit jeweils einem Stern darüber. „Mein Gott!“, dachte ich. „Was für eine Werbung in eigener Sache! Was für ein Selbstbewusstsein! Dieser Pontifex hat alles getan, um sich mit seinem Namen und mit seinem Wappen ein Denkmal für alle Zeiten zu schaffen und um jedermann sichtbar zu machen, was ein Papst ist.“


In der Peterskirche


Dann ging alles mit einem Mal ganz schnell: problemlos passierten wir die Personenkontrolle, dann die Stufen der imposanten Freitreppe hinauf – vorbei an den Leuten, die für den Besuch der vatikanischen Grotten anstanden – , dann durch die riesige Vorhalle und jetzt noch ein Schritt und wir waren über die Schwelle der Basilica di San Pietro getreten, der immer noch größten Kirche der Welt.
Wir blieben einen Augenblick stehen, um die ungeheure Weite dieses Raumes auf uns wirken zu lassen. War es erhaben, hoheitlich zu nennen? Nein, es war gigantisch, gewaltig, kolossal. Kein intimer Ort, kein Ort der friedlichen und wohltuenden Ruhe, um zur Selbstbesinnung und inneren Einkehr zu kommen, vielmehr ein Ort für die großen Gesten und für die großen Auftritte: eine Bühne für triumphale Selbstdarstellungen der Kirche, wenn der Papst mit den Bischöfen aus aller Welt Gottesdienst feiert.
„Ein Gesamtkunstwerk musealer Pracht“, fiel mir spontan ein. „Aber irgendetwas fehlt doch hier“, dachte ich weiter. Ich konnte es nur noch nicht gedanklich umsetzen, da war nur so ein amorphes Gefühl. Aber dann war es klar: es fehlte die Dekoration! Kein Blumenschmuck, keine Kerzen, keine Bänke, keine Feierlichkeit ausstrahlende Atmosphäre – die Kirche erstarrt in ihrer Großartigkeit, in ihrem kühlen Prunk und in ihrem gedämpften Licht. Vielleicht bewusst gewollt, denn diese Basilica will ja nicht in erster Linie „ein Haus voll Glorie“ sein, sondern Grabeskirche für die Päpste.
Ich war zunächst so beeindruckt von den gewaltigen Ausmaßen, dass ich mein Erstaunen darüber nicht in Worte fassen konnte. Eine Ahnung von der ungeheuren Tiefe bekommt man am ehesten, wenn man die Länge des Kirchenschiffes vom Hauptportal durch den Baldachin des Bernini hindurch bis zum Alabasterfenster der Cathedra Petri mit den Augen tastend ‚abfährt’. Einfach wahnsinnig!
Um bei der unglaublichen Fülle an Sehenswürdigkeiten nicht die Übersicht zu verlieren, hatte ich den dreien vorgeschlagen, uns nur auf die allerwichtigsten Dinge zu konzentrieren. Die Auswahl hatte ich schon vorher getroffen.


Der rote Stein:

Sie konnten es schon gar nicht mehr abwarten, sich dem Licht zu nähern, das sanft aus der gestreckten Wölbung der Kuppel auf den Papstaltar fiel. „Einen Moment mal!“, rief ich ihnen zu. „Ich muss erstmal den Stein finden, auf dem Karl der Große zum Kaiser gekrönt wurde.“ Mit ihrer Hilfe hatten wir ihn sofort gefunden. Es handelt sich dabei um eine runde, dunkelrote Porphyrplatte, die, direkt am Eingang in den Marmorboden eingelassen, kaum beachtet wird. Wieviele Tausende und Abertausende Besucher sind darüber schon hinweggeschritten, ohne zu wissen, dass diese Steinplatte gerade für unsere Geschichte von herausragender Bedeutung ist, markiert sie doch den Beginn des ersten deutschen Reiches, den Beginn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation!


Der Bronzebaldachin des Bernini:

Wir gingen jetzt den Mittelgang hinunter, dabei fielen unsere Blicke immer wieder auf die Sterne mit den Angaben der Längenmaße anderer Kirchen, kamen an der so steif wirkenden Bronzefigur des Petrus vorbei, dessen Segen ich mir durch Berühren seines vorgestreckten Fußes einholte – wofür die anderen drei nur ein mildes Lächeln übrig hatten - , und dann endlich standen wir vor dem eigentlichen Blickfang der Basilica, dem auf vier gewundenen Säulen ruhenden Baldachin über dem Papstaltar. Hier im Zentrum von Sankt Peter unter der Kuppel des Michelangelo, dort wo Langhaus und Querhaus zusammentreffen, wollte Papst Urban VIII. ein Kunstwerk von monumentaler Architektur errichten lassen, das für immer und ewig mit seinem Namen verbunden blieb. Deshalb sorgte er auch dafür, dass überall die Zeichen seiner Familie, die Bienen nämlich, subtil angebracht wurden.
Die Idee – das concetto – zu diesem ehrgeizigen Projekt stammte von Bernini, das er aber ohne das technische Können seines späteren Rivalen Borromini nicht hätte ausführen können. „So entstand hier ein Werk, so dauerhaft wie schön, das beide unsterblich machte.“ (J. Morrissey)
Dieser Baldachin gilt als Meisterwerk des Barock, obwohl der Begriff ‚Barock’ noch gar nicht existierte. Wir verbinden mit dem Barock i. a. üppige Formen und Farben, schwelgende Rundungen und Kurven, aber wenn man diesen Papstaltar länger betrachtet, erkennt man ein ganz anderes Prinzip, nämlich das noch ungeformte Material der Bronze durch elegante Drehung, durch diskretes Rankenwerk, durch vom Wind bewegte Volants und durch unauffällig wirkende Eckstatuen in Bewegung zu versetzen und durch Bewegung zu beleben mit dem Ziel, das Ganze in Leichtigkeit, Harmonie und Schönheit zu verwandeln.


Die cathedra Petri:

Diesen Effekt wollten wir natürlich auch bei seinem anderen großen Werk, der Cathedra Petri, studieren, und zwar aus nächster Nähe. Leider war der Zugang zur Chorapsis versperrt, so dass uns nur der Blick aus der Ferne möglich war. Die Idee, die dem Aufbau dieses Altares zu Grunde liegt, erkannte man auch so: es ist eine wunderbare Vereinigung von Licht und Bewegung. Eine Bewegung, himmelwärts gerichtet und veranschaulicht durch eine Wolke aus Putten und Engeln, und ein großes, ovales Alabasterfenster – mit der Taube des Heiligen Geistes in der Mitte - , aus dem das Licht wie aus einem goldenen Spiegel fällt und somit zu einem Brennpunkt der ganzen Kirche wird.
Im Mittelpunkt des Altars die Cathedra Petri, der Stuhl Petri – Symbol der päpstlichen Autorität, die auf den beiden Pfeilern von Gehorsam und Disziplin ruht; Tugenden übrigens, die sich im profanen Bereich mehr und mehr in Auflösung befinden und verdrängt werden durch eine allgemeine Beliebigkeit, die Papst Benedikt als „
Diktatur der Moderne" bezeichnet, die nichts als endgültig anerkennt und als letzten Maßstab nur das Ich und seine Gelüste gelten lässt.“ (Osservatore Romano vom 22. April 2005)
Aber lassen wir diese Überlegungen, sonst werden noch falsche Schlüsse gezogen!
Also, der Stuhl Petri scheint zwischen Himmel und Erde zu schweben – eine symbolische Balance auch für die Kirche von heute, die darin besteht, dass sie durch Glaubenskraft überzeugen muss mit positiven Effekten für die eigene Lebensführung.
Um in dieser Position zu verharren, brauchen ihn die vier Kirchenväter (zwei lateinische, zwei griechische) nur mit dem Finger zu stützen. Diese Bronzefiguren überragen – nebenbei gesagt – alle andere Statuen in der Peterskirche an Größe.


Augustinus und das Wappen von Papst Benedikt VI. :

Gerne hätte ich mir eines von den Standbildern, nämlich das des Hlg. Augustinus, näher angeschaut, denn dieser vielleicht bedeutendste Theologe der Antike hat das Denken des jetzigen Papstes von Beginn seines Studiums an bis auf den heutigen Tag nachhaltig geprägt. Zwischen beiden besteht geradezu eine innere ‚Wahlverwandtschaft’.
Das Wappen Benedikts zieren drei Symbole: der gekrönte Mohr, ein Lasten schleppender Bär und eine Muschel. Die beiden letzten Symbole haben sehr viel mit Augustinus zu tun. Die Muschel erinnert an einen kleinen Jungen, der am Ufer des Meeres spielte und dabei versuchte, mit einer Muschel das Wasser aus dem Meer in eine Kuhle zu schöpfen. Befragt, was er da tue, antwortete das Kind: „Dasgleiche, was du tust. Du versuchst die Geheimnisse Gottes mit deinem Verstand auszuschöpfen, und ich, ich versuche das Meer auszuschöpfen!“

Das Symbol des Bären erinnert an eine Meditation des Augustinus zum Psalm 73: „Ein Lasttier bin ich vor dir. Dennoch bin ich stets bei dir.“
Beide – Augustinus wie der Papst – spüren die Last ihres Amtes, spüren die Verantwortung, die sie tragen und die von ihnen erwartet wird, aber trotzdem fühlen sich beide von Gott in die Pflicht genommen, seiner Botschaft in ihrer jeweiligen Zeit eine Stimme zu geben und den Dialog mit allen Weltanschauungen zu suchen. In einem so verstandenen Dienst können beide gewiss sein, ganz nahe bei Gott zu sein. Er hält sie fest in seiner Hand.


Das Grabmal von Papst Alexander VII. :

Wir komplettierten unsere ‚Bernini-Tour’ mit einer genaueren Betrachtung des Grabmals von Papst Alexander VII. im linken Kirchenschiff bei einem der Aufgänge in die Kuppel, das uns wegen seiner originellen Idee in bester Erinnerung geblieben ist. Nicht nur wir hatten dieses Denkmal für uns entdeckt, sondern andere auch, und folglich herrschte hier ein dichtes Gedränge.
Es ist das letzte Werk Berninis, und irgendwie sieht man es ihm an, denn die Bewegung, die dieser Plastik zu Grunde liegt, ist nicht mehr so ‚furios’ wie früher, eher zurückhaltend, um dadurch die Melancholie, die wie ein unsichtbarer Schatten über der ganzen Anlage schwebt, stärker zu betonen – vielleicht in Vorahnung seines eigenen Todes.
Deutlich zu erkennen ihr pyramidaler Aufbau, deren Spitze eingenommen wird von der Figur des Papstes, die Bernini auf einen hohen Sockel platziert hat, der auch den Namen des Pontifex trägt. Er erscheint nicht in der Gestalt eines Triumphators, sondern ganz menschlich: kniend, ins Gebet vertieft, die Tiara neben sich auf einem Kissen. Der Papst und die ihn umgebenden allegorischen Figuren sind aus Marmor gemeißelt. Sie zählen zu den Lebenden, während der Tod einer anderen Welt angehört und durch ein schweres rotes Tuch, über und über in Falten drapiert, vom Leben getrennt ist. Der Tod – als bronzenes Gerippe ausgeführt, sein Kopf bleibt unter dem Tuch verborgen – hält in seiner Hand eine Sanduhr, die sozusagen als Memento mori die Unabwendbarkeit des Todes symbolisiert.


Das Grabmal von Papst Gregor XIII. :

Es gab noch ein weiteres Papstgrab, das unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und das sich am Ende des rechten Seitenschiffes in der Nähe der Sakramentskapelle befindet. Es handelt sich um das Grabmal von Papst Gregor XIII. Es ist uns deshalb aufgefallen, weil es wegen seiner Größe nur von einem seitlichen Standpunkt aus betrachtet werden kann; am besten gelingt das von der Stelle, in die auch der geflügelte Drache – das Familienwappen des Papstes – blickt. Er hat sich unter dem trapezähnlichen Sarkophag niedergelassen, die linke Pranke vorgestreckt, die auf einem schmalen Sockel ruht, in den auch Gregors Name eingraviert ist. Das Schema dieser Grabanlage folgt einem streng pyramidenförmigen Aufbau. Über dem weißen Sarkophag erhebt sich die auf dem Thron sitzende Figur des Papstes – in schräger Stellung, mit vollem Ornat und mit herrschaftlicher Gebärde; es ist so eine Art ‚übernatürliche Gedächtnisstätte’. Flankiert wird er von zwei allegorischen Figuren, wobei die rechte mit weit ausholender Geste das Tuch hebt, das den Sarkophag bedeckt; so entsteht eine diagonale Linie, die den Papst mit der Allegorie verbindet.
Das Relief auf der Vorderseite des Sarkophags zeigt ihn umgeben von Mathematikern und Astronomen – eine Anspielung auf die von ihm durchgeführte Kalenderreform, die heute noch gilt, und bei der es im Wesentlichen darum ging, dass das gemessene Jahr auch tatsächlich mit dem astronomischen übereinstimmt (der Frühlings-anfang muß immer auf den 21. März fallen).


Die 'Pietà' des Michelangelo:


Das Beste allerdings hatten wir uns für den Schluss aufgehoben: die Pietà des Michelangelo in der Cappella della Pietà, der ersten Seitenkapelle gleich rechter Hand vom Eingang. Wie allen war auch uns nur ein ‚kalt staunender Blick’ möglich, da die Figurengruppe, durch eine Sicherheitsscheibe vom Publikum getrennt, eine Betrachtungsweise aus nächster Nähe nicht erlaubt. Was uns aber besonders gestört hatte, war, dass man diese wunderbare Skulptur auf ein Podest gesetzt hat und damit den Betrachter zu einem perspektivischen Sehen zwingt, die ihr nicht entspricht. Geht man von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes pietas aus – was soviel wie Frömmigkeit / Güte heißt - , so wird klar, dass sie für den Beter bestimmt ist, der ihr bei seiner Kontemplation auf Augenhöhe begegnen möchte. Deshalb gehört eine solche Figur nicht auf ein Podest, sondern in eine Nische – also an einen ganz intimen Ort innerhalb der Kirche - , links und rechts davon Leuchtständer für Gebetskerzen, und davor eine Bank zum Knien, um so in der Verschmelzung von Lichterglanz und Versenkung Zeit und Wirklichkeit aufzuheben und zur Meditation, zum Gebet und zur Anbetung zu finden: ‚fließende Gleichzeitigkeit, in der das Ewige ruht’ …
Bei der Betrachtung eines Kunstwerkes von solchem Rang stößt man unwillkürlich auf die Frage nach seiner Entstehung. Hatte Michelangelo die Gabe, sich die Figur von der Gottesmutter mit ihrem Sohn in seinem Geiste schon als fertiges Ganzes vorzustellen, so dass er sie nur zu ‚lesen’ brauchte, um ihre Form auf den Marmorblock zu übertragen? Oder mußte er diese Figur erst allmählich entwickeln – ausgehend von einer genialen Grundidee – und ihre plastische Gestaltung durch Zeichnungen und Modellen so bearbeiten, bis sie ihre letzte vollkommene Schönheit erlangte?
Wie dem auch sei, wer vor seiner Pietà steht, kann sich ihrer Faszination nicht entziehen. Sie erscheint wie aus einem Guss herausgemeißelt – so einzigartig, so perfekt, dass sie einen Grad von „Vollkommenheit erreicht hat, wie sie die Natur selbst kaum erreicht.“ (G. Vasari)
Deutlich zu erkennen ihr pyramidaler Aufbau in Form eines Dreiecks: die Vertikale wird bestimmt durch die aufrecht sitzende Haltung der Maria, die Horizontale ergibt sich durch den leblosen Körper ihres Sohnes, der quer zu ihr auf ihrem Schoß liegt und dessen Oberkörper von ihrer rechten Hand gestützt wird.
Weniger das Formale als vielmehr der künstlerische Ausdruck sollte uns interessieren. Maria ist dem Betrachter zugewandt, trotzdem schaut sie ihn nicht an. Ihr Blick ist nach unten gerichtet auf den leblosen Köper Jesu, ihr Kopf geneigt, und man glaubt die nach unten ziehende Last zu spüren, die von den Faltenmassen ihres Kopftuches ausgeht. Ihr Schmerz wirkt eher verhalten, denn sie wusste ja als die ‚im Schatten des Höchsten Stehenden’, dass der Tod ihres Sohnes am Kreuz von Golgotha nach dem unergründlichen Willen Gottes so vorgesehen war. Und Michelangelo geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus. Er hat ihren Gesichtsausdruck 'beseelt' - aus der Erfahrung von Ostern her - durch die Gewissheit, dass der Tod Jesu nicht vergeblich war. Er ist ja zum Leben, zur Freiheit zurückgekehrt, indem er die Macht des Todes gebrochen und für immer in Unvergänglichkeit gewandelt hat, so dass Paulus sagen kann: „Er ist für uns gestorben, damit wir vereint mit ihm leben.“ (1 Thes 5, 10)
Und zum Schluss noch ein Wort zur Figur des toten Jesus. Den Kopf weit nach hinten geneigt, liegt er auf dem Schoß seiner Mutter: kraftlos, bewegungslos, ein Bündel Mensch in den Armen einer in Gedanken versunkenen Maria. Diese Kraftlosigkeit hat den ganzen Leichnam erfasst, der nur noch den Gesetzen der Schwerkraft gehorcht: der Körper zusammengesackt ohne einen Rest von Anspannung, der rechte Arm leblos nach unten gesunken und die Beine schlaff herunterhängend. "Donna, ecco il tuo figlio!" (Jo 19, 26) ...


Auf der Kuppel von Sankt Peter im Licht der 'unbesiegten Sonne'



Wir wagen den Aufstieg der über 500 Stufen und ein unbeschreibliches Gefühl:

Nach dem Besuch der Peterskirche ging es nahtlos über zum nächsten Programmpunkt: uns stand jetzt der Aufstieg zur Kuppel von Sankt Peter bevor. Das war leichter gesagt als getan. Denn es hatte sich vor der Kasse eine lange Schlange gebildet, die bis weit in die Vorhalle hineinreichte. Unsere Geduld wurde wieder einmal auf die Probe gestellt, aber es hatte uns jetzt nicht besonders gestört: wir waren innerlich darauf eingestellt, und so blieb uns Zeit, das eben Erlebte ‚sacken’ zu lassen. Gesprochen wurde nicht viel, wir fanden die Sprache erst wieder, als wir oben an der ‚Laterne’ angekommen waren. Irgendwie war jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Selbst wenn man den ‚Durchsatz’ an Besuchern erhöhte, würde das nicht viel bringen, da die kleine Galerie hochoben auf der Peterskuppel nur eine begrenzte Zahl von Personen aufnehmen kann. So ist der Flaschenhals, das ‚Nadelöhr’ vor dem Kassenhäuschen Bremse und Regulativ zugleich.
Von den beiden Optionen ‚a piedi’ (zu Fuß) oder ‚ascensore’ (Aufzug) hatten wir uns für die erste Variante entschieden; nicht etwa aus Knauserigkeit, sondern wir wollten uns den bevorstehenden Aufstieg zur Kuppel erarbeiten, wir wollten selbst erfahren, wie wir uns nach jeder Umdrehung im Wendelgang der Rampe ein Stückchen höher schraubten. Und ich glaube auch, dass der Aufzug bei dem Andrang gar nicht soviel an Zeitgewinn bringt.
Bis zum Dach der Basilika hochzusteigen bereitete uns keine Probleme: die Stufen sind flach, die Steigung moderat. Wichtig ist, dass man immer ein gleichmäßig-ruhiges Tempo einhält und bei der Abfolge der Schritte auf einen bestimmten Rhythmus achtet.
Vom Dach der Kirche aus eröffnete sich schon der erste schöne Blick über die Stadt, aber da wir das Panorama von ganz oben erleben wollten, hielten wir uns hier nicht lange auf, sondern es ging über die Doppeltreppe weiter hinauf in die Kuppel. Nach wenigen Minuten hatten wir die erste Galerie mit den großen Mosaiken an den Wänden und mit dem Wahnsinnsblick in das Innere der Kirche erreicht. Das hatte schon ’was!
Jetzt erst begann die eigentliche Herausforderung für uns – der steile Aufstieg in dem engen Zwischenraum der beiden Schalen. Aber ich hatte mich gewundert, wie gut wir die 320 Stufen bewältigt hatten – mit ein paar wenigen ‚Kunstpausen’ und ohne Drängler von hinten klappte es besser als gedacht. Ja, und dann öffnete sich die Tür zu der schmalen Außengalerie der Laterne von Sankt Peter, und wir betraten sie – im Licht der unbesiegten Sonne und in dem Bewusstsein, ganz dicht an der senkrechten Achse zu stehen, die als gezogene Linie die Spitze der Kuppel mit dem Apostelgrab des Petrus verbindet. Was für ein Gefühl!
Aber dieses Gefühl hielt nur für die Dauer eines Wimpernschlages, weil es jetzt darauf ankam, sich gegen die vielen anderen neugierigen Mitkonkurrenten durchzusetzen, die teilweise in 3er- oder sogar 4er-Reihen anstanden – vor allem zur Stadtmitte hin - , um die Aussicht zu genießen. Zu allem Unglück hatten auch noch die beiden Batterien meiner Kamera den Dienst eingestellt, aber mein Ärger hielt sich in Grenzen, da meine Schwägerin mit ihrem Apparat einspringen konnte.
Und trotzdem! Der 360°-Rundumblick war unbeschreiblich, und die Stadt Rom - die urbs aeterna und der Mittelpunkt des katholischen orbis - lag vor uns ausgebreitet wie auf einer riesigen Diskusscheibe, und der Blick ging über die Außenbezirke hinweg bis zur Silhoutte der Albaner Berge.



Der Blick auf die Altstadt von Rom und deren Sehenswürdigkeiten:

Aber wir hatten den langen Aufstieg nicht auf uns genommen, um uns nur mit einem oberflächlichen Eindruck zufrieden zu geben. Wenn wir mehr sehen wollten, mussten wir uns zu der Stelle durcharbeiten, wo sich das meiste ‚Volk drubbelte’, nämlich direkt über dem Hauptschiff der Peterskirche. Mit viel Geduld, mit ein paar ‚scusi’ und ‚permesso’ und auch mit einigen unfreiwilligen Körperberührungen, gelang es mir endlich, die beste Position für unsere Beobachtungen zu sichern. Ich stand jetzt unmittelbar vor der Balustrade am Fuße der Laterne von Sankt Peter. Mehr ging wirklich nicht.
Mein Blick senkte sich über die Außenpanzerung der Kuppelwölbung hinunter auf das Dach der Basilica mit den sieben mächtigen Steinfiguren an der Brüstung über der Vorhalle, die wie Galionsfiguren den Petersplatz mit dem Obelisken in der Mitte und den beiden Fontänen in den Brennpunkten der elliptischen Ausdehnung bewachen. Jetzt deutlich zu erkennen der Vatikanische Palast und die lang gestreckten Gebäude der Vatikanischen Museen links von mir, die den ganzen Platz umschließende Umarmung durch die Kolonnaden des Bernini, und weiter rechts – in südlicher Richtung – das Ospedale di S. Spirito mit der achteckigen Haube auf einem seiner weit gezogenen ‚Flügel’. Und in der perspektivischen Verlängerung davon – in diesem unendlichen Meer von Häusern trotzdem deutlich zu unterscheiden – die Umrisse der Kuppel von S. Agnese und des flach gewölbten Bogens des Pantheon, dessen Maße sich Michelangelo zum Vorbild für die Kuppel von Sankt Peter nahm, die seit nunmehr fast 500 Jahren schwebend über dem Grab des Apostels Petrus ruht.
Wieder veränderte sich meine Blickrichtung, und jetzt schaute ich hinunter auf die Via della Conciliazione, diese breite Schneise, die Mussolini in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts durch den alten Borgo hatte schlagen lassen, und die den Petersplatz mit dem Knie des Tibers und mit der Engelsbrücke verbindet, die wegen der Statuen des Petrus und Paulus und wegen der zehn flügelschlagenden Engel zu den beliebtesten Ansichten Roms zählt.
Und dann das Castel S. Angelo, die Engelsburg, die wie kaum ein anderes Gebäude in der Vergangenheit so eng mit dem Vatikan verbunden war, und heute nur noch ein Schatten dessen ist, was sie früher einmal war. Im Laufe ihrer langen Geschichte immer wieder verändert, präsentiert sie sich heute als zylindrischer Rundbau – einst Schatzkammer, Festung und Kerker in einem - , hinter dessen düsteren Mauern gefoltert, vergiftet und gemordet wurde. Und fast wie zum Hohn erscheint oben auf der Plattform der Heilige Michael aus Erz, der mit einem letzten Hieb sein Schwert in die Scheide stößt. Wahrhaftig kein heiliger Ort, sondern ein Ort schlimmster Verbrechen und blutigster Urteile!
Castello ‚Angelus inter nubes’ (Engel in den Wolken) – so lautete der offizielle Titel für diese Festung nach der Vision des Papstes Gregor I., der das Erscheinen des Engels über dem Rundturm als Zeichen für das Ende der Pest deutete, die damals in Rom wütete. Durch einen gedeckten Wehrgang - den Passetto - , der heute noch existiert, war die Engelsburg mit dem Vatikanischen Palast verbunden.
Wenn man es nicht wüsste, könnte man von seinem jetzigen Zustand nicht darauf kommen, dass diese ‚Burg’ ein Grabmal war, und zwar die kaiserliche Grabkammer des Hadrian, um dessen goldene Urne herum man diesen gigantischen Zylinder errichtet hatte.
Ich hatte jetzt genug gesehen, und begann, mich langsam aus diesem Pulk von Menschen ‚herauszuschälen’, um mit viel körperlichem Einsatz – stoßend und quetschend – auf die gegenüberliegende Seite der Laterne zu gelangen.



Der Blick auf die Schauseite des Vatikans und ein paar Reflexionen:

An diesem neuen Aussichtspunkt der Galerie herrschte zum Glück keine drangvolle Enge, und es blieb genügend Zeit, sich die Vorzeigeseite des Vatikans anzusehen: die wunderbar gepflegten und mit vielen gewundenen Wegen angelegten Vatikanischen Gärten - ein eigener kleiner Kosmos für sich, ein Refugium der Ruhe und Beschaulichkeit, geschützt und versteckt hinter der hohen Leonischen Mauer und abgeschirmt von der hektischen Betriebsamkeit der sie umgebenden Stadtbezirke.
„Guckt mal’ da runter!“, rief ich den drei anderen zu, die sich kurz nach mir ihren Weg durch das Knäuel der Menschenleiber gebahnt hatten. Dabei wies ich mit der Hand nach unten und zeigte auf das florale Papstwappen, das uns vorkam wie eine überdimensionale Visitenkarte in dem halbrunden Rasenfeld auf dem Vorplatz des Pal. del Governatorato.
„Ja, diese Welt des Vatikans“, dachte ich so, „ist für einen Außenstehenden nicht durchschaubar; ein Ort von Prunk und Reichtum, ein Ort der Machtgier, aber auch der moralischen Autorität, ein Ort der Reinheit, aber auch der Heuchelei, ein Ort finsterer Machenschaften, aber auch weiser Führung, ein Ort der Eitelkeiten und Verletzbarkeiten, kurzum ein Ort wie geschaffen für Gerüchte und Spekulationen – geheimnisvoll, unnahbar, unheimlich: ein ‚Secretum’."
Der Vatikan ist ein Phänomen, das zu beschreiben, mir die richtigen Worte fehlen. Von hier oben betrachtet könnte man meinen, das Leben hinter dem mächtigen Mauerring sei zum Stillstand gekommen, versunken unter einer Glocke des Schweigens. Der flüchtige Beobachter wie ich z. B. nimmt den Vatikan wahr als ein Gebilde, das zum größten Teil aus monumentalen Bauten, einem Verwaltungsgebäude, einem Bahnhof!, einer Radiostation, einigen Instituten und der großen Gartenanlage besteht.
Aber was ist der Vatikan eigentlich?
- Er ist die Residenz des Papstes und somit das Herz des katholischen Christentums.
- Er ist völkerrechtlich und territorial gesehen ein eigener Staat, der kleinste Staat der
Welt.Auch wenn die Grenze eine künstliche ist, die nur auf dem Papier besteht, gibt es in
Wirklichkeit keine Trennung zwischen der Welt des Papstes und der von Rom.
- Er ist nicht die katholische Kirche und erst recht nicht eine Sonderabteilung des Reiches
Gottes.

- Er versteht sich auch nicht als weltliche Macht, sondern als zeitliche Macht, weil die Zeit
das eigentliche Element der Kirche ist, die Christus verkündet als den Herrn der Zeiten,
dem alles Vergängliche unterworfen ist, und von dem geschrieben steht: "Ich bin das A
und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende." (Off 22, 13)
- Er ist vor allem ein geschichtliches Gebilde, mit allen Höhen und Tiefen, mit allen Stärken
und Schwächen, dessen der Mensch fähig ist.

Das heißt aber nicht, dass es im Vatikan kein Gottesvertrauen gäbe, im Gegenteil! Der Papst als der Nachfolger des Petrus und mit den höchsten Vollmachten Christi ausgestattet muss der überzeugendste Überbringer des christlichen Glaubens sein, dass dieser kein Knalleffekt der Geschichte, keine Spinnerei eines Weltverbesserers aus Galiläa ist, sondern Wahrheit, die ihren Ursprung in Gott hat, und dass die Kirche eine Institution auf Zeit ist, deren Mission erfüllt ist am Tag des Letzten Gerichts, dessen Geschehnisse Michelangelo in seiner religiösen Vision vom Weltenende so eindrucksvoll dargestellt hat.




Der heidnische Friedhof (Cömeterium) auf dem ‚ager vaticanus’ und das Petrus-Grab

Eine unverständliche Zurechtweisung und erwartungsvolle Spannung vor der Fabbrica di San Pietro


Nach solcherlei Überlegungen konnten wir unsere ‚tour d’horizon’ abschließen und den Abstieg der über 500 Stufen in Angriff nehmen. Unten angekommen, nahmen wir uns jetzt endlich Zeit für eine wohlverdiente Erholungspause. Wir suchten uns zu diesem Zweck – etwas abseits vom unaufhörlichen Kommen und Gehen der Besucher – ein geeignetes Plätzchen auf der großen Freitreppe im Rücken der Paulus-Statue und waren gerade dabei, unsere ‚Habseligkeiten’ hervorzuholen, als wir von einem der überall gegenwärtigen ‚Aufpasser’ korrekt, aber bestimmt aufgefordert wurden, unser Picknick einzustellen. Sofort stieg Empörung in uns hoch: „Kann der sich überhaupt vorstellen, wie anstrengend der Tag bisher für uns verlaufen ist? Gibt es denn hier nirgends eine Möglichkeit, sich zu setzen und sich mal wenigstens für fünf Minuten auszuruhen?“ Offensichtlich nicht! Daher meine Warnung: wer einen Tag im Vatikan einplant, muss sich auf einen Stehmarathon einstellen, gerade für Ältere eine echte Herausforderung.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ich werde euch erquicken.“ – diese bekannte Einladung Jesu aus dem Matthäus-Evangelium wird im Schatten des Petersdomes konterkariert! Es blieb uns nichts anderes übrig, als unseren Imbiss stehend einzunehmen, aber zum Glück gab es überall die starken Mauern, an die man sich anlehnen konnte.
Um 15.30 Uhr hatten wir einen festen Termin: Besichtigung der Nekropole unter der ‚Basilica vaticana’, wie es ganz amtlich heißt, und des Petrus-Grabes. Gegen Viertel nach drei ‚marschierten’ wir von unserem Standort los, quer über die ganze Breite der Treppenanlage Richtung Glockenturm, also zu der Seite, wo sich der bewachte Eingang zum Vatikan befindet. Wie es sich gehörte, meldeten wir uns bei den beiden Schweizer Gardisten an – die übrigens den ganzen Tag lang einem ‚Dauerfeuer’ durch die Kameras ausgesetzt sind – und legten das Schreiben vor, das uns zur Teilnahme an der Führung berechtigte: ein kurzer Blick genügte und dann das ‚erlösende’ Wort (auf deutsch): „Gehen Sie durch und melden Sie sich vorne rechts im Büro an!“ Gemeint war die vatikanische Verwaltung in der Fabbrica di San Pietro. Auch hier noch mal ein letzter Chec, dann hieß es (ich glaube diesmal auf italienisch): „Warten Sie draußen, die Führung wird in wenigen Augenblicken beginnen!“
Aber da befanden wir uns nicht auf der Schauseite des Vatikans, sondern unter einem riesigen künstlichen Durchgang aus Schaltafeln und Gerüststangen, den man wegen der umfangreichen Sanierungsarbeiten an diesem Abschnitt der Peterskirche errichtet hatte. Inzwischen hatten sich immer mehr Besucher vor dem Eingangsbereich versammelt – zwischen 15 und 18 Teilnehmern etwa – und kurze Zeit später stellte sich ein junger Mann vor - von mittlerer Statur, mit lebhaften Gesten und klugem Gesichtsausdruck - , der eine gewichtige Mappe in der Hand hielt: ein Seminarist vom Collegium Germanicum et Hungaricum, ungarischer Abstammung und mit tadellosen Deutschkenntnissen. Ihm schlossen wir uns an, und er führte uns, ein kurzes Stück hinter dem Ausgang der Vatikanischen Grotten, über eine für die allgemeine Öffentlichkeit nicht zugängliche Treppe in den vielleicht geheimnisvollsten und ehrwürdigsten Bezirk des gesamten Vatikans, den heidnischen bzw. frühchristlichen Friedhof unter der Peterskirche, der in seinem jetzigen Zustand ganz stark an die Katakomben der Via Appia erinnert.
Wer zum ersten Mal in diese düstere Welt hinabsteigt, kann seine Empfindungen kaum unterdrücken. „Mein Gott!“, sagte ich, „was ist das eng und stickig hier unten!“ In der Tat, nichts für Leute, die unter Klaustrophobie leiden. Innerlich waren wir auf ein kühles Kellergewölbe eingestellt, deshalb hat es uns überrascht, wie warm es in diesem früheren Cömeterium war. Ob Einbildung oder nicht, uns kam es jedenfalls so vor, als würde alles noch ein bisschen modrig und muffig riechen.



Die Totenstadt unter der Peterskirche

Zunächst gab es eine Einführung über den jetzigen Zustand der Ausgrabungen, die mit Hilfe von Skizzen und Plänen (daher die Mappe!) verständlich erklärt wurden. Dabei erfuhren wir, dass man unter der Confessio der Peterskirche angefangen hatte, einen schmalen Gang durch die Totenstadt in östlicher Richtung (als Petersplatz) voranzutreiben, der – die Lage der Gräber berücksichtigend – dem Besucher sehr verwinkelt erscheint. Unser Einstieg befand sich sozusagen am Endpunkt der Gräberstraße. Links und rechts davon sind die Grabkammern bzw. sogar richtige Mausoleen zu sehen, deren Innenausstattung ganz unterschiedlich ausfällt - abhängig von den finanziellen Verhältnissen der jeweiligen Familien.
Der Totenkult der Römer kannte sowohl eine Feuerbestattung (Aufbewahrung der Asche in Urnen) als auch eine Erdbestattung (in Sarkophagen oder Grabnischen). Die Christen lehnten eine Einäscherung ab.
Im Glauben an die Auferstehung übergaben sie den Leichnam des Verstorbenen der Erde: er wurde ‚deponiert’ (niedergelegt / der Erde anvertraut), gewissermaßen bis zum ‚Abruf’ am Jüngsten Tag.
Die Gräber selbst wiesen verschiedene Formen auf: es gab den Marmorsarkophag, das war die vornehmste Art der Bestattung; es gab die von einem halbkreisförmigen Bogen überspannte Grabnische, Arkosole genannt, und die dritte, weitaus häufigste Form: eine rechteckige, kastenförmige Nische, als Loculus bezeichnet. Ursprünglich waren die Wandgräber sorgfältig verschlossen, entweder durch eine Marmorplatte oder durch mehrere Ziegelplatten. Die Ränder zu den Nischen hin wurden mit Zement versiegelt.

Wie erklärt sich nun das Vorhandensein dieses heidnischen Friehofs (cimeterium) unter der Peterskirche?
Nach römischer Sitte durfte man die Toten nicht innerhalb, sondern nur außerhalb der Stadtmauern bestatten. So entstand auch auf dem ager Vaticanus, dem Gebiet der heutigen Basilica und des Petersplatzes (und darüber hinaus) bald ein großer Friedhof, unter dessen Grabstätten sich auch das „äußerst bescheidene Grab“ (Pius XII.) des ersten Bischofs von Rom befand, über dem sich heute die majestätische Kuppel des Michelangelo erhebt.
Als Kaiser Konstantin Anfang des 4. Jahrhunderts mit dem Bau der ersten Basilica begann, musste zunächst eine künstliche Ebene geschaffen werden, da das Gelände nach O und S (also zum Tiber hin) abfiel. Zum Richtpunkt für das Bodenniveau wurde ein bestimmtes Grabmal ausgewählt, nämlich das des Petrus. Diese Grabstätte lag auf der halben Höhe des Hügels, so dass man den höher gelegenen Teil (im N) abtrug, und mit diesem Material den unteren Teil (den südlicheren) auffüllte. Dabei ging man mit größter Behutsamkeit vor, um die alten Gräber, besser gesagt die Grabkammern nicht zu zerstören und die Lage der Toten nicht zu verändern, wie es das Gesetz verlangte. Nur da, wo einige Mausoleen die Bodenhöhe überragten, wurden sie sozusagen ‚geköpft’. So entstand ein sehr festes, von den Mauern der Mausoleen durchzogenes Fundament. Die Stützmauern, die Konstantin errichten ließ, erreichten eine Höhe von 10 m ! Man kann sich also gut vorstellen, dass die erste Basilica wie eine riesige Festung ausgesehen haben muss, und alle diese Maßnahmen dienten nur einem Zweck, nämlich dem, dass sich die Achsen dieses Bauwerks in einem bestimmten Punkt kreuzen sollten, genau auf der Höhe des Petrusgrabes.


Das Petrus-Grab

In seiner Weihnachtsbotschaft aus dem Jahr 1950 konnte der damalige Papst Pius XII. verkünden: „Das Grab des Apostelfürsten ist wiedergefunden worden. … Die Riesenkuppel wölbt sich genau über dem Grab … des ersten Papstes, einem äußerst bescheidenen Grab.
In der Tat: wer als unvoreingenommener Besucher die hinter einem Schutzglas liegende Grabkammer des Petrus zum ersten Mal betrachtet, ist enttäuscht, wie wenig man ‚sieht’, und wie wenig man vorfindet, obwohl die Archäologen sehr interessante Details ans Licht gebracht haben.
Schon auf unserem Gang hierher war uns aufgefallen, dass die Ausstattung der Grabkammern immer schlichter wurde je mehr wir uns dem Bezirk näherten, in dem auch Petrus seine letzte Ruhestätte gefunden hat – von Mosaiken, Wandmalereien, Skulpturen usw. keine Spur. Offenbar lag das Grab des Petrus am Rande des heidnischen Friedhofs und gehörte zu dem Feld, das für die Gräber der armen Leute bestimmt war. Dafür spricht auch die berühmte ‚rote’ Mauer, die man im 2. Jahrhundert errichtete, und die den Armenfriedhof von den Mausoleen abgrenzte.
Den Leichnam des Petrus hatte man ohne jeglichen Schmuck der Erde übergeben; es handelte sich dabei um ein Bodengrab, das mit Ziegelplatten abgedeckt war. Auch wenn vom ursprünglichen Grab nichts mehr vorhanden ist, so ist es immer noch die selbe Begräbnisstätte; und dabei ist nicht auszuschließen, dass man die Gebeine des Apostels kurzzeitig während der Verfolgung des Valerian an einem Ort in Sicherheit gebracht hatte, der als Ad Catacumbas bezeichnet wurde. Man weiß auch nicht, zu welchen Veränderungen es am Petrusgrab gekommen ist nach den Plünderungen durch die Vandalen und vor allem durch die Sarazenen.

Tatsache jedenfalls ist, dass man bereits um die Mitte des 2. Jahrhunderts ein kleines Grabdenkmal mit zwei Marmorsäulchen zu Ehren des Apostelfürsten errichtet hatte, das sogenannte Tropaion des Gaius, das gegen die rot verputzte Mauer gesetzt wurde. Als später durch einen Riss in der Mauer ihre Stabilität beeinträchtigt war, wurde im rechten Winkel davor eine zweite Mauer gezogen, ‚Grafittimauer’ genannt, weil sie übersät war mit einer Vielzahl von Kritzeleien - eine solche Mauer auf einem Friedhof deutet immer darauf hin, dass man es hier mit einem Martyrergrab zu tun hat.
Dieses Tropaion bestimmte Konstantin zum Richtpunkt für das Bodenniveau seiner Kirche. Er ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er das ganze Grabmal von vier Seiten umschloss mit einer kostbaren Mamorwandung und es gleichzeitig zum Mittelpunkt der Basilica erhob.
Darüber ließ Papst Gregor der Große den ersten Papstaltar errichten und die sogenannte Ringkrypta anlegen, einen unterirdisch verlaufenden, halbkreisförmigen Gang um das Tropaion mit einer kleinen Kapelle dazu.
Im 12. Jahrhundert entstand eine weitere Altarhülle, und darüber erhebt sich heute der Papstaltar unter dem Baldachin des Bernini und die Kuppel des Michelangelo, die seit nunmehr fast 500 Jahren den Millionen und Abermillionen von Pilgern und Besuchern als Siegeszeichen – als Tropaion – entgegenleuchtet, zu Ehren des Fischers aus Kapharnaum, dem Jesus selbst die Schlüsselgewalt über seine Kirche anvertraute mit der festen Zusage, dass „die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden“.

Der Gang durch die Nekropole unter der Basilica von Sankt Peter endete in einer kleinen Kapelle (vermutlich – wie bereits oben erwähnt - in der selben, unter Gregor I. erbauten) mit einer Schlussbetrachtung und der Möglichkeit, noch letzte Fragen zu stellen. Aber dazu war es nach dieser umfangreichen und perfekt organisierten Führung nicht mehr gekommen. Der freundliche Seminarist entließ uns mit der Bitte, die Gelegenheit nicht zu versäumen, kurz am Grab von Papst Johannes Paul II. innezuhalten, was für uns selbstverständlich war. Wir waren ziemlich erstaunt, wie viele Leute – vor allem jüngere – sich hier im stillen Gebet versammelt hatten und des Papstes gedachten, der kein Geheimnis um seine schwere Erkrankung gemacht und sich bis zu seinem Tod als ‚servus servorum Dei’ (als Diener der Diener Gottes) aufopferungsvoll in den Dienst Gottes gestellt hatte.
Als wir die Grotten der Peterskirche verließen, wussten wir, dass wir einen mit Höhepunkten reich gesegneten Tag hinter uns gebracht hatten. Wir wussten aber auch, dass jetzt erst einmal das Bedürfnis, uns Kunst und Kultur so massiv ‚einzuverleiben’, gesättigt war. Die nächsten Tage wollten wir ruhiger angehen und zu den Niederungen des römischen Altags zurückkehren, um nicht ganz die Bodenhaftung zu verlieren.



Wieder mal in Trastevere

Für heute kam es nur noch darauf an, eine trattoria accogliente zu finden. Und dafür kam eigentlich nur Trastevere in Frage, obwohl wir einen langen Fußmarsch in Kauf nehmen mussten, um dahin zu gelangen. Aber was tut man nicht alles, um sich selbst zu verwöhnen!
Wir sind bis zur lauschigen Pza. di S. Egidio gekommen; hier hatte es uns auf Anhieb gefallen: mehrere kleine Trattorien standen zur Auswahl, alle mit Sitzmöglichkeiten draußen, und die vielen kleinen elektrischen Lämpchen ringsherum tauchten den Platz in ein stimmungsvolles Licht. Wir entschieden uns für eine, von der man auch das Treiben auf dieser Piazza beobachten konnte. Wir ließen uns dann auf die Stühle fallen, und selten hatten wir uns so nach einem festen ‚Untersatz’ gesehnt wie an diesem Abend, der sich noch recht lange hinziehen sollte.
 
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Zum ersten Teil des Beitrags: NICHTS ... und erst recht kein Smiley 8O... sondern einfach NICHTS ... aber dies, falls du mich recht verstehen kannst, im ALLERBESTEN Sinne! :? :nod: :nod:
 
Wenn ich Dich richtig einschätze, Seneca, hast Du lange darüber nachgedacht, ob Du den ersten Teil schreiben solltest - und wie.

Daß Du es getan hast, und die Art, wie Du es getan hast, rechne ich Dir hoch an.
 
Wenn ich Dich richtig einschätze, Seneca, hast Du lange darüber nachgedacht, ob Du den ersten Teil schreiben solltest - und wie.

Daß Du es getan hast, und die Art, wie Du es getan hast, rechne ich Dir hoch an.

Schaut her und kniet nieder: Der Forendok schreibt Romane.

Ich bin geplättet 8O

patta
 
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