Stimmungslage in Rom und Italien

Zur derzeitigen Stimmungslage passt auch dieser - passagenweise durchaus pointierte - Artikel:
Ein Hauch von Bolle: Warum Italiener sich so schnell massakriert fühlen - WELT.
Die Italiener wollten nicht die Sklaven der Deutschen oder Franzosen sein, lautet das Mantra, das Lega-Nord-Chef Matteo Salvini seinen Landsleuten vorbetet. Es entbehrt nicht der Ironie, dass er sich, um dieses Sklavereiverhältnis genauer zu beschreiben, eines Wortes bedient, das die Italiener sich von den Franzosen geborgt haben: Das Verb massakrieren, italienisch massacrare, geht auf französisch massacrer zurück und dieses auf frühgalloromanisch matteucculare „erschlagen“. (...)
Für deutsche Ohren klingt das Wort massakriert in diesem Satz befremdlich. In Deutschland gebraucht man es nicht mehr so leichthin wie noch im 19. Jahrhundert, als es im Berliner Volkslied über Bolle hieß, er habe bei einer Keilerei auf der Schönholzer Heide in Pankow sein „Messer rausjerissen und Fünfe massakriert“. Diese Scheu hat mit der Erinnerung an weit ernstere und größere Massaker zu tun, die von Deutschen begangen wurden.
Eigentlich sollte man annehmen, dass bei den Italienern das Wort ähnlich tabu ist, denn etliche der erwähnten deutschen Massaker fanden ja an ihren Landsleuten statt. Aber vielleicht ist es gerade dieser Anklang, den Salvini beschwören möchte. (...)

Neben den historischen Anklängen an Besatzung, Partisanentum und Resistenza (...) echot in ihrer Sprache aber wohl auch ganz einfach die Wortwahl der italienischen Fußballpresse. In Blättern wie „Gazzetta dello Sport“ (...) wird gern geschrieben, die Verlierer seien „massakriert“ worden. Diese Metaphorik ist aber auch bei brasilianischen, spanischen oder portugiesischen Journalisten üblich. Generell haben Romanen ein entspannteres Verhältnis zum Wortfeld des Massakers: In Frankreich werden Kampfpreise oft als prix massacrés angekündigt.
Dennoch ist das Wort massakrieren im Grunde das rhetorische Äquivalent der theatralischen Schwalbe im Fußball, zu der man Südländern und hier ganz besonders den Italienern ja eine besondere Neigung nachsagt: Man dramatisiert einen normalen Vorgang – hier den Zwang, nur Geld auszugeben, das man zuvor erwirtschaftet hat; dort die körperliche Berührung eines Gegenspielers – bis zur Lächerlichkeit. Damit erzielt man kurzfristig einen Vorteil, langfristig macht man sich zum Gespött.
 
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Ausländer sollten die Klappe halten?
Soll man sich um Italien Sorgen machen? Ja, man muss. Das weiß alle Welt, selbst die Italiener wissen das. Wer aber kein Italiener ist und seine Sorgen in Worte fasst, fängt sich mit Sicherheit eine heftige verbale Ohrfeige von Matteo Salvini ein, dem Chef der Lega. Und nicht nur von ihm. Jeder Kommentar zur aktuellen Lage in Italien wird dort als Einmischung in die inneren Angelegenheiten gebrandmarkt. Ganz egal, wer sich derzeit äußert (...); ganz egal, wie man es sagt, freundschaftlich oder feindselig, nüchtern oder aggressiv. Ein Wort von außen, schon bricht in Italien ein Sturm der Entrüstung los.
(...)
Es ist ein Paradox. Wer jetzt "Feuer" schreit, facht das Feuer noch weiter an. So lautet jedenfalls die Argumentation jener, die in dieser Sache zum Schweigen raten. Da jedes Wort falsch ist, darf kein Wort gesprochen werden.
Das ließe sich ja akzeptieren, aber dann müssten wir auch aufhören, von einer europäischen Öffentlichkeit zu reden. Jede Nation unterhielte sich dann nur mehr mit sich selbst (...) ein Gespräch zwischen den Nationen wäre dann unerwünscht, geradezu unmöglich.
(...)
Nein, die Europäer müssen jetzt öffentlich über Italien reden, auch die Deutschen. Leidenschaftlich, was nicht mit Erregtheit zu verwechseln ist. Vielleicht sollte jeder kurz Luft holen und nachdenken, bevor er Kommentare von sich gibt; dann käme ihm etwas Wertvolleres über die Lippen, das mehr ist als ein Wutschrei, ein Zornesausbruch, eine Triebabfuhr.
Vielleicht bekäme man dann sogar etwas Vernünftiges zu hören, mit dem Deutsche wie Italiener etwas anfangen könnten. Etwas, das Europa voranbringt.
 
Und genau das brauchen wir derzeit natürlich vor allem - d.h. selbstverständlich in Form einer konstruktiven Diskussion.
 
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