Du – mein Rom …
In der deutschen Sprache nur drei Buchstaben – kurz und bündig. Die Italiener hängen noch ein „a“ dran – und schon ist der Klang ein ganz anderer – melodischer, liebevoller. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an diese Stadt denke, es vergeht kein Tag, an dem ich ihren Namen nicht ausspreche. Sie ist ein Teil von mir und das schon drei Jahrzehnte lang. Wie kann eine derart intensive Beziehung entstehen, sich entwickeln? Diese Frage wird mir immer wieder gestellt, auch von mir selbst. Anfangs wusste ich darauf keine Antwort, doch die Zeit und vor allen Dingen meine vielen Rom-Aufenthalte haben sie mir gegeben. Es verhält sich nicht anders, als wenn man sich in jemanden verliebt. Auch das geschieht meist spontan, unvorhergesehen, überraschend. Und man hat keinen Einfluss darauf. Gefühle kommen, Gefühle gehen. Meine Gefühle für Rom bleiben. Sie sind etwas, auf das ich mich verlassen kann. Hundertprozentig.
Tu – mia Roma …
Ich war 16. Unerfahren in vielerlei Hinsicht. Wenn verreist, dann vielleicht nach Österreich. Es war das Jahr 1978 – Sommerferien. Zusammen mit einem Freund plante ich eine vierwöchige Tour mit dem Zug durch Europa – das Interrail-Ticket machte es möglich und bezahlbar. D. h. man konnte vier Wochen lang mit der Bahn kreuz und quer durch Europa fahren. Wir besuchten London, Dublin, Paris. Verbrachten jeweils eine Woche dort, aufregende Wochen mit vielen Eindrücken, schönen und weniger schönen Erlebnissen. Das Auf-sich-selbst-gestellt-sein machte uns ein wenig mehr erwachsen. Jede Metropole zeigte sich uns anders. Ich war fasziniert von der Vielfalt der Kultur, den Menschen. Am Ende wollten wir noch eine Woche in Rom verbringen. Was wusste ich von dieser Stadt? Ich wusste das, was man als Schüler vermittelt bekam – bin kein Lateinschüler – und dass in Rom der Papst lebt. Das war’s. Aus heutiger Sicht wusste ich reichlich wenig über Italiens Hauptstadt.
Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich kaum an etwas erinnern, was meine erste Romreise im Jahr 1978 betrifft. Vielleicht müsste ich einfach die Dias von damals wieder ansehen, vielleicht würde dann die eine oder andere Erinnerung zurückkommen. Möglich, dass ich es einmal mache, bis jetzt hatte ich keine Lust dazu. Wir sind mit der Bahn gefahren. Regensburg – München – Rom. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Bahnfahrt von München nach Rom Termini um die 14 Stunden gedauert hat. Liegewagen? Nein – so etwas haben wir uns damals nicht geleistet bzw. leisten können. Es war Sommer und mit ziemlicher Sicherheit sehr warm. Der Zug ging um 23.30 h. Die Aufregung ließ uns kaum schlafen. Das Abteil war voll, der Zug war voll und 14 Stunden vergehen auch auf einer Reise nicht besonders schnell. Wir waren jung. Es störte uns nicht. Es war ein aufregender Sommer. Der Sommer, an dem ich meine große Liebe fand – oder hat sie mich gefunden?
Termini – ein Kopfbahnhof voller Menschen. Menschen die ankommen, Menschen die abfahren. Wir kommen an. Ich habe noch den Geruch in der Nase – auch nach so vielen Jahren. Diesen speziellen Geruch, den Bahnhöfe so an sich haben. Hier kam noch die warme Luft dazu – Rom im Sommer, da kann es sehr warm werden. Der Bahnsteig ist lang. Wir schlängeln uns durch die Menschenmassen. Von allen Seiten wird man bedrängt. Taxis, Hotels und ich weiß nicht, was noch alles wird einem lautstark offeriert. Ich verstehe kaum etwas – habe damit zu tun, den Weg in die Bahnhofshalle zu finden. Diese ist riesig. Ich bin beeindruckt. Ich schaue und höre. Irgendwie habe ich mir Rom so vorgestellt. Laut und riesig. Dann trete ich hinaus auf die Piazza dei Cinquecento. Und dann geschieht es. Genau jetzt und hier beginnt die Liebesgeschichte – la storia d’amore fra Roma e me.
Tu – mia Roma …
Ich schließe die Augen und da ist es wieder, jenes Gefühl von damals – unverbraucht. In meinen Gedanken trete ich wieder hinaus auf die Piazza dei Cinquecento. Tief in meinem Herzen spüre ich etwas Neues, etwas, das ich erst später einordnen konnte: „Ich bin zu Hause“.
Damals war noch vieles anders in Rom. Wir suchen unseren Bus, der uns in die Via Nomentana 421 bringt. Dort befindet sich das Gästehaus des Deutschen Ordens, das mir von einer guten Bekannten empfohlen worden war. Die Zimmer sind einfach, die Matratzen noch mit richtigem Federkern und Stroh und durchgelegen. Aber die Unterkunft war relativ günstig und für junge Menschen ist das wichtiger als Komfort. Die vier Schwestern, die das Gästehaus führen sind nett. Heute leben nur noch drei von ihnen, aber jede macht auch heute noch ihren Job: da gibt es die Koch-Schwester, die Garten-Schwester und Schwester Wilhelmine, die sich um die Gäste kümmert und die Organisation.
Meine Erinnerungen an damals sind sehr lückenhaft und so kann ich nichts darüber erzählen, was wir alles gesehen oder nicht gesehen haben. Oder hatte mich die Liebe so sehr berauscht, dass all meine Wahrnehmungen ins Unterbewusste abgedrängt wurden? Ich strenge mich an, möchte kleine Erinnerungsblitze hervorholen – es gelingt mir nicht.
Die auf dieses Jahr folgenden Rom-Reisen sind präsenter. Damals war diese Stadt unglaublich schmutzig. Es gab keine oder nur sehr wenige verkehrsberuhigte Zonen. Die Abgase der Autos und Motorroller hatten die Fassaden der Kirchen, Palazzi und Häuser schwarz eingefärbt. Viele Gebäude und Denkmäler warteten auf eine dringende Restaurierung. Gehsteige, Strassen, Treppenaufgänge – überall lag Müll und niemand scherte sich darum. Abfallkörbe sah man nur selten und wenn, waren sie restlos überfüllt. Aber das störte uns nicht, denn man wusste: die deutsche Reinlichkeit war im Süden ein Fremdwort. All diese Mängel wurden mit den Jahren besser. Umfassende Renovierungsarbeiten begannen erst einige Jahre vor dem Jahrtausendwechsel. Das heutige Rom ist mit dem vor 30 Jahren nicht mehr zu vergleichen. Vieles hat sich verbessert – nicht alles – und manches ist auch schlechter geworden. Dazu zählt z. B., dass sich die jährlichen Touristenzahlen vervielfacht haben.
Und dann gab es natürlich auch noch die Italienische Lira. 1978 waren noch viele der großen Papiergeldscheine im Umlauf oder 1-, 2- oder 5-Lire-Münzen. Zum Telefonieren brauchte man sog. Gettoni, die man auch gelegentlich als Zahlungsmittel verwenden konnte. Ich kann mich erinnern, einmal eine Taxifahrt zum Flughafen teilweise mit Zigaretten und Gettoni bezahlt zu haben, da wir zu viel Geld für Essen und Klamotten ausgegeben hatten. Auch das wäre heute wohl kaum mehr möglich.
Supermärkte suchte man damals im Innenstadtbereich vergebens. Und ich finde auch jetzt noch die Vorstellung, dass Römer im Supermarkt Fertig-Cappuccino, Tiefkühlpizza oder Nudelsoßen und Gemüse kaufen, etwas befremdlich. Vielleicht müsste ich diesbezüglich etwas „moderner“ denken.
Viele Sehenswürdigkeiten, die heutzutage auf den Besichtigungsplänen der Romreisenden nicht mehr wegzudenken wären, waren damals nicht bzw. nicht mehr zugänglich. Ich denke dabei an das Vittoriano, an die Galeria Borghese und viele Kirchen, die allesamt dem Besucher verschlossen waren. Die Galleria Alberto Sordi an der Via del Corso z. B., die für mich immer wieder Zwischenstation für einen schnellen café lungo oder einen Einkaufsbummel ist, wurde nach jahrzehntelangem Verfall neu renoviert und erst 2003 wieder eröffnet. Und so gäbe es viele Beispiele, die man aufzählen könnte, was sich in den letzten 30 Jahren in Rom getan hat und in den nächsten Jahren immer noch tun wird.
Obdachlose, Bettler usw. gehören auch heute noch zum römischen Stadtbild. Ihre Zahl hat sich im Vergleich zu damals sicherlich nicht reduziert, im Gegenteil, aber man hat sie aus der Innenstadt soweit als möglich verbannt, um einem „sauberen Rom“ gerecht zu werden. Auch eine Möglichkeit …
Das einzige Beständige ist die Veränderung. Eine Aussage, die ich sehr liebe, die aber auf Rom nicht unbedingt anwendbar ist. Sicherlich verändert sich diese Stadt, andererseits wird sie stets die gleiche bleiben, eben die „ewige Stadt“, ein unentwirrbares Knäuel an Geschichte, Kunst und Politik, ein großes Wirrwarr unterschiedlicher Kulturen und Menschen, ein wunderbares Chaos, das sich immer wieder selbst erfindet und eintaucht in seine eigene Vergangenheit ohne dabei die Sicht auf die Zukunft zu verlieren.
Rom - in der deutschen Sprache nur drei Buchstaben – kurz und bündig. Hört man jemanden ihren Namen aussprechen, erkennt man sofort, ob er dieser Stadt verfallen ist. Denn nur diese sprechen ihn so: R-oooo-m – mit einem langgezogenen „o“. Dieses mittige Hinauszögern hat etwas, verwandelt das kurze und harte deutsche „Rom“ in etwas Weiches, Liebevolles.
Du – mein Rooom …
Seit 1978 lebe ich mit ständiger Sehnsucht. Wird sie zu stark, packe ich meine Koffer. Es ist wie eine Sucht, eine Abhängigkeit. Aber diese Abhängigkeit bringt keinen Schaden – im Gegenteil. Manchmal denke ich an Rom wie an einen Menschen und dies lässt mich innerlich schmunzeln.
Du – mein Rooom … Du – meine Liebe.
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