Preußen am Tarpejischen Felsen. Chronik eines absehbaren Sturzes

Gaukler

Caesar
Stammrömer
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Der Buchtitel, vor allem der Untertitel, ist Programm - oder so scheint es wenigstens; und die Art, in welcher der Autor dieses sein Programm umgesetzt hat, findet ein geteiltes Echo:
Mein persönlicher Eindruck nach der Lektüre: Man darf berechtigterweise die "Dramatik" des Titels im Verhältnis zur Gesamtdarstellung der preußisch-deutschen Enklave (= Botschaft; archäologisches Institut; Krankenhaus) auf dem Kapitol ähnlich beurteilen wie das Aufhebens, welches offenbar die Romtouristen des 19. Jh. um den benachbarten, seinerzeit längst zum zahnlosen Papiertiger verkommenen "Blutfelsen" machten; und auch sonst wird, wer in Golo Maurers Werk Schwächen und Fehler finden möchte, in reichem Maße bedient werden (dazu sogleich). Wer jedoch bereit ist, sich der Intention des Autors zu öffnen, welcher in erster Linie erzählen möchte, und zwar über sein eigenes Fachgebiet (Kunstgeschichte) hinaus, "interdisziplinär", der wird den Kauf des Buches nicht bereuen.


Im Einzelnen:
Die Schwächen der Darstellung liegen schon durchaus da, wo die Georgen-Rezension sie verortet (und noch an weiteren Stellen); hier sei zunächst das Handwerkliche bzw. Sprachliche genannt. Zwar hat man sich offenbar für die "alte" Rechtschreibung entschieden; dennoch treten immer wieder Vermengungen mit der "neuen" auf (nicht zuletzt bzgl. der damit verbundenen Neuregelung der Interpunktion), und häufig genug ist das Geschriebene nach beiden Maßstäben falsch. Entsprechendes gilt für Grammatik, Semantik, Stilistik usw. Auch mit den Jahreszahlen steht das Buch nicht ganz selten auf dem Kriegsfuß, indem dass bestimmte Ereignisse oder auch Dokumente (im Anhang; dazu später) um 100 Jahre älter oder jünger gemacht werden oder man z.B. liest "1870-1814".

Defizitär ist auch das Personenregister (ich persönlich hätte mir außerdem auch noch ein Ortsregister gewünscht), wo allein zwischen den Seiten 77 und 99 nicht weniger als 15 Namen einfach fehlen. Aufgefallen war mir das auf besagter S. 77 rein zufällig, weil ich die mir von anderer Rom-Lektüre her (nämlich dieser: Rom, die gelobte Stadt. Texte aus fünf Jahrhunderten ) sympathische Fanny Mendelssohn (Schwester des Komponisten) vermisste; und nachdem ich, wie erwähnt, bis hin zur S. 99 weitere 14 Personen auf die Vermisstenliste setzen musste, habe ich den Vergleich Text / Register an dieser Stelle abgebrochen. Nur so viel noch zur Vermeidung von Missverständnissen: Es kann sich nicht (oder wenigstens nicht in allen Fällen) um bewusste Auslassungen handeln, da zuweilen aus einer Reihe von Personen, z.B. die ersten römischen Archäologiestudentinnen, sich alle im Register wiederfanden bis auf eine.

Allerdings sind dies alles Fehler, die weniger dem Autor anzukreiden sind als seinem Verlag, Schnell & Steiner: Das Buch ist ganz einfach nachlässig lektoriert. Auf Maurers persönliches Konto jedoch geht das, was schon die Georgen-Rezension als "Anpassung an den Zeitgeist" gegeißelt hat; zwei Beispiele: Das verballhornende "nichts desto trotz" (sic!) an der Stelle von "nichtsdestoweniger" hat außerhalb der saloppen Umgangssprache nichts verloren. Und erst recht vermeiden sollte man Ausdrücke, die geächtet sind oder es wenigstens sein sollten, wie "Kollateralschaden" (für die Zerstörung eines Krankenhauses - übrigens gar nicht in Rom, sondern in Venedig! - durch einen Bombenangriff 1916); hier übrigens auch noch in der Formulierung "klassischer" (!) Kollateralschaden - was immer das sei. :uhoh:

Kritisch zu sehen ist m.E. teilweise auch der Aufbau, welcher - dem "programmatischen" Untertitel gemäß - sich vorgeblich orientiert an dem bekannten Muster von Wachstum, Blüte und Verfall, diese Gliederung aber dann nicht stringent durchhält. So schließt das erste Kapitel, die Darstellung des "Aufstiegs" der Preußen in Rom, mit dem nach jahrzehntelangem Hin und Her endlich gelungenen Erwerb des Anwesens auf dem Kapitol im Jahre 1854; und folglich erwartet der Leser von Teil zwei: "Der deutsche Parnaß" nunmehr die Darstellung des preußischen bzw. deutschen Lebens auf dem Gipfel ihres Götter- und Musenberges. Statt dessen jedoch setzt dieses mittlere Kapitel in seinen einzelnen Teilen (die quer zur Chronologie gesetzten Unterpunkte "Religio", "Scientia" und "Ars") jeweils wieder zu früheren Zeitpunkten an, die ungefähr zwischen dem Beginn und der ersten Hälfte des 19. Jh. liegen. - Nicht zuletzt greift Maurers Darstellung zuweilen doch etwas arg weit über sein eigentliches Thema hinaus.

Dennoch bezeichnet dieses 2. Kapitel m.E. die Wende hin zu dem ausgesprochenen Lesevergnügen, welches das Buch bereitet und welches sich noch intensiviert im Abstiegskapitel, untergliedert in "Krisis" und "Sturz". Mag der Autor auch begonnen haben mit einer sehr pointierten, nahezu reißerischen Darstellung, welche den gesamten Stoff bündelt unter dem "Brennglas" besagten Untertitels, so wandelt sich der Stil seiner Darstellung nunmehr in sehr vorteilhafter Weise: hin zu einer eher nachdenklichen Betrachtung; einer Allegorie des "alten Europa" und seines Untergangs. Es ist ein etwas wehmütiges, vor allem aber ein sehr sympathisches Bild, welches Maurer hier zeichnet: von den Deutschen auf dem Kapitol, vor allem den Gelehrten des Archäologischen Instituts, wie von ihrer italienischen Umgebung - kurz, von der Gesellschaft und der Geisteswelt des 19. Jh., von ihren Tugenden, aber auch von ihrer Brüchigkeit. Sehr gelungen ist nicht zuletzt die distanziert-ironische Darstellung des wilhelminischen Pathos wie auch anderer geschmacklicher und politischer Verirrungen - übrigens nicht allein auf Seiten der Deutschen.

Positiv zu bewerten ist auch der Anhang (trotz seiner bereits bezeichneten Detailschwächen), bestehend aus Zeittafel, Auflistung aller deutschen Diplomaten, Quellenverzeichnis und Literatur, Dokumenten, Personenregister und schließlich einem ausgezeichneten Bildteil, sowohl was die Qualität der Fotos betrifft als auch deren Auswahl (d.h. im Bezug zum Text) und Anzahl.

Fazit:
Der Autor möchte seinen Lesern die Geschichte des "deutschen Kapitols" in erzählender Form nahe bringen; dies ist ihm im Ganzen gut gelungen. Maurer hat eine ausgesprochen lesenswerte Darstellung vorgelegt; und auch der Kauf des Buches empfiehlt sich in meinen Augen, weil man es sicher öfter als einmal lesen wird. Ich zumindest werde das tun! :nod: :thumbup: ;)
 
Schön, wie Du die (offensichtlichen) handwerklichen Schwächen beschreibst. Da erkennt man gleich, dass dies nicht Dein erstes Buch ist :thumbup::thumbup::thumbup:
 
Danke - ich hoffe allerdings, auf der Gegenseite die (m.E. überwiegenden) guten Seiten des Buches auch ausreichend dargestellt zu haben. Denn nicht nur ist das Kritisieren immer einfacher (wiewohl ja das zugrunde liegende griechische Verb - dem Hörensagen nach lautet es "critein"; soll heißen: Ich hatte niemals Griechischunterricht - zunächst einmal nur ganz wertneutral die Kunst der Unterscheidung bezeichnet) - sondern vor allem dachte ich mir auch: Wenn ich einfach nur lobe und die Schwächen mit Schweigen übergehe, dann dient das dem Buch weniger, als wenn ich bei seiner Beurteilung ... ja, eben genau dies tue: es "kritisieren" im Sinne einer (möglichst ausgewogen) differenzierenden Betrachtung.
 
Genau, denn richtig lieben kann man nur, mit was man sich zuvor kritisch auseinander gesetzt hat.
Ist das ein Zitat? Wenn ja, von wem? - Ansonsten wird es meins :proud:
 
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