Bericht: This is England

Aurelia

Aedilis
Stammrömer
Südengland 13.07.2006 – 19.07.2006

Donnerstag:

Meinen Flug hatte ich mir ganz ungewöhnlicherweise auf 22.10h gelegt. Mehr eine Not als eine Tugend, ich gebe zu, einfach zu spät gebucht zu haben…na ja…auf die Art und Weise konnte mein Freund gleich von der Arbeit zum Flughafen kommen und sich eine Fahrt mehr auf der M25 sparen. Ein komisches Gefühl, den Tag zu Hause zu sein, mit der Gewissheit: heut abend noch nach London zu kommen! Manchmal kann ich so Sachen selbst noch nicht ganz glauben, so ein JetSet Leben von null auf nichts*lach. Ich konnte mich tagsüber auch ziemlich gut beschäftigen, meine Koffer hatte ich ja wie immer schon wieder vor Wochen gepackt. Ich gönnte mir in der sengenden Hitze noch ein Bad und dann ging´s auf zum Bus. Um die Odysee abzukürzen; der Bus fiel aus, der nächste war überfüllt (und mit was für Leuten!), die S-Bahn voll mit giggelnden Tussen und mir rinn der Schweiß.
Um 20Uhr war ich dann im Terminal 2 und sah die nächste Hiobsbotschaft. Mein Flug verspätete sich auf 23Uhr, suuuper. So sehr ich den Flughafen und seinen McDonalds auch liebe, 3 Zeitstunden dort machten mir nun doch etwas Angst. Trotzdem ging ich zum wie immer ausgestorbenen British Airways Schalter und wollte wenigstens mein Gepäck loswerden, eingecheckt hatte ich bereits online. Die große Überraschung folgte:

Sie: „Sie können auch noch mit der früheren Maschine mit!“
Ich: „Hmm…“
Sie: „Ihr Flug kommt frühestens um 23h, der frühere Flug ist zwar auch verspätet aber immer noch früher“
Ich: „Hmm…wie viel Zeit hätte ich dann denn noch?“
Sie: „Ne Stunde, also keine Eile“
Ich: „ Ja…hmmm…ich muß mich wohl entscheiden…hmm…gibt es denn noch einen Fensterplatz?“
Sie (erstaunt): „Ja, gibt es noch“
Ich: „Hmmm….ok…ja…ich nehm dann den früheren“

Ich glaube die Dame hatte noch nie jemanden über eine an sich frohe Botschaft solange grübeln sehen! Und wisst ihr welche dumme Idee mir die ganze Zeit durch das Hirn sauste!? „Wenn nun die erste Maschine abstürzt! Oder die andere!! Entgehe ich nun meinem Schicksal oder renne ich mitten rein?“. Ich gebe zu, ich schaue mir wohl definitiv zu viele Filme an*lach. Nun war meine Gammelzeit im Terminal plötzlich geschrumpft; ich informierte meinen verdatterten Freund per SMS, rief zu Hause an, rauchte noch mal auf deutschem Boden und auf ging´s. Bei allen Checks, allen Kontrollen, viel mir eine neue Marotte des Frankfurter Personals auf. „Yes, Ma´am! Course Ma´am! Next please Ma´am“…NERV…erstens klingt das hier total deplaziert und zweitens; was habe ich denn nun so un-deutsches an mir? Höhepunkt war als ich mit meinem Perso in der Hand kontrolliert und trotzdem weiterhin mit Englisch bombardiert wurde. Naja…zu kontrollieren gab es wenigstens nicht viel bei Flip-Flops und Rock.

In der leeren Wartelounge schaute ich mir meine Mitflieger an, krallte mir gratis Zeitungen in der Gewissheit sie eh nie zu lesen. Das Boarding begann, der Flieger hieß „Pride of the Nation“. Yes, I know what I am, thanks a lot ;-). Die Crew war mal wieder erstaunlich alt und ich saß wieder auf der linken Seite. Bad luck, also wieder nichts mit nächtlicher Sicht auf London. Vor mir befand sich die Businessclass mit ihrem neckischen Trennvorhang, neben mir ein Sudoku besessener Engländer. Der Pilot entschuldigte sich zu spät aus Paris angekommen zu sein und hoffte auf schnelle Startfreigabe.

Gegen 21.50h hoben wir dann nach kompletter Rundfahrt quer übers Gelände endlich ab. Sehr unspektakulär, dabei freu ich mich auf den Start doch immer am meisten! Während des Flugs gab es ein Chicken-Sweetcorn Sandwich und eine kleine Portion Strawberry Trifle, dazu ein Becher Tee. Hier an Bord war es wenigstens kühl genug diesen ohne Schweißausbruch zu sich nehmen zu können. Ich schwor mir ab sofort nur noch Alkohol zu trinken. Ich bekam einen Becher und die anderen!? Kleine Fläschen Wein, 2 Smirnoff Flachmänner und ne Dose Schweppes, etc…ungerecht! Aber es wurde diesmal erstaunlich wenig Tomatensaft konsumiert.

Im dämmrigen Landeanflug sah ich Windsor Castle, besser als gar nichts. Ich missachtete die Bitte „to resist the temptation to switch on the mobile phone before we arrive our final parking position“ und freute mich als ich wieder bei T-Mobile UK eingeloggt war. Wir mussten über die Gangway in einen Bus und es war tatsächlich kühl draußen. Jubel, ich war der Bullenhitze entgangen! Was würde ich damit daheim angeben können…Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, siehe den weiteren Verlauf der Reise.

Meine Reisetasche war die 3. die ausgespuckt wurde, mein Freund wartete schon und auf ging´s ins Parkhaus, ins Auto und auf den Weg durch Guildford und andere Orte. Langsam wurde ich müde…“zu Hause“ angekommen, begrüßte ich den Kater der sich sofort durch mein Gepäck wühlte, trank einen Tee, verteilte Mitbringsel (Whiskey ;) )und packte meine Geschenke aus. Nach Mitternacht ging ich ins Bett und während ich noch zufrieden über den guten Verlauf des abends staunte, schlief ich ein…
 
AW: This is England

Hallo Aurelia,

das ist ja wieder sehr vielversprechend - ich bin schon gespannt, was noch kommt. Zumindest Dein Flug scheint ja deutlich entspannter gewesen zu sein als der von Asterixinchen nach Paris ;)

Herzlichen Gruß
Sven
 
AW: This is England

Hallo und Moin, Moin Aurelia!

Erst jetzt schon einmal vielen Dank für den Anfang Deines Berichtes - bin echt schon gespannt - zwischen den Zeilen kündigt sich ja noch so einiges an ....................


Gruß - Asterixinchen :)
 
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Freitag:

Recht früh war ich wach und fit, der Kater hatte die Nacht über sein neuestes Kunststück präsentiert – Nachttischschublade öffnen und sich reinsetzen! So lange es ihm Spaß macht*lach. Nach dem Frühstück packte ich meine sieben Sachen in meine Handtasche um, wurde noch zum Bahnhof gebracht und wartete auf die Bahn nach Brighton. Mein Freund hatte vormittags zu arbeiten, also gehörte dieser Shoppingtag ganz und gar mir alleine! Da ich sowieso am liebsten alleine losziehe, war mir das ganz recht.
Am Gleis war es noch recht frisch und ich genoß die frische Luft.Der Southern Service bis Three Bridges war ausnahmsweise mal pünktlich und das Umsteigen dort Richtung Brighton verlief im fliegenden Wechsel. Schnell sah ich die vertrauten Häuserreihen bei denen kein Gebäude vom anderen zu unterscheiden ist vor dem Fenster auftauchen.

Welcome to Brighton! Schön wieder hier zu sein, die Straße herunter in die Innenstadt, das Meer schon in der Ferne glitzernd. Es ging ein leichtes Lüftchen, die Sonne schien, die Möwen kreischten, einfach herrlich. Ich verschone meine geneigte Leserschaft nun mit einer zu detailierten Schilderung meiner Shoppingexzesse, nur die entschlackte Form. Mit Pfundnoten von der Barclay Bank eingedeckt, ging´s erst in mein Billig-Shopping-Traumland Primark. Alles günstiger als H&M oder C&A und viel cooler. Als ich nach ner Dreiviertelstunde wieder raus kam, hatte ich schon 4 Paar FlipFlops, ein paar Bast-Pailetten-Keilabsatz-Dinger, Unterwäsche, ein paar Klamotten, Modeschmuck und zwei Paar St.Georges Cross Fußballsocken im Sonderangebot im Schlepptau.
Auf meinem Weg zur Seafront runter offenbarten sich mir wieder Rückansichten und Hinterhöfe die einem halbwegs zivilisiertem Menschen das kalte Grausen entlocken. Aber ich bin an Dreckecken hier wohl mittlerweile gewöhnt und konnte es gar nicht erwarten endlich wieder meinen heißgeliebten Kiesstrand unter den Füßen zu haben. Dies war nun mein erstes Mal in Brighton zur Sommerzeit. Anders sah es hier aus; hippiemäßige KrimsKrams Stände flankierten die Promenade, Sportler machten ihre Boote fertig, vereinzelt rannten Wagemutige in die Fluten und in den Cafés wurde absonderliches und weniger absonderliches serviert. Ich lies mich inmitten der Steine nieder und erlebte mal wieder einen der Momente, die so nah dran an der totalen Glückseeligkeit sind, daß es einem schon fast Angst macht. Für andere vielleicht nicht ganz nachvollziehbar aber Brighton ist so was wie mein England Symbol. Bei meiner ersten Reise mit dem Englisch LK vor bald 6 Jahren kam ich zum ersten Mal hierher…nur weil ich mich damals in das Land verliebte, habe ich meinen Freund kennengelernt etc…
Ich schaute den Daddys mit ihren plantschenden Kleinen zu, hörte entfernte Bongotrommeln von der Promenade und telefonierte mal kurz mit zu Hause um etwas Meeresrauschen einzufangen und nach Deutschland zu schicken. Nach einer guten halben Stunde machte ich mich wieder auf Richtung Innenstadt, da ich so ganz ohne Kopfbedeckung doch nicht zu lange in der prallen Sonne bleiben wollte. Diesmal hatte ich noch nicht mal Steine eingepackt, so langsam verwandelt sich mein hemisches Bad nämlich in eine Meereslandschaft*lach.

Ich schlenderte durch die tollen, verwinkelten Lanes, ging in die Bond Street in den North Laines zu den coolsten und abgefahrensten Läden die in San Francisco auch nicht hipper sein würden als hier. Eine Straßenmusikerin sang, ein Händler versuchte Seifenblasenmaschinen an den Mann zu bringen und die Atmosphäre stimmte ein weiteres Mal. Ich bummelte durch Paperchase (Papierwaren), Laura Ashley (auf der Suche nach tollen Kleiderhaken für mein Schlafzimmer), Velvet (in diesem genialen pinken Kitsch-Tempel fand ich dann Haken aller Arten), schaute mal hier und mal dort und gönnte mir bei Starbucks im Buchladen am Churchill Square wieder meinen obligatorischen Café Latte. Komisch, wie sich selbst an Urlaubsorten an die man öfter zurückkehrt eine Handlungsroutine einstellt. Hier konnten sich meine Füße eine kleine Verschnaufspause gönnen und ich meine Tüten und Gedanken ordnen. Ich streifte hier noch etwas durch die Regale mit einer wirklich großen Auswahl und angenehmer Klimaanlage.
Das Shoppingcenter gefällt mir hier sogar, obwohl ich eigentlich eine Aversion gegen diese Art von stilloser Suchtbefriedigung habe. Alles an einem Ort enttäuscht mich, ich will laufen, denken, schauen, einkreisen und dann meine Beute fassen*lach. Bei Accesorize erstand ich Dank des schon begonnenen SSV Ohrringe, Handyanhänger, Handtasche und Geldbörse zum halben Preis. Die Tasche wurde natürlich falsch eingescannt so das ich gleich schon wieder rein und stornieren durfte, manche Dinge sind eben in jedem Land dieser Erde gleich! Weiter zu Habitat (der edleren Stadtversion von IKEA), Clarks (Schuhe), Debenhams (Kaufhaus), etc….Spaß hatte ich eine ganze Menge, einen Badeanzug jedoch immer noch nicht gefunden und, wie ich irgendwie auch feststellte, nichts gegessen!

Das hielt mich trotzdem nicht davor ab Marks & Spencer zu durchwühlen, mir fast ein Sommerkleid zu kaufen, bei Waterstones noch mal meine Ladung aktueller Taschenbücher (buy 2 get 3) zu bunkern und eine Auswahl von Mark Ravenhills Skandaldramen. Finally schlenderte ich noch durch die Riesendrogeriekette Boots und kaufte eine giftgrüne Flasche Cola, einen kleinen Rüblikuchen und ein Chicken-Pesto Wrap für die Heimfahrt. Meine Flip Flops trugen mich wacker bergauf zurück zum Bahnhof und schon kurze Zeit später saß ich wieder im Zug retour, umringt von einer Gruppe Österreichern und einem kleinen Jungen im Buggy der jetzt schon im Flirten ein ganz großer war. In englischen Zügen gibt es ja oft Dreiersitzplätze, ähnlich wie im Flugzeug. Dadurch sind die Gänge so eng, dass ich mit meinen Einkaufstaschen regelmäßig hängen bleibe, peinlich.
Im letzten Stück wurde es dann unangenehm voll, da nun auch die London Pendler Feierabend hatten. Ich stand im Weg und neben mir schrien sich zwei kleine Jungs die Seele aus dem Leib. Während ich noch grübelte ob ich vielleicht doch keine Kinder haben will, war ich schon wieder in Billingshurst zurück und wurde mit dem Lieferwagen abgeholt. Hatte schließlich angekündigt einige Taschen zu haben*grins.

Nach einer Dusche war ich dann wieder ein Mensch und dazu noch im Freudentaumel und führte jede einzelne meiner neuen Errungenschaften vor als ob ich 3 wäre. Meine Bei ebay ergatterte Prada Tasche war auch geschickt worden, so dass ich mich am liebsten mit all meinen Schätzen ins Bett gelegt hätte. Es gab was englisches zu Essen das sich des Hungers wegen auch gut vertilgen ließ und dazu, man höre und staune, eine Flasche Moet! Zusammen mit dem genialen Ben &Jerry „Peace of Cake“ Eis stand einem beschwingten Abend nichts mehr im Wege. Ich musste schließlich endlich auch mal „Fluch der Karibik“ schauen damit ich Teil 2 verstehen würde…joa, kann den Hype um den Film nicht verstehen, aber mit Champagner ging´s …
 
AW: This is England

Hallo aurelia,
wieder top erzählt, dein Bericht :thumbup: .
...wie amüsant es sein kann, eigentlich eher unspektakuläre Erlebnisse berichtet zu bekommen. Das feeling bringst du wirklich super rüber.

Wo bleibt die Fortsetzung? ;)

fragt erwartungsvoll wartend gengarde
 
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Samstag:

Von wegen Dauerregen in England; wieder wurde ich von einer strahlenden Sonne und einem hellwachen Kater geweckt. Beim Frühstück beschlossen wir uns heute in Richtung einer der vielzähligen Burgen oder Schlösser aufzumachen. Nach meinem exzessiven Shoppingtrip stand mir wieder der Sinn nach Historie, Kultur und Natur. Das Auto wurde aus der Garage geholt und auf ging es Richtung Osten mit dem Ziel Bodium Castle.

Auf der Wegstrecke entschieden wir uns ins benachbarte Tenterden zu fahren, um von dort aus mit einer alten Dampflock nach Bodium zu gelangen. Gedacht getan, wir schlängelten uns durch die vielen geschwungenen Landstraßen und ich kühlte mir die Füße an der Klimaanlage…wir erreichten den kleinen Bahnhof, lösten ein Hin- und Rückfahrticket für die 3. Klasse und schlenderten noch etwas über den Bahnsteig bis wir auch schon von weitem die Lock antuckern hörten. Ich bin ja eigentlich kein Bahnveteran, aber hier gefiel mir diese Atmosphäre von Nostalgie und Familienausflug. Noch schien die Sonne angenehm, die Menschheit war gut gelaunt und wir hatten einen Vierer im Zug für uns.
Ich beobachtete außen noch einen Herrn der den schönen Tag nutzte um einen graugestrichenen Holzwagen grau zu streichen und so gaaanz langsam setzten wir uns in Bewegung. Schon wenige Meter später kam es bereits zu einer kleinen Zwangspause, da ein Stück des Bahndamms Feuer gefangen hatte. Kein Wunder bei den Rußstückchen die ohne Unterlass zum offenen Fenster herein geweht wurden. Die Fahrt führte in 45 Minuten an 2-3 kleinen Bahnhöfen vorbei und bot ein weiteres Mal beruhigend idyllische Ausblicke auf die südenglische Landschaft. So langsam wurde die Nähe zu Kent auch deutlich, da man die ersten typischen Häuser (sind es Getreidesilos?) mit diesen weißen Spitzen auf dem Dach sah.
In Bodium waren es noch 10 Minuten Fußweg hin zur Burg.

Ohne jetzt das Wissen aus meinem Burgführer abzuschreiben und wiederzukäuen; Bodium ist nur noch eine Ruine aber immer noch die angeblich drittschönste Burg Englands. Auf einer Anhöhe gelegen, von einem Wassergraben umgeben, thronen die malerischen symmetrischen Grundmauern. Halt, der clevere Leser wird nun vielleicht gestockt haben…Anhöhe? Wassergraben? Ja, das ist eine „Besonderheit“ von Bodium und die Bewohner im Laufe der Geschichte können wohl froh sein, dass sie nie wirklichen Angriffen ausgesetzt waren. Ein paar Bagger bzw. eine Handvoll tüchtige Sklaven und huiiiii, wäre das ganze Wasser innerhalb von Minuten den Hügel hinunter geflossen. Ich gebe zu, mir ist diese klitzekleine Unzulänglichkeit auch nicht aufgefallen, aber mein logisches Denken glänzt meist auch mit Abwesenheit.

Nachdem der Eintritt entrichtet wurde und wir angeboten bekamen dem National Trust beizutreten, ging es über die Brücke in die Burg. Innen ist nicht mehr viel erhalten. Zwei der 4 Ecktürme sind begehbar und wir kämpften uns einen hoch. Keine Freude für mich, eine Wendeltreppe mit immens hohen Stufen, Gegenverkehr und ich in FlipFlops. Es gehört schon etwas Kommunikationsfähigkeit dazu sich durch Rufen freie Bahn beim Abstieg zu verschaffen. Auf halber Höhe rastete eine alte Dame und ihr Mann brach zum weiteren Aufstieg auf mit den Worten: „ Wenn ich in 30Minuten nicht wieder da bin, sende bitte einen Suchtrupp aus“. Das kam so englisch trocken, daß es mich schon wieder amüsierte. Der Ausblick oben war sehr schön, und selbst von hier oben erkannte man noch die dicken Fische die sich im Graben tummelten.
Wieder unten erkundeten wir noch ein bisschen das begrenzte Areal, es gab auch einen kurzen Info-Film in einem der letzten noch erhaltenen Räumchen. Mein Freund ermunterte mich auch noch den Aufstieg auf den 2.Turm anzutreten, aber in der Hälfte kapitulierte ich. Der Aufstieg war laut Hinweis für ältere und gehbehinderte auch ungeeignet; ich bekannte mich freiwillig dazu und blieb auf dem Boden der Tatsachen. Mir war schon so warm geworden, dass ich tatsächlich die Hüllen fallen ließ und ärmellos auf ein wenig Bräune hoffte. So freizügig wäre ich daheim nie, aber Engländer laufen eh alle halb nackt rum egal wie sie gebaut sind und außerdem kennt mich dort ja eh niemand.

Wir umrundeten Bodium das mit etwas Abstand schon sehr pittoresk wirkt und gingen vorbei an den Horden von PickNicklern zum Café. Dort fand eine weitere Sternstunde auf meinem Weg hin zur Einbürgerung statt. Ich genoß den ersten echten Cream Tea meines Lebens!!! Zwar in der prallen Sonne aber egal. Zwei warme Scones, ein Kännchen Tee (aber ohne Milch), echte Cornish Clotted Cream und ein niedliches kleines Gläschen Strawberry Jam. Es machte mir sichtlich Spaß die dekadent-bescheuert Englische zu mimen doch danach war ich so gemästet, daß ich kaum noch papp sagen konnte. Die Einheimischen um mich herum schienen gegen diesen „Snack“ besser anzukommen.

Nachdem ich in einem weiteren wunderbar nach Lavendel-Potpourri duftenden Gift-Shop Postkarten erworben hatte, rollte ich zurück zum Bahnhof. Dort nahm die letzte Bahn des Tages uns mit und im Zug kritzelte ich schaukelnd Hieroglyphen auf meine Karten gesprenkelt mit Kohle und Ruß. Ein kleiner Junge verteilte wieder die Getränkekarten, ein älterer Herr verkaufte Getränke und ich begeisterte mich erneut an der Freude mit der in diesem Land ehrenamtlich gearbeitet wird. Ich schaute aus dem Fenster mit dieser typischen entspannten Trägheit die einen wohl immer nach einem sonnigen Ausflugstag überfällt.

Wieder im Auto hatte die Klimaanlage erstmal ganz schön zu tun und ich glaube wir fuhren an der Küste entlang zurück. Vielleicht auch nicht, wir sind in diesen Tagen immer in der ähmlichen Richtung unterwegs gewesen so dass mich mein Gehirn etwas verlässt. In Hastings trafen wir einen Verkehrsteilnehmer mit „OF“ Kennzeichen (also Ost Frankfurter ohne Führerschein, kleiner Kalauer am Rande). In Horsham kaufte ich bei Tesco noch die Zutaten für chinesische gebratene Nudeln, mich wieder lautstark über die große Auswahl an Fertigprodukten brüskierend. Rein aus Prinzip kaufte ich die ganzen Champignons und nicht die schon geschnittenen! Manchmal muß ich dann doch den Deutschen Oberlehrer raushängen lassen*lach. Ich kochte, wir aßen gemütlich zu abend und schauten uns zum Ausklang noch viel englischen TV-Blödsinn an, wie „Brainiac“ indem wieder unzählige Wohnwagen in die Luft flogen…
 
AW: This is England

Hallo und Moin, Moin Aurelia!

Wieder einmal: Vielen Dank für Deinen Bericht - ich lese ihn immer sehr gerne und freue mich noch auf viele Tagereportagen .......


Gruß - Asterixinchen :)
 
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Lobt mich nicht soviel, es fehlen noch 4 Tage England, 2 Tage München und in 2 Wochen dann 8 Tage Madeira...ich glaube ich eifere schon Bill Bryson nach, meinem Gott der Reisebeschreibung :)
 
AW: This is England

Sonntag:

Ein weiterer sonniger Tag, an dem sich die Temperaturen weiter nach oben hin bewegen würden, kündigte sich an. Mir war nach klassischem Sonntagsprogramm, auch wenn wir das samstags ja praktisch schon vorweg genommen hatten. Also fuhren wir erneut in östliche Richtung und schauten uns „Nyman´s Garden“ an. Auch hier wieder der unvermeidliche Hinweis am Eingang auf die Mitgliedschaft im National Trust. Innen wandelte ich in meinem Hippie Outfit (es ist Urlaub, also war ich in einer Wallerock-Paillettentop-Paillettentrompetenärmelbolerojäckchen-FlipFlop-Kombi unterwegs, nur die Sonnenbrille war leider nicht kreisrund sondern italienisch eckig-arrogant).

Hier ließ sich die Sonne aushalten; wir spazierten über Wiesen mit Kuhfladen, und durch lauschige zugewachsene Winkel. Irgendwann wurde ich dann sogar ganz mutig und ging barfuss! Hier vermutete ich schließlich mal keine Glasscherben und das musste ausgenutzt werden. Unserem Plan folgend, gingen wir in den Wild Garden auf der gegenüberliegenden Seite. Nicht viele schienen sich in dieses Waldstück zu verirren aber wir kämpften uns tapfer durchs Unterholz. Auf einer Bank machten wir Pause um den Flüssigkeitshaushalt wieder aufzufüllen und den Sonnenschutz zu erneuern. Was für ein Wetter in England! Wieder im eigentlichen Garten schlenderten wir durch üppig bepflanzte Beete und ich versuchte mich bei den Blüten mal wieder als ahnungsloser Hobbyphotograph. Die Anlage erinnerte mich hier teilweise sehr stark an das Opernhaus in Glyndebourne, dass ich zwar auch (bis jetzt  !) nur von Bildern her kenne aber egal. Irgendwo war wohl auch eine Tanztee Veranstaltung den dezenten Swingtönen a la Fred Astaire die in der heißen Luft lagen nach zu folgern. In der kleinen Ausstellung über die Geschichte der Anlage dann die Überraschung. Gegründet von einem Ludwig Messel aus Darmstadt! Den Hessen kann man aber auch nicht entfliehen!

Beim Verlassen hatten wir nun einen folgenschweren Schritt geplant; wir würden in den National Trust eintreten! Der ältere Herr freute sich sichtlich, wir mussten warten da im selben Moment ein regelrechter Mitgliedergewinnungsboom stattfand. Eine Gruppe Harley Davidson Fahrer füllten die Formulare aus und bestätigten mal wieder, dass man doch nicht immer nach Vorurteilen gehen sollte. Nach einer Weile in der ich die Situation schon zunehmend als unterhaltsam-skurril wahrnahm, gesellte der Herr sich dann zu uns: Das Prozedere begann. Ein deutsches Mitglied! Unglaublich…was für ein Buchstabe verbirgt sich denn unter einem ß? Faszination pur für ihn. Die Spitze war als ich danach gefragt wurde ob ich nun Miss oder Mrs sei. Als pseudo-emanzipierte Deutsche bin ich natürlich Mrs da für mich der Titel des Fräuleins quasi nicht existent ist. Ich glaube das wird der Gute nie mehr vergessen…in Deutschland kommt man als Mrs auf die Welt!!! Unglaublich…im Innern dachte er bestimmt, dass der allgemeine Sittenverfall auf dem Kontinent doch noch schlimmer sein muß als auf der Insel. Irgendwann waren die langen Formulare dann ausgefüllt, wir bekamen die Startersets überreicht und wir wurden wieder in die Freiheit entlassen. Ein komisches Gefühl sage ich nur; während der Zeremonie dachte ich zeitweise hier meine Einbürgerungsurkunden zu unterzeichen oder in einer Wedding Chapel in Las Vegas zu sitzen. Diesen Schritt hin zum englisch werden, musste ich erstmal setzen lassen*grins.

Weiter fuhren wir zu den Windmühlen Jack und Jill. Der schwarze Jack scheint bewohnt zu sein, aber die weiße Jill kann man wohl jedes Wochenende besichtigen. Muß sagen, dass ich mich noch nie wissentlich für Windmühlen interessiert habe, aber sonntags und im Urlaub wird man in der Hinsicht ja meist toleranter.
Als erstes lauschten wir zusammen mit einer dreiköpfigen Familie den einführenden Worten des ersten Guides der auf der immens steilen Treppe zum Eingang saß. Das besondere ist, daß sich hier nicht nur der Kopf der Mühle sondern das ganze Gebäude in den Wind dreht. Kurz darauf stiegen wir in den Hauptraum, ganz schön steil ging es hinauf und mir wurde nicht ganz wohl als ich an den Abstieg später denken mußte in FlipFlops. Innen wurden wir von Herrn Nr.2 freundlich in Empfang genommen und bekamen etwas von der Funktionsweise der Mühle erzählt; Jill ist immer noch aktiv und bei geeignetem Wetter wird eigenes Mehl gemahlen, daß nun jedoch leider schon ausverkauft war. Über eine Art Hühnerleiter ging es dann in Ebene Nr.2 und zu Guide Nr.3. Hier schloß sich dann der Kreis der Informationen und ich muß sagen, ich fand es richtig interessant. Nervig war nur eine etwas primitive englische Familie die auch schon raufgeklettert war und alles antatschen mußte und mit ihren ungezogenen Kindern Unruhe verbreitete. In Ebene 3 angelangt, gab es einen weiteren Blick durchs Fenster auf die wunderbare südenglische Landschaft und es folgte der spaßigste Part. Der Almabtrieb…rückwärts tastete ich mich Stüfchen für Stüfchen hinunter, kämpfte mit meinem Wallerock der sich gerne auf den oberen Stufen abgelegt hätte und war ganz froh meinen Freund hinter mir zu haben. Die netten Herren passten aber super auf, daß jeder vorsichtig war und nicht gehetzt wurde. Auch die letzte Hürde, die große Freitreppe konnte ich leicht schräg und fest am Geländer flott hinabsteigen. Mein Freund war derweil schon ins Gespräch mit Guide Nr.1 vertieft, das sind Kavaliere, grrr…
Und damit zum vielleicht augenfälligsten Eindruck dieses Nachmittags. Alle 3 Herren waren mindestens über 70 Jahre alt, sie wanderten die Stufen auf und ab wie junge Götter, verstanden es informativ und freundlich zu sein und dies alles kostenlos! Diese Euphorie war einfach mal wieder rührend und beeindruckend. Zum Glück schienen viele Besucher dieses Engagement schätzen zu wissen denn die Spendenbüchse schien ziemlich voll zu sein. Guide Nr.1 versuchte auch gleich meinen Freund als freiwilligen Helfer zu rekrutieren…ich fände das gut; hieße Gratis Mehl aus echter Handarbeit. Im kleinen Laden im Fuße wurden wohl von den Ehefrauen der Herren selbstgebackene Kuchen und Andenken verkauft.

Zufrieden ging´s zurück zum Auto, diese kleinen Erlebnisse sind es die für mich England immer wieder so liebenswert machen.
Der Abend klang dann gemütlich mit italienischer Pasta, viel Eis und einem langen Spaziergang ums Ort im Sonnenuntergang aus. Spät abends gab es dann die zweite Flasche Moet und wir durchforsteten die aufgekaufte Plattensammlung eines Freundes. Cool was man dort so alles fand! Ich sang allen möglichen Quatsch an und zusammen mit dem Alkohol ging ich dann ziemlich angeheitert in die Federn…
 
AW: This is England

Hallo und Moin, Moin Aurelia!


Ha, ein schöner Sonntagmorgen - denn er beginnt mit dem Lesen Deines Tagesberichtes - DANKE !!!
Ich hoffe doch sehr, dass es bald weitergeht - denn ich lese Deine Berichte wirklich gerne !!!


Gruß - Asterixinchen :)
 
AW: This is England

Habe gerade mal eben alle Episoden hintereinander weg "verschlungen"! Ich kann gar nicht genau sagen, was es ist, aber da ist irgendwas, was eine gewisse Sucht nach diesen Berichten auslöst... Man könnte lesen, lesen, lesen.

Aurelia, such Dir doch einfach einen Verleger und veröffentliche Deine Storys! Dagegen ist Bill Bryson ähnlich amüsant wie Johannes-Mario Simmel.

Das macht richtig Spaß!

Liebe Grüße

Ingo
 
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