Italien: Regierungskoalition von PD und Cinque Stelle

Simone-Clio

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Nachdem die neue Regierungskoalition seit gestern beschlossene Sache ist, eröffne ich mal diesen Thread als Nachfolgethread von Italiens Regierung vor Richtungswechsel?


Kommentar von Jörg Seisselberg

Contes Auftritt im Quirinalspalast war bemerkenswert. Selten hat ein Politiker in Italien, der frisch mit dem Auftrag zur Bildung einer Regierung ausgestattet ist, sich derart tatkräftig präsentiert. Den üblichen Dank an den Staatspräsidenten nutzte Conte, um seinen Koalitionsparteien schon einmal ein paar Eckpunkte für das Regierungsprogramm zu diktieren. (...)
Europa kann den Ausgang des schwierigen Experiments in Rom beeinflussen. Die neue Regierung steht trotz allem für einen deutlich europafreundlicheren Kurs. Dessen ungeachtet wird sie, nicht zuletzt wegen ihrer internen Probleme, gelegentlich anstrengend sein – und den Partnern gerade in Sachen Defizit und in der Migrationspolitik einiges abverlangen. Wenn Europa den Fehler macht und sich hier taub stellt – weil Italien nun etwas weniger lautstark auftritt –, dann wäre dies politisches Manna für den aus der Regierung gedrängten Matteo Salvini. Die Alternative zum aktuellen römischen Experiment ist eine aggressive Rechtskoalition. Daher lohnt es sich, trotz aller Zweifel, der neuen Regierung die Hand zu reichen.
 
Da stimmen der Autor und ich ganz und gar überein:
Hab' schon drei Kreuze geschlagen! :)

Sicherlich haben viele EU-Politiker das Gleiche getan; und hoffentlich bewegen sie sich ab heute entschlossener (sowie teils auch, so möchte ich sagen, konstruktiver) als in etlichen früheren schwierigen Situationen auf Italien zu.
 

Artikel von Matthias Rüb

Mit seinen Voraussagen über die kurze Lebensdauer des Kabinetts Conte II mag sich Salvini täuschen oder nicht. Mit seiner Behauptung, die neue Koalition werde nicht über eine Mehrheit im Parlament verfügen, liegt er daneben. Im Abgeordnetenhaus können Conte und seine Mannschaft nach übereinstimmenden Berechnungen mit etwa 355 der insgesamt 630 Stimmen rechnen, in der kleineren Parlamentskammer dürften 178 der 321 Senatoren für das neue Kabinett sein. Zudem kann die neue Regierungsmannschaft mit der enthusiastischen Unterstützung aus den maßgeblichen EU-Staaten und auch von der Brüsseler Kommission rechnen. Die neue Regierung in Rom wird nach Ansicht vieler einen abermaligen Streit mit Brüssel um das Haushaltsdefizit und den Schuldenberg vermeiden und sich an die gewiss etwas gelockerten Vorgaben aus Brüssel halten. Damit dürfte auch die automatische Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes abgewendet werden, zu der es ohne Einigung mit Brüssel kommen würde. Dieser Erfolg könnte Conte nützen, allerdings auch Salvini: Er und seine Anhänger würden das Lied vom Ausverkauf der nationalen Interessen wohl noch lauter anstimmen. Die Überwindung der Spaltung im Land, die sich Conte nach eigener Aussage vorgenommen hat, wird für diese Regierung eine schwierige Aufgabe.
 
Kurzes Porträt vom PD-Chef Nicola Zingaretti:

Die größten Gegner warten auf Nicola Zingaretti in der eigenen Partei

Der 53-jährige Römer war Europaabgeordneter und Präsident der Provinz Rom. Seit 2013 ist Zingaretti Ministerpräsident der Region Latium. Das will er bleiben, deshalb tritt er auch nicht in die neue Koalitionsregierung von PD und der Bewegung Fünf Sterne ein. Das tue er auch, um die ewig zerstrittene Partei zusammenzuhalten, heißt es in Rom.
In den Verhandlungen, die sich tagelang hinzogen, zeigte er sich als besonnener und nicht aus der Ruhe zu bringender Stratege. (...)
„Ich habe tausend Zweifel gehabt in diesen schwierigen Tagen, aber ich habe mich engagiert, allen zugehört, damit wir geeint bleiben.“ Er habe die Beleidigungen der Vorgängerregierung nicht vergessen, und er habe auch keine Angst vor Neuwahlen, sondern davor, was ein ungehemmt „barbarischer“ Wahlkampf Italien antun würde.
 
Zitat aus dem verlinkten Artikel:
In die Koalitionsregierung will er allerdings nicht eintreten.
Das war mir bislang neu (hatte in den letzten Tagen zu viel um die Ohren, um in gewohnter Weise die Pressemitteilungen zu verfolgen) - aber so auf den ersten Blick würde ich sagen: Es erscheint mir als ein durchaus nicht unkluger Schachzug, auf diese Weise von vornherein Auseinandersetzungen am Kabinettstisch zwischen den Vorsitzenden der beiden koalierenden Parteien vorzubeugen. - Mal abgesehen davon, dass Zingaretti andernfalls sein Amt als Regionalpräsident hätte aufgeben müssen.
 

Die Regierungsvereinbarung zwischen den Sozialdemokraten (PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung könnte noch an deren Online-Befragung der Parteimitglieder scheitern. Am Donnerstag war vorerst kein Datum für die Erhebung auf der parteieigenen Internet-Plattform Rousseau angesetzt, erwartet wird sie in den kommenden Tagen.


Der Ausgang gilt als ungewiss, da viele Mitglieder der Fünf Sterne die PD als Inbegriff eines korrupten politischen Establishments sehen, das die Bewegung eigentlich bekämpfen sollte.
 

Das Risiko des Scheiterns ist groß. Die politischen Ideen beider Partner liegen zum Teil weit auseinander. Beide Parteien sind von ähnlichen Problemen geplagt. Sie sind innerlich zerrissen. Bei beiden kann es jederzeit intern zum Aufstand kommen, aus politisch-programmatischen oder aus persönlichen Gründen. Denn in beiden lauern Parteigranden darauf, sich selbst an die Spitze zu putschen. Und sei es durch die Zerstörung der sich gerade erst bildenden Koalition.

Dagegen steht das Interesse der neuen Regierungsparteien, ein stabiles Bündnis zu haben. Das spricht gegen ein baldiges Ende des ungewöhnlichen Experiments. Ein frühes Scheitern würde beiden Regierungspartnern schaden. Die Italiener wollen aber jetzt mehrheitlich eine Regierung und keine neue Krise. Der Verursacher des Scheiterns würde bei Wahlen wohl besonders abgestraft. (...) Stabilisierend wirken auch die Signale der Kapitalmärkte und aus Brüssel. Die einen senken die Zinslasten für Italiens Schulden. Die anderen signalisieren, man werde Italien bei den Finanzverhandlungen soweit eben möglich entgegenkommen. Hilfreich könnte zudem die Idee eines zumindest teilweise mit parteilosen Experten besetzten Kabinetts sein.
... wofür auch Giuseppe Conte sich bereits ausgesprochen hat.
Die Experten könnten dann den Part der Buhmänner übernehmen - derer, die Italien an "die in Brüssel" verkaufen, oder wie immer die rechtsnationale Lega-Opposition den Ausgang der EU-Verhandlungen im Herbst attackieren wird. Die Regierungsparteien müssten nur die Nerven behalten und die zu erwartende Schlammschlacht souverän überstehen.
 
Heute also nun die "Rousseau"-Online-Abstimmung: Italiens Fünf-Sterne-Bewegung: Wie das Zuschauervotum einer Fernsehshow.
Rousseau sei „die Plattform der direkten Demokratie“ der Fünf-Sterne-Bewegung, heißt es auf der Website. Die registrierten Anhänger der Bewegung hätten die Möglichkeit, sich in jeder Weise „an der Führung der Bewegung“ zu beteiligen. Sie können Gesetzesvorschläge unterbreiten, sich an Diskussionen beteiligen, Aktionen organisieren und Kandidaten für Wahlen bestimmen – von der europäischen bis zur kommunalen Ebene.
Nur hapert es seit je an der Transparenz der Entscheidungsprozesse auf Rousseau. Nach eigenem Bekunden weiß nicht einmal Valerio Tacchini, der Notar der Fünf-Sterne-Bewegung, der den ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmungen auf Rousseau zu zertifizieren hat, wie viele Eingeschriebene, also Wahlberechtigte, es gibt. In Medienberichten ist von 100.000 bis 140.000 Eingeschriebenen die Rede. Tacchini verglich die Abstimmung auf Rousseau mit jener bei Fernsehsendungen wie „X Factor“ und „Dancing with the Stars“; dabei gehe ja auch alles mit rechten Dingen zu. Auf Rousseau wird bei Abstimmungen aber nur die Zahl der Teilnehmer an der Wahl sowie der Ja- und Neinstimmen mitgeteilt, nicht aber die Höhe der Wahlbeteiligung. Es können also nur die Betreiber der Website wissen, ob das erforderliche Quorum erreicht wurde: Laut Satzung ist eine Abstimmung nur dann gültig, wenn sich die absolute Mehrheit aller Eingeschriebenen beteiligt.

Übrigens: Wären es tatsächlich 140.000, dann entspräche das gerade mal 0,28 % der wahlberechtigten Italiener: annähernd 50 Millionen.

Vgl. zur heutigen Rousseau-Abstimmung auch: Polit-Zirkus.
 

Die sich abzeichnende neue Regierung in Rom setzt auf einen expansiveren Haushalt für 2020, wie die populistische 5-Sterne-Bewegung und die sozialdemokratische PD erklärten. Damit würden die öffentlichen Finanzen aber nicht gefährdet, betonten die angehenden Bündnispartner.
 

Von 115.000 auf Rousseau eingeschriebenen Mitgliedern haben 73.000 abgestimmt (ein "Boom", so die Repubblica unter Berufung auf Davide Casaleggio, Betreiber des Portals); das Ergebnis steht momentan noch aus.

Für 18.30 hat Di Maio eine Pressekonferenz angekündigt.
E alle 18.30 Di Maio commenterà i risultati in conferenza stampa.




Edit: Ergänzung der beiden unvollständigen Zitate.
Esulta Casaleggio: "È un record mondiale".
Casaleggio jubelt: "Das ist ein Weltrekord."
Orlando: "Grazie, ma non entro nel governo."
Andrea Orlando: "Danke, aber ich werde der Regierung nicht beitreten."


Edit 2: Also entweder klemmt Rousseau ... oder Di Maio zögert die Sache künstlich hinaus in dem Bewusstsein, dass er wohl nie wieder im Leben so wichtig genommen werden wird wie heute Abend.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das halte ich persönlich für eine gute Nachricht! Danke für die Info.

Und so geht es weiter:


Am Mittwoch will der parteilose Premier Conte sein zweites Kabinett dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella präsentieren. Wenn dieser zustimmt, könnte die gelb-rote Regierung noch am gleichen Tag vereidigt werden und sich Ende der Woche einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Es wäre das 65. Kabinett in Rom seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
 

Einige zehntausend Anhänger der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung haben den Koalitionsschwenk der Parteioberen per Online-Votum gebilligt. Die Populisten überwinden ihre lang kultivierte Establishment-Verachtung zum Zwecke des Machterhalts und paktieren mit der Demokratischen Partei – Regierungskrise beigelegt.


Doch niemand in der EU wird sich Illusionen machen: Italien-Krisen dürfte es auch in den kommenden Monaten reichlich geben. Die Ablehnung der EU-Stabilitätskriterien schweißt das Linksbündnis zusammen. So gut es ist, dass die Etatverhandlungen geführt werden können, anstatt von Neuwahlen verdrängt zu werden, so groß bleibt das Streitpotential zwischen Rom und Brüssel.
 
Ein Kommentar von Tilman Kleinjung zum Ausgang des Votums der Fünf-Sterne-Bewegung:


Die kaltschnäuzige Art, mit der der Oberpopulist Matteo Salvini von der Lega die Koalition aufkündigte, um vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen, erschütterte die Bewegung und ihren Gründer und brachte sie zum Umdenken. Jetzt also doch mit den Sozialdemokraten vom PD! (...)

Die neue Regierung muss nun loslegen, Vertrauen wiedergewinnen, Politik machen statt Populismus. Nur so kann sie einen wie Salvini entzaubern. Nur dann war die Abstimmung tatsächlich ein Sieg der Vernunft.
 
Die neue Regierung unter dem designierten Ministerpräsidenten Giuseppe Conte steht. Dem neuen Kabinett gehören 21 Minister und Ministerinnen aus den Reihen der populistischen Fünf Sterne-Bewegung und der Sozialdemokraten (PD) an. Fünf Sterne-Chef Luigi Di Maio, Vizepremier in der ersten Regierung Conte, wechselt ins Außenministerium.

Zehn Minister gehören den Fünf Sternen an, neun der PD, einer ist ein Unabhänger und einer Vertreter der Linkspartei LEU. Sieben Kabinettsmitglieder sind Frauen.

mit Video:

Und Salvini wettert umgehend:

“Governo senza dignità e ideali, con le persone sbagliate al posto sbagliato”
"Regierung ohne Würde und Ideale, mit den falschen Personen am falschen Platz"
 
Der neue Kulturminster ist Dario Franceschini vom Partito democratico, der bereits in zwei Regierungen dieses Amt ausgeübt hat. Er holt auch das Ressort "turismo" zurück:


... l’ex inquilino del Ministero dei beni e delle attività culturali ha sempre avuto del Collegio Romano, considerato “il principale ministero economico del Paese”.
 
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