Mit Hölderlin nach Rom
Wann beginnt eine Fahrt nach Rom?
Einfache Frage – nicht ganz so einfache Antwort: Spätestens dann, wenn dir eine unbekannte Frau eine Mail schreibt, dich mit Vornamen anspricht und sich als Annalisa vorstellt, was deine Verwunderung noch vergrößert, denn du kennst keine Annalisa, noch nicht einmal eine Anneliese. Und wenn diese Annalisa dir am Abend des vorletzten Tages vor Reiseantritt - 40 Stunden vor Abflug! - eine Mail sendet mit dem Inhalt, dass sie
1) die neue Besitzerin des von dir gebuchten Hostels sei,
2) mitten in den Renovierungsarbeiten stecke,
3) dir leider mitteilen müsse, dass es bis zu dem von dir gebuchten Termin ¬ - also übermorgen! – mit der Renovierung aller Zimmer nichts mehr werde und demzufolge sie ihr neu erworbenes Hostel dir nicht zur Verfügung stellen könne, wonach sie
4) einen vielsagend großen Absatz macht, in welchem du dann, das Herz voll dunkler Ahnungen, deine Romfahrt versinken siehst wie einst die Städte in den Pontinischen Sümpfen - sie aber
6) dann und wohl platziert dir den rettenden Vorschlag unterbreitet, da sie dich ja nicht in der Luft hängen lassen wolle, dass sie zufälligerweise da einen Verwandten habe, der ein Hostel sein eigen nenne, das er dir großzügigerweise zur Verfügung zu stellen gedenke, und
7) den in broken English verfassten Text mit „Best regards“ abschließt,
...dann, ja dann weißt du: Die Fahrt hat längst begonnen, ist dem Anschein nach vielleicht auch schon beendet, nur hattest du es nur noch nicht bemerkt!
Und du starrst auf den Bildschirm, weißt, dass du nicht träumst, willst andererseits aber auch nicht wahrhaben, was du gerade gelesen hast – Hölderlin kommt dir in den Sinn: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Er hatte es wohl schwer im Leben, der Friedrich Hölderlin, und diese dem Leben trotzig abgerungene Gewissheit überzeugt dich, aber hätte er sich ein Ereignis von solch katastrophalem Ausmaß vorstellen können: Am Vor-Vorabend einer Romfahrt die Absage der gebuchten Zimmer zu erhalten – für dich und deine Gruppe mit 22 weiteren Teilnehmern.
Und obwohl du dann nicht lange zauderst – es verginge nur kostbare Zeit – und dich in Rom durch ein paar Aufenthalte ein wenig auskennst, musst du nach einer Weile auf den einschlägigen Seiten, der Hoteldatenbank von „roma antiqua“, den Seiten der Hotel-Suchmaschinen sowie Jugend-Hostel-Anbieter und schließlich der Seite des Pilgerzentrums mit Blick auf die Uhr („Oh, schon so spät!“) feststellen, dass der Zeitpunkt des Abfluges näher, die Unterkunft aber in noch weitere Fernen gerückt ist. Für 23 Personen 2 Tage vor Ankunft bliebe nur eine Unterkunft, die extrem teuer wäre, extrem unakzeptabel oder extrem weit draußen liegen würde - oder eine Kombination aus allen drei Handicaps darstellen würde Und selbst wenn eine Unterkunft gefunden wäre, hätte diese dann 23 Betten frei mit allen aus der Zusammensetzung der Gruppe entspringenden Erfordernissen an die Zimmerzahl: 1 Lehrerin, 1 Lehrer, 6 Jungen, 15 Mädchen.
Krisenbesprechung mit der Ehefrau, die immer (!) einen Vorschlag hat: Da gebe es doch den Kollegen, dessen Frau ihr mal erzählt habe, dass diese mit ihrem Mann in einem Pilgerhaus in Rom übernachtet habe. Die mitfahrende Kollegin, inzwischen gleichermaßen informiert wie entsetzt, übernahm die Aufgabe, den Kollegen anzurufen. Wegen Abwesenheit des Kollegen wurde dann dessen Tochter der Fall eindringlich geschildert. Das Gespräch endete mit dem Versprechen der Tochter, dem Vater Bescheid zu geben („Aber bitte nicht vergessen, das ist hier quasi ein Notfall!!!“ – „Ja, ja , schon klar, tschühüß!“)
Dann noch eben eine Mail an die Schülerinnen und Schüler geschrieben – wahrscheinlich waren einige schon zu Bett, aber so etwas spricht sich schnell herum.
Am nächsten Morgen die Schülerinnen und Schüler zusammengetrommelt, alle wussten inzwischen Bescheid: betretene Mienen, panisch flackernde Blicke. Erste Versuche der Entrüstung: „Aber … aber …. aber….“ – dann Schweigen.
Auf die Frage, das angebotene Ausweichhostel zu akzeptieren, nur wortloses Kopfschütteln. Dann der Hinweis darauf, dass in dem Bewertungen zu dem von Annalisa angebotene Ausweichquartier Schlimmes zu lesen sei: Die Bilder auf der Homepage, die – neben der Lage - für sich schon abschreckend wirkten, entsprächen noch nicht einmal den tatsächlichen Zimmern, selbst die Terrasse, nach der das Hostel seinen Namen trug, gebe es gar nicht. Es sei alles Fake, so einige Kommentare. Einer hatte den Hinweis gefunden: „Lieber in der Gosse…!“
Zudem hatten wir in den Kommentaren zu „unserem“ gebuchten Hostel den Hinweis einer französischen Lehrerein gefunden, dass das Hostel selbst zu klein für eine Gruppe sei und es noch eine „Dependance“ um die Ecke gebe, an der Via Cavour. Annalisas (von jetzt an „Anneliese“, da Annalisa bestimmt auch nur Fake war) - Annelieses Hinweis auf die zu geringe Kapazität an Zimmern wegen Renovierung entbehrte also der Tatsachen. Auch nur Fake! Und weshalb dann das angebotene Ausweichquartier ganz weit draußen? - Beschluss: Alles Fake (um schlimmere Worte, mit denen sich die bedrückten Schüleseelen Luft zu verschaffen suchten, zu vermeiden)!
Danach Sprachlosigkeit und kaum Aussicht auf Verbesserung. Hilfesuchende Blicke: Noch 32 Stunden bis zum Abflug! Nächstes Treffen in der nächsten Pause, 2 Stunden später. – Ach, Hölderlin!
In der anschließenden Freistunde vor dem Rechner, erneut auf der Seite des Pilgerzentrums, im Kopf die Namen der beiden Bekannten, die fließend Italienisch sprechen - plötzlich von hinten die Stimme des Kollegen. Seine Tochter hatte Wort gehalten. Er reichte mir einen kleinen Zettel, dessen Unscheinbarkeit im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Inhalt stand: Diözesan-Pilgerstelle - mitsamt Namen und Telefonnummer des Verantwortlichen!
Kurzer Anruf, zuversichtliche Ankündigung zur Lösung des Problems, es müsse nur eben zwei-, dreimal mit Rom telefoniert werden. Wir sollten mal zuversichtlich sein, so dieser nette Mensch, Pilgerhäuser zu vermitteln sei schließlich seine Aufgabe und er kenne sich durch an die 100 Rom-Aufenthalte schon ein wenig in Rom aus.
Schüler beim nächsten Treffen mit gedämpfter Zuversicht ausgestattet. 3 Stunden später der erlösende Anruf: Pilgergästehaus in einer Nebenstraße der Via Gregorio VII mit den erforderlichen Zimmern und in der angegebenen Preiskategorie in der Nähe des Petersdoms! - Va bene!
Schüler informiert: Strahlende Gesichter. Kollegin ließ es sich nicht nehmen, bei diesem netten Menschen vorbeizuschauen, um sich persönlich mit einer Flasche besten italienischen Rotweins zu bedanken. Er hatte es wahrhaft verdient!
Kurze Verwunderung: Hatte Hölderlin von diesem Menschen gewusst?
29 Stunden bis zum Abflug. - Die Fahrt konnte beginnen – nachdem sie schon längst begonnen hatte.
Aber am nächsten Tag ging’s richtig los!
Es ist wohl vom Herrn in seinen für den Menschengeist undurchdringlichen Ratschlüssen und Wegen bestens und vorausschauend so eingerichtet, dass der Mensch die Zukunft nicht kennt – selbst die des nächsten Tages nicht…
Wann beginnt eine Fahrt nach Rom?
Einfache Frage – nicht ganz so einfache Antwort: Spätestens dann, wenn dir eine unbekannte Frau eine Mail schreibt, dich mit Vornamen anspricht und sich als Annalisa vorstellt, was deine Verwunderung noch vergrößert, denn du kennst keine Annalisa, noch nicht einmal eine Anneliese. Und wenn diese Annalisa dir am Abend des vorletzten Tages vor Reiseantritt - 40 Stunden vor Abflug! - eine Mail sendet mit dem Inhalt, dass sie
1) die neue Besitzerin des von dir gebuchten Hostels sei,
2) mitten in den Renovierungsarbeiten stecke,
3) dir leider mitteilen müsse, dass es bis zu dem von dir gebuchten Termin ¬ - also übermorgen! – mit der Renovierung aller Zimmer nichts mehr werde und demzufolge sie ihr neu erworbenes Hostel dir nicht zur Verfügung stellen könne, wonach sie
4) einen vielsagend großen Absatz macht, in welchem du dann, das Herz voll dunkler Ahnungen, deine Romfahrt versinken siehst wie einst die Städte in den Pontinischen Sümpfen - sie aber
6) dann und wohl platziert dir den rettenden Vorschlag unterbreitet, da sie dich ja nicht in der Luft hängen lassen wolle, dass sie zufälligerweise da einen Verwandten habe, der ein Hostel sein eigen nenne, das er dir großzügigerweise zur Verfügung zu stellen gedenke, und
7) den in broken English verfassten Text mit „Best regards“ abschließt,
...dann, ja dann weißt du: Die Fahrt hat längst begonnen, ist dem Anschein nach vielleicht auch schon beendet, nur hattest du es nur noch nicht bemerkt!
Und du starrst auf den Bildschirm, weißt, dass du nicht träumst, willst andererseits aber auch nicht wahrhaben, was du gerade gelesen hast – Hölderlin kommt dir in den Sinn: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Er hatte es wohl schwer im Leben, der Friedrich Hölderlin, und diese dem Leben trotzig abgerungene Gewissheit überzeugt dich, aber hätte er sich ein Ereignis von solch katastrophalem Ausmaß vorstellen können: Am Vor-Vorabend einer Romfahrt die Absage der gebuchten Zimmer zu erhalten – für dich und deine Gruppe mit 22 weiteren Teilnehmern.
Und obwohl du dann nicht lange zauderst – es verginge nur kostbare Zeit – und dich in Rom durch ein paar Aufenthalte ein wenig auskennst, musst du nach einer Weile auf den einschlägigen Seiten, der Hoteldatenbank von „roma antiqua“, den Seiten der Hotel-Suchmaschinen sowie Jugend-Hostel-Anbieter und schließlich der Seite des Pilgerzentrums mit Blick auf die Uhr („Oh, schon so spät!“) feststellen, dass der Zeitpunkt des Abfluges näher, die Unterkunft aber in noch weitere Fernen gerückt ist. Für 23 Personen 2 Tage vor Ankunft bliebe nur eine Unterkunft, die extrem teuer wäre, extrem unakzeptabel oder extrem weit draußen liegen würde - oder eine Kombination aus allen drei Handicaps darstellen würde Und selbst wenn eine Unterkunft gefunden wäre, hätte diese dann 23 Betten frei mit allen aus der Zusammensetzung der Gruppe entspringenden Erfordernissen an die Zimmerzahl: 1 Lehrerin, 1 Lehrer, 6 Jungen, 15 Mädchen.
Krisenbesprechung mit der Ehefrau, die immer (!) einen Vorschlag hat: Da gebe es doch den Kollegen, dessen Frau ihr mal erzählt habe, dass diese mit ihrem Mann in einem Pilgerhaus in Rom übernachtet habe. Die mitfahrende Kollegin, inzwischen gleichermaßen informiert wie entsetzt, übernahm die Aufgabe, den Kollegen anzurufen. Wegen Abwesenheit des Kollegen wurde dann dessen Tochter der Fall eindringlich geschildert. Das Gespräch endete mit dem Versprechen der Tochter, dem Vater Bescheid zu geben („Aber bitte nicht vergessen, das ist hier quasi ein Notfall!!!“ – „Ja, ja , schon klar, tschühüß!“)
Dann noch eben eine Mail an die Schülerinnen und Schüler geschrieben – wahrscheinlich waren einige schon zu Bett, aber so etwas spricht sich schnell herum.
Am nächsten Morgen die Schülerinnen und Schüler zusammengetrommelt, alle wussten inzwischen Bescheid: betretene Mienen, panisch flackernde Blicke. Erste Versuche der Entrüstung: „Aber … aber …. aber….“ – dann Schweigen.
Auf die Frage, das angebotene Ausweichhostel zu akzeptieren, nur wortloses Kopfschütteln. Dann der Hinweis darauf, dass in dem Bewertungen zu dem von Annalisa angebotene Ausweichquartier Schlimmes zu lesen sei: Die Bilder auf der Homepage, die – neben der Lage - für sich schon abschreckend wirkten, entsprächen noch nicht einmal den tatsächlichen Zimmern, selbst die Terrasse, nach der das Hostel seinen Namen trug, gebe es gar nicht. Es sei alles Fake, so einige Kommentare. Einer hatte den Hinweis gefunden: „Lieber in der Gosse…!“
Zudem hatten wir in den Kommentaren zu „unserem“ gebuchten Hostel den Hinweis einer französischen Lehrerein gefunden, dass das Hostel selbst zu klein für eine Gruppe sei und es noch eine „Dependance“ um die Ecke gebe, an der Via Cavour. Annalisas (von jetzt an „Anneliese“, da Annalisa bestimmt auch nur Fake war) - Annelieses Hinweis auf die zu geringe Kapazität an Zimmern wegen Renovierung entbehrte also der Tatsachen. Auch nur Fake! Und weshalb dann das angebotene Ausweichquartier ganz weit draußen? - Beschluss: Alles Fake (um schlimmere Worte, mit denen sich die bedrückten Schüleseelen Luft zu verschaffen suchten, zu vermeiden)!
Danach Sprachlosigkeit und kaum Aussicht auf Verbesserung. Hilfesuchende Blicke: Noch 32 Stunden bis zum Abflug! Nächstes Treffen in der nächsten Pause, 2 Stunden später. – Ach, Hölderlin!
In der anschließenden Freistunde vor dem Rechner, erneut auf der Seite des Pilgerzentrums, im Kopf die Namen der beiden Bekannten, die fließend Italienisch sprechen - plötzlich von hinten die Stimme des Kollegen. Seine Tochter hatte Wort gehalten. Er reichte mir einen kleinen Zettel, dessen Unscheinbarkeit im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Inhalt stand: Diözesan-Pilgerstelle - mitsamt Namen und Telefonnummer des Verantwortlichen!
Kurzer Anruf, zuversichtliche Ankündigung zur Lösung des Problems, es müsse nur eben zwei-, dreimal mit Rom telefoniert werden. Wir sollten mal zuversichtlich sein, so dieser nette Mensch, Pilgerhäuser zu vermitteln sei schließlich seine Aufgabe und er kenne sich durch an die 100 Rom-Aufenthalte schon ein wenig in Rom aus.
Schüler beim nächsten Treffen mit gedämpfter Zuversicht ausgestattet. 3 Stunden später der erlösende Anruf: Pilgergästehaus in einer Nebenstraße der Via Gregorio VII mit den erforderlichen Zimmern und in der angegebenen Preiskategorie in der Nähe des Petersdoms! - Va bene!
Schüler informiert: Strahlende Gesichter. Kollegin ließ es sich nicht nehmen, bei diesem netten Menschen vorbeizuschauen, um sich persönlich mit einer Flasche besten italienischen Rotweins zu bedanken. Er hatte es wahrhaft verdient!
Kurze Verwunderung: Hatte Hölderlin von diesem Menschen gewusst?
29 Stunden bis zum Abflug. - Die Fahrt konnte beginnen – nachdem sie schon längst begonnen hatte.
Aber am nächsten Tag ging’s richtig los!
Es ist wohl vom Herrn in seinen für den Menschengeist undurchdringlichen Ratschlüssen und Wegen bestens und vorausschauend so eingerichtet, dass der Mensch die Zukunft nicht kennt – selbst die des nächsten Tages nicht…
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