Rom im 19. und 20. Jahrhundert - Konstruktion eines Mythos

Asterixinchen

ehemalige Moderatorin
Stammrömer
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Hallo und Moin, Moin allerseits!


.... da das Buch erst erscheinen wird - kann ich noch nichts darüber sagen ...


Kurzbeschreibung:
Rom war Haupt eines antiken Weltreichs, dann Zentrum der weltumspannenden Kirche und Sitz des Papsttums: All das hat zahllose Zeugnisse hinterlassen, die heute noch sichtbar sind und die Wahrnehmung prägen von Rom, der ,Ewigen''. Und dennoch: Die Stadt, wie sie heute dem Besucher entgegentritt, ist das Produkt einer Entwicklung, die vor nicht einmal 150 Jahren erst begonnen hat.

Als das Rom der Päpste 1870 von dem jungen Königreich Italien in Besitz genommen wurde, war es zwar reich an ehrwürdigen Denkmälern aller Epochen; aber ihm fehlte alles, was nach den großen Vorbildern von London oder Paris die Hauptstadt eines modernen Staates ausmachte.
Wie aus dieser malerisch verwahrlosten, gleichsam aus der Zeit gefallenen Stadt des Stillstandes die Kapitale des heutigen Italien wurde, ist das Thema dieses Buches.
 
Buchtipp

Mittlerweile habe ich das Buch erhalten (vor ca. 2 Wochen) und auch sofort gelesen – nachdem es mir gleich von vornherein sehr lesenswert erschienen war aufgrund des oben zitierten Ankündigungstextes; und darum möchte ich hauptsächlich ausgehend von diesem sowie vom Titel begründen, warum dieses Buch m.E. eine positive Kritik verdient hat.


Vorab jedoch zu einigen handwerklichen Aspekten; denn auch sie sagen etwas aus über die Qualität eines Buches:

  • Erstens fiel mir auf, dass der Autor (leider) nicht mit Fußnoten gearbeitet hat, sondern mit Endnoten. Ein Modus, der mir persönlich nicht zusagt, weil ich nicht jedes Mal blättern möchte (und schon gar nicht wegen eines Textes, der den soeben gelesenen nicht ergänzt, sondern „nur“ belegt). Allerdings, so wenig begeistert ich bin von dieser Form: Zahl und Inhalt der Endnoten zeugen von fleißiger Recherche, darunter auch im Dickicht von Gesetzes- und Verordnungstexten sowie Sitzungsprotokollen (auch letztere allerdings „nur“ in bereits publizierter Form).
  • Zweitens verfügt das Buch über ein Register (prinzipiell schon mal ein Qualitätsmerkmal!), eingeteilt in Orte und Personen. Warum bei letzteren der Autor (oder sein Registerbearbeiter) in einigen Fällen unter einem Familiennamen auf den betr. Papstnamen verweist (um als Beispiel einen der bekanntesten zu nennen: Mastai-Feretti s. Pius IX.), zumeist aber nicht, das wird wohl sein Geheimnis bleiben; auf den Leser jedenfalls macht es leider den Eindruck von ein wenig mangelnder Stringenz. Das Orts-Register ist etwas gewöhnungsbedürftig insofern, als es die meisten in Rom belegenen Orte unter einen Oberbegriff stellt – mit der Konsequenz, dass der Leser zunächst nachvollziehen muss, unter welchem Oberbegriff das von ihm gesuchte Schlagwort eingeordnet ist. Zwar ist dies nicht weiter schwierig, soweit es etwa um Plätze oder Straßen geht – aber es gibt auch Gegenbeispiele: Wer sucht schon die spanische Treppe unter „Hügel“? Insgesamt jedoch erscheinen beide Registerteile als solide und gründlich gemacht (wofür übrigens auch spricht, dass der Inhalt der Endnoten mit aufgenommen ist).
  • Drittens weist das Buch durchweg sehr schöne und interessante Abbildungen auf – nicht zuletzt aus den Anfängen der Photographie im 19. Jh. Lediglich hätte ich mir diejenigen Stadtpläne, welche die Ausgangslage darstellen sollen (also Mittelalter und frühe Neuzeit; Illustrationen auf den Seiten 18, 31, 35 und 37), ungefähr doppelt so groß gewünscht. Aber vielleicht ist ja in diesem Punkt lediglich so ein Stadtplan- Landkarten-Junkie wie ich mit der Darstellung in kleinstem Druck, auf der so gut wie gar nicht bestimmte Straßen, Plätze usw. zu unterscheiden sind, nicht zufrieden?


Wenden wir uns nunmehr dem Inhalt zu:
der Verlagsankündigung schrieb:
Rom als Haupt eines antiken Weltreichs, dann Zentrum der weltumspannenden Kirche und Sitz des Papsttums: All das hat zahllose Zeugnisse hinterlassen, die heute noch sichtbar sind und die Wahrnehmung prägen von Rom, der „Ewigen''. Und dennoch: Die Stadt, wie sie heute dem Besucher entgegentritt, ist das Produkt einer Entwicklung, die vor nicht einmal 150 Jahren begonnen hat.
Zudem soll, so der Untertitel des Buches, im 19. und 20. Jh. auch die „Konstruktion eines Mythos“ vollzogen worden sein. Hieran will mir allerdings der Terminus „Konstruktion“ nicht so recht passend erscheinen, da der „Mythos Rom“ bereits seit der Antike existierte – und es den gesellschaftlichen und politischen Kräften des 19. und 20. Jh. hauptsächlich darum ging, diesen Mythos sich bzw. dem „modernen“, dem von der Papstherrschaft befreiten Rom dienstbar zu machen. Denn „Rom war das eine, zentrale Symbol für die Vision eines großen, geschlossenen und mit unwiderstehlicher Energie die Zukunft erobernden Italien“ (S. 205) – und also sein Mythos für die Thematik des Buches von zentraler Bedeutung: „Rom als finaler Sehnsuchtsort der risorgimentalen Bewegung (...) war stets viel mehr als die konkrete Stadt, die diesen Namen trug (...): ein für Höheres und Höchstes stehendes Prinzip, eine Idee – eben der Mythos Rom“ (S. 89); oder mit den Worten Mussolinis (Anm. 21 auf S. 318: „Rom ist unser Ausgangs- und Zielpunkt; es ist unser Symbol und, wenn man so will, unser Mythos.“ Deutlich nüchterner dagegen beurteilt Massimo d’Azeglio die antike Grundlage: „Das wahre und traurige Erbe des alten Rom ist die Verherrlichung der Gewalt auf Kosten des Rechts“ (S. 90).

der Verlagsankündigung schrieb:
Als das Rom der Päpste 1870 von dem jungen Königreich Italien in Besitz genommen wurde, war es zwar reich an ehrwürdigen Denkmälern aller Epochen; aber ihm fehlte alles, was nach den großen Vorbildern von London oder Paris die Hauptstadt eines modernen Staates ausmachte.
Wie aus dieser malerisch verwahrlosten, gleichsam aus der Zeit gefallenen Stadt des Stillstandes die Kapitale des heutigen Italien wurde, ist das Thema dieses Buches.
Fragt man kundige Rombesucher von heute, was in der „ewigen Stadt“ sie am ehesten als ein Zeugnis der Umwälzungen nach dem Einmarsch der italienischen Truppen durch die Porta Pia am 20.9.1870 ansähen, so wird wohl mehrheitlich das Nationaldenkmal an der Piazza Venezia genannt werden: „das größte Denkmal, welches das denkmalfreudige 19. Jh. hervorgebracht hat“ (S. 9) – und von dessen Pomp mit einiger Verachtung zu sprechen heute beinahe schon zum guten Ton gehört. Etwas später dürften wohl noch die Uferkais zur Eindämmung des Tiber, seine neuen Übergänge und die breiten Straßendurchbrüche (z.B. der Corso Vittorio Emanuele mit der gleichnamigen Brücke) in Erinnerung kommen wie auch die entlang jener Straßen errichteten großen neuen Palazzi bzw. überhaupt die neu erbauten Stadtviertel, so etwa auf den Wiesen (Prati) der Engelsburg und im Südosten der Stadt in Richtung Bahnhof Termini (dessen Bau übrigens bereits 1863 und damit noch unter päpstlicher Herrschaft in Angriff genommen worden war) – errichtet in jener „bürgerlichen Prunkkultur des 19. Jh., welches keinen einzigen eigenen Stil hervorbrachte und sich im Überschwang seiner Fortschrittshybris aus allen Kunstepochen der Weltgeschichte wahllos Versatzstücke herausplünderte, um sie wie ein großes, verzogenes Kind monströs aufeinander zu türmen“ (S. 195). Und so haben sich die ersten neuen Herren der Stadt (ungefähr zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg) in die Geschichte derselben ganz augenfällig eingeschrieben als Erbauer. Benito Mussolini als Bauherrn dagegen schreibt die Nachwelt hauptsächlich die „totalitäre“ Architektur des EUR-Viertels zu und behält ihn ansonsten fast nur „mit der Spitzhacke“ im Gedächtnis – wobei ganz vorne an die (heutige) Via dei Fori Imperiali sowie die Via della Conciliazione stehen.


Autor Franz J. Bauer geht auf die eine wie die andere Einschätzung in gründlicher und ausgewogener Darstellung ein. So bringt er z.B. auch die Bausünden der stürmischen Gründerjahre zur Sprache, welche begangen wurden mit dem rücksichtslosen (weil spekulativen) Ausverkauf des römischen „Grüngürtels“ in Gestalt der alten Villengrundstücke. Und er fordert Objektivität ein gegenüber Mussolinis Stadtumbau: „Riesige Areale in den geschichtsträchtigsten Teilen des historischen Zentrums erhielten erst in diesem durchgreifenden Prozess der Umformung die Gestalt und das Aussehen, das uns Heutigen so zeitlos charakteristisch erscheint für die Ewige Stadt“ (S. 233 f.), und: „dass mit der freien Gestaltung der erwähnten Zentralzone Roms ein urbanistisches Ensemble von bleibend grandioser Gesamtwirkung entstanden ist. Was Mussolinis Archäologen und Architekten hier geschaffen haben, ist längst ein ikonisches Stereotyp geworden, das in der ganzen Welt das Bild der Ewigen Stadt repräsentiert“ (S. 244).




Der Buchautor führt gekonnt und aufschlussreich auch durch die den baulichen Maßnahmen zugrundeliegenden politischen, gesellschaftlichen und architektonischen Entwicklungen. Es bedarf allerdings – wenngleich sich das Buch auch insofern durch hohe sprachliche Qualität auszeichnet – schon eines ausdauernden Interesses, um diesem Duktus durch alle Verästelungen hindurch zu folgen. Jedoch lohnt sich dieses Interesse – vor allem bzgl. der m.E. besonders gelungenen Darstellungen

  • des jungen Königreichs Italien;
  • des Hauptstadtumzuges und der urbanen Umgestaltung: eine überzeugende Analyse der frühen Städteplanung (oder z.T. auch Nicht-Planung), ihrer treibenden Kräfte und ihrer Auswirkungen;
  • der römischen bzw. italienischen Mentalität in dieser Zeit; bzw. der wechselseitigen Wahrnehmung von Römern und „Italienern“;
  • von Vittorio Emanuele II. als „Reisekaiser“, der bis zum Ende seines Lebens (am 9.1.1878 – und damit knapp einen Monat eher als Pius IX.) nie in Rom residierte, sondern immer nur Besuch kam;
  • Beschreibung des Vorstadtwachstums und der zugehörigen Intentionen der Städteplaner (ein Beispiel: Garbatella, S. 216-220).
Nach der Lektüre dieses Buches könnte ich mir vorstellen, beim nächsten Rombesuch auch einmal auf den Pfaden des 19. und frühen 20 Jh. zu wandeln: etwa durch einige Straßenschluchten in Richtung Termini – wo ich bislang immer froh war, diese Trostlosigkeit aus verschmutzten Fassaden, Graffiti-Geschmier und schreiend bunter Reklame per Bus möglichst schnell hinter mir zu lassen; oder in der (ehemaligen) Vorstadt Garbatella – um einmal selbst zu sehen, was noch zu sehen ist von der „Gartenstadt“, als welche sie einst gemeint war.

Fazit: Eine insgesamt sehr gut lesbare, ausgewogene und anschaulich bebilderte Darstellung, welche die Aufmerksamkeit jedes Romfreundes verdient.
 
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Ganz andere Wege wählt der Regensburger Historiker Franz J. Bauer, um dem Leser Rom vertraut zu machen; dabei beschränkt er sich bewusst auf die Zeit, in der Rom sich vom «caput mundi» zur modernen Hauptstadt eines Nationalstaates entwickelte, wobei das Schlüsseldatum der 20. September 1870 ist, an dem die Kämpfer für die nationale Einheit Italiens eine Bresche in die Aurelianische Mauer stiessen und dem Kirchenstaat den Garaus machten.
Detailreich und mit überraschenden Einsichten in die Entstehung des Mythos, welcher die italienische Hauptstadt trägt, beschreibt Bauer die Bestrebungen, die uralte Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Dabei hält er der Versuchung eines nostalgischen Blicks auf das seit 1871 verschwundene Rom ebenso stand, wie es ihm gelingt, die Traditionen zu zeigen, in denen die vorgeblich revolutionären Neuerungen einer faschistischen Städteplanung unter Mussolini standen.

Der Text der Ewigen Stadt (Kultur, Buchrezensionen, NZZ Online)
 
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