Bericht: "Venedig ist ein Fisch"

Pasquetta

Magnus
Stammrömer
Unser "Ciao Venezia! Wir kommen wieder" hat sich erfüllt: nach zwei Jahren sind wir erneut nach Venedig gereist und damit die Erinnerung daran nicht verblasst, lade ich Interessierte ein, sich mit mir - pian piano - auf Venedig-Spaziergänge zu begeben.

„Venezia è un pesce“

meint Tiziano-Scarpa in seinem gleichnamigen Buch.

Venedig ist ein Fisch -

und wie einen guten Fisch sollte man auch Venedig mit allen Sinnen genießen: sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken.

Venedig ist ein Fisch: wenn man sich eine alte Vedute von Venedig ansieht


– oder auch einen neueren übersichtlichen "Stadtplan" – dann sieht man das deutlich. Und wie einem Fisch so nähert man sich auch Venedig am besten zu Wasser.

Samstag, 02.04.2011

Der Blick von oben zeigt es ganz klar. Nach einem ruhigen Flug


über den Bodensee und schneebedeckte Berge tauchen die, von oben gesehen kleinen, Rinnsale der Flüsse und Wasserläufe auf, die von den Bergen sich hinab schlängeln und in die Lagune von Venedig mäandern.

Der silberne Vogel zieht über brackiges Wasser und setzt dann sanft auf zur Landung auf dem Flughafen Marco Polo. Und dann steigst du in das Wassertaxi und nach flotter Fahrt über die gekennzeichnete Wasserstraße

tauchst du an der Sacca della Misericordia ein in den Fisch Venedig, durchfährst ihn nun in langsamer Fahrt auf kleinen Kanälen bevor du aufgenommen wirst von der pulsierenden Lebensader – oder um im Bild zu bleiben: der Hauptgräte Venedigs – dem Canal Grande.




Bei San Samuele durch die engen, verwinkelten Gassen zum mit Leben erfüllten Campo S. Stefano – jemand bekommt ein Geburtstagsständchen gesungen, Kinder spielen Fangen um das Denkmal von Niccolò Tommaseo, der an seinem Bücherstapel gelehnt dem Treiben zusieht, vor der Gelateria Paolin sind alle Tische besetzt. Angekommen im Hotel hält es uns an diesem fast frühsommerlich warmen Nachmittag dort nicht lange.


Wir laufen durch die schmale Calle delle Muneghe, freundlich begrüßt von der alten Dame, die aus ihrem Fenster zur Calle nach den neuen Nachbarn schaut, und versuchen dann wieder auf dem Wasser dem Fisch Venedig auf die Spur zu kommen. Entlang seiner Hauptader, dem Canal Grande, sind die Paläste aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. In einem weiten Bogen überspannt ihn die Rialto-Brücke, auf der der Touristenstrom ins Stocken gerät, wenn alle vom höchsten Punkt der Brücke aus die Gondeln und die Canal-Ansicht digital festhalten wollen.


Wir fahren am Bahnhof unter der neuen Brücke, der vierten über den Canal Grande, hindurch.



Der spanische Architekt Calatrava hat dem alten Fisch Venedig mit dem „Glassteg“ einen Hauch von Futurismus verpasst, Glas und Stahl – passend zum Bahnhof People Mover mit der gläsernen Überdachung.




Hier hängt der Fisch Venedig an der Angelschnur, der Ponte della libertà und die Bahngleise die ihn mit dem Festland verbinden.

Uns spuckt der Fisch aus, am Bacino Tronchetto, wo er uns, an den Lagerhallen und Parkdecks vorbei, die an seinem Lebensraum nagenden und tiefe Wunden reißenden Kreuzfahrtschiffe sehen lässt,


bevor wir wieder in seinem Fahrwasser weiter gleiten dürfen.

der Mulino-Stucky-Komplex auf der Giudecca



Zwischen La Giudecca und der anderen Kanalseite mit der Fondamenta Zattere tuckert das Vaporetto hin und her - Dorsoduro, „harte Rücken“ das könnte auch für den Fisch Venedig gelten, der ein hartes Rückgrat braucht für alles, was ihm aufgeladen wird –

vorbei an der Kirche Il Redentore zu einem weiteren Meisterwerk Andrea Palladios:


San Giorgio Maggiore.

Nicht über die Eselsrampe, sondern mit dem Aufzug geht es hinauf auf den Turm.




Venedig liegt uns zu Füßen. Wie silberne Schuppen auf dem Rücken eines Fisches im Wasser glitzern, so leuchten die Paläste, Türme und Kuppeln der Stadt im Licht der Nachmittagssonne.


Die Turmglocken verteilen ihre Schläge über die Lagune, wir schauen hinterher – hinab in den Kreuzgang der Klosteranlage,


weiter bis zum Lido di Venezia und den vorgelagerten Inseln San Servolo, San Lazzaro agli Armeni und San Clemente – alles kleine Inseln, in früheren Jahrhunderten meistens von Mönchen und Nonnen bewohnt, die sich in Klöstern und Hospitälern vor allem „Ausgesetzten“ annahmen, Pest- und Leprakranken, ver-rückte und straffällig gewordene Menschen, die niemand sehen und berühren wollte.

Unser Blick gleitet über das dunkle Holz des kunstvoll geschnitzten Chorgestühls im Mönchschor und folgt dem Strahl des einfallenden Sonnenlichtes über die in den Farben des Dogenpalastes gehaltenen Marmorfliesen des Kirchenbodens,



hin zu den beeindruckenden Gemälden das Mannawunder und das Abendmahl darstellend, beides Spätwerke des meisterhaften "Färberleins" Tintoretto, auf denen er Menschen, wie sie auch im Venedig seiner Zeit unterwegs waren, in das biblische Geschehen einbaute.



Die Fortsetzung dieses ersten Tages in Venedig folgt möglichst bald :nod: verspricht
Pasquetta
 
Zuletzt bearbeitet:
Moin-Moin Pasquetta!


VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für Deine nette Einladung zum Spaziergang durch Venedig

:!::!::!:

Der Beginn hat mir schon gut gefallen und ich freue mich auf mehr Meer und weitere Fußwege


Gruß - Asterixinchen :)
 
Und der weitere Verlauf durch Venedig am Samstag, 02.04.11:

Nun sind alle Sinne auf einmal angesprochen:

wir setzen über nach San Marco – tauchen unter im Trubel der vielen Menschen, die sich an der Riva degli Schiavoni entlang Richtung Piazzetta schieben, Stimmengewirr in vielen Sprachen, Gedränge dort, wo ein Blick auf die mit riesigen Reklamewänden eingefasste Seufzerbrücke möglich ist -

„il cielo dei sospiri sopra Venezia“

scheint sie uns zuflüstern zu wollen – gegen den blauen Nachmittagshimmel die beiden Säulen gekrönt mit den Stadtheiligen Markus mit dem Löwen und Theodorus mit einem Drachen ausgestattet.
Man erinnert sich: hier wurden Staatsgäste empfangen, hier versuchten Glücksspieler ihr Glück, hier wurden Verbrecher hingerichtet. Wer abergläubisch ist, vermeidet tunlichst, zwischen den beiden Granitsäulen hindurch zu gehen.

Der Dogenpalast – schönstes Licht-Schattenspiel das die zierlichen Säulen und Rosetten der Loggien dir zeigen. Die schräg stehende Sonne, fein gegliederte Säulen und Fensterdurchbrüche zaubern dieses Schauspiel nur für dich.




Und die Kapitelle an den Säulen des Dogenpalastes erzählen dir anschaulich
Geschichten von früher,


Liebesgeschichten mit Folgen


und an der Ecke bei der Porta della Carta mit dem schönen Relief


- der kleine Doge kniet vor dem Wahrzeichen der „Serenissima Repubblica di San Marco“, dem geflügelten Markuslöwen mit dem aufgeschlagen Buch – stehen die Anfang des 13. Jh. aus Konstantinopel “mitgebrachten“ sogenannten Tetrarchen,




um 300 n.Chr. in kostbaren Porphyr gehauen, Diokletian und seine Mitherrscher, die sich umarmen aber auch das Schwert in der Hand halten. Der fehlende Fuß soll bei Grabungen in Istanbul gefunden worden und dem venezianischen „Beutegut“ zuzuordnen sein. Oder sind es tatsächlich nur vier Schurken, die die Markus-Reliquien stehlen wollten und für ihre bösen Absichten in Stein verwandelt wurden? Jedoch: der purpurfarbene Porphyr war der Stein der Kaiser – und nicht der Gauner...


Und hier gleich nebenan auf dem Pfeiler noch eine herzerweichende Geschichte: das salomonische Urteil, schlage es nach in der Bibel im 1. Buch der Könige, Kap. 3, Vers 16-28 und du findest den Urtext für viele Nacherzählungen in der bildlichen Kunst, Musik und Literatur.

Geschichten über Geschichten – schauen und staunen, so vieles zu entdecken und zu beobachten –


der Campanile in der Abendsonne,
Kinder füttern die Tauben, Venezianer und Touristen flanieren über die Piazza, vieles ist als Baustelle verkleidet, aber der (Napoleons) „schönste Festsaal Europas“ wird trotz allem Rummel noch immer diesem Ruf gerecht – du musst nur richtig hinschauen und dich auf ihn, wie überhaupt auf die ganze Stadt Venedig, mit allen Sinnen einlassen. Du läufst durch die Geschäftsstraßen mit den Luxus-Läden,

den Auslagen mit kostbaren Stoffen, den kleinen wunderschönen Papiergeschäften zum Campo San Mosè, weiter zum Campo San Maurizio und trittst hinaus auf den Campo St. Stefano – noch immer vergnügt sich Alt und Jung rund um

den „Caccalibri“

(den „Bücherscheißer“ wie Niccolò Tommaseo von den Venezianern liebevoll genannt wird), aus der Kirche San Vital klingt Musik – Vivaldi, die Interpreti Veneziani proben für ein Konzert - du überquerst den Canal Grande auf der Accademia-Brücke, beliebter Treffpunkt für Hobby- und sonstige Fotografen, und hältst Rast in einer Trattoria in den Calli von Dorsoduro.

Genau so machten wir es auch und beendeten dann den Tag mit einem Nacht-Verdauungsspaziergang.
Am Kanal entlang, in dem das Wasser ruhig und dunkel dahinfließt - es scheint, als ob es alles Tageslicht aufgesogen hätte – auf der gegenüberliegenden Seite still und ruhig der Campo San Trovaso mit der gleichnamigen Kirche (hier wäre ebenfalls ein „Abendmahl“ von Tintoretto zu bewundern) und auch die Gondelwerft, die letzte direkt in der Stadt, liegt verlassen am Rio. Wir laufen ein Stück die Ufermeile Zattere hinunter
– hier irgendwo wird mit einer kleinen Gedenktafel an einem Palazzo an den seit seiner frühen Jugend von Venedig angetanen Nobelpreisträger Joseph Brodsky erinnert -
der Blick geht hinüber zur Giudecca und weiter laufen wir bis zur Landspitze wo die Dogana del Mar steht und wir wieder auf den Canal Grande treffen. Die alte Zollstation, auf der zwei Atlanten eine vergoldete Erdkugel schultern, auf der recht wankelmütig Fortuna tänzelt, wurde von dem französischen Milliardär François Pinault erworben (er gewann „das Rennen“ für 30 Jahre vor der Guggenheim Foundation mit der Architektin Zaha Hadid, der wir das MAXXI in Rom zu verdanken haben). Pinault ließ die Dogana vom japanischen Architekten Tadao Ando in einer Umbauphase von 14 Monaten in ein sehr umstrittenes Museum für moderne Kunst umwandeln. Seit zwei Jahren präsentiert sich hier (und im Palazzo Grassi) die Ausstellung
„Mapping the Studio“ aus der Kollektion Pinault – deren „Maskottchen“, der „Boy mit dem Frosch“ von Charles Ray, unter einem Glassturz an exponierter Stelle an der Landspitze steht, wo der Canale della Giudecca mit dem Canal Grande zusammentrifft. Es darf gerätselt werden, was das Kunstwerk uns sagen will – ist Venedig vielleicht die aus dem Meer erstandene Königliche, wie im Märchen der Froschkönig? Über Kunst kann man streiten – schön griffig sind jedenfalls die aus Metall „geflochtenen Tore“, wie verschlungene eiserne Seile.
Wir stehen vor S. Maria della Salute, beeindruckend auch bei Nacht,

fast menschenleer der Platz davor, es scheint auch die „Kirche mit den Ohren“ hat diese angelegt und die über hundert Säulenheiligen halten Nachtruhe und gedenken der großen Pestepidemie 1630, deretwegen sie hier zur Ehre der Muttergottes stehen, die die Bitten der Venezianer um Abwendung der Pest erhört hatte.
Wir gehen weiter, rechts über die kleine Brücke – bewundernder Blick auf den Chor der aufgelassenen Klosterkirche S. Gregorio, heute ist die Restaurierungswerkstätte einer Denkmalbehörde darin untergebracht. Eine enge Gasse und ein campiello:


es tut sich ein schöner Blick auf in den Innenhof eines feudalen Hotels – mit einem riesigen Kronleuchter im Eingangsbereich, eine Kaskade aus Muranoglas. Weiter geht es am Guggenheim-Museum vorbei mit dem Garten, in dem die exzentrische Kunstsammlerin Peggy Guggenheim mit ihren Hunden begraben liegt – erinnert mich ein wenig an den Alten Fritz, der auch mit seinen geliebten Hunden in einer Gruft in Sanssouci beerdigt werden wollte. Die calli sind fast menschenleer, erst als wir zur Accademia-Brücke kommen und dort den Ganal Grande überqueren und Richtung Campo St. Stefano schlendern, ist trotz der angebrochenen Nacht noch einiges los, auch wenn vor den Lokalen und Bars langsam die Stühle zusammen geschoben werden. In der feuchten Nachtluft entfaltet der Jasmin an der Gartenmauer zum Palazzo Cavalli-Franchetti seinen zarten Duft ganz besonders betörend: Venedig für alle Sinne.


Und so endet dieser Tag in Venedig und passend dazu sagt Euch "buona notte"
Pasquetta
 
.

VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:


... wieder bin ich gerne mitspaziert :!:

Du führst mir vor Augen -> ich muss wirklich dringend mal wieder nach Venedig ...
 

Vielen herzlichen Dank für Deine Eindrücke und die schönen Bilder,
die in der Tat Lust machen, sofort nach Venedig zu reisen. :thumbup:​

Dem schließe ich mich gerne an. Pasquettas Bericht ist zusammen mit dem vorigen Bericht von Angela "Im Schatten des Campanile" eine einfühlsame Stimmungsbeschreibung und macht neugierig auf die Fortsetzung des Spaziergangs.

Grüße von

mystagogus
 
Hallo
Asterixinchen,
dentaria und
mystagogus :!:

Schön, dass Ihr Euch mit mir aufgemacht habt durch Venedig :nod:. Danke für Eure freundliche Reaktion, das spornt an, weitere Fotos hoch zu laden ;) und ich hoffe, Ihr seid weiter mit dabei, auf meinen ungeraden Wegen durch Venedig.

Es freut sich, bei Euch Reisewünsche geweckt zu haben :~
Pasquetta
 
;) Weiter geht es durch Venedig und weil heute Sonntag ist, mit einem Sonntagsbericht.

Sonntag, 03.04.2011

Sonntagmorgen -
Glockengeläut, Sonntagstöne, wir sitzen im ruhigen Innenhof des Hotels, genießen die noch zaghaften Sonnenstrahlen und hören auf Venedig - die Möwen über uns beginnen zu gackern...


Zum Campo S. Stefano,


an der Kirche vorbei -

Venedig erwacht langsam, man ruft sich gegenseitig „Buon giorno“ zu und trifft sich in der kleinen Bar an der Ecke „Oggi fuori?“, „Ma si! Come va?“ die beiden älteren Damen nehmen zum Frühstück ihren Cappuccino und ihr Cornetto trotz der Morgenfrische draußen ein.

Campo S. Angelo -


im Tympanon über dem Portal zum Kreuzgang von S. Stefano leuchtet der hl. Augustinus, als Schutzmantel-Heiliger dargestellt, in der Morgensonne.

Am Campo Manin ist auch am Sonntagmorgen das Müllboot unterwegs.



Hinter dem mächtigen Löwen am Denkmal für den Revolutionär Daniele Manin, der in einem Palazzo an diesem Platz geboren wurde, spiegelt sich in den Glasfenstern des Sparkassen-Gebäudes (eine der wenigen modernen Bausünden, „verbrochen“ u.a. von Luigi Nervi, dem Architekten der Audienzhalle im Vatikan) in der Morgensonne eine Palazzo-Fassade und nimmt dem Platz so seine Nüchternheit.

Schon sind einige Touristen in der Gondel unterwegs – die malerischen Ecken der Stadt werden durch das Auge der Kamera betrachtet –
die Rialto-Brücke bereitet sich noch in Ruhe im Morgenlicht auf die abertausend Füße vor, die im Laufe des Tages wieder über sie laufen werden – wie halten die 12 000 Pfähle aus Eichenholz dieser Belastung jahrein jahraus stand? Ein Wunder der Bautechnik – wie sowieso die ganze, auf vielen Millionen in den Boden eingerammten Holzpfählen stehende Lagunenstadt. Man weiß nicht wie viele es sein könnten, allein S. Maria della Salute steht auf über einer Million Pfählen.
Wir verlassen das Sestiere San Marco (das Straßenverzeichnis und die Hausnummern in Venedig sind ein Kapitel für sich) und kommen nach Cannaregio -

(das dürfte noch ein Überbleibsel von den 150-Jahre-Italien-Feierlichkeiten sein)


Wäsche hängt an der Leine vor den Fenstern – Gondoliere warten auf Kundschaft - durch die engen Gassen, nur Venezianer unterwegs so früh am Sonntagmorgen, vor allem ältere Menschen sitzen auf der Bank auf dem Campo, machen ihre „spesa“ und gehen dann mit der Einkaufstüte in der Hand in die Kirche.​

Auf unserem Weg zur Vaporettostation Fondamenta Nuove kommen wir an der Jesuitenkirche Santa_Maria_Assunta_dei Gesuiti vorbei. Da bis zum Beginn des Gottesdienstes noch ein paar Minuten Zeit ist können wir einen Blick hinein werfen. Wirkt die Fassade schon wie ein bombastisches Bühnenbild so verschlägt einem die Innenausstattung die Sprache: der Innenraum ist ganz mit sogenannten “Marmorinkrustationen“ überzogen, also eine Art Intarsien aus dünnen Marmorscheiben, die kostbare Stoffe in Grün- und Weißtönen vortäuschen


und über die Kanzel fällt ein wertvoller faltenreicher Vorhang, aber nicht aus weichem Stoff sondern aus Stuck und Marmor.
Leider war es (fast) nicht möglich entsprechende Fotos zu machen. Der in der Kirche hin und her wandelnde Padre hatte ein wachsames und strenges Auge darauf, dass der Hinweis „No foto“ eingehalten wurde. So verhielt es sich auch mit dem eindrucksvollen Gemälde von Tizian, – dunkel und drohend ist das Martyrium des hl. Laurentius dargestellt, nur der Märtyrer liegt im Licht von oben auf seinem Marterwerkzeug, dem Rost – unter dem das Feuer bereits hell lodert .

Fahrt nach Torcello: die Schiffe dürfen nur 5 km/h und weiter draußen in der Lagune 12 km/h fahren, die Möwen schaukeln auf den Wellen, sitzen auf den Pfählen, die die Wasserstraße markieren. Laguna morta heißt es hier, wo sich Ebbe und Flut nicht mehr bemerkbar machen.

Am Sonntag sind noch mehr Touristen in Venedig unterwegs als wochentags, deswegen war die Idee, heute, am Sonntag, zu den Inseln zu fahren. Jedoch, auch dort findet eine wahre Völkerwanderung statt: die Venezianer sind zum Sonntagsausflug unterwegs – um dem Touristenansturm in der Stadt zu entgehen, aber auch hier sind Touristen – wie wir, die dem Gedränge in der Stadt entgehen wollten. Die Luxusrestaurants sind schon eingedeckt. Der Blick geht über die Köpfe der am Kanal entlang strömenden Menschenmassen: blühende Bäume und saftig grüne Wiesen mit gelbem Löwenzahn, ein Hahn kräht, die Katzen genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und ein Hündchen streicht durch das Gebüsch. Das ist die Inselwelt, wie ich sie von früher in Erinnerung habe.

Glanzstück der Insel - im wahrsten Sinne des Wortes - ist die wunderschöne Kirche S. Maria Assunta, so wie sie jetzt da steht aus den Anfängen des 11.Jh., mit byzantinischem Einfluss und Goldgrundmosaiken, ebenbürdig denen in San Marco. Die vielen Sonntagsausflügler tummeln sich draußen, vor den Verkaufsbuden, hier drinnen sind weniger Besucher – es kostet ja auch Eintritt wenn man die Kirche besuchen möchte. Aber es lohnt für die Sinne:


mit den Füßen tastend über den unebenen Boden hin und her gehen, im Ohr die knappen aber präzisen Ausführungen des Audioguide-Sprechers, und schauen und staunen:

die marmorne Chorschranke – warum bewegt sich die österreichische Reisegruppe keinen Schritt weg davon? Also gehen wir weiter zum Apsismosaik: Maria, dargestellt als sogen. Madonna Hodegetria mit dem Jesuskind auf dem linken Arm, und die 12 Apostel, sie stehen auf den typischen Salzwiesen – mit Mohnblumen - der Lagune.


Im Mittelalter stand in der Apsis nicht der Altar, sondern der Bischofsthron, zu dem mehrere Stufen hinaufführten, wie man noch deutlich sehen kann.


Die symbolträchtigen Zahlen Drei und Vier finden sich im Apsismosaik des rechten Seitenschiffes: der segnende Christus mit den Erzengeln Michael und Gabriel, darunter die vier Kirchenväter.

Das unumstrittene Highlight ist jedoch das Weltgericht-Mosaik. In mittelalterlichen Kirchen war es üblich, das „Jüngste Gericht“ an der Westseite der Kirche, also dort, wo die Sonne untergeht, zu zeigen. Die Gläubigen wurden so beim Verlassen der Kirche an das Ende der Welt und das Gericht erinnert. Hier zeigt sich sehr lebendig und drastisch wie man es sich damals vorstellte. In mehreren Bändern wird auf goldenem Grund die Geschichte von Tod und versprochener Erlösung, von den Seligen und den Verdammten, erzählt. Wie ein goldenes Buch mit eindringlichen Bildern breitet sich das Mosaik über die ganze Wand aus, jeder konnte es - und kann es noch heute – verstehen.

Bei so vielen Eindrücken für die Augen fällt es schwer, wieder in das turbulente Sonntagsleben vor der Basilika einzutauchen. Noch ein Blick in die Hochzeitskirche Santa Fosca und dann bummeln wir langsam zum Schiffsanlegeplatz zurück.


Über den Ponte del Diavolo, jenseits des Kanals ist es still, hier sind Wiesen und Felder, Olivenbäume. Was mag dazu geführt haben, dass diese Insel so verlassen und abseits da liegt? Im 12. Jh. zählte man hier 20 000 Einwohner, Torcello war größer und reicher als Venedig – davon geblieben sind die beiden Kirchen, ein Museum, ein paar kleine Kunsthandwerkläden oder was man darunter verstehen mag, vielleicht zwei Restaurants – und rund ein Dutzend Einwohner, die vor allem landwirtschaftlich arbeiten. Das ist Torcello mit seinen zwei Gesichtern.


Weiter geht die Inseltour etwas später...
 
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VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für den Anfang des "Sonntagsspaziergang" mit den schönen Bildern

Gerne begleite ich Euch auch weiter ...
 
Liebe Pasquetta,

endlich bin auch ich dazu gekommen, Deinen stimmungsvollen Bericht zu geniessen.
Mit den Bildern und Beschreibungen von Torcello hast Du mir eine ganz besondere Freude gemacht. Ich war nur einmal im Alter von 12 Jahren :~ dort und war damals sehr beeindruckt. Torcello steht ganz oben auf der Liste der Ziele, die ich bei einem Venedigbesuch wiedersehen möchte! :nod:
Zunächst aber freue ich mich, dass der Torcello-Bericht noch weitergeht und folge Dir gerne zu allen anderen Zielen.

LG
Simone
 
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VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für den Anfang des "Sonntagsspaziergang" mit den schönen Bildern


Bitte schön, gern geschehen :nod:

Liebe Pasquetta,

Mit den Bildern und Beschreibungen von Torcello hast Du mir eine ganz besondere Freude gemacht. ...
Torcello steht ganz oben auf der Liste der Ziele, die ich bei einem Venedigbesuch wiedersehen möchte! :nod:

s.o. :nod: und es freut mich, wenn ich Venedig-Reisewünsche geweckt habe ;).

Zunächst aber freue ich mich, dass der Torcello-Bericht noch weitergeht und folge Dir gerne zu allen anderen Zielen.
Torcello ist beschrieben, aber wir stehen ja an der Vaporetto-Anlegestelle und ich habe noch zwei Inseln "auf Lager".
Auf Eure Begleitung freut sich
Pasquetta
 
Fortsetzung der Inseltour am Sonntag, 03.04.11

Das Vaporetto bringt uns nach Burano. Mit uns verlassen viele italienische Familien, die mit Kind und Großeltern ihren Sonntagsausflug von Insel zu Insel machen, das Boot.
Einmal die volle und enge „Drosselgasse von Burano“ überwunden können wir geruhsam spazieren.


Wir bewundern die „Spitzen“ von Burano

:roll: :lol: :idea:

- wegen ihrer „merletti“ ist die Fischer-Insel ja berühmt, wenn sie auch heutzutage vor allem aus Fernost kommen - und erfreuen uns, eine gute Pizza a taglio essend, an der Farbenpracht der kleinen Häuser am campo.

Es ist nicht mehr zu ergründen, warum sie alle in den buntesten Farben jedes Jahr neu gestrichen werden: war es, damit die Fischer bei ihrer Rückkehr in den heimatlichen Hafen im Morgennebel die Orientierung nicht verloren? Oder signalisierten die kräftigen Farben, dass bei einer Pest im Mittelalter die Krankheit in einem bunten Haus überstanden war?

Aus den Bäckereien duftet es verführerisch: Dolci del Pescatore, Bussolà- und Esse-Kekse, Buranelli alle mandorle – schon allein die Namen zergehen auf der Zunge... Mit diesen Köstlichkeiten in der Tüte bummeln wir weiter: Sonntags scheint Waschtag zu sein –


und wieso ist der Kirchturm von San Martino so schief?


Farbenfroh präsentiert sich Burano auch in den engsten Gassen und auf den kleinen, touristenfernen Campielli –






selbst das Gras ist grüner als sonst irgendwo...


Sonniger Sonntagnachmittag.​


Murano nutzen wir dieses Mal nur zum Umsteigen um weiter zu fahren, zur Isola San Michele. Es steigen dort nicht viele aus – dieser frühlingshafte, sonnige Sonntag passt wohl nicht so zu einer Friedhofsinsel, obwohl dieser Ort eine Oase der Ruhe ist und zum Verweilen einlädt.

Die ehemalige Klosterinsel San Michele wurde nach der Säkularisierung, nachdem Nepoleon es untersagt hatte, die Toten weiter in der Stadt bei den Pfarrkirchen zu begraben, mit der Nachbarinsel San Cristoforo verbunden und im Laufe des 19. Jh. zur jetzigen Friedhofsinsel ausgebaut. Ruhig liegt sie da, mit einer hohen Mauer umgeben, Zypressen verströmen ihren herben Duft. Wir gehen durch den schönen, sonnenbeschienenen Kreuzgang bevor wir die Grabfelder erreichen.

San Michele ist eine Insel, der Friedhof kann also nicht beliebig und nach Bedarf vergrößert werden. Man hat zwar vor mehr als zehn Jahren durch Aufschüttung die Anlage erweitert, trotzdem müssen die Toten, die zuerst in normalen Gräbern beerdigt worden sind, nach einigen Jahren wieder ausgegraben und die Gebeine in kleinen Nischen, den Kolumbarien, in den hohen Mauern die die Grabfelder begrenzen, beigesetzt werden.


Besonders schön ist es auf dem orthodoxen Teil des Friedhofs, hier haben etliche berühmte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte gefunden -

Igor Strawinsky und seine Frau


und auch der Literatur-Nobelpreisträger Josef Brodsky sozusagen als „Ehrengäste“, da sie nicht in Venedig gestorben sind. Gleich daneben, am Grab von Sergei Pawlowitsch Djagilew, dem Begründer des „Ballets Russes“, haben Verehrer seiner Kunst Lorbeerzweige und Ballettschuhe hingelegt -



auch der Komponist Luigi Nono und der Dichter Ezra Pound sind hier beerdigt. Hier auf dem alten Teil des Friedhofs ist es ruhig, nur ab und zu ist das Schreien einer Lachmöwe zu hören, die sich vom Wasser hierher verirrt hat.


Auch zwischen den Grabfeldern könnte man sich verirren. Der Blick geht entlang der Mauern mit den „Taubenschlägen“. Immer wieder schiebt jemand, meistens sind es ältere Frauen, die hohe Leiter an „ihre“ Grabnische, die sie mit frischen Blumen schmückt oder die nicht verblühenden Plastikblumen zurecht rückt, die Marmorplatte säubert und das eingelassene Foto des Verstorbenen poliert.
So viele Gräber von lieben Angehörigen, die nicht mehr unter den Lebenden sind...



Am Eingang zum neuen Teil des Friedhofs, den Corte dei Quattro Evangelisti, wachen zwei Löwen, die Grünflächen laden dazu ein, ein wenig länger bei den Verstorben zu verweilen – auch bambini mit ihren Familien haben da ihren Platz.



Der Architekt David Chipperfield plante vier unterschiedlich große Höfe, die als Ganzes eine schöne Einheit bilden. Die schmalen Durchgänge von Hof zu Hof sollen die Gassen zu den Campi Venedigs andeuten. Die vier Bereiche des Corte dei Quattro Evangelisti sind, wie der Name schon ahnen lässt, nach den vier Evangelist benannt und mit tröstlichen Zitaten aus den jeweiligen Evangelien geschmückt.



Aus dieser Abgeschiedenheit zurück zum Bootsanleger und in einem rappelvollen Vaporetto zusammen mit den vielen Ausflüglern die Rückfahrt in die Stadt angetreten. Von den Fondamenta nuove lohnt ein kleiner Umweg zur Kirche S. Maria dei Miracoli, die vielleicht noch geöffnet ist an diesem späten Sonntagnachmittag.


Dieses wunderschöne Kleinod der Renaissance ist eines der wenigen freistehenden (Kirchen)-Gebäuden Venedigs. Fast alle sind miteinander verbunden, aneinander gebaut, auch die Kirchen. S. Maria dei Miracoli gilt als Meisterwerk des Pietro Lombardo. Der längliche Bau mit seiner feinen Fassade, mit verschiedenfarbenem Marmor verkleidet, liegt besonders schön am gleichnamigen Campiello, umflossen von kleinen Kanälen.


Das einschiffige Innere der Kirche ist mit einem Tonnengewölbe ausgestattet. Das Licht fällt jetzt am späten Nachmittag schräg durch die Fenster und beleuchtet die Chorschranken, zu denen man über etliche Stufen (roter Teppich: betreten verboten!) hochsteigen muss.


Hier tummeln sich „spielende Kinder“, rankt sich Blätterwerk um Vasen und ringeln sich Fischschwänze von Fabelwesen. Alles scheint in Bewegung, hin zur Ikone mit dem Bild der Gottesmutter Maria hoch über dem Altar. Und wir können gut dieser Bewegung nachspüren.


Tagesabschluß folgt morgen.



 
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VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für die weitere Fortsetzung des "Sonntag-Insel-Hoppings" mit den wirklich schönen Bildern

Gerne bin ich mitgegangen/mitgefahren
 
Liebe Pasquetta,

auch mir gefallen dein Rundgang durch Venedig und die Inseltour sehr. Mein letzter Venedigurlaub liegt erst wenige Tage zurück, aber es wird absolut nicht langweilig:).

Die Lagunenstadt hat soviele Facetten und so viel zu bieten, dass es nicht sehr erstaunt, dass eure Wege häufig ganz andere als unsere waren.

Ich freue mich auf mehr.

Gruß
gengarde
 
Vielen Dank Pasquetta. Leider habe ich augenblicklich nur Zeit Deine Schilderungen und Fotos zu überfliegen. Appetit habe ich auf jeden Fall geholt und der will noch gestillt werden.

LG Ludovico
 
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