Alberto Grandi: Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche

tacitus

Magnus
Stammrömer
Warum Parmesan politisch ist – das Skandalbuch aus Italien

Weltweit gilt die italienische Küche als Inbegriff von Genuss und kulinarischer Perfektion. Und nichts ist in Italien so heilig wie dieprodotti tipici, die regionalen Spezialitäten, die anerkannte Siegel wie DOC oder DOP tragen. Exportschlager wie Parmigiano Reggiano, Prosciutto di San Daniele oder Dolcetto d'Alba werden als nationales Kulturgut gehandelt.

Kaum ein anderes Buch erhitzte die italienischen Gemüter daher so sehr wie die Erkenntnisse des in Parma lehrenden Wirtschaftshistorikers Alberto Grandi: Die viel gehypte Authentizität italienischer Produkte sei vor allem auf geschickte Marketingstrategien der Lebensmitteindustrie in den Siebzigerjahren zurückzuführen, deren angeblich uralte Herkunft schlicht erfunden. Parmesan, wie er früher einmal war, bekommt man mittlerweile nur noch in Wisconsin.

Alberto Grandi brachte damit das nationale Selbstverständnis seines Landes ins Wanken, die Empörung reichte bis in die Regierungskreise und über die Landesgrenzen hinaus. Warum Nationalismus manchmal auch auf dem Teller beginnt. Mit Wissen und Humor zerlegt Grandi ihn genüsslich.
 
Ein offenbar wirklich interessantes Buch.

Weitere Zitate aus der verlinkten Leseprobe:
Der Mythos der italienischen Küche ist in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entstanden und damit vor rund fünfzig Jahren. Als das seit Mitte der Fünfzigerjahre rasante wirtschaftliche Wachstum nach und nach stagnierte, begann Italien die Großindustrie als Entwicklungsmodell infrage zu stellen und schlug, verglichen mit anderen Industriestaaten, einen ganz eigenen Weg ein.
Geht man davon aus, dass »die italienische Küche« existiert, wäre sie das ökonomische und kulturelle Produkt eines zu großen Teilen künstlichen Prozesses seit Ende des Zweiten Weltkriegs (...). Ich habe bereits angedeutet, dass in dieser Entwicklung auch die Millionen Menschen eine Rolle spielten, die in der Hoffnung auf Glück, aber mehr noch auf Brot, von Italien ins Ausland strömten.
Genauer gesagt war die italienische Küche in Amerika anfangs die Küche der Ausgegrenzten und (warum drum herumreden?) der Delinquenten, die in den Zielländern nicht unbedingt auf Wohlwollen stießen. In den Vereinigten Staaten begegnete man dem, was die Italiener aßen, bis zum Ersten Weltkrieg sogar mit großer Skepsis. Amerikanische Ärzte betrachteten Olivenöl, Nudeln und Pizza lange Zeit als schwer verdaulich und somit für eine gesunde Ernährung absolut nicht zu empfehlen. Selbstverständlich resultierte dieses Vorurteil über das Essen aus den Urteilen über diejenigen, die es zu sich nahmen. Und somit ist es kein Wunder, dass sich die amerikanische Meinung über die italienische Küche und italienische Restaurants just im Ersten Weltkrieg änderte, als Italien, das Land der Habenichtse und Diebe, sich als heroischer Bündnispartner entpuppte.
Unter diesen Umständen waren es die kulinarischen Spezialitäten, die den Regionen ein wenig von ihrer Identität zurückgaben und zugleich die Vorteile jenes Klischees von gesunder Rückständigkeit und unerschütterlichen traditionellen Werten nutzbar machten, die Italien als etwas Bukolisches, eine Art Arkadien erscheinen ließen.


Alledem fügt die FAZ von heute eine spezifisch deutsche Stellungnahme hinzu:
 
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