Roma die Achte - ein mehr als persönlicher Reisebericht...

Fernweh-Ingo

Primus Pilus
Stammrömer
Ich habe lange überlegt, ob ich meine Gefühle während meines achten Romaufenthalts mit der Veröffentlichung über ein Internet-Forum derart "in die Welt streue". Es wird ein kurzer Bericht über eine andere, sehr aufwühlende und bewegende Rom-Reise. Sicherlich meine schwerste. Ich weiß nicht, ob ich hier bis zum Ende weiterschreiben werde, aber ich fange einfach mal an:

Prolog

Wie wird sie mich aufnehmen, wie wird sie mir gegenübertreten? Zügig rumpelnd kämpft sich der Leonardo-Express durch die dichter werdenden Randgebiete und Wohnareale. Es ist der Besuch bei einer Geliebten – einer Geliebten, die mich für immer an sich gefesselt hat und die mich süchtig nach ihr gemacht hat. Muratella, Magliana – ich nähere mich ihr unaufhaltsam. Wird sie mir zur Begrüßung ihr strahlendstes Lächeln schenken oder wird sie mich mit der Arroganz einer Diva links liegen lassen?

Termini. Zum achten Mal habe ich ein Rendezvous mit ihr. Meine irdische, große Liebe hat mich nach 15 Jahren verlassen – kann mir meine überirdische Geliebte über den Schmerz hinweghelfen? Wie viele Tränen habe ich in den letzten Monaten geweint, wie viele Nächte durchwacht? Kann ich mich an ihrer Grandezza, an ihrem Charisma, an ihrem Überlebenswillen und ihrer Standhaftigkeit aufrichten und mit ihr zusammen meinen eigenen Neubeginn einleiten?

Die kommenden drei Tage werden es zeigen. Ich bin nervös und aufgeregt zugleich. Das erste Mal besuche ich sie ganz allein. Ich will mit ihr alleine sein. Sie ist voll von Erinnerungen, die mich in den kommenden Tagen wie bösartige Geschwüre an glückliche Tage erinnern werden, aber sie ist auch voll von Unbekanntem, von versteckten Geheimnissen, die ich für mich zu entdecken hoffe.

„Buongiorno, principessa roma! – Da bin ich.“ Tief in mir bewegt mich ein nicht zu definierendes Gefühl. Sachlich betrachtet bin ich soeben auf dem Hauptbahnhof der italienischen Hauptstadt angekommen. Ich selbst spüre eine freudige Erregung, ähnlich dieser ebenso häufig wie kitschig zitierten „Schmetterlinge im Bauch“, in mir erklingt eine fanfarengleiche Sinfonie in jubilierenden Tönen – „Bella Roma“ ich habe Dich endlich, endlich wieder. Aber ich weiß schon jetzt, dieses Hochgefühl wird nicht lange anhalten, die Traurigkeit wird von mir Besitz ergreifen und sie wird versuchen, mir die Freude an dieser Reise zu nehmen.

[hotel]159[/hotel]Termini - Metro Linia A - ein erster Spaziergang durch die Straßen von Prati, das sind die Stationen auf meinem Weg zum Hotel Arcangelo in der Via Boezio. Das Haus ist angenehm, das kleine Zimmer raubt mir aber die Luft zum atmen und ich muss raus in die Freiheit, ich möchte "mein Rom" begrüßen. Aber ist es noch "mein Rom"? War es nicht immer auch "unser Rom"?

Das Castel S'Angelo kann ich noch ertragen, ebenso den Gang über die Ponte S'Angelo. Aber schon der Anblick der Dachterrasse unserer Ferienwohnung aus dem Jahr 2008 an der Piazza dell' oro treibt mir zum ersten Mal die Tränen in die Augen. Der gleiche Obdachlose liegt auf den Stufen von San Giovanni dei Fiorentini, die Erinnerungen fahren in meinem Kopf Achterbahn. Ich gehe die Via Giulia entlang, Regentropfen sorgen für eine skurille Mischung von Wasserarten unterschiedlicher Herkunft in meinem Gesicht. Eine davon schmeckt verdammt nach Salz. Bitteres Salz. Mir begegnet kaum ein Mensch an diesem Spätnachmittag im Januar. In der Kirche hinter dem Palazzo Farnese bin ich alleine mit meinen Gedanken. Ich entzünde zwei Kerzen und bewege in mir die Dinge, die ich mir wünsche. Den Namen dieser Kirche kann ich mir auch anschließend nicht merken (Santa Maria... de la morte...?!?). Wohl aber werde ich ewig daran denken, welche Gefühle mich in diesen Momenten durchdrangen.

Die Gegend um den Campo de fiori - 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 waren wir zusammen hier, das ist "unser Viertel". Die Via dei Giubbonari wirkt grau und traurig auf mich, der Largo dei Librari scheint seine Schönheit verloren zu haben.

"Jetzt reiss dich zusammen, du bist in Rom!" Ich treibe mich selbst an und bin nach einem kurzen Besuch in der Chiesa di Santa Brigida pünktlich um kurz vor 17.00 Uhr am Hauptportal des Palazzo Farnese. Hier habe ich eine Führung gebucht. Jetzt freue ich mich darauf, endlich diesen wunderschönen Palast einmal von innen bewundern zu dürfen. Die Freude wird nicht enttäuscht! Eine intime Besichtigung im kleinen Kreis, ein Rundgang durch den Garten, hinein durch die monumentalen Treppenaufgänge in die üppig und reich bebilderten Säle des Gebäudes der französischen Botschaft. Auf einer Empore decken fleißige Hände eine opulente Tafel für ein am Abend stattfindendes Galadinner. Schweres Tafelsilber, geschmackvolle Blumendekoration, feierliches Geschirr - die Bilder des bevorstehenden Ereignisses lassen sich in der Fantasie vortrefflich darstellen. Kopfkino.

Der Palast war der erwartete Höhepunkt. Nach einer Stunde strebe ich der Piazza Navona zu. Regen. Melancholie. Aber ich bin doch in Rom und nicht in Paris?! Irgendwie werde ich wie ferngesteuert von Kirchen angezogen. In der Santa Maria dell' Anima setze ich mich einen Moment und höre der deutschen Predigt zu. Mit dem Inhalt kann ich mich nicht identifizieren, er wirkt auf mich provozierend und polemisierend. Geschmacksache - ich empfinde es in diesem Moment aber so. Über die Via Governo Vecchio lasse ich mich treiben und lande irgendwann auf der anderen Tiberseite in der "Hostaria da Cesare", wo ich nun endlich, nach vielen Stunden, meinen Drang nach einem guten, römischen Essen und dem dazugehörigen Wein nachkommen werde. Schwertfisch-Carpaccio, Tagliorini in Scampicreme, Puntarelle-Salat, Pana Cotta - es ist schon so, kulinarische Genüsse können auch den Geist besänftigen und vorübergehend für ein wohliges Gefühl sorgen.

Nach dem Essen mache ich eine große Runde in Richtung Piazza San Pietro. Vor der Krippe halte ich inne, kämpfe wieder den Tränen. Und verliere. Was mache ich ALLEINE in Rom? Alles in mir schreit, die Ereignisse der letzten Monate branden wie eine Sturmflut durch meinen Kopf. So sehen Verlierer aus.

Vorbei an der Engelsburg und der kleinen, winterlichen Eisbahn, auf der wenige, junge Römer staksig ihre Bahnen drehen, führt mich mein Weg zurück zur Via Boezio.

Rom ist diesmal ein Stück Vergangenheitsbewältigung und ein Stück Zukunftsbeginn für mich. Ich weiß nur noch nicht, wohin das Pendel derzeit mehr ausschlägt. Meine Gedanken haben mich selbst erschlagen, sie können an diesem Abend zu keinem neuen Ziel führen. Ich bin leer und schlafe.
 
Moin - Moin Ingo!


Ich schreibe:

VIELEN DANK

für den Mut den Beginn Deines sehr persönlichen und sehr melancholischen Berichtes zu schreiben ...

... ich würde mich über eine Fortsetzung sehr freuen!


Gruß - Asterixinchen :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Merci!

Ich habe den Anfang Deines Berichts gelesen und denke, dass es nicht leicht für Dich ist, über eine so persönliche Romreise zu erzählen.
Aber ich möchte mich Asterixinchen anschließen und Dir sagen, dass auch ich gerne eine Fortsetzung lese.

Viele Grüße et bonne nuit
Claude
 
Auch ich möchte danke sagen für diese so sehr persönlichen Zeilen und Dir Mut machen, weiterzuschreiben, auch wenn es schwer fällt.

Vielleicht ist auch dies eine Art der Vergangenheitsbewältigung und Du kannst sicher sein, dass Du hier an der richtigen Stelle bist, um Deine Gedanken "in die Welt zu streuen"!

Liebe Grüße

Angela
 
Respekt für den Bericht! Dass es keine einfache Reise war, wird nach wenigen Sätzen klar. Dass es noch deutlich schwerer ist, dies in Worte zu fassen, versteht sich von selbst. Aber auch das kann, ebenso wie eine Reise, Bewältigung sein.

Un abbraccio,
Torsten
 
Auch ich finde Deinen "Bericht" aus Rom sehr schön - und kann Deine Gefühlen sehr gut nachvollziehen. Auch ich mußte (aber wolllte) auch meinen letzten Rom-Besuch allein verbringen. Und ich habe da durchaus auch Orte aufgesucht, die ich vorher zusammen mit meiner Frau kennengelernt habe - und andere, an denen ich sie zu gerne dabeigehabt hätte. Ich finde Rom bietet uns auch und gerade in solchen Lebenssituationen Möglichkeiten der Erinnerung und Besinnung - und das hilft !

meint

Friedrich
 
Vielen Dank ...

... auch von Schnucke für Deinen sehr besonderen Reisebericht,
lieber Ingo! Ich ziehe sämtliche Hüte vor Dir und Deinem Mut, vor
einem solch großen Publikum derart persönlich zu schreiben :thumbup::thumbup::thumbup:

Du wirst sehen, es kann durchaus hilfreich sein, sich seine Sorgen und Nöte von der Seele zu schreiben :nod:

Freue mich trotzdem auf die Fortsetzung - wenn auch mit einem
weinenden Auge :cry:

Schnucke wünscht Kopf hoch :thumbup: und gute Nacht !
 
Ein Bericht, der mitfühlen lässt, der deutlich macht, wie sich der Blick auf Bekanntes, Gewohntes mit der Stimmungs-, der Gefühlslage ändert.

Gutes Gelingen wünscht
Ludovico
 
Freitag, 29. Januar 2010

Die Nacht war überraschend ruhig und erholsam. Sonnenstrahlen und blauer Himmel versüßen den Start in den Tag gewaltig. Das Frühstück besteht aus den üblichen, italienischen „Buffet-Bestandteilen“ – Käse, Wurst, Marmalade, Eier, Brötchen, Cornetti, wenig Müsli und ein wenig Dosenobst. Eine ausreichende Energiequelle, um den Akku vollzuladen für einen programmreichen Rom-Tag.

Es tut mir gut, dass ich in einem für mich vollkommen neuen, unbekannten Stadtviertel mein Quartier genommen habe und so begleiten mich auf meinem ausführlichen Bummel durch den Stadtteil Prati weit mehr neue Eindrücke als alte Erinnerungen. Bis zur Höhe der Via delle Milizie führt mich mein Weg und ich genieße meine ganz persönlichen Beobachtungen; junge Leute, die wissbegierig in ihre Lerninstitute eilen, von den Erfahrungen des Lebens gezeichnete Senioren, die ohne Eile ihre Hunde spazieren führen oder Geschäftsleute, die zielstrebig einen Kaffee in einer Bar ansteuern. Ich lasse mich treiben. Hier ist Rom vollkommen frei von Touristen und ich habe das Gefühl, ein Stück weit in den Alltag und die unspektakuläre Seele der Stadt vorzudringen. Gedankenverloren trinke ich in einer gut frequentierten Bar einen göttlichen Cappuccino für 1 EURO – Kaffeegenuss und Kaffeekultur in Italien sind beinahe schon eine Art Sakrileg, das typische Verrühren des Zuckers in einer Espressotasse wird zu einer fast schon anmutigen, feierlichen Handlung. Ich liebe diese kurzen Abstecher in eine Bar und diese ganz besondere Stimmung, in der wildfremde Menschen für eine kurze Zeit die Freude am Genuss dieser herrlich duftenden, koffeinhaltigen Substanz eint. Über die Via Candia gelange ich fast bis nach Trionfale, die Piazza Santa Maria delle Grazie und ein kurzer Besuch in dem schlichten, neueren Gotteshaus begrenzen meinen Weg in westlicher Richtung. Die steilen Treppenstufen führen mich direkt auf die Viale Vaticano, wo ich entlang der imposanten vatikanischen Mauern und den teilweise hübsch geschmückten Vorgärten und Höfen der Ordenshäuser und Pensionen in Richtung des Haupteingangs der Vatikanischen Museen flaniere.

Für meine um 12.00 Uhr gebuchte Führung in deutscher Sprache ist es noch ein wenig zu früh und so sauge ich dankbar alle neuen Eindrücke der nie zuvor betretenen Straßen zwischen der Via Leone VI und der Via Ottaviano in mich auf. Es sind nicht immer die großen, spektakulären Dinge, die mich begeistern. Wie spannend ist zum Beispiel eine Autowerkstatt, die keinerlei eigene Garagenplätze hat, sondern die Fahrzeuge ihrer Kunden quasi „auf der Straße“ repariert? Oder ein kleiner Bilderrestaurator, der geschäftig seinem Tagwerk nachgeht, die herrschaftliche Dame mit der überdimensionierten Brille hinter der Ladentheke einer Antiquitätenhandlung? Mindestens so spannend wie die großen, römischen Sehenswürdigkeiten ist das einfache, unverfälschte Leben und „Leben lassen“ in dieser Stadt.

Vor den Vatikanischen Museen gibt es am heutigen Freitag nicht einmal den Ansatz einer Schlange. Schon kurz vor 11.30 Uhr passiere ich die Eingangskontrolle und warte darauf, am Schalter 15 meine Reservierungsbestätigung in eine entsprechende Eintrittskarte zu tauschen. Ich bin sehr erstaunt, dass sich um Punkt 12.00 Uhr lediglich drei weitere, deutschsprachige Interessenten zusammen mit mir und einer hervorragend deutsch sprechenden, etwa auf 60 Jahre geschätzten, überaus kundigen Begleiterin auf den Weg durch eines der faszinierendsten, größten und eindrucksvollsten Museen dieser Erde machen.

Eine Aufzählung der Kunstwerke aus den Schätzen des Vatikan erübrigt sich an dieser Stelle. Der Verstand kann nur schwer die Einzigartigkeit und die unglaubliche Schönheit des Gesehenen verarbeiten. Allein der Gang durch die zahlreichen Gallerien der Wandteppiche und Landkarten hält den Betrachter in Atem – die perspektivischen Wunderwerke der Kunstschaffenden verschiedener Epochen verblüffen einfach. Die Augen des dargestellten Christus verfolgen den Besucher auf jedem Schritt, die Perspektive der Bilder ändert sich, Relationen verschieben sich, ganze Anordnungen scheinen wie von Geisterhand ihren Platz zu verändern. Dem Auge werden derart außergewöhnliche Sensationen und Schönheiten dargeboten, dass das intellektuelle Verarbeitungsvermögen des Betrachters an seine natürlichen Grenzen stößt. Die Vollkommenheit der Laokoon-Gruppe, die Eleganz und Grazie der Stanzen des Raffael – die Vatikanischen Museen sind eine Wunderwelt, der ich bislang nur wegen der stets endlosen Warteschlangen aus dem Weg gegangen bin. In diesen Momenten bin ich einfach glücklich, diese Wunder erleben zu dürfen.

Fast zwei Stunden sind wir nun schon unterwegs, bevor sich der Rundgang seinem finalen Höhepunkt nähert. Die Sixtinische Kapelle ist zwar zu dieser Zeit gut besucht, es findet sich aber immer ein Plätzchen auf einer Bank, um die Details und die Anmut der Darstellungen von Michelangelo in Ruhe und Demut zu betrachten. Etwa eine halbe Stunde verweile ich, lasse mich von der Einzigartigkeit des Jüngsten Gerichts (…was hat dieser Mann hier zwischen 1536 und 1541 für ein Wunderwerk vollbracht?) gefangen nehmen und verlasse die Sistina dann in Richtung San Pietro. Ich treffe im langen Treppenaufgang wieder auf unsere Museums-Führerin, die den offiziellen Teil der Exkursion mit Betreten der Sistina beendet hatte. Nun erzählt sie mir während eines Rundganges durch die Papstgräber weitere vatikanischen Geheimnisse und begleitet meinen Weg. Im Petersdom selbst werfe ich nur noch einen langen Blick auf die Pieta und verabschiede mich dann aus dem größten, christlichen Gotteshaus. Ich liebe so viele Kirchen in Rom, zum Petersdom kann ich keine enge Beziehung aufbauen. Er wirkt auf mich angesichts der immer schon bestehenden Not und der Armut auf dieser Welt, monströs, überdimensioniert und menschenverachtend. Hier feiert die katholische Kirche sich mehr selbst als die Liebe zu Gott. Ich spüre Gott nirgendwo weniger als im Petersdom. Das ist meine persönliche Ansicht und ich möchte damit keinem zu Nahe treten, der anders denkt.

Das „Freiluft-Rom“ begrüßt mich mit Sonnenschein, aber stetig näher rückenden Wolkentürmen. Ich gehe die Via della Conciliazione hinab und werde von meinen Erinnerungen schmerzhaft wieder eingeholt. Es ist nur wenige Monate her und wir haben in einer lauen Sommernacht auf dem Innenhof des Hotel Columbus im „La Veranda“ einen wunderschönen Abend zusammen verbracht. Wo ist der Mensch, mit dem ich 15 Jahre lang alles geteilt habe und mit dem ich durch „dick und dünn“ gegangen bin? Die Liebe meines Lebens, meine Frau!!! Der Übergang zwischen Begeisterung für wunderbare Kunstwerke und Traurigkeit und tief sitzendem Schmerz nimmt beinahe schon eine skurrile Form ab. Tränen der Freude werden von Tränen des Schmerzes abgelöst. Das Leben zeigt sich in seinen extremsten Facetten.

Die Via Giulia tut mir besonders weh. Gehe ich sie deswegen schon wieder? Hier wird die Erinnerung an glückliche Tage immer zu einer ganz besonderen Qual. Ich versuche mich zusammen zu nehmen und habe mir als nächstes die Galleria Spada im gleichnamigen Palazzo für einen Besuch vorgenommen. Mittlerweile weint auch der Himmel wieder, die genaue Herkunft des Wassers in meinem Gesicht ist zunehmend weniger auszumachen. Nur ich selbst weiß, woher der salzige Geschmack rührt. Nach den Vatikanischen Museen kann ich die Galleria Spada leider nicht mehr mit der eigentlich gebührenden Aufmerksamkeit betrachten. Ich bin relativ schnell mit den vier Sälen fertig und lasse mir von einer jungen Französin den Säulengang des Francesco Borromini und die verblüffende perspektivische Täuschung demonstrieren. Ich bin ehrlich, es ist beeindruckend, aber die Schilderungen von Marco Lodoli in "Spaziergänge in Rom" haben mir noch mehr versprochen. Möglicherweise hängt die kleine Enttäuschung aber auch mit meiner aktuellen Seelenlage zusammen. Bei „Roscioli“ in der Via Chiavari gönne ich mir ein kleines Stück Pizza. Hier an der Ecke im Hotel Smeraldo haben wir häufig zusammen gewohnt. Wenn Herzen zerreißen könnten, meines hätte einen tiefen, tiefen Riss.

Es ist später Nachmittag geworden. Die Achterbahnfahrt der Sinne hinterlässt Spuren von Müdigkeit. Ein Bummel am Largo di Torre Argentina vorbei, über den Corso Vittorio Emanuele II führt mich zur Piazza della Rotonda. Ich verweile eine Zeit im Pantheon und versuche meine Gedanken zu ordnen; durch das Navona-Viertel führt mich mein Weg zurück über die Ponte Cavour, am Palazzo di Giustizia vorbei, in mein kleines Hotel, wo ich für eine kurze Zeit der Besinnung die Beine hochlege. Ein Gefühl von Hunger verlangt danach befriedigt zu werden.

Ich kehre in die kleine, atmosphärische „Tavernetta Cucina Umbra“ ein. Das Lächeln und die Warmherzigkeit der älteren Wirtsleute und der jungen Bedienung sind wohltuend. Das Gefühl, allein in ein Restaurant zu gehen und ohne Begleitung den Abend zu verbringen ist mir nicht sonderlich vertraut, eine gute Atmosphäre und ein freundliches Ambiente lindern den Schmerz des Alleinseins. Ich genieße ein wunderbares Essen! Pasta mit Steinpilzen, „Straccetti con rughetta“, Tiramisu, dazu ein angenehmer Rotwein aus der Toskana – kurzfristig wird das seelische Gleichgewicht durch kulinarische Ablenkung wieder hergestellt.

Plan- und ziellos streife ich durch die Stadt. San Pietro, Ponte S’Angelo, Piazza de Navona, Campo de fiori – ich „gönne“ mir wieder den ganzen Schmerz und fühle, dass ich hier die ganze Traurigkeit, den lange aufgestauten Schmerz, herauslassen und ausleben kann. Es war ein wunderschöner, grausamer, traumhafter, trauriger, faszinierender und schmerzhafter Tag – diese Attribute kennzeichnen am besten einen Rom-Tag, für den ich dankbar bin, ihn erlebt haben zu dürfen, den ich aber in dieser Form nie wieder erleben möchte. Das hört sich verrückt an?! Es ist nicht weniger verrückt, als die Achterbahnfahrt meiner Gefühle an diesem Freitag in der schönsten Stadt der Welt, die allerdings mit einem geliebten Menschen an der Seite einen noch weit größeren Zauber entfachen kann.

Die Nacht beendet mein Gedankenchaos und legt sich wie ein schwerer Schatten über meine Traurigkeit.
 

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Lieber Fernweh-Ingo,

vielen Dank für die Fortsetzung deines sehr emotionalen Romberichtes, bitte schreibe weiter, denn ich habe das Gefühl, das dir dies guttut.


liebe Grüße

Annie
 
Hallo Ingo,

Deine Erzählung wirft mich Jahre zurück in meine eigene Vergangenheit. Ich war in den ersten Jahren nach dem Tod meines Mannes allerdings nicht so mutig, alleine nach Rom zu fahren.
Außerdem waren damals auch meine Söhne noch zu klein (8+10) um ohne sie zu verreisen. Die Liebe zu Rom konnte ich den beiden leider nicht vermitteln.

Ich finde es ganz klasse, wie Du mit dieser schwierigen Situation umgehst.

Viele Grüße
dentaria
 
Lieber Fernweh-Ingo,

vielen Dank für die Fortsetzung deines sehr emotionalen Romberichtes, bitte schreibe weiter, denn ich habe das Gefühl, das dir dies guttut.


liebe Grüße

Annie

Hallo Ingo,

Deine Erzählung wirft mich Jahre zurück in meine eigene Vergangenheit. Ich war in den ersten Jahren nach dem Tod meines Mannes allerdings nicht so mutig, alleine nach Rom zu fahren.
Außerdem waren damals auch meine Söhne noch zu klein (8+10) um ohne sie zu verreisen. Die Liebe zu Rom konnte ich den beiden leider nicht vermitteln.

Ich finde es ganz klasse, wie Du mit dieser schwierigen Situation umgehst.

Viele Grüße
dentaria
Beiden Kommentaren kann ich nur uneingeschränkt zustimmen - auch mir haben die 6 Tage im Frühjahr in Rom sehr gut getan - sich treiben lassen, den Gedanken nachhängen (bei mir kommt dann noch das Aufnehmen des Gesehenen mit der Kamera dazu) - das hilft in derartigen Lebenssituationen ungemein. Ich kann mich vielleicht dabei weniger in Worten, eher in Bildern ausdrücken - aber so hat jeder seine eigene Art, das, was er so mit sich herumträgt, zu bewältigen. Rom ist ein Ort, der viele Möglichkeiten dazu bietet

meint

Friedrich
 
Lieber Ingo,

vielen herzlichen Dank für Deinen wunderbar geschriebenen Bericht - so oft mit offenem und auch geschultem Blick auf wunderschöne Details - der mich sehr beeindruckt.

Wir erleben, dass ein Romaufenthalt auch bitter-süss sein kann.

Zu Deinen traurigen Worten fällt mir dentaria's Signatur ein:

Verstehen kann man das Leben nur rückwärts,
leben muß man es vorwärts.
Kierkegaard

Beste Grüße,
Anna :)
 
Hallo Ingo,

es muss Dich so einige Momente der Überlegung und viel Überwindung gekostet haben, bevor Du die Entscheidung getroffen hast, Deine Seele vor uns zu entblößen, die in Rom erlebte Freude, aber auch Deinen Schmerz niederzuschreiben und mit uns zu teilen. Das ist ein großes Vertrauen, dass Du uns damit entgegenbringt und wir wissen es würdigen!

Rom bedeutet für viele von uns, nicht nur das reine Abhaken von besichtigten Sehenswürdigkeiten. Es ist verbunden mit so vielen Emotionen, die unsere Seelen berühren. Diese niederzuschreiben und uns Lesern das Gefühl zu vermitteln, in die Gestalt des Erzählenden zu schlüpfen, seine Gefühle mitzuempfinden und es durch dessen Augen zu sehen, das ist Dir wirklich gelungen.

Ich danke Dir, für Deinen sehr persönlich geschriebenen Reisebericht, der mich beim Lesen zutiefst bewegt.

Liebe Grüße,
Susannah
 
Lieber Ingo,

auch mich hat Dein sehr persönlicher Rom-Bericht sehr berührt und ich bin angetan von Deinen Schilderungen, die in meinen Ohren eindrucksvoll poetisch klingen.

Vielen Dank für Deinen Bericht, der uns "unserer aller Lieblingsstadt" wieder einmal nahe bringt, aber auch das Menschliche in uns stark zum Ausdruck bringt.

Liebe Grüße
Lizabetta
 
Samstag, 30. Januar 2010

Nur selten wurde mein Schlaf vom Laut des peitschenden Regens unterbrochen. Der erste Blick auf die Via Boezio verheißt eher „gemischtes Wetter“, ein Schirm gehört heute in jedem Fall als ständiger Begleiter dazu.

Nach dem Frühstück klart zusammen mit dem Geist auch der Himmel ein wenig auf und ich beginne meinen Rom-Tag mit einem Spaziergang über die Via Virgilio und die Via Cola di Rienzo, überquere die Ponte Regina Margherita und laufe direkt auf die Piazza del Popolo zu. Ein kleiner Schlenker in die Via del Corso zeigt mir Geschäftsleute, die langsam ihre Läden für den bevorstehenden Samstags-Ansturm rüsten. Zeitungshändler bringen ihre Presseerzeugnisse an den Mann bzw. die Frau und in den Kaffee-Bars wird auf die Schnelle ein Espresso getrunken und ein Cornetto verspeist.

Am Conservatorio Di Musica S. Cecilia in der Via die Greci vorbei, über die Via del Babuino, führt mich mein Weg direkt zur Piazza di Spagna. So leer habe ich die Spanische Treppe noch nie gesehen. Ich steige die Stufen empor und gewinne mehr und mehr diesen befreienden Blick auf die Stadt, der sich beim Gang an der Villa Medici vorbei in Richtung Pincio in dieses unwirklich schöne Postkartenmotiv verwandelt. Wie wunderschön ist doch diese Stadt! Ich erreiche die Villa Borghese. Meine Gedanken drehen sich nun wieder im Kreis. Ich kann sie quasi neben mir spüren, ich höre ihre Schritte, höre unser gemeinsames Lachen, unsere ehrliche, geteilte Freude an den Schönheiten dieser Stadt. Vor einem guten halben Jahr schlenderten wir zusammen unter dem blauen Firmament und der glühenden Sonne durch die Parkanlagen, am Denkmal für Johann Wolfgang von Goethe vorbei. Ich weiß noch genau, aus welchen Brunnen wir getrunken haben, ich erinnere mich fast noch an unsere damaligen Gespräche.

Heute ist der Park der Villa Borghese leer und grau, feuchte Kälte überzieht die sonst so herrliche grüne Oase der Stadt. Ein Spiegelbild meines Herzens – auch hier fehlt die Wärme, das Gefühl von Geborgenheit; die Liebe ist geblieben, sie wird jedoch dumpf durch den tiefen Schmerz und die Trauer überlagert. Aus Sommer ist Winter geworden – wie in der Natur, wie überall in dieser wundervollen Stadt, so auch tief in mir drin.

Kurz vor 11.00 Uhr betrete ich die Galleria Borghese. Hier habe ich für diese Uhrzeit eine Eintrittskarte für eine der größten und reichsten privaten Kunstsammlungen der Welt gebucht. Ich besorge mir einen „Audio-Guide“ in deutscher Sprache und beginne meine etwa 2-stündige Exkursion durch die Wunderwelt der Kunst aus mehreren Jahrhunderten. Ich bin von Natur aus kein übergroßer Kunstkenner und Kunstfreund; was mir hier jedoch an Anmut, Einzigartigkeit und überwältigender Schönheit begegnet, sprengt das menschliche Vorstellungsvermögen. Vor allem die filigranen Detailarbeiten Berninis beim „Raub der Proserpina“ und „Apoll und Daphne“ begeistern mich! Fehlt nur noch, dass die dargestellten Personen plötzlich zum Leben erwachen. Die Werke Caravagios, Tizians, Bassanos oder Raffaels berühren mich sehr, lassen mich weltentrückt verweilen und entführen mich für eine kurze Zeit in andere Sphären. Sehr angenehm auch, dass sich die Besucherströme sehr gut über die Etagen und die einzelnen Säle verteilen, selbst die wichtigsten, bekanntesten Werke können in Ruhe und ohne hektische Betriebsamkeit drum herum genossen werden.

Ich verlasse die Villa Borghese am nord-östlichen Ende und habe mir als nächstes Ziel das „Quartiere Coppedé“ in der Nähe der Piazza Buenos Aires vorgenommen. Der Weg ist nicht weit und in etwa 10 Minuten erreiche ich diese winzige Märchenwelt inmitten der Stadt. Verspielt verschnörkelte Fassaden – der Betrachter fühlt sich in einen Märchenfilm aus dem Mittelalter versetzt. Das Erstaunen hielte sich in Grenzen, kämen aus den Häusern Elfen, Kobolde und Feen. Beim Anblick der Figuren, Ornamente und Verzierungen erwartet man förmlich eine solche Szene. Rings um die kleine Piazza Mincio und dem Frosch-Brunnen „Fontana delle Rane“, der den Mittelpunkt der malerischen Kulisse darstellt, präsentiert sich in der Tat ein ganz besonderer architektonischer Augenschmaus. Auch diese kleinen, sehenswerten Farbtupfer jenseits sämtlicher Touristenströme machen das besondere Flair dieser Stadt aus.

Coppedés Baukünste und Berninis Wunderwerke werden leider wieder in den Hintergrund gedrängt; mit dem einsetzenden Regen legt sich auch der Schleier der Traurigkeit wieder wie eine kalte, nasse Decke über meine Gedanken. Ich lasse mich einfach treiben, die Viale Regina Margherita hinunter, biege in die Via Savoia ein und bestaune auch dort die herrschaftliche, großartige Architektur. Ob sich jemals ein Tourist hierher verirrt? Enorm sehenswert sind auch diese Straßenzüge allemal! Hier komme ich auch zufällig am Goethe-Institut und dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) vorbei. Ich werfe gar keinen Blick auf meinen Stadtplan, sondern versuche mich durch meinen naturgegebenen Orientierungssinn zum Ziel geleiten zu lassen. Über die Via Castelfidardo erreiche ich die Metro-Station der Linia A am Termini-Bahnhof und fahre zurück nach Prati. Auf dem Weg zum Hotel gönne ich mir ein großes Stückchen Auberginen-Pizza in einer dieser verführerisch duftenden Pizza-Bäckereien. Im Anschluss daran verordne ich mir einige Minuten der Ruhe in der Horizontalen. Außerdem werde ich mich für den bevorstehenden Opernabend umziehen.

Nun in Sakko und mit Krawatte gehe ich zur Metro Station Ottaviano. An der Station Barberini verlasse ich die Bahn. Ich möchte auch diesen Aufenthalt nicht verstreichen lassen, ohne eine Münze in die Fontana di trevi geworfen zu haben. Der Gedanke daran schnürt mir beinahe den Hals zu – ICH möchte nicht gesund nach Rom zurückkehren, ich möchte mit IHR zusammen nach Rom zurückkehren! Wie oft haben wir vor dem Brunnen gesessen, die Menschen aus aller Welt beobachtet und dann anschließend selbst unsere Münzen in den Brunnen geworfen? Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit diesem Brunnen aufzuhalten, in diesem Augenblick widert er mich geradezu an – mechanisch, ohne Regung, werfe ich kurz hintereinander zwei Münzen über meine Schulter in die Fontana und suche wie ein Flüchtender verzweifelt Unterschlupf und Geborgenheit in der um die Ecke liegenden Kirche Santa Maria in Trivio. Nur wenige Menschen besuchen diese schöne Kirche, aber alle knien vor dem Grab des Heiligen Gaspare del Bufalo nieder, berühren sanft den goldenen Körper und sprechen ein Gebet. Als die Kirche vollkommen leer ist, wende auch ich mich auf Knien dem Heiligen zu, tue es den vorherigen Besuchern gleich, und formuliere meine Wünsche in Form eines Gebetes. Ich mag zwar die elektrischen Kerzen in vielen Kirchen nicht besonders; in diesem Fall werfe ich aber zweimal eine Münze ein und es erhellen sich zwei Lichter, die relativ nahe beieinander stehen. Meine Gedanken, meine Wünsche, sind so intensiv und konzentriert, dass ich in diesem Moment glaube, hierdurch eine Art Energie zu erzeugen. Ich bin ein wenig ruhiger geworden und verlasse gestärkt das Gotteshaus.

Ich gehe die ansteigende Straße und die Treppen zum Palazzo del Quirinale hinauf und atme beim Blick auf die Kuppel von San Pietro am anderen Ende der Stadt tief durch. Ich überquere die Via Nazionale und tausche im Teatro dell’ opera di roma meine Reservierungsbestätigung gegen mein Ticket für die 18.00-Uhr-Aufführung von Guiseppe Verdis spätem Werk „Falstaff“ um. Die ersten Besucher vor dem Opernhaus steigern schon meine Vorfreude auf den bevorstehenden Abend – „echtes, römisches“ Opernpublikum kündigt sich an! Vor 1 ½ Jahren hatten wir während einer lauen Sommernacht bereits eine „Aida“ der Opera di roma in den Thermen des Caracalla genossen – ein unvergessliches Erlebnis. An der Seite einer unvergesslichen Frau.

Ich habe nun noch etwas Zeit, die ich nicht ungenutzt vergehen lassen möchte. Es ist nur einen Steinwurf bis zur großen Basilika Santa Maria degli Angeli e dei Martiri in den Ruinen der Thermen des Diokletian. Wir haben sie noch nie besucht und genau das möchte ich jetzt nachholen. Bei einbrechender Dunkelheit kann ich im Inneren nur wenig von der Pracht und den Farben erkennen, es gibt keine Beleuchtung. Der Innenraum ist weitläufig und von beeindruckender Größe. In einem Seitenschiff zünde ich auch hier zwei Kerzen an. Innig verbunden mit dem ewig gleichen Wunsch.

Es geht auf 18.00 Uhr zu – ein kleiner Bummel rund um das Opernhaus, dann betrete ich den von außen eher nüchtern wirkenden Bau, der in den 60er-Jahren sein heutiges Aussehen erhielt. Umso begeisterter bin ich vom Innenleben dieses „Musentempels“. Ein Opernhaus im klassischen Stil, mit vier Etagen Logen und einer großartigen Königsloge. Langsam füllt sich das Theater und würdevolle Damen mit großen, federgeschmückten Kopfbedeckungen halten ebenso Einzug wie elegante Berlusconi-Doppelgänger mit ungewöhnlich hübschen und um einiges jüngeren Gespielinnen. Die Platzanweiserin führt mich in meine Loge, in der ich zum Glück der erste bin und mir somit einen Platz mit halbwegs akzeptablen Sichtverhältnissen sichern kann. Der große Kronleuchter an der Decke, die roten Wandverkleidungen, die große Inschrift über der Bühne, die den italienschen König Emanuele genauso erwähnt wie Benito Mussolini – das Teatro dell opera versprüht eine feierliche, traditionsbehaftete und intensive Atmosphäre.

Die exakt werkgetreue Inszenierung des berühmten italienischen Filmregisseurs Franco Zeffirelli gefällt mir sehr. Das Bühnenbild und die Kostüme wurden unter hohem Aufwand entwickelt und die gesanglichen Darbietungen bewegen sich auf einem guten bis sehr guten Niveau. Ambrogio Maestri als Ritter John Falstaff kann dabei am meisten beeindrucken und erhält auch den mit Abstand größten Schlussapplaus. Das Orchester unter der Leitung von Andriy Yurkevich musiziert differenziert, temperamentvoll und facettenreich. Das letzte Bild des dritten Aktes erhält bereits mit dem bloßen Heben des Vorhangs einen anerkennenden Beifall – hier wurde Wert auf jedes Detail gelegt! Eine mystische Parklandschaft, fantasievolle Kostüme, ein echtes Pferd auf der Bühne; hier kann man in der Tat von einem wirklichen Höhepunkt sprechen.

Nachdem der letzte Beifall verklungen ist, verabschiede auch mich aus dem Opernhaus und strebe der Metro Station an der Piazza della Repubblica entgegen. Es ist zwar schon spät, aber ich möchte noch einmal mein Glück in der „Tavernetta Cucina Umbra“ versuchen und dort, wie bereits am gestrigen Abend, essen. Unweit der Station Ottaviano betrete ich das kleine Lokal und werde bereits von dem mir entgegenbrandenden Stimmengewirr förmlich zurückgedrängt. Die „Tavernetta“ ist hoffnungslos überfüllt und die nette Bedienung von gestern kann mich nur vertrösten. Hier werde ich so schnell keine Chance auf einen freien Platz bekommen. Was dann passiert, kann ich nur mit einem tranceartigen Zustand beschreiben. Ich verzichte auf die Einkehr in ein Lokal und die Aufnahme einer Mahlzeit und irre wie ein Suchender ohne Ziel durch die Straßen und Gassen, über die Brücken und die Plätze der Stadt. Piazza San Pietro, Navona-Viertel, Piazza del Fico, Via die Coronari, Engelsburg – meine Füße können mich kaum noch tragen, ich verspüre Hunger und Durst. Vor allem aber verspüre ich Einsamkeit, dieses Gefühl, die entscheidende Niederlage meines Lebens erlitten zu haben, den Verlust des über alles geliebten Menschen. Meinen Weg durch die Stadt in diesen Stunden möchte ich auf keinem Stadtplan nachvollziehen; er ist mindestens so wirr und verschlungen wie mein geistiger Zustand.

In meinem Zimmer befindet sich noch ein letzter Riegel Schokolade und etwas mehr als ein Schluck stilles Wasser. Angesichts der Not und des Elends auf dieser Welt ist es geradezu vermessen, immer warm, mehrgängig und kulinarisch hochwertig essen zu müssen. Heute Nacht gefalle ich mir in der Rolle des Hungrigen, Durstigen, der müde, ausgebrannt und leer in sein Bett geht.

Unglücklich, einsam und traurig in der Stadt, die uns immer so glücklich gemacht hat.
Hinter mir liegt auch heute ein wunderschöner Tag des Grauens.
 

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Hallo Ingo -
ich möchte mich meinen "Vorschreibern" anschließen und Dir für Deinen besonderen, so intensiven Reisebericht danken, auch weil ich viele Deiner Wege durch Rom, auch gefühlsmäßig - jedoch nicht betroffen von so großer Trauer - mitgehen kann. Vielleicht ist es eine Möglichkeit der Trauerarbeit, dorthin zurück zu kehren, wo man einmal sehr glücklich war.
Das wünscht Dir
Pasquetta
 
Moin - Moin Ingo!


VIELEN DANK

Ich freue mich sehr dass Du uns weiter an Deinen Wegen, Begegnungen, Unternehmungen und Gefühlen teilhaben lässt ...


Gruß - Asterixinchen ;)
 
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