Roma – una lettera d’amore

heinzbeck62

Primus Pilus
Stammrömer
Roma – una lettera d’amore


Geliebte Stadt,

so lange waren wir getrennt, viele Wochen und Monate – eine zu lange Zeit, in der mich das Verlangen nach Dir fast erdrückte, mir den Atem nahm. Ich habe die Tage gezählt, manchmal auch die Stunden, habe in Gedanken eine Strichliste geführt wie ein Gefangener, um mich nicht zu verlieren. Jeder Strich brachte mich Dir näher, geliebtes Rom. Stumm forme ich Deinen Namen, wie eine geheime, uralte Formel, die man nur laut aussprechen müsste, um … Nein, ich werde es nicht tun. Werde es nicht tun, weil ich nicht möchte, dass jemand Deinen Namen hört. Es wäre, als ob ich ein Geheimnis zwischen uns verraten würde. So bleibe ich still, zähle die Tage und denke Deinen Namen, versuche meine Sehnsucht zu kontrollieren.

Geliebte, heute Abend hat das Warten, das endlose Warten ein Ende. Heute Abend werde ich in ein Flugzeug steigen, werde meine Sehnsucht hinter mir lassen und die Stunden genießen, in denen die Entfernung zwischen uns Minute für Minute zerfließt. Stumm forme ich Deinen Namen, aber nun lächle ich dabei, aller Schmerz, alle Traurigkeit scheint abzufallen und der Vorfreude Platz zu machen. Hoch über den Wolken werde ich mit geschlossenen Augen bei Dir sein, lange bevor das Flugzeug gelandet sein wird. All meine Erinnerungen an Dich werde ich hervorholen, alle Gefühle noch einmal durchleben. Wenn ich bei Dir bin, möchte ich dort weitermachen, wo wir aufgehört haben, so als wäre ich nie fort gewesen.

Das Flugzeug landet sanft, beinahe als wollte es Dich streicheln, liebkosen, Dir nicht wehtun. Die Tür des Flugzeugs öffnet sich und eine warme Brise umspielt mich. Es ist wie eine flüchtige und doch zärtliche Umarmung. Ich bin angekommen – bei Dir, angekommen – in mir selbst. Ich spüre es ganz deutlich. Es ist wie ein Nach-Hause-Kommen. Ein inniges, intensives Gefühl, das ich nicht missen möchte.

Die erste Nacht. Du lässt mich kaum schlafen. So vieles möchtest Du mir zeigen, aber ich muss mich ausruhen, mich gedanklich ordnen, zur Ruhe kommen. Ich weiß, dafür hast Du Verständnis. Wenn ich zu Dir komme, bringe ich Zeit mit. Du möchtest langsam erforscht werden, gibst Deine Geheimnisse nur demjenigen preis, der Dich versteht oder es zumindest versucht. Ich werde mich bemühen, das weißt Du. Wie lange kennen wir uns jetzt schon? 15, 20 Jahre? Nein, es sind mittlerweile beinahe 30. Damals habe ich sofort gemerkt, dass Du meine große Liebe bist – il grande amore della mia vita. Aber es hat viele Jahre gebraucht, bis ich begriffen habe, wie Du erobert werden möchtest. Unsere Annäherung musste sich erst entwickeln. Wie dumm war ich doch, wie touristisch eng mein Blickfeld. Kannst Du mir das verzeihen? Ich kann es mir selbst nicht – es tut mir immer noch weh, wenn ich zurückdenke, zurückdenke an meine Versuche, Dich mit Reiseführer und Stadtplan systematisch zu ergründen. Wie dumm war ich doch – wie naiv zu denken, dass man Dich auf diese Art und Weise verstehen könnte. Es hat gedauert, doch mit einem Mal habe ich begriffen was Du meinst. Ab diesem Zeitpunkt erst hast Du mir Deine wirkliche Schönheit offenbart. Geliebtes Rom, dafür bin ich Dir zutiefst dankbar. Du konntest warten, weil Du genau wusstest, dass auch bei mir der Groschen fallen würde, irgendwann. Seitdem genießen wir unsere gegenseitige Liebe, unseren Respekt füreinander. Wenn ich morgen aufwache, werde ich mich geborgen und geliebt fühlen.

Ich erwache und könnte meine Freude hinausschreien. Kaum jemand würde es hören, kaum jemand würde sich gestört fühlen. Der lärmende Verkehr würde mich übertönen. Aber das stört mich nicht. Wie sollte es auch? Dieser Lärm ist ein Teil von Dir. Nicht der schönste, nicht der beste, aber er gehört zu Dir und damit ist es gut so. Der erste Tag bei Dir, ich kann es immer noch nicht glauben, nach dem langen Warten bin ich endlich wieder hier. Ich streife durch Deine Straßen und Gassen, spaziere über Deine Plätze, durch Deine Parks, schaue, beobachte. Es ist, als ob ich eine Bestandsaufnahme machen würde, als ob ich mich vergewissern möchte, dass alles noch so ist, als ich Dich das letzte Mal verlassen habe. Nein, es ist nicht alles so, Veränderungen haben stattgefunden, die Zeit ist nicht stehen geblieben. Das einzige Beständige ist die Veränderung. Und Du hast Dich in Deiner fast 3000jährigen Geschichte ständig verändert und bist doch Du selbst geblieben. Ob man Dich deshalb als die „Ewige Stadt“ bezeichnet? Du wirst geliebt und Du liebst diejenigen, die Dich lieben und Du offenbarst Dich Ihnen genau so, wie Du Dich den anderen verschließt. Wieso verstehen so viele nicht, dass man Dich nicht in drei Tagen kennen lernen kann? Wieso glauben so viele, dass eine oberflächliche Annäherung – wenn man überhaupt von Annährung sprechen kann -, dass eine oberflächliche Annäherung genügt, um sagen zu können: „Ich kenne Rom!“. Ich war einer von denjenigen – kannst Du Dich erinnern? Heute schüttle ich über mich selbst den Kopf.

Weißt Du, welchen Platz ich am liebsten habe? Diese Frage habe ich mir schon so oft gestellt – aber ich habe keine Antwort darauf. Du machst es einem aber auch nicht leicht. Jeder Winkel, jedes noch so kleine Gässchen, jeder Platz birgt so viel Schönes, so viel Unerwartetes. Man muss es nur entdecken. Ja, Du möchtest entdeckt werden. Neugierige Blicke stören Dich nicht, im Gegenteil. Oft gehe ich einfach los - ohne bestimmtes Ziel – aber mit offenen Augen. Sie haben die meiste Arbeit, wenn ich mit Dir zusammen bin. Sie sind ständig in Bewegung, mehr als meine Füße. Sie sehen, registrieren, bewundern, wägen ab. Vielleicht kommt daher auch der Ausspruch „Sich mit den Augen satt sehen“.

Gerne ruhe mich auf einer Deiner vielen Piazze aus, setze mich auf eine Bank oder in ein Cafè. An diesen Knotenpunkten herrscht reges Treiben. Das Schauen hat hier eine andere Bedeutung. Ich suche nicht nach baulichen Schönheiten, nicht nach antiken Überresten oder barocken Dekorationen, hier steht der Mensch im Mittelpunkt, in all seinen Funktionen: als Tourist, als Spaziergänger, als Künstler und Arbeitender, als Einheimischer oder Ausländer, manchmal hektisch und schnell, dann wieder gemütlich, laut und heftig agierend, aber auch ruhig, lachend, nervös – der Mensch in all seinen Facetten. Menschen prägen eine Stadt genauso wie ihre bauliche Beschaffenheit, deshalb ist es mehr als interessant hier zu sitzen.

Wenn ich bei Dir bin, lege ich meine Uhr ab und damit allen zeitlichen Druck, lebe in den Tag hinein, ohne irgendein Pensum, das ich zu erfüllen habe. Ich erwache, gehe los, esse, ruhe, trinke caffè, genieße – ohne Zwang. Die Zeit läuft hier sowieso anders als zu Hause. Das ist ein Teil Deiner Mentalität.

Geliebtes Rom, ich genieße all die Tage, die ich bei Dir sein darf. Du nimmst mich bei der Hand und zeigst mir verborgene Schätze, aber auch Vertrautes, schon oft Gesehenes. Nicht selten entdecke ich vertraute Dinge neu, betrachte sie aus einem anderen Blickwinkel. Auf diese Art und Weise wird es nie langweilig. Du verstehst es wie keine andere Stadt, Dich immer wieder neu zu präsentieren, so dass auch die Menschen, die hier ihre Heimat haben, Dich nie vollständig kennen lernen. So kann unsere Beziehung niemals zum Alltag, zu keiner Zeit gewöhnlich werden, da ich nie weiß, was mich als nächstes erwartet, welche Deiner vielen Seiten Du mir nun zeigst. Mit Dir werde ich keine Enttäuschung erleben und ich hoffe, dass Du das auch von mir sagen kannst. Ich gebe mein Bestes.

Heute nehmen wir Abschied. Es tut weh, Dich zu verlassen, aber noch geht es nicht anders. Jeder Abschied von Dir ist zugleich der Drang mit meiner innerlichen Strichliste anzufangen und zu Warten. Zu Warten auf unsere nächste Begegnung. Bis dahin bist Du ein Teil meiner Gedanken, mein über alles geliebtes Rom.

 
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AW: Roma – una lettera d’amore

Hallo Heinz,

eine wunderschöne, einfühlsame, ehrliche und sehr persönliche Liebeserklärung an Rom.
Ich glaube als Frau würde man sich freuen, einmal einen solchen Brief zu erhalten.;)

Gruß

Ernst
 
AW: Roma – una lettera d’amore

Ich könnte heulen, so schön war das geschrieben...du sprichst mir aus der Seele...

LG, Patty
 
du sprichst mir aus der seele! jetzt ist meine sehnsucht enldich wieder durch die straßen roms zu schlendern noch etwas größer geworden...vielen dank!
 
Danke für diesen schönen Bericht!
Hoff ich werde meine Gefühle über meine Romreisen auch mal in so schöne Worte kleiden können.
 
Habe ich jetzt erst entdeckt und meiner Frau vorgelesen. Ihr Kommentar: sowas hätte ich auch gerne :)

Ein Liebesbrief an eine Stadt - wie ungewöhnlich - wie ungewöhnlich schön.

Danke heinzbeck62!!!:thumbup::thumbup::thumbup:

Bramante - (der sich jetzt Gedanken darüber machen muss, seiner geliebten Ehefrau eine Freude zu machen)
 
... und so lese auch ich erst jetzt diesen Liebesbrief - und bin glücklich und berührt!

Paganus
 
Wunderschöne Worte, die uns alle einladen sie mit eigenen Erinnerungen zu illustrieren, mit eigenen Erlebnissen zu füllen, - DANKE!
 
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