Spaghetti Bolognese und der deutsche Gaumen

Gaukler

Caesar
Stammrömer
... Kantinenessen in Deutschland, und das bereits im dritten Jahr in Folge.

Schon 2020 hatten sie dem jahrzehntelangen Seriensieger Currywurst, einer Art FC Bayern der Fertiggerichte, den Rang abgelaufen. Mit der wachsenden Beliebtheit der italienischen Küche hat das nichts zu tun: Spaghetti Bolognese ist auf keiner Speisekarte zwischen Trient und Tarent zu finden. Insofern wird die fast zeitgleich bekannt gewordene Entscheidung der Accademia Italiana della Cucina, das Originalrezept für Ragù classico alla bolognese, die Fleischsoße, die mit Tagliatelle und Lasagne, auch mit Tortellini, aber niemals mit Spaghetti gegessen wird, dem „Geschmack von heute“ anzupassen, die Gewohnheiten des deutschen Gaumens nicht weiter stören. Die Urkunde, die am 17. Oktober 1982 bei der Handelskammer von Bologna hinterlegt wurde, so verkündete die Akademie feierlich, sei nach mehr als vierzig Jahren durch eine Neufassung ersetzt worden, die „einige Dinge“ enthalte, die, so eine Sprecherin, „die Traditionalisten entsetzen“ werde. Weil, so wird erklärt, es auch in der Schlemmermetropole Bologna immer weniger Metzgereien gebe, sei Kronfleisch nur schwer zu bekommen, weshalb nun Rinderhack und gemischtes Hack sowie Brühwürfel, aber nur von höchster Qualität, verwendet werden dürften.
Hervorhebung von mir.


Wer weiter liest, erfährt, dass auch Hühnerleber zugelassen sei, eine Zutat, die in den Küchen der Emilia Romagna (...) schon lange geschätzt wird, und so stellt sich auch die Frage, warum die Qualität und Vielseitigkeit der Cucina casalinga, der Hausfrauenküche, eigentlich von einer Akademie, die gerade erst ihren siebzigsten Geburtstag begangen hat, notariell beurkundet werden muss. In „La cuciniera bolognese“ (Die Bologneser Köchin), einem Rezeptbüchlein, das 1874 in der alten Universitätsstadt gedruckt wurde, war noch kein einziges der Nudelgerichte enthalten, die heute als lokale Spezialitäten gelten, wohl aber deutsche, katalanische und portugiesische Suppen, Risotto alla milanese, Roastbeef und Steak, venezianische Leber und Tauben nach Art der Marken.

Nicht, weil sie nicht gegessen wurden, fehlten die Nudelgerichte, sondern weil sie zu einer Alltagsküche gehörten, für die der lesekundige Teil der Bevölkerung nicht viel übrig hatte. Der Aufstieg der Pasta begann erst, als der aus der Romagna stammende pensionierte Seidenhändler und kulinarische Revolutionär Pellegrino Artusi 1891 in Florenz sein noch heute gültiges (...) Standardwerk „La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene“ (Die Wissenschaft in der Küche und die Kunst des guten Essens) herausbrachte und die Nation auch in ihren vielfältigen Pastasorten vereinte.
Einigermaßen sicher wussten andere Foristi das früher schon; aber ich habe erst heute diese Details mit Interesse gelesen.

Vor dem Abstieg zu Spaghetti Bolognese hat sie das, zumindest nördlich der Alpen, nicht bewahrt.
Tja ... ;)
 
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