Italien: Auf dem Weg zur 70. Nachkriegsregierung

Auch in Südtirol blickt man - wenn auch mit anderen Sorgen - auf Giorgia Meloni und den anstehenden Regierungswechsel.
 
Aus dem verlinkten Artikel:
Nach Jahren des relativ harmonischen Miteinanders und der wirtschaftlichen Blüte in Südtirol drohen sich die Fronten erneut zu verhärten. Nationalismen beider Seiten stießen derzeit aufeinander, sagt Hannes Obermair vom Eurac Research Forschungsinstitut: "Meloni plädiert ja für 'dio, patria, famiglia', also Gott, Nation, Familie. Die Schützen für Gott, Kaiser und Vaterland".
Beide, urteilt Obermair, hätten "im Grunde ein ähnlich konservatives, reaktionäres Weltbild" - die eine auf der italienischen, die anderen auf der deutschsprachigen Seite.
Wird das ein neuer "Bozen-Krimi"? ;)

Aber im Ernst: Eigentlich halte ich die kommende Meloni-Regierung für nicht stark und nicht langlebig genug, um eine derart tiefgreifende Umstrukturierung durchzusetzen.
 

Ein entscheidender Schritt hin zur Regierungsbildung folgt an diesem Donnerstag, wenn die beiden Parlamentskammern zu einer konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Die Parlamentarier sollen dann die Präsidenten für den kleineren Senat und die größere Abgeordnetenkammer wählen. Wer das Rennen macht, ist noch unklar.
Die Rechtsallianz verfügt aber über eine absolute Mehrheit und wäre damit in der Lage, ihre Leute in das zweit- und dritthöchste Amt der Italienischen Republik zu hieven. Als nächstes dürfte dann Staatschef Sergio Mattarella den Auftrag zur Bildung einer Regierung ausgeben, die er später vereidigen muss.
 

Der Vater und Namensgeber des Rosatellum genannten Wahlrechts, Ettore Rosato, ist es auch, der als Vorsitzender der Abgeordnetenkammer die erste konstituierende Sitzung des neuen Parlaments leitet. Ein Parlament, das im Vergleich zum vorherigen, nicht nur wesentlich kleiner, sondern auch älter und männerdominierter ist.

Während es sehr wahrscheinlich ist, dass Staatspräsident Sergio Mattarella in den kommenden Tagen Meloni tatsächlich als Ministerpräsidentin nominieren wird, kreisen um die Ernennung der Minister und anderer wichtiger Posten noch viele Fragezeichen. Die Parteichefs und Sherpas, wie die Unterhändler der Parteien genannt werden, feilschen seit Wochen über die Mannschaftsaufstellung der künftigen Regierung.

Zumindest für die Besetzung des Präsidentenamtes der Abgeordnetenkammer dürfte indes der Fraktionschef der Lega Riccardo Molinari als Favorit gelten. Feststeht jedenfalls, dass sich die rechte Koalition, entgegen gängiger politischer Tradition, der Opposition die Präsidentschaft in einer der beiden Parlamentskammern zu überlassen, beide Kammervorsitze schnappen dürfte.

Wird Meloni wie erwartet als Regierungschefin auserkoren, gilt es dem Staatspräsidenten auch die Liste der möglichen Kabinettsmitglieder vorzulegen. Meloni hatte zuletzt betont, keine Zeit verlieren zu wollen. Bis zum 24. Oktober soll ihr Kabinett stehen.
 

Es gibt ein italienisches Sprichwort, das man in diesen Tagen in Rom oft hört: "Il buongiorno si vede dal mattino": Den guten Tag sieht man am Morgen. Im übertragenen Sinn bedeutet es: Ob eine Sache gut wird, entscheidet sich gleich zu Beginn. Trifft die Redensart zu, dann geht die neue Rechtsregierung Italiens, die in den kommenden Tagen das Licht der Welt erblicken wird, schweren Zeiten entgegen.
 
Es gibt ein italienisches Sprichwort, das man in diesen Tagen in Rom oft hört: "Il buongiorno si vede dal mattino": Den guten Tag sieht man am Morgen. Im übertragenen Sinn bedeutet es: Ob eine Sache gut wird, entscheidet sich gleich zu Beginn. Trifft die Redensart zu, dann geht die neue Rechtsregierung Italiens, die in den kommenden Tagen das Licht der Welt erblicken wird, schweren Zeiten entgegen.
Eben ... und darum schrieb ich gestern Abend schon:
Eigentlich halte ich die kommende Meloni-Regierung für nicht stark und nicht langlebig genug, um eine derart tiefgreifende Umstrukturierung durchzusetzen.
 
Nun ist also eingetreten, was ich schon einmal angesprochen hatte hier: Draghi und die große Koalition - also die deutliche Verringerung der Parlamentsmandate.

Vor der konstituierenden Sitzung des neu gewählten italienischen Parlaments an diesem Donnerstag sind an den Sitzen der beiden Kammern größere Umbauarbeiten vorgenommen worden: Sitzreihen wurden demontiert, neue Einrichtungen für Abgabe und Auszählung der Stimmen installiert. Gemäß der 2020 beschlossenen Verfassungsreform gibt es statt 630 Abgeordneten nur noch 400, die Zahl der gewählten Senatoren sinkt von 315 auf 200, hinzu kommen fünf Senatoren auf Lebenszeit, die der Staatspräsident ernennt. Das verkleinerte Parlament, so die Hoffnung, soll effizienter arbeiten. Beide Kammern haben aber noch dieselben Kompetenzen; der Gesetzgebungsprozess verläuft doppelspurig.
 

... Filippo Rossi ist skeptisch. Der Journalist und Buchautor hat vor zwei Jahren in Italien ein "Manifest für eine gute Rechte" veröffentlicht und eine rechtsliberale Organisation gleichen Namens gegründet. Über Melonis Verhalten in der Phase der Regierungsbildung sagt er: "Sie ist keine Moderate geworden, sondern eine Seiltänzerin." Meloni wisse, dass ein großes Land wie Italien nicht mit populistischer Propaganda regiert werden könne. Daher, so Rossi, "muss sie sich jetzt ein bisschen selbst verraten, einen Mittelweg gehen zwischen dem, was sie war, und dem, was sie sein wird - ab dem Moment, da sie an der Regierung strategische Entscheidungen treffen muss".

und


«Alles deutet darauf hin, dass Giorgia Meloni nächste Woche von Staatspräsident Matarella den Auftrag zur Regierungsbildung erhält», glaubt die Korrespondentin. Dann muss die designierte Ministerpräsidentin ihre Liste der Ministerinnen und Minister vorlegen. Die Crux: Matarella ernennt jeden einzelnen Minister und kann auch Vorschläge ablehnen. Deshalb dürfte es mindestens Ende Oktober werden, bis die neue Regierung Italiens feststehe, so Caminada. «Dann werden wir sehen, welches Gesicht Meloni als Ministerpräsidentin zeigen und welche Politik sie verfolgen will.» Es sei unklar, ob sie die zurückhaltende, moderate Meloni aus dem Wahlkampf sein werde oder die aufbrausende Meloni der lauten Töne, wie man sie in Italien bislang vor allem kenne.
 
Zitat aus Italien: Erste Bewährungsproben für Meloni (s. oben):
Sie möchte das Amt des Senatspräsidenten, die zweithöchste Position im Staat, gerne mit dem 75 Jahre alten Ignazio La Russa besetzen. Ein langjähriger Vertrauter der Wahlsiegerin, der unter Berlusconi Verteidigungsminister war (...).
Das wird dem Cavaliere ganz und gar nicht schmecken.
Aus dem verlinkten Artikel:
Nach Medienberichten strebt der bald 86 Jahre alte Medienunternehmer den Posten des Senatspräsidenten an, das zweithöchste Staatsamt nach dem Präsidentenamt.
Typisch Berlusconi!
 

Segre, die als Kind als einziges Mitglied ihrer Familie das KZ Auschwitz überlebte, zeigte sich bei der konstituierenden Sitzung des Senats bewegt, dass sie ausgerechnet im Monat Oktober, in dem sich der faschistische Marsch auf Rom heuer zum 100. Mal jährt, den Vorsitz des Senats übernehme. Am 28. Oktober 1922 hatte der damalige Faschistenführer Benito Mussolini die Macht an sich gerissen.

"Heute bin ich besonders bewegt von der Rolle, die das Schicksal für mich vorgesehen hat", erklärte die 92-Jährige. Kurz vor dem 100. Jahrestag der faschistischen Machtergreifung in Italien sei sie aufgerufen, "vorübergehend den Vorsitz in diesem Tempel der Demokratie, dem Senat der Republik, zu übernehmen", so Segre. Dies habe für sie einen besonders symbolischen Wert. Im Oktober 1938 hatte sie als jüdisches Mädchen wegen des Inkrafttretens der Rassengesetze die Schulbank ihrer Volksschule verlassen müssen. "Heute kann ich dank eines seltsames Schicksals die angesehensten Bank des Senats besetzen", betonte Segre.

Standing ovation:


Hier in italienischer Sprache der Volltext ihrer 22minütigen Rede:


Kurzvideo:

... vita Liliana Segre, presidente provvisorio del Senato, in apertura della seduta della XIX legislatura di palazzo Madama.
 

La Russa erhielt 116 Stimmen, die nötige absolute Mehrheit der insgesamt 206 Senatoren lag bei 104. Im Abgeordnetenhaus zeichnete sich indes zunächst keine erfolgreiche Wahl ab.
Das lag daran, dass dort in den ersten drei Wahlgängen eine Mehrheit von zwei Dritteln nötig ist, die die Rechtsallianz nicht hat. Ab Wahlgang vier, der erst für Freitag vorgesehen ist, reicht die absolute Mehrheit; auf diese kommen die Abgeordneten der Fratelli, der rechtspopulistischen Lega und der konservativen Forza Italia. Erst wenn auch über die Präsidentschaft der Abgeordnetenkammer abgestimmt worden ist, wird Präsident Sergio Mattarella darüber beraten, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt.
 

Segri eröffnete den Senat zuvor mit einer Brandrede gegen den Faschismus. Es obliege jemandem wie ihr, „in diesem Monat Oktober, in dem der 100. Jahrestag des Marsches auf Rom begangen wird, der die faschistische Diktatur einleitete“, den Vorsitz „dieses Tempels der Demokratie, des Senats der Republik, zu übernehmen“. (...)
Selbst der später zum Senatsvorsitzenden gewählte La Russa, der von der ersten Reihe der Mitte-rechts-Bänke aus zuhörte, stand auf, so die Nachrichtenagentur ANSA. Deren Angaben zufolge sprang Segri für den emeritierten Staatspräsidenten Giorgio Napolitano ein, der an sich die Eröffnung der 19. Legislaturperiode im Senat hätte leiten sollen. Napolitano sagte aus gesundheitlichen Gründen ab.
 
Also zumindest derzeit kann ich den Artikel "schrankenlos" ;) lesen.
(Und zwar ohne eingeloggt zu sein in meinem FAZ-Abo.)

Wobei wir das hier ja seit vielen Jahren kennen: Zuweilen ist die Schranke da und zuweilen nicht; teils sogar unterschiedlich von Forista zu Forista; und ein Grund dafür ist nicht zu erkennen.


(...) das Wenige, was man lesen kann, lässt tief blicken.
Was jetzt, wo man (oder zumindest ich) alles lesen kann, umso mehr gilt.

Hier nur mal ein einziges Zitat:

In einigen Tagen wird man den Namen ihres Kulturministers kennen. Viele Kulturschaffende befürchten ein geringes Interesse am internationalen Austausch und eine Kulturpolitik, die eher Trennendes als Verbindendes schafft, sie teilen jedoch weniger die Ansicht vieler internationaler Beobachter, dass mit einer postfaschistischen Fackel bisher unbetretene Räume ausgeleuchtet werden könnten. Für ein Szenario, wie man es in Europa nicht haben möchte, genügte es ja schon, wenn die politische Führung eine Rhetorik der kulturellen Ablehnung pflegt, die damit hoffähig würde.
 

Oppositionspolitiker sind entsetzt darüber, dass Giorgia Meloni als erste personelle Weichenstellung nach ihrem Wahlsieg ausgerechnet ihn in das herausgehobene Amt des Senatspräsidenten bringt. Der Abgeordnete der Demokratischen Partei, Alessandro Zan, schüttelt den Kopf über die Personalie. "Ignazio La Russa als Senatspräsident ist ein erklärter Faschist, der zwischen Mussolini-Büsten schläft", sagte er. "Das ist von Seiten Giorgia Melonis sicherlich kein Auftakt, der Mut macht."
 

"Ich trage diese Gummistiefel, ein Symbol für die Leiden und Hoffnungen des wahren Italiens, das mit mir ins Parlament geht, um Gesetze zu verabschieden, im Gedenken an diejenigen, die an Überarbeitung gestorben sind, an diejenigen, die diskriminiert werden, und an diejenigen, die hungern. Mit den Füßen im Schlamm der Realität und mit dem Geist im Himmel der Hoffnung", so Soumahoro.


Der Italo-Ivorer war vom Bündnis der Grünen und Linken aufgestellt worden.
 

... hlt worden. Der 42-jährige Ex-Familienminister, der als Putin-Freund gilt, setzte sich im vierten Wahlgang, bei dem nur mehr eine absolute Mehrheit nötig war, mit 222 der 400 Stimmen durch.

Nächster Reaktionär an Parlamentsspitze gewählt

Innerhalb von Melonis Rechtsallianz kam es zuletzt aber zu Verwerfungen: Vor allem Silvio Berlusconi von der konservativen Forza Italia zürnte Medienberichten zufolge, weil Meloni seiner Partei nicht die gewünschten Ministerien geben wolle. Unter anderem verlangt der 86-Jährige das Justizressort - gegen Berlusconi selbst läuft noch ein Korruptionsprozess im Zusammenhang mit Partys und minderjährigen Frauen. Auch will der Ex-Ministerpräsident, der nach neun Jahren in den Senat zurückgekehrt war, seine langjährige Vertraute Licia Ronzulli unbedingt im Kabinett haben. Meloni lehnte das strikt ab.


Andererseits gilt La Russa trotz allem als verlässlicher Demokrat. Dass er nicht als harter, unverbesserlicher Duce-Nostalgiker wahrgenommen wird, belegt auch die Tatsache, dass mindestens 17 Parlamentarier der Opposition für ihn gestimmt haben. In seiner Antrittsrede versicherte La Russa, dass der 25. April, der Tag der Befreiung vom Nazifaschismus, auch unter der neuen Regierung gefeiert werde. Das hatte sich Liliana Segre zuvor in ihrer Rede ausdrücklich gewünscht.
 
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