Bericht: Prag in der Vorweihnachtszeit

Pasquetta

Magnus
Stammrömer
Kalt und unwirtlich war dieser 1. Adventssonntag hier bei uns, aber kein Grund um trübsinnig zu werden :) Freunde fahren in den nächsten Tagen wieder einmal nach Prag und das hat mich mich dazu bewogen, wieder einmal ein älteres Reisetagebuch aufzuschlagen:

Prag
Dezember 2009

heißt es und damals war es in Prag genauso neblig und trüb wie heute hier. Ein Grund mehr, die schönen Prag-Bericht die hier im Forum zuletzt eingestellt wurden
(Prag_im_Oktober_2011;
Prag_im_Frühjahr_2011
Prag_auch_mal_ziemlich_spontan )
noch einmal anzusehen und dabei stieß ich auch noch auf die Frage

Hallo Pasquetta
bedeutet Vorweihnachtszeit in Prag auch endlose Weihnachtsmärkte ?
Gruss Jan
die ich bisher noch nicht beantwortet habe :blush:, so dass mein Reisebericht auch dazu passt, selbst wenn er schon etwas älter ist.
Meine Fotos sind zwar nicht so besonders gut geworden - das Wetter war schuld :nod: :twisted:, aber vielleicht hat ja die eine oder der andere doch Lust, mit mir durch das

vorweihnachtliche Prag
zu spazieren.
 
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Gerne, liebe Pasquetta, begleite ich Dich durch diese Stadt, die schon lange auf unserer Wunschliste steht. Auch wenn Dein Name hier auf den ersten Blick nicht so ganz passt :~;), sind Weihnacht und Ostern doch eng verknüpft. Die Geburt trägt schon die Zeichen von Kreuz und Auferstehung.
 
Prolog;) :~
Es ist für uns doch ein lohnenswerter Kurztrip geworden, auch wenn wir uns auf etwas eingelassen hatten, das wir bisher immer rigoros abgelehnt und auch belächelt hatten – so eine Reise würden wir nie machen. Aber: erstens kommt es anders, zweitens als man denkt -und so erlebten wir zwei schöne Tage in Prag bei dem Angebot "4-Tage-Fahrt Märchenhafter böhmischer Advent". :roll: :uhoh:
Bereits im Sommer hatten uns W. und L. mit ihren begeisterten Berichten von ihren Besuchen der tschechischen Hauptstadt geködert. Das Reiseangebot eines Busunternehmens, mit dem sie bereits mehrere Male sehr preisgünstig an Orte gebracht worden waren, die sie gerne sehen wollten, war der Köder – und wir waren noch nie in Prag gewesen, obwohl es uns schon immer gereizt hatte, dorthin zu fahren. Das „goldene Prag“ – viel wussten wir nicht darüber, hatten keine genaueren Vorstellungen davon. Hradschin, Karlsbrücke, Wenzelsplatz – Prager Frühling und November 1989, die Deutsche Botschaft in Prag – die Moldau, Dvorcak und Smetana, Kafka, Vaclav Havel… lauter kleine Gedankensplitter, die sich zu einem, wenn sicher auch oberflächlichen, Gesamtbild zusammenfügen sollten… Trotz der gewöhnungsbedürftigen äußeren Reiseumstände sollte es dennoch so sein, nicht zuletzt wegen der kundigen Reisebegleitung von L. und W.


Aber der Reihe nach –
Sonntag, 13.12.09
Wir werden wohnungsortnahe abgeholt - einer der Service-Tops des Reiseunternehmens – allerdings zu nachtschlafender x( Zeit, da ja auf dem Reiseweg noch jede Menge Zusteiger eingesammelt werden müssen. Pünktlich zum Reisebeginn Schneefall, der bei Darmstadt und Langen richtig kräftig war und auf der Autobahn liegen blieb. Schon in Frankfurt, zwischen den nächtlichen Hochhäusern (es ist 4.30 Uhr!) im Schein der Straßenlaternen, schneit es.
Autohof Alfeld / Amberg – die Sonne scheint über schneebedeckten Waldhängen – „hier „beginnt der Ural“ :lol: – wie W. bemerkte – eine ziemlich leere Gegend, nur Wald und Hügel und kaum noch Ortschaften.
Grenzübertritt; man merkt es nicht mehr, dass man ein westdeutsches Bundesland verlässt und in ein ehemals sozialistisches Land einreist. Es gibt keinerlei Kontrollen mehr. Anfang der 90er Jahre, als wir in Furth im Wald die, damals noch tschechoslowakische, Grenze passierten, mussten wir uns in eine lange Autoschlange vor der Abfertigung einreihen. Heute fährt unser Bus ohne Anhalten einfach weiter…

Am Nachmittag gegen 15 Uhr in Prag angekommen, natürlich in der Außenstadt nahe einem riesigen Autostraßen-Knotenpunkt – der Reisepreis muss ja kompensiert werden.


Das Hotel U Divadla liegt ruhig und schön an einer Straßenecke zwischen Gründerzeithäusern und, wie der Name schon sagt, gegenüber einem kleinen Theater. Hübsch restauriert, klein und betulich, mit etwas angestaubtem Charme, will das Hotel wahrscheinlich mehr hermachen als es ist: abgestoßene Wände, der Teppichboden hat ein paar Flecken und statt Bilder gibt es aufgeklebte Poster mit Stadtansichten :uhoh:, aber die Betten und das Bad sind in Ordnung und wir werden ja sowieso viel unterwegs sein. :|

Und dann gleich noch ein wenig raus an die Luft und die Beine vertreten. Mit L. und W. ein Stück durch die Straßen des Viertels gelaufen. Es ist empfindlich kalt geworden, der Ostwind pfeift kräftig durch die Straßen. Spaziert an Gründerzeithäuser vorbei (die Anordnung von roten und blauen Straßenschildern ist interessant) wollten wir zur Moldau, die aber jenseits der vielen Straßen- und Brückenab- und -auffahrten mit regen Autoverkehr lag. Also nur ein Blick hinüber zu den Barrandov-Terrassen wo die Filmstudios sind, in denen all die vielen tschechoslowakischen Spiel-, Märchen- und Trick-Filme entstanden, die auch unsere Kinder noch angesehen haben und an Graffittisprayern unter der Autostraßenbrücke vorbei „in die Büsche geschlagen“ und wieder zurück Richtung Hotel. Dabei durch hübsche Gässchen mit z. T. noch ziemlich heruntergekommenen Häusern, mit kleinen Läden für Alles und Jedes. Die Geschäfte sind alle noch geöffnet, obwohl es schon spät und Sonntag ist. Die Hauptstraße zum Platz hinauf spaziert, der mit ein paar Lichterketten weihnachtlich geschmückt ist. Gegenüber ein Biergarten. Kleine Kneipen und einfache Bierstuben an fast jeder Straßenecke und Bäckereien mit herrlichem Kuchen in der Auslage. In so einem kleinen Laden noch eine heiße Schokolade getrunken zum Aufwärmen, an einem kleinen alten Tischchen gesessen mit Wachstuch-Tischdecke und unterschiedlichen Holzstühlen - wie zusammengewürfelt und aus den 50er Jahren stammend die ganze Cafè-Einrichtung.

Abendessen gab es im Hotel - uns hat es geschmeckt, aber für manchen verwöhnten Mitreisenden war es natürlich nicht einem 4-Sterne-Hotel angemessen. Aber was sind schon 4 Sterne in einem Prager Vorort? - Das kann ja lustig werden und zu interessanten Beobachtungen anregen… :twisted:
Ich bin schon neugierig, was wir am morgigen Tag alles sehen und erleben werden. :nod:
 
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Liebe Pasquetta,

vielen Dank für den Beginn Deines Berichtes! :thumbup:
Irgendwann muß ich mir wohl doch auch Prag ansehen.

Autohof Alfeld / Amberg – die Sonne scheint über schneebedeckten Waldhängen – „hier „beginnt der Ural“ :lol:
Ich wußte bisher gar nicht, dass der Ural nur 60km von mir entfernt beginnt. :~

Liebe Grüße
dentaria
 
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Tja,
mir kommt es, besonders im Winter, auch manchmal so vor, als läge der Ural direkt nebenan. Und ich wohne nur 30 km entfernt von besagter Raststätte.
Aber ein herbstlicher Trip durch Prag hat etwas ganz Eigenes. Irgendwie sind Wenzelsplatz und Karlsbrücke, und natürlich die Gässchen drum herum besonders in der kalten Jahreszeit besonders reizvoll.
Danke für die gelungene Einstimmung auf einen (höchstwahrscheinlichen) Prag-Urlaub an Weihnachten.

lg,
petrus
 
Moin - Moin Pasquetta!


VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für den Anfang Deines Berichtes



Ich freue mich auf mehr und bin sicher, dass schöne Erinnerungen geweckt werden ...


Gruß - Asterixinchen :)
 
Vielen Dank für Euer Interesse :nod:, dabei haben wir vom "bekannten" Prag noch gar nichts gesehen;), aber mein Blick auf Prag ist sowieso ganz speziell "meiner".

@ dentaria
Irgendwann muß ich mir wohl doch auch Prag ansehen.
...
Ich wußte bisher gar nicht, dass der Ural nur 60km von mir entfernt beginnt. :~
Ja, ich würde auch gerne nochmal - und dann mit mehr Zeit - nach Prag fahren. Es lohnt sich. Und über die (gefühlte :~) Nähe zum "Ural" ... na ja, sieh es von der heiteren Seite :]
Und: ich wünsche Dir an dieser Stelle gute Besserung :nod: :!: So Erkältungen können ja hartnäckig sein. Lass Dich wärmen von der (inneren) römischen Sonne ;), dann geht's hoffentlich bald wieder besser.

@ Ludovico
Auch wenn Dein Name hier auf den ersten Blick nicht so ganz passt :~;), sind Weihnacht und Ostern doch eng verknüpft. Die Geburt trägt schon die Zeichen von Kreuz und Auferstehung.
Danke für's Mitlesen - ich hoffe, dass es kein "Kreuz" wird. Aber Deinen obigen Ausführungen schließe ich mich voll an (auch und gerade, was Weihnachten betrifft) :nod:.

@ petrus
mir kommt es, besonders im Winter, auch manchmal so vor, als läge der Ural direkt nebenan. Und ich wohne nur 30 km entfernt von besagter Raststätte.
:lol: Auch dazu meine Antwort im OT-Bereich :]
Aber ein herbstlicher Trip durch Prag hat etwas ganz Eigenes. Irgendwie sind Wenzelsplatz und Karlsbrücke, und natürlich die Gässchen drum herum besonders in der kalten Jahreszeit besonders reizvoll.
Prag ist sicher zu jeder Jahreszeit eine Reise wert. Auch wenn ich bestätigen kann, das die nebligen Wintertage der Stadt schon einen besonderen Reiz gaben. Ich wünsche eine schöne Zeit in der Goldenen Stadt, falls es denn zum Weihnachtsurlaub dort kommen sollte.

@Asterixinchen


Ich freue mich auf mehr und bin sicher, dass schöne Erinnerungen geweckt werden ..​

Das würde mich freuen :nod: - Fortsetzung folgt (die Fotos sind schon hochgeladen).
 
Montag, 14.12.09
Erster Versuch, ein wenig von Prag zu verstehen. Wird er gelingen?

Frantisek – für uns Franz – erwartet uns, um uns an diesen beiden Tagen immer wieder durch Prag zu begleiten. Der junge Tscheche steht verfroren in der Morgenkälte am Bus und begrüßt uns freundlich in deutsch mit starkem tschechischen Akzent.

Prag ist eine Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern, was auch wir im morgendlichen Berufsverkehr zu spüren bekommen. Im Bezirk 4 – Branik – rollt es noch – vorbei an schön restaurierten Gründerzeithäusern und an Plattenbauten aus der Zeit des Sozialismus. Aber dann zieht es sich – mehrspurig, Richtung Innenstadt – vorbei am Glaspalast der Raiffeisenbank, am Kongresszentrum, eines der größten und bestausgerüsteten Zentren in ganz Europa, in dem im November 2002 der NATO-Gipfel stattfand und vorbei an den Luxushotels, in denen die Mächtigen der Welt genächtigt hatten – und wir reihen uns auf „tschechische Art und Weise“ mit ein bisschen Drängeln und Schieben ein in den zähfließenden Verkehr. Stop and go – manchem dauert es vielleicht zu lange um die Notdurft zurück zu halten. Wir haben gut lachen in unserem warmen Bus, aber die Frau in der Grünanlage – was sein muss, muss eben sein - verdeckt verschämt ihr Gesicht. Groteske Bilder einer Großstadt.

Es rollt weiter über die fast 500 Meter lange Nusle-Tal-Brücke (Nuselský most) – Blick nach links: hier sehen Sie die Burg Hradschin und das große Sportstadion Strahov oben auf dem Berg – dort werden wir morgen vorbei schauen… und schon sind wir in der Legerova Straße, wieder fallen die sorgfältig und schön restaurierten Häuser und vielen Hotels hier in der Neustadt auf. So schnell können wir die Köpfe gar nicht wenden: vor uns das Nationalmuseum, links der Wenzelplatz und dann rechts die Staatsoper – und nicht vergessen nach dem Bahnhof zu schauen, wunderschöne Jugendstil-Fassade (zwei Türme mit kristallförmigen Glashelmen flankieren die zentrale Publikumshalle, die sich mit einem riesigen, halbrunden Fenster über dem breiten Eingang öffnet) und drinnen gibt es das berühmte Café Fanta – gut, auch das zu wissen…

Über die rund 400 Meter lange Hlávkuv (most)-Brücke (benannt nach dem bedeutenden Architekten Josef Hlávka) geht es auf die andere Seite der Moldau wo unser Busfahrer Pause macht und Frantisek uns unter seine Fittiche nimmt.


Auf der (mit 170 Metern) kürzesten Moldaubrücke, der Cechuv most, wieder reich verzierter Jugendstil, überqueren wir per pedes die Moldau um am anderen Flussufer unseren Ausflugsdampfer zu besteigen. So sollte es sein: eine Stadt am Fluss muss man vom Wasser aus gesehen haben. Während wir noch warten und den Schwänen am Anlegeplatz zusehen, die ihre Schnäbel unter die Flügelfedern stecken - ob auch sie frieren? -


wird uns klar, dass die Fa. B. für diese Tage vier volle Busse nach Prag geschickt hat – alle mit dem gleichen Reiseprogramm. Wir werden nicht alleine sein, auf dem Moldaudampfer, vor allem da man witterungsbedingt nur „unter Deck“ sich aufhalten wird können. Zusammenrücken heißt es – aber wir sind ja kontaktfreudig und genießen den Blick auf das etwas trübe Goldene Prag aus dieser Sicht.



Moldauaufwärts schippern wir und können trotz der Ansagen von Frantisek, untermalt von der Livemusik eines Alleinunterhalters mit verschiedensten Instrumenten, noch nichts zuordnen und so schauen wir einfach nach den Prachtbauten am Ufer – dem Haus der Künstler, Rudolfinum, an der Mánes-Brücke, recken die Hälse um die Karlsbrücke von unten und die 30 Figuren darauf gegen den grauen Winterhimmel zu sehen, beobachten das Ein- und wieder Ausfahren in die Flussschleuse – breit ist die Moldau hier, ungefähr 350 Meter.




Auf den Eisbrechern sitzen die Wasservögel, die selbst der Schiffsverkehr nicht aufschrecken kann. Wir fahren am Nationaltheater vorbei


und nach der Jiráskuv (most)-Brücke erregt das Tanzende Haus unsere Aufmerksamkeit.


Es heißt so, weil es aussieht wie eine „Tänzerin“ im gläsernen Kleid die sich an einen „Herrn mit Hut“ lehnt: auch „Ginger und Fred“ genannt. Der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel unterstützte damals, 1996, den Bau dieses auffälligen Bürogebäudes am Ufer der Moldau. Diese Gegend, nahe seines Elternhauses, war am Aschermittwoch 1945 durch einen der wenigen Bombenangriffe auf Prag zerstört worden und lange brach gelegen. Amerikanische Piloten hatten – angeblich wegen eines Navigationsfehlers – Prag mit Dresden verwechselt und diesen Angriff geflogen.



Wir fahren weiter die Moldau aufwärts bis zum Vysehrad, der steile Felsen hoch über der Moldau mit den Resten der „Hohen Burg“ und den markanten Türmen der Stiftskirche St.Peter-und-Paul. Am Ufer begleitet uns der Porsche der Prager Straßenbahn: stromlinienförmig gleitet der niederflurige Skoda-Straßenbahnwagen, entworfen von der Firma Porsche Design Group dahin, vorbei an einigen sogenannten kubistischen Häusern, erbaut vor dem ersten Weltkrieg in einem Architekturstil, der so nur noch in Prag zu sehen sein soll.
Der Alleinunterhalter spielt tschechische Weisen auf der Ziehharmonika, er kann aber auch anders mit Klarinette und Saxophon. Das Ausflugschiff dreht bei und wir fahren zurück,





moldauabwärts, unter acht von den 15 Brücken Prags hindurch zur Schiffanlegestelle zurück – und haben „Freigang“ bis wir zum kleinen Mittagessen im Hotel Opera abgeholt werden.

 
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Und weiter geht es :nod::

Nach der Wärme „unter Deck“ empfinden wir die feuchte Kälte unangenehm. Dankbar nehmen wir W.s Vorschlag an, mit ihm und L. einen Spaziergang durch das frühere Ghetto in der Josefstadt zu machen. Entlang der

Pariser Straße
mit ihren prachtvollen Jugendstil-Gebäuden geht es in das jüdische Viertel,

wo sofort die Altneusynagoge Superlativ-Akzente setzt: sie ist das älteste noch bestehende jüdische Gotteshaus Europas und eines der ältesten gotischen Baudenkmäler Prags. Um ihren Namen „Altneu“ ranken sich etliche Geschichten, vom randalierenden Golem, dem Lehmmenschen, des Rabbi Löw bis zur Bedeutung des hebräischen Wortes altnai „unter der Bedingung, dass“ die von Engeln zum Bau der Synagoge gebrachten Steine, bei der Ankunft des Messias zur Wiedererrichtung des Tempels von Jerusalem wieder herausgegeben werden. Aber vielleicht geht er auch nur darauf zurück, dass auf eine alte Synagoge eine neue gebaut wurde.


Gegenüber an der Maislgasse (Maislova) sehen wir das Jüdische Rathaus, ein Spätbarockpalais, dessen Türmchen eine Uhr mit römischem Zifferblatt ziert, während sich am Giebel der schönen Fassade eine Uhr mit hebräischem Zifferblatt befindet, deren Zeiger in umgekehrter Richtung linksherum gehen. Interessant sieht das aus – wie man hier überhaupt immer wieder auf hebräische Schriftzeichen stößt, ob das an den Gebäuden oder in den Schaufenstern der kleinen Geschäfte ist.


Durch das Gitter – vorbei am Wachmann – wagen wir einen kurzen Blick hinein in den alten jüdischen Friedhof: kreuz und quer, einer am anderen stecken rund 12.000 Grabsteine in der Erde. Es beschleicht einem ein seltsames Gefühl bei diesem Anblick. Seit dem 15. Jahrhundert wurden die Toten in mehreren Schichten übereinander bestattet, was für jüdische Friedhöfe eher ungewöhnlich ist, bis er im 18. Jahrhundert geschlossen wurde.

Über die Maislova bummeln wir, werfen einen Blick auf die Maisl-Synagoge und viele Blicke in die Schaufenster der hier im ehemaligen Jüdischen Viertel und in der Pariser-Straße reichlich vertretenen Juweliere oder auch auf die Auslagen der glitzernden Böhmischen Kristallwaren. Natürlich gibt es auch Prada & Co. – auch hier hat Prag voll an westliche Verhältnisse aufgeschlossen.

An der Grenze von Josefstadt und Altstadt, wo die Maislova vor der Rückfront der barocken St. Niklas-Kirche auf einen kleinen Platz mündet, stand das Geburtshaus von Franz Kafka. Es ist nur noch das Portal davon erhalten.



Kafka verbrachte fast sein ganzes Leben in seiner Geburtsstadt, wohnte in vielen verschiedenen Häusern, und kam von Prag, dem „Mütterchen mit Krallen“, wie er die Stadt einmal nannte, nie richtig los.

Nach einem Blick in die St. Niklas-Kirche - der Barockbau gehörte früher zu einer Benediktinerabtei, wird jetzt von den Hussiten als Kirche genutzt, in der oft auch Konzerte namhafter Künstler stattfinden - uns dahin gedreht, wo der Duft von Glühwein und Zuckergebäck herwehte:


auf dem Altstädter Markt findet jährlich der Weihnachtsmarkt von Prag statt. Es gibt über die Innenstadt verstreut mehrere kleine Märkte, aber dieser um das Jan-Hus-Denkmal ist der größte und der stimmungsvollste. Morgen, am späten Nachmittag wollen wir ihn uns nach der Stadtbesichtigung ansehen, wenn die Lichter am riesigen Tannenbaum und die festliche Beleuchtung an den Ständen und Buden in der Dämmerung besonders eindrucksvoll strahlen.

Nun ist es aber höchste Zeit, uns auf den Rückweg zum Treffpunkt an der Moldau zu machen. Bei leichtem Schneefall erreichen wir die Cechuv-Brücke - eigentlich könnte sie auch „das grüne Wunder“ heißen. Ihre, mit allegorischen Figuren und Tierköpfen reich verzierten, Jugendstillaternen und das Geländer haben reichlich Grünspan angesetzt.


Franz Kafka hatte auch hier, am Moldauufer, gewohnt und von dieser schönen Brücke könnte sein durch den Vater „zum Tode des Ertrinkens“ verurteilte Held in der Erzählung „Das Urteil“ in die Moldau gesprungen sein, über die jetzt für einen Moment sogar die Sonne scheint.

Gegenüber auf der Anhöhe tickt seit 1991 - zeitweise - ein Riesen-Metrononom als Symbol der Vergänglichkeit der Zeit. So wie das riesige Stalin-Denkmal, das vormals auf der Aussichtsplattform stand, vergänglich war, d.h. 1962 gesprengt wurde - und so die Prager vom Letná-Park aus wieder freie Sicht auf ihre Stadt und Platz für Großveranstaltungen, ob Popkonzerte oder Papst-Messe, haben.

Nach dem Aufeinandertreffen von zwei Busladungen voll Prag-Touristen und einem kleinen Mittagsessen im stilvoll restauriertem Hotel Opera - wahrscheinlich kann durch solche Angebote Leerlauf im Hotelbetrieb umgangen werden - irritiert der Blick auf das gegenüberliegende, früher sicher ebenfalls prachtvolle, Jugendstilgebäude, jetzt wehen die Fetzen der Plastikabdeckfolien aus den leeren Fensterhöhlen und der Verputz plättet ab – das schöne alte Gebäude wartet immer noch auf seine Renovierung. Und ein Stadtstreicher sucht aus dem Abfallkorb auf dem Bürgersteig nach Essbarem.

Wir werden ganz bequem zu unserem weiteren Besichtigungspunkt kutschiert und am Museum des Königreichs Böhmen „in die Freizeit“ entlassen. Der Programmpunkt sieht vor, den Wenzelsplatz und darum herum zu erkunden. Aber wir wollen zuerst mit unseren Freunden Kindheitserinnerungen nachspüren.



Davon und mehr von Prag aber später wieder :).
Pasquetta
 
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VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für die Fortsetzung


Ich glaube, dass mir so eine Bootsfahrt (vielleicht bei schönem Wetter) gut gefallen könnte ...
 
Danke Pasquetta für diese Spazierfahrt durch das geschichtsträchtige Prag mit den interessanten Gebäuden. Schade, dass Euch der Wettergott nicht hold war.
 
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Ich glaube, dass mir so eine Bootsfahrt (vielleicht bei schönem Wetter) gut gefallen könnte ...

Oh ja, Asterixinchen, ich finde es immer sehr schön, eine Stadt am Fluss auch mit einem Blick von dort aus zu betrachten.

Schade, dass Euch der Wettergott nicht hold war.

Das war nicht weiter schlimm, Ludovico, es war eben "mitteleuropäische" Winterstimmung (man sieht, so nahe am Ural waren wir dann doch nicht ;) ) und solange es nicht immer regnet (wie im Oktober letzten Jahres in Griechenland, als wir von 9 Reisetagen 7 - in Worten: sieben :!: -Tage fast durchgängig Regen und Nebel hatten und die Kleidung z.T. abends im Hotel mit dem Fön trocknen mussten :lol:) )geht es. Gegen Kälte kann man sich ja ganz gut schützen.

Lieben Gruß an alle Mitleser. Es geht - später - noch weiter...
Pasquetta
 
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Fortsetzung: wir sind also Nähe Wenzelsplatz angekommen...



Bevor wir den Wenzelsplatz erkunden, wollen wir zuerst mit unseren Freunden Kindheitserinnerungen nachspüren. Am Nationalmuseum vorbei
- dessen 100 m lange Vorderfront mit allegorischen Figuren, Mähren und Schlesien, Elbe und Moldau darstellend, geschmückt und von einer vergoldeten Kuppel gekrönt ist und während des Prager Frühlings 1968 durch Geschosseinschläge beschädigt wurde, da die Rote Armee das beeindruckende Gebäude irrtümlich für ein strategisch wichtiges Regierungsgebäude hielt - , über und unter der mehrspurigen Stadtautobahn entlang den Weg gesucht zur

Vinohradská,
der Straße, in der das Jugendstilgebäude steht,



in dem W. geboren wurde. Fast gegenüber befindet sich das Prager Rundfunkhaus - ein Gebäude, in dem Geschichte geschrieben wurde - eine Gedenktafel am Eingang zum Funkhaus erinnert an die Opfer des August 1968 - auch in der Zeit, der wir jetzt nachspüren. Aus dem Prager Rundfunk kommt im Mai 1945 der Aufruf zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung. Hier in der Weingartenstraße beobachtete die Mutter von W. vom Fenster ihrer Wohnung aus, wie der Hass auf die deutsche Bevölkerung sich zuspitzte und die Unruhen massiv um sich greifen, so dass sie mit ihren drei Kindern zuerst aus der Stadt auf das Land flieht bevor sie „ausgesiedelt“ werden. Vorbei die Zeit der Kaffeehausbesuche und des Flanierens auf den Prachtstraßen Prags für die beiden älteren Schwestern und für den kleinen W. die Ausfahrten im Kinderwagen in dem nahe gelegenen Rieger-Park. Auch das ist deutsch-tschechische Geschichte.

Und nun stehen wir hier in der Vinohradská, der Name leitet sich von den mittelalterlichen Weinbergen ab, die es damals hier vor den Toren der Stadt gab, legen vor der roten Hausnummer 839 die Köpfe in den Nacken
und schauen hinauf zu dem Balkon mit dem schönen schmiedeeisenen Geländer

und spitzen durch die kleinen Fenster des verschlossenen Portals und für einen Moment spielen wir mit dem Gedanken, „Schellen klopfen“ zu spielen um ins Innere des Hauses zu kommen, lassen es aber dann doch bleiben.

(Apropos Hausnummern in Prag, die etwas verwirrend sein können: jedes Haus hat gleich zwei Nummern. Die roten Schilder mit den hohen Nummern zählen die Häuser eines Bezirks, während die blauen Schilder die Hausnummern einer Straße angeben.)


Wie schön die Gebäude in der Vinohradská in frischen Farben und mit vielen besonderen Details restauriert worden sind und wie freundlich und zuvorkommend die Damen im Radio-Shop sind. Mit ihrer Hilfe finden wir in der Schublade mit den Kuscheltieren noch drei kleine Maulwürfe, heiß geliebte Figur aus dem Zeichentrickfilm und Konkurrent der Maus auf der Beliebtheitsskala der Kindersendungen. Sie kommen mit als Mitbringsel aus Prag.


Von der Vinohradská gehen wir zurück zum Wenzelsplatz und tauchen ein in das Flair dieses Prachtplatzes, der 750 m lang und 60 m breit eher ein großer Boulevard ist. Sofort zieht das riesige Denkmal für den böhmischen Landespatron den Blick auf sich, der hl. Wenzel in Rüstung und mit Harnisch und Lanze hoch zu Ross,


flankiert von den vier Schutzheiligen Böhmens, darunter seine Großmutter Ludmilla (was soviel heißt wie „die dem Volk lieb ist“), die erste Heilige Böhmens.


Der Wenzelsplatz mit Hotels, Cafés, Restaurants und Einkaufspassagen ist nicht nur der Mittelpunkt des modernen Prags. Schon immer wurden hier Kundgebungen abgehalten, aufmarschiert und demonstriert und schon Karl IV., der uns in Prag überall begegnet, hat diesen Platz als (Ross-)Marktplatz anlegen lassen. Im November 1989, als die tschechischen Studenten mit ihren Protesten die so genannte „Samtene Revolution“ und das Ende des kommunistischen Regimes einleiteten, war er Schauplatz – aber auch am 16. Januar 1969, als der 20jährige Student Jan Palach seinen Schwur „mit allen Mitteln etwas gegen das Böse zu unternehmen“ in der Weise einlöste, dass er sich mit Benzin übergoss und als lebende Fackel vom Nationalmuseum auf den Wenzelsplatz lief. Ein Denkmal an der Stelle, wo Palach zusammengebrochen sein soll, erinnert an ihn und seinen Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts und die Niederschlagung des Prager Frühlings, wie auch an Jan Zajíc, „Fackel Nr. 2“.


Langsam gehen die Lichter an, dezent weihnachtlich geschmückt präsentieren sich die schönen Gebäude rings um den Platz, wie das berühmte Jugendstil-Grand Hotel Evropa. „Ich sitze im Kaffeehaus, habe etwas Hübsches gelesen, bin wohlauf“ wird Kafka in einem Brief zitiert, den er im Café des Hotels (damals hieß es noch „Erzherzog Stephan“) geschrieben hat. Ein Blick in eine Passage lässt uns ahnen, welche weiteren schönen Lokalitäten dieser Art Prag noch zu bieten hätte und auch die vielen prächtigen Gebäude, meistens im Jugendstil errichtet, die den Platz säumen sind mehr als einen Blick wert.

Den Wenzelsplatz hinab spazieren wir, an den paar Weihnachtsmarktbuden vorbei, in den Graben. „Am Graben“ heißt die Einkaufs- und Flanierstraße nach dem Wassergraben, der hier verlief und die Altstadt von der Neustadt trennte. Zufällig auf die Gastwirtschaft „Pelikan“ gestoßen – ist es dieselbe, in der W.s Vater seinerzeit seinen Stammtisch hatte? Durch kleine Seitenstraßen zum schönen Stände-Theater gekommen, das eigentlich nach dem Schriftsteller Tyl heißt. Überlebt hat von ihm der Text der tschechischen Nationalhymne „Kde domov mui?“ (Wo ist meine Heimat?). Im Tyl-Theater wurde am 29. Oktober 1787 Mozarts Oper „Don Giovanni“ uraufgeführt. Heute ist dieses Theater - eines der schönsten in Europa soll es sein - Sprechbühne des Nationaltheaters, aber auch Mozart-Opern in zeitgenössischer Interpretation werden gezeigt. Wir riskieren einen Blick in den Eingang für Bühnenarbeiter: an der Rückseite des Gebäudes werden gerade Kulissen ausgeladen.


Nahe beim Stände-Theater befindet sich das altehrwürdige Carolinum. Es ist das älteste noch genutzte Universitätsgebäude auf dem Europäischen Kontinent. 1348 hatte – wieder einmal -Kaiser Karl IV. die Prager Universität gegründet und sie bekam 1383 von Wenzel IV. das Gebäude des Collegium Carolinum gestiftet. Auch Jan Hus war hier Rektor.

Am spätbarocken Palast Savarin vorbei, in dem das „Schwarze Theater“ residiert, erreichen wir wieder den unteren Wenzelsplatz, wo reges Treiben herrscht. Zwischen den Weihnachtsmarktbuden duftet es verführerisch. An einer Trdelnik


eine herrliche Leckerei probiert: Staroceské Trdlo - gedrehte Hefeteigstreifen mit Karamel und Nüssen, gebacken über offenem Holzfeuer, immer schön drehen, und hinterher noch mal in Zucker gewälzt. Wunderbar wie gut das schmeckt! Und danach auch noch sehnsüchtig auf den saftigen Prager Schinken, auch er über offenem Feuer gedreht und würzig duftend, geschielt :roll:– aber wir haben ja noch Abendessen im Programm. (Er soll auch sehr gut gewesen sein, Frau K. hat ihn probiert. :nod:)

Es ist Zeit geworden, sich wieder am Treffpunkt zur Rückfahrt ins Hotel einzufinden.


Wir schlendern den beleuchteten Wenzelsplatz hinauf – L. und ich retten uns mit einem Sprung vor der mahnend bimmelnden Straßenbahn. In Prag nennt man dieses erschreckte Flüchten der Fußgänger vor den unbedingt auf ihre Vorfahrt bestehenden motorisierten Verkehrsteilnehmern (recht passend) „Hühnerrennen“. Wir genießen die schöne Abendstimmung, verweilen hier und dort und werfen noch einen Blick auf die festlich angestrahlte Fassade des Nationalmuseums am oberen Ende des Platzes.


Unser Busfahrer bringt uns gut zurück zum Hotel und wir haben noch Zeit um Ausschau zu halten, wo wir unseren „Becherovka-Mitbringsel-Einkauf“ tätigen können. Der etwas größere „Penny“-Markt bietet dazu keine Gelegenheit, aber dafür der kleine Lebensmittelladen in der Straße am Hotel, in dem wir fast den ganzen Vorrat an kleineren Flaschen des typischen Kräuterlikörs Becherovka aufkauften. Für das freundliche Personal das Geschäft des Abends.


Das Abendessen wurde aufgewertet durch das gute süffige Bier, das es in „Böhmen“ gibt – tschechisches Bier gehört traditionell zu den besten der Welt, da sind sich die Fachleute einig - und so ging ein mit schönen interessanten Eindrücken übervoller Tag zu Ende. Vom Fenster im obersten Stock des Hotels geht der Blick über die stille Straße dieses Vorortes von Prag. Die Luft draußen ist sehr frisch und es schneit wieder ein bisschen.


Soviel für heute - Fortsetzung mit dem zweiten Prag-Tag folgt. Und was man in jedem Prag-Reiseführer findet;):

Ahoj und dobrou noc!
Pasquetta
 
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Zur Einstimmung auf das 2. Adventswochenende noch ein kleiner Spaziergang durch das "adventliche" Prag:

Dienstag, 15.12.09

Um der ersten Welle des Berufsverkehrs auszuweichen beginnen wir unsere heutige Stadterkundung etwas später – da wir dann trotzdem bereits zur geplanten Zeit auf dem Hradschin sein werden. Hradschin – die Burgstadt, der Bergsporn auf dem sich die Prager Burg befindet und die angrenzende Vorstadt. Wohlklingende Namen und wir wollen wissen, was dahinter steckt.

Aber vorher erläutert uns Frantisek auf der Busfahrt vom Hotel zur Burg noch alles, was sehenswert ist. (Leider habe ich davon keine Fotos :() Wir überqueren die zur Zeit graue Moldau und fahren Richtung Norden durch Stadtteile mit verfallenen Fabrikgelände, hier wartet einiges auf Wiederaufbau, und dazwischen immer wieder schöne alte Villen und repräsentative Mietshäuser mit Stuckverzierung, Friesmalereien, Blüten-Ornamenten... Prag wurde im Krieg kaum angegriffen, darum ist noch so vieles aus der Gründerzeit erhalten.

Frantisek weist uns auf dies und das hin, vor allem aber immer wieder darauf, dass auch Karel Gott hier wohnt :D – wer würde nicht das Lied von der Biene Maja trällern können? – und erzählt Anekdötchen von ihm, der „tschechischen Nachtigall“ – und endlich, da ist sie, die gelbe Villa - es bestünde aber auch die Möglichkeit, hier im Viertel die Villa Bertramka – „wo Mozart am liebsten Urlaub machte“ - mit dem Mozart-Museum zu besichtigen … so nahe liegen die verschiedenen kulturellen Möglichkeiten beieinander.
(Anmerkung: Bei meiner aktuellen Recherche für die Sehenswürdigkeiten von Prag habe ich gelesen, dass das Mozart-Museum mit den anderen Lokalitäten der Villa Bertramka geschlossen wurde.)

Weiter Richtung Strahov, dort am Strahov-Stadion vorbei, ein riesiges Sportareal, das zu Zeiten des CSSR noch das „größte Stadion der Welt“ war. Es fasste bis zu 220.000 Zuschauer, bei den „Spartakiaden“ traten bis zu 10.000 Turner im Stadion auf. Heute befindet sich die Geschäftsstelle von Sparta Prag mit acht Fußballfeldern dort, aber dieses einzigartige Stadion bröckelt vor sich hin und verfällt immer mehr.

Welche Sehenswürdigkeiten wir auf der Weiterfahrt zur Burg noch passierten, entzieht sich ein wenig meiner Erinnerung: vorbei am Klosterbezirk Strahov zur Wallfahrtsstätte Maria Loreto mit der barocken Kirchenfassade, nahe dabei das Außenministerium im Palais Cernin - so dürfte es wohl gewesen sein. Das letzte Stück Weg zum Burgbezirk legen wir – vorbei an der ehemaligen Reitschule und auf der Staubbrücke über den sogen. Hirschgarten - zu Fuß zurück. Hoch auf dem Hügel thront der St. Veits-Dom, heute Morgen ein wenig nebelverhangen im leichten Schneegeriesel.

Zur Einstimmung auf die Hradschin-Begehung beobachten wir zuerst die Wachablösung am kleineren Nebentor zum Burggelände


und betreten dann den Zweiten Burghof.



Von nun an schwirren die Daten nur so durch unsere Köpfe. Die Prager Burg auf dem Prager Berg Hradschin wurde vor mehr als tausend Jahren gegründet und bildet das größte geschlossene Burgareal der Welt. Oftmals zerstört und abgebrannt, von Generationen von Baumeistern der verschiedensten Baustile immer wieder auf- und umgebaut, bliebt die Bestimmung der Burg immer die gleiche: sie war Krönungsstätte und Sitz der böhmischen Könige und ist bis heute Residenz des Staatspräsidenten.

In der Mitte des zweiten Burghofes steht ein Barockbrunnen, der ein bisschen weihnachtlich mit einer Tannengrüngirlande geschmückt ist. Die Nüchternheit des Hofes wird durch die im Renaissancestil schön gestalteten Fassaden der ihn umschließenden Gebäude betont (sie beherbergen u.a. den Spanischen Saal und eine Galerie) und das relativ neue Granitpflaster des Hofes rundet mit seinem rötlichen Schimmer, noch verstärkt durch die Nässe des Schnees, das Bild sehr schön ab. Aus der Südecke des Hofes ragt die Apsis der Hl.-Kreuz-Kapelle, in der der Domschatz von St. Veit aufbewahrt wird (mit so „seltsamen Dingen“ wie dem Kettenhemd des hl. Wenzel und das Schwert des hl. Stephan).

Durch das Matthiastor und den Ehrenhof gelangen wir auf den Hradschiner Platz, der wunderschön eingerahmt ist von verschiedenen Palästen:


rechterhand das Erzbischöfliche Palais,​
gegenüber am Platzende das Toskanische-Palais – beide im Barockstil -, aber das stattlichste dürfte das Schwarzenberg-Palais sein. Wie ein florentinischer Patrizierpalast nimmt er seinen Platz an der Südseite ein und beeindruckt vor allem durch seine „Sgraffito-Dekoration“. Es sieht aus, als ob die Wände aus geschnittenen Steinen bestünden, in Wirklichkeit sind sie in „Diamantquadermanier“ bemalt, d.h. das Muster ist mit kräftigen, schwarzen Strichen und z.T. auch mit Schraffur auf das Mauerwerk aufgetragen, so dass sie wie „geschliffene Diamanten“ aussehen; raffiniert 8) ...

Und nun genießen wir voll und ganz den wunderschönen Blick über die leicht verschneiten Dächer von Prag.

Auch wenn es etwas neblig ist, schweift der Blick weit über die „Goldene Stadt“, über die Giebeln der Häuser, die Kuppeln und spitzen Türme der Kirchen - deutlich auszumachen sind die beiden Türme der Teynkirche - bis hin zu den Hügeln und Vororten, in denen die Stadt ausfranst. Besonders beeindruckend ist die Sicht auf das Palais Lobkowitz, die Deutsche Botschaft in Prag


– uns allen ein Begriff um die Geschehnisse in den Wochen vor dem November 1989, als sich tausende Bürger der ehemaligen DDR im Garten der Botschaft einfanden und dort durch die denkwürdige Ansprache vom damaligen Außenminister Genscher – dessen letzten Satz im tausendfachen Jubel unterging - von ihrer Ausreisemöglichkeit erfuhren. Von da an nimmt die jüngere deutsch-deutsche Geschichte und damit auch die europäische ihren bekannten Lauf.

Unter den „Kämpfenden Giganten“

und vorbei an der Wache - Achtung Wache: aufgepasst :twisted: - kehren wir durch das schöne Gittertor


zurück in den Ersten Burghof, durchschreiten das wie einen römischen Triumphbogen gestaltete Matthiastor

und gehen durch den Zweiten in den Dritten Burghof, den der Veitsdom dominiert, ein ganz besonderes „High-light“ (oder sollte ich „Schmankerl“ dazu sagen?) der Prager Sehenswürdigkeiten.

Der St.-Veits-Dom - nach einer Rundkapelle und einer romanischen Basilika gründete Karl IV. die gotische Kathedrale – ist nicht nur wegen seiner Ausmaße die imposanteste Kirche Prags, auch die Innenausstattung lässt einfach nur staunen.

Kaiser und Könige wurden in ihm bestattet (auch Kaiser Karl IV. und sein in Nürnberg getaufter Sohn, der spätere Wenzel IV., der „1361 in sein Taufwasser „macht“ o_O. Im Pfarrhof erwärmt man hastig neues. Dabei fängt der alte Holzbau Feuer und brennt ab :oops:. Der Vater des Täuflings, Kaiser Karl IV. finanziert nach diesem Malheur den neuen Wirtschafthof aus Stein…“ (aus: Historische Meile Nürnberg), den Sebalder Pfarrhof mit dem berühmten Chörlein. – so lassen sich auch Verbindungen (sprich: Eselsbrücken) herstellen).
Die Wenzelskapelle ist das wertvollste Kleinod des Domes:

ausgekleidet mit vergoldetem Stuck und 1300 Halbedelsteinen. 1372 war eine solche kostbare Dekoration nicht üblich – sollte sie an das Himmlische Jerusalem der Offenbarung erinnern? Das wichtigste Werk der Wenzelskapelle ist jedoch die Statue des Heiligen. Dargestellt ist er als Krieger in Rüstung und mit Adlerschild und Lanze, im Gegensatz dazu stehen sein entrückter Gesichtsausdruck und die anmutige Bewegung in der Körperhaltung. „Er verkörpert so das Idealbild des Heiligen.“ zitiere ich aus dem Baedeker.
Im Geschoß über der Wenzelskapelle ist die Kronkammer in der die böhmischen Kroninsignien aufbewahrt werden – gesichert durch sieben Schlösser, die Schlüssel dazu an sieben verschieden Orten hinterlegt.

Eindruck macht natürlich auch der reich verzierte Silber-Reliquienaltar des Johannes von Nepomuk (für das bemerkenswerte Hochgrab wurden 16,5 Tonnen Silber verarbeitet!) – oder auch die farbigen Glasfenster, wie die mächtige Fensterrosette
oder in der Neuen Erzbischöflichen Kapelle das von Alfons Mucha, dem bedeutendsten Künstler des Prager Jugendstils, 1931 entworfene „Fenster der Landespatrone“ mit der hl. Ludmilla und ihrem kleinen Enkel, dem hl. Wenzel. (Hier ein wenig unscharf :blush:, aber dafür "handgemacht". ;))


Die „Goldene Pforte“ des Südportals des Domes ziert ein restauriertes Glasmosaik aus dem 14. Jh., auf dem das „Jüngste Gericht“ dargestellt ist und auch hier wieder die Landespatrone und unten, ziemlich klein, diesmal auch Kaiser Karl IV. mit seiner (vierten) Ehefrau Elisabeth von Pommern.


Wir überqueren den Dritten Burghof, gehen am Königspalast vorbei, ohne – leider, leider – den gigantischen Vladislav-Saal_besichtigen zu können. Er war Anfang des 16.Jh. der größte gewölbte Profanbau Mitteleuropas und hat die Ausmaße von 62 m Länge, 16 m Breite und eine Höhe von 13 m und ist mit einem spätgotischen Gewölbe überspannt. Hier wurden die böhmischen Könige gewählt, Landtagssitzungen abgehalten und fanden Reitturniere statt. Die prunkvoll gerüsteten Adligen konnten mit ihren Pferden über die Reitertreppe, mit besonders flachen Stufen, direkt in den Vladislavsaal einziehen um dort ihre „ritterlichen Spiele“ abzuhalten.

Nebenan, (aber nicht aus diesem Fenster :~)

in einem Raum der Böhmischen Kanzlei fand der sogen. "zweite Prager_Fenstersturz" statt, der in Folge den 30jährigen Krieg auslöste. Dazu gekommen war es, als der König von Böhmen das Recht auf freie Religionsausübung zurücknahm und die protestantischen Adligen dagegen protestierten. Sie zogen am 23. Mai 1618 auf die Prager Burg und warfen zwei in der Kanzlei anwesende Statthalter aus dem Fenster ungefähr 17 Meter tief in den Burggraben. Den Sekretär Fabrizius warfen sie gleich noch hinterher. Alle drei überlebten nur mäßig lädiert, da sie – so wird erzählt – laut „Jesus, Maria“ rufend auf einen Misthaufen landeten und fliehen konnten. In Wirklichkeit dürften sie schlicht und einfach „weich gefallen sein“, da sie der damaligen Mode nach weite schwere Mäntel trugen, die den Fall abgedämpft haben und außerdem waren die Fenster, aus denen sie – unter heftiger Gegenwehr - gestoßen wurden, sehr klein und so konnten sie nicht „schwungvoll nach draußen befördert werden“, sondern rutschten mehr oder weniger die schräge Außenwand hinab. Auf einem zeitgenössischen Flugblatt ist auch kein Misthaufen abgebildet, sondern Steine – warum sollte auch ausgerechnet unter dem Fenster der Ratskanzlei ein Misthaufen sein… Vielleicht war es Wunschdenken, die verhassten Statthalter der Obrigkeit auf dem Mist landen zu sehen. Jedenfalls konnten diese fliehen und fanden Unterschlupf und Schutz bei der strengen Katholikin und Adeligen von Lobkowicz, deren Palast wir vor Verlassen des Burgareals sehen werden.
So reich an Geschichte und Geschichten ist also der Königspalast. Wir gehen an der romanischen St.-Georgs-Basilika vorbei.


Die Anfänge dieses Klosterkomplexes gehen sogar bis in 10. Jh. zurück. Am Südportal in der Georgsgasse fällt das halbrunde Giebelfeld mit dem – wenngleich als Kopie – ausdruckvolle Relief auf, das Georgs Kampf mit dem Drachen zeigt.

Am Eingang zum „Goldenen Gässchen“ linsen wir nur kurz in besagtes Gässchen, für das ein doch recht ansehnliches Eintrittsgeld verlangt wird und durch das sich, vorbei an seinen winzigen Häuschen, die Touristen drängeln. Die Alchimisten Kaiser Rudolfs II. sollen hier versucht haben, Gold herzustellen und den Stein der Weisen zu finden – darum wird es auch Goldmachergässchen genannt. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass in den pittoresken Häuschen aus dem 16.Jh. die Bogenschützen Kaiser Rudolfs II. wohnten, die hier nebenberuflich als Handwerker ihren kargen Sold aufbesserten. Auch später arbeiteten hier immer wieder Handwerker, auch Goldschmiede. Auch arme Leute siedelten sich hier an – und Franz Kafka wohnte im Haus Nr. 22 – bevor die heruntergekommene Gasse wieder „aufgewertet“ wurde und heute vor allem Souvenirläden Platz bietet. Da bemühen wir doch lieber unsere Phantasie…

Die Georgsgasse den Burgberg abwärts kommen wir am idyllischen Spielzeugmuseum vorbei, das im ehemaligen Burggrafenamt untergebracht ist, und am Lobkowicz Palast aus dem 16. Jh., der nach einer wechselhaften Geschichte nun wieder im Besitz der Lobkowiczs ist und u.a. ein beachtenswertes Museum beherbergt. Wir verlassen das Burggelände durch das Tor am Schwarzen Turm und genießen gegenüber von der Bastei den schönen Blick auf die Malá Strana, die Kleinseite.




Noch haben wir Prag nicht ganz :~ ;) durchwandert... Es geht noch weiter.
Pasquetta
 
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Liebe Pasquetta,

vielen Dank fürs Mitnehmen nach Prag!
Es ist schon wieder zu lange her, dass wir dort waren, obwohl es von uns aus ja wirklich nicht so weit ist.
Nachdem wir bei einem der letzten Besuche vor einigen Jahren nach einem wunderschönen Symphoniekonzert im Rudolfinum noch in drei Stunden heimgefahren waren, nahmen wir uns vor, auch einmal kürzere Ausflüge an die Moldau zu unternehmen. Leider wurde nichts daraus ... ;)

Auf jeden Fall freue ich mich, so schöne und stimmungsvolle Fotos und interessante Informationen in Deinem Bericht zu finden! :thumbup:

Liebe Grüße

Angela
 
Danke für die Rückmeldungen - und bevor der 2. Adventssonntag ganz zum Sonntagabend wird, noch ein paar adventliche Impressionen aus Prag vom

(noch immer) Dienstag, 15.12.09


Frantisek führte uns nun durch den Burg-Weinberg und kleine malerische Gässchen bergab.

Wir schauen durch das Fenster der


Prager Deutschen Buchhandlung Vitalis,
die sich in einem kleinen Haus mit dem Namen „Zum weißen Hemd“ befindet, der an die Wäschebleichen an der nahen Moldau erinnert. Vitalis steht nicht nur für die deutsche Literatur in Prag, sondern auch für tschechische in deutscher Übersetzung. Hier sollte man Zeit haben, um ein wenig stöbern zu können.

(Anmerkung: Nach 17 Jahren wurde die Vitalis-Buchhandlung auf der Prager Kleinseite Anfang 2010 geschlossen, ein kleines Geschäft soll es noch im Haus Nr. 22 im Goldenen Gässchen geben.)

Weiter oben in der Cihelna (zu deutsch: Ziegelei) in einem ansehnlich restaurierten alten Gebäude befindet sich das Kafka Museum. Im kleinen Hof versuchen wir den Sinn der modernen Brunnenskulptur mit den beiden „Brunnen-Pinklern“ zu entschlüsseln;

es gelingt uns nicht. Die beiden in der Hüfte sehr beweglichen Herren sind aus dünnen Metallscheibchen zusammengesetzt und „strullern“ je nach Wasserdruck mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Das nächste Kuriosum ist die wohl engste Gasse Prags, die mit einer Ampel für Fußgänger ausgestattet ist.

Will man die Gasse durchqueren, so drückt man den Ampelknopf und der Gegenverkehr hat Rot, will heißen: zwei Fußgänger kämen nicht an einander vorbei.
Wir streifen weiter durch Gassen, die ich nicht mehr zuordnen kann – kleine Geschäfte mit schönen alten Glaswaren in den Fenstern, Marionetten hängen an den Türen, wir kommen an die Moldau, sehen die alten Hochwassermarken, die an den gar nicht so nahe am Fluss stehenden Häusern angebracht sind und können nachvollziehen, dass die ruhige pittoreske Gegend um die Kampa-Insel, mit der träge fließenden Moldau und den bis an sie heranreichenden Gebäuderückseiten auch „Prags Klein-Venedig“ genannt wird.

Selbst der Name Kampa soll aus dem Lateinischen kommen: Campus, das Feld – hier gab es schon immer viele Gärten und Grünanlagen.
Die Stufen hoch


beim Haus „Zu den drei Straußen“,
das jetzt, nach einer wechselhaften Geschichte, ein vornehmes Hotel beherbergt, gelangen wir zur Karlsbrücke. Drei Straußen sind auf dem wieder freigelegten Fresko an der Fassade des historischen Gebäudes (1597 erbaut) abgebildet. Welche Geschichte für die Namensgebung stimmt, weiß man nicht mehr so genau: wurden Kaiser Karl IV. von Boten aus fernen Ländern, die bereits damals hier logiert hatten, drei Strauße mitgebracht oder weil es der Hoflieferant für Hutfederschmuck und Händler in Straußenfedern – „dernier cri“ des ausgehenden 16. Jh. – bewohnte? Gewiss ist jedoch, dass im Haus „Zu den drei Straußen“ ein besonderes Prager Kulturgut entstand: 1714 eröffnete hier ein Armenier das erste Kaffeehaus Prags – es war also immer schon ein „gastliches Haus“.

Und dann spazieren wir mit vielen anderen Touristen über die wohl bekannteste, und mit Superlativen belastete, Brücke von Prag: die Karlsbrücke. Sie verbindet – auf 16 Bögen, 520 m lang und 10 m breit, - die Altstadt mit der Kleinseite. Von ihr genießt man grandiose Blicke auf das Moldautal mit den vielen Brücken und den Blick auf die Burg sowie die Kuppeln und Türme der Stadt an den beiden Enden der Brücke.


Alles Wissenswerte über die berühmte Karlsbrücke kann man in jedem Prag-Führer ausführlich nachlesen. Hier nur so viel dazu:Eine Holzbrücke soll es hier bereits Anfang des 12. Jh. gegeben haben, der folgte 1158 die steinerne Judithbrücke – ein starkes Hochwasser beschädigte sie jedoch so stark, dass Karl IV. den Bau einer neuen Brücke anordnete. Peter Parler – der vom Veitsdom! - begann 1357 damit und sie wurde in den Jahren um 1400 vollendet. (Angeblich ist man sich aber nicht mehr so sicher, ob Parler der Baumeister war oder ein Prager Bürger namens Otlin; Hauptsache sie wurde überhaupt gebaut.) Eine kleine nette Geschichte – und zugleich eine Karlsbrücken-Eselsbrücke – zum Datum des Baubeginns: Kaiser Karl IV. legte den Grundstein 1357 angeblich an neunten Tag des siebten Monats um 5.31 Uhr, so dass der denkwürdige Moment in einer regelmäßigen Folge von ungeraden Zahlen festgehalten wurde: 1-3-5-7-9-7-5-3-1. Falls es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden.
Das besondere Bild der Karlsbrücke prägt der reiche Skulpturenschmuck. Die verwitterten Originale der zum größten Teil barocken Sandsteinfiguren – es sind 30 an der Zahl - wurden durch Kopien ersetzt und der hl. Johannes von Nepomuk ist noch immer der Lieblingsheilige der Brückenbesucher.

Seine Bronzestatue erhebt sich in der Mitte der Brücke, von der er 1393 in die Moldau gestoßen wurde und durch Ertrinken den Märtyrertod starb. Die Legende erzählt, er habe sich König Wenzel gegenüber geweigert, das Beichtgeheimnis – Wenzel wollte wissen, was seine Frau so zu beichten habe 8O – zu verraten. Wahrscheinlicher dürfte seine Verhaftung und Folterung mit anschließendem Ertränken darauf zurück zu führen sein, dass er Pläne der Königs vereitelte, der wichtige Stellen durch seine eigenen Kandidaten besetzt haben wollte, um dadurch den Einfluss des Bischofs auf kirchliche und wirtschaftliche Belange zu schmälern. Auf jeden Fall lieben die Prager ihren Brückenheiligen noch immer, was auch die blank gescheuerte Bronzetafel mit der Darstellung des Brückensturzes bezeugt: durch Berührung des Kopfes von Johannes Nepomuk hat man einen – frommen – Wunsch frei.


Wie auch wir sehen konnten, wird die grandiose Karlsbrücke generalüberholt. Dabei kam eine weitere Kuriosität zu Tage, die sich in der Zwischenzeit als wahr bestätigt hat. Die Prager Chemiker fanden heraus – was bisher Gerücht war -, dass beim Bau der Brücke dem Mörtel Eidotter beigemischt wurde um seine Festigkeit zu erhöhen. Eine jahrhundertealte Legende besagt, dass König Karl IV. seinen Untertanen befohlen hatte, zum Bau der Brücke Eier nach Prag zu liefern. Gefragt waren rohe Eier – was mit den gekochten, die ebenfalls abgeliefert wurden, geschah, ist nicht überliefert. Wir aber wissen nun, dass wir „auf rohen Eiern“ über die Moldau gegangen sind und die Festigkeit der Bausubstanz hat sich nicht zuletzt auch wieder 2002 beim schlimmsten Hochwasser seit 500 Jahren bewährt.
Am Altstädter Turm, einer der schönsten gotischen Türme Mitteleuropas, halten wir noch einmal an und schauen zurück auf das Treiben auf der Brücke, wo die Menschen flanieren, Kleinkünstler und Kleinkunstverkäufer ihrem Gewerbe nachgehen und der Drehorgelmann mit dem Stoffäffchen auf seiner Orgel das bunte Bild abrundet. Wir schauen auf Karl IV. und Wenzel IV., die hoch vom Turm auf ihre Stadt blicken und eingerahmt sind mit den Wappen aller von ihnen regierten Ländern, dem Königswappen Böhmens, des römischen Kaisers und dem königlichen Eisvogel, Symbol von Wenzel IV. Was für eine Kulisse!

Frantisek zieht sich seine Mütze tiefer über die Ohren, als wir bei der Kirche St. Franziskus stehen

– die mit ihrer grandiosen Kuppel die benachbarte Salvatorkirche an Schönheit überbieten sollte. Es ist doch ziemlich frisch an diesem Mittag auf dem Weg durch die Altstadtgassen Prags. Frantisek führt uns die Karlova, die Karlsgasse – Karl, der Name auf den man hier überall trifft – hinab. Wir gehen nun ein Stück auf dem, historisch nicht verbürgten, Königsweg. Aber die Stadt ist hier in der mal etwas breiteren dann wieder schmalen und gekrümmten Gasse so schön, dass der Weg zum Altstädter Ring ruhig Königsweg genannt werden kann. Im Mittelalter fanden hier feierliche Umzüge der tschechischen Könige statt, sie führten vom Pulverturm bis hinauf zur Burg. An jeder Ecke gibt es mindestens eines der wunderschönen Prager Häuser, wahre Herrschaftshäuser mit reichem Stuck- und Farbenschmuck und den Hauszeichen, nach denen das Haus meistens benannt ist. Man kann gar nicht alle aufzählen.

Die Ecke zur Seminárská-Straße bildet z.B. das Haus „Zum Goldenen Brunnen“, eines der malerischsten Gebäude der Altstadt, geschmückt mit einem Relief des hl. Wenzel und hl. Johannes Nepomuk und einer Muttergottes im goldenen Stern. Oder das schmalste erhaltene Haus Prags, jetzt ein reizvolles kleines Hotel, mit nur 3,28 m Breite ("ganz in Grün").

Frantisek gibt sich viel Mühe uns immer wieder auf Besonderheiten hinzuweisen:
Das wunderschöne Portal des Clam-Gallas-Palais. Der riesige Palast ist viel zu wuchtig für die engen Altstadtgassen. Er wurde durch das – nicht benutzte – Portal in der Hus-Straße aufgelockert und sollte, so sagt man, das Schicksal des tschechischen Volkes zeigen: jeweils ein Paar, zwei Meter hohe, Giganten tragen den reich mit Putten und Vasen verzierten Aufbau und scheinen unter der Last fast zusammenzubrechen.

In der Stadt der guten Biere darf natürlich auch nicht der Hinweis auf ein Bierlokal fehlen:
hier die Traditionsgaststätte „U Zlatého Tygra (Zum goldenen Tiger) in der Husova, in der auch der Dramatiker Tyl – wir erinnern uns: Ständetheater, tschechische Nationalhymne - und der Autor des „braven Soldaten Schwejk“, Jaroslav Hasek, einkehrten. Der „Goldene Tiger“ wacht seit ungefähr dreihundert Jahren über der Eingangstür, durch die auch Bill Clinton zusammen mit Vaclav Havel trat, als er eine klassische tschechische Bierstube besuchen wollte. – Das alles weiß Frantisek uns zu erzählen.

Und er führt uns auf den Kleinen Ring (Malé námestí), einen kleinen Platz, der mit den wunderschönen Häuserfassaden, den Laubengängen und den goldenen Brunnen in einem schmiedeeisernen Käfig sicher lange seinesgleichen sucht. Wie schade, dass es so kalt ist und wir nicht mehr Zeit haben, hier verweilen zu können. An noch etlichen sehenswerten Häusern gehen wir vorbei, wie dem „Zum blauen Hecht“, in dem das erste Kino Prags untergebracht war. In kleinen Läden wird böhmisches Glas, Marionetten oder anderes Kunsthandwerk verkauft. Ein besonderes Haus grenzt an den Altstädter Ring: das Haus U minuty (Zur Minute) über und über bedeckt mit Sgraffiti, biblische und mythologische Szenen in den Putz gekratzt. Und der Name? Vielleicht wegen der Nähe zum Altstädter Rathaus mit der Astronomischen Uhr…


Wir haben es gerade noch geschafft: 12 Uhr-Schlagen und Apostelumzug von der Prager Orloj, der berühmten Astronomischen Uhr mit ihrem komplizierten Mechanismen und wunderschönen Verzierungen. Die mechanische Uhr und das astronomische Zifferblatt stammen aus dem Jahr 1410. Die Uhr hat ein 24-Stunden-Zifferblatt. Die gotischen Verzierungen und das Kalendarium wurden 1490 hinzugefügt. Im 17. Jh. kamen die beweglichen Figuren dazu und Mitte des 19. Jh. wurden die zwölf Apostel installiert, die zu jeder vollen Stunde ihren Prozessionsweg ziehen. Es ranken sich viele Geschichten um die Uhr, die aber in das Reich der Sagen gehören, wie die, dass die Ratsherren einen der Erbauer, Hanus, blenden ließen, damit er keine weitere so kostbare, wunderschöne Uhr bauen konnte.
In den letzten Tages des 2. Weltkrieges wurde das Rathaus bei einem Angriff durch die deutschen Truppen zerstört, auch die Uhr erlitt schwere Schäden und konnte nur nach aufwendiger Restaurierung wieder in Gang gesetzt werden.
Und so können wir sie in ihrer voller Schönheit bewundern. Der Platz hat sich gefüllt und alle recken die Hälse und verdrehen die Köpfe um ja alles genau sehen zu können: die ziehenden Aposteln, den Tod mit der Sanduhr das Sterbeglöckchen läutenden, den krähenden Hahn mit flatternden Flügeln. Über all diese seltsamen Dinge schüttelt ein Türke mit Turban den Kopf, ein Geiziger lässt sein Säckel nicht aus den Augen und ein eitler Tropf sieht im Spiegel nur sich selbst. Wie viel diese Uhr doch erzählen könnte…


Und nun verabschiedet sich Frantisek von uns. Gut hat er uns an diesen kalten Wintertagen durch seine Stadt geführt, viel Interessantes und kleine Besonderheiten gezeigt, so dass auch
wir eine Ahnung bekommen haben, vom Zauber der „hunderttürmigen goldenen Stadt“

Vom Rathaus über den Altstädter Ring, dem Zentrum der Altstadt, vorbei am Denkmal für den bedeutenden Reformator Böhmens Jan Hus, das inmitten der Weihnachtsmarktbuden und neben dem riesigen Weihnachtsbaum mit den vielen Lichtern fast ein wenig untergeht – die Teynkirche, die mit ihren beiden Türmen das Bild des Platzes prägt, werden wir später besuchen – biegen wir ein in die Celetná-Straße.

W. schlägt vor, eine Pause zu machen – etwas Besseres kann uns gar nicht einfallen – und wenn wir schon im „goldenen Prag“ sind, sollten wird doch und bietet es sich an, im
Jugendstiljuwel „Obecni dum“

einen videnska kava (Wiener Kaffee) zu genießen. Dabei sollte es nicht bleiben: das Kuchenbüfett war einfach zu verlockend. Es war eine sehr erholsame Pause in diesem wunderschönen Ambiente mit den kleinen Kaffeehaus-Tischen und den plüschigen Sitzbänken, die Lichter der Kristalllüster glänzen vielfach in den Spiegeln an den Wänden. Leises Stimmengemurmel, Klappern von Geschirr und Besteck, Kellner und Serviermädchen huschen durch den Saal und - nicht zu vergessen – rollen das verlockende Kuchenbüfett zur Auswahl an den Tisch.

Das Repräsentationshaus – schon dessen schöne Jugendstil-Fassade macht mächtig Eindruck - wurde als Gemeindehaus geplant, mit diversen Sälen (der größte ist der Smetanasaal) für kulturelle Veranstaltungen bis zu Vereinstreffen, mit Restauranträumen – durch die wir ohne direkt daran gehindert zu werden streifen können, als ob wir uns für eine Platzreservierung interessieren würden – während im ersten Stock des Cafés darauf geachtet wird, nach dem Besuch der jugendstilgeprägten Toiletten nicht in die weiteren Räumlichkeiten mit den Balkons zum großen Café-Saal hin vorzudringen –. Es besticht durch seine reiche Ausstattung an Jugendstilkunst vom Allerfeinsten, an der die bekanntesten Künstler dieser Zeit – bis hin zu Alfons Mucha – mitgestaltet haben. Die großzügigen Freitreppe in der Vorhalle und einige Jugendstil-Glasarbeiten konnten wir auf den wenigen dem Publikum zugänglichen Gängen sehen. Aber das besondere Flair hatten wir ja im Café auskosten können. Ein wunderschönes Gebäude, wirklich zum Repräsentieren.
Da fällt es schwer, sich wieder auf den Weg zu machen – jedoch die Zeit lässt sich nicht anhalten. Wir biegen am Pulverturm


wieder in die Celetná-Straße zur Altstadt ein. Viele schöne Häuser auch in dieser Straße – historische und architektonische Sehenswürdigkeiten, mit alten Hauszeichen, nach denen die Häuser benannt sind. Es lohnt nicht nur in die Schaufenster zu schauen, sondern den Blick auch nach weiter oben zu richten, bevor wir wieder auf dem Altstädter Ring angelangen. Wir schauen noch in die gotische Teynkirche mit den zwei markanten Türmen

– irgendwo habe ich gelesen, dass die Türme unterschiedlich stark sind und Namen haben: Adam ist der dickere, Eva der schlankere – und dem schönen Nordportal mit dem Baldachin und dem reich geschmückten Tympanon. Vom Inneren der Kirche ist mir nur noch der etwas düstere Gesamteindruck in Erinnerung, jedoch keine der sicher sehenswerten Einzelheiten. Unter den Bögen des Laubengangs der Teynschule treten wir wieder hinaus auf den sich ganz und gar weihnachtlich präsentierenden Altstädter Ring:

der festlich im Lichterglanz erstrahlende Tannenbaum, die heimeligen Marktbuden, der Duft von Zuckergebackenem – noch einmal von den leckeren Trdlo gekostet – es riecht - je nach demnach, an welcher Marktbude man Halt macht - nach Wurst, Prager Schinken und Maronen. Stimmungsvoll, wenn der Kinderchor auf der Bühne tschechische Weihnachtslieder singt, die Lichter erstrahlen und die vielen Menschen – wie wir auch – an den Ständen mit ein wenig Kunsthandwerk und viel Kitsch vorbei schlendern. Aber das Schönste ist die Kulisse dazu: St. Niklas, die Teynkirche, die wunderschönen Fassaden der, den Altstädter Ring säumenden, Barock- und Rokokohäuser bis hin zum Rathaus.
Dort finden wir uns zum 17-Uhr-Schlagen der Astronomischen Uhr wieder ein und machen uns nach dem Verschwinden des letzten Apostels auf den Rückweg zur Haltestelle des Busses. Es ist kalt und schneit ein wenig – es ist eben Winter in Prag.

Die Pariser Straße hinab, vorbei am nun fast menschenleeren Jüdischen Viertel (wo gestern der Bettler sich auf dem Bürgersteig hingekauert hatte, seinen Hund unter seinem Bauch – ob sie sich gegenseitig Wärme gaben? – und den Teller für die Spende vor sich auf der Decke, mit gesenktem Kopf und ausgestreckter Bettelhand), über die Brücke wieder zurück zum Bus. Wie schön ist die Lichterkulisse entlang der Moldau mit der Stadtsilhouette und der beleuchteten Burg auf dem Hradschin. Es ist schon dunkel geworden – vorbei am schönen Bahnhofsgebäude, der Oper und dem Nationalmuseum - ein letzter Blick zum beleuchteten Wenzelsplatz – bringt uns der Bus durch den starken Verkehr in der abendlichen Rush-hour zurück zum Hotel, müde von den vielen schönen Eindrücken.

Nun fehlt nur noch das Fazit unserer Prag-Reise...
aber erstmal soviel für heute.
Pasquetta
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo pasquetta,

sehr vielen Dank, für die Fortsetzungen deines Berichts! Ich fühlte mich fast "live dabei". :)
Allerdings hast du damit das Reise-Tier in mir wieder geweckt, und mein ursprüngliches Hirngespinst "Prag an Weihnachten bzw. Ostern" wird inzwischen ziemlich konkret. Daher hätte ich zwei Fragen:
1. Welches Hotel würdest du empfehlen, für jemanden, der noch nie in Prag war? Es sollte schon zentral sein, damit man alles gut erreichen kann (ich werde wohl mit dem Zug fahren und bin deshalb nicht mobil), und es sollte auch nicht direkt eine Absteige sein.
2. Wo kann man gut essen gehen (nicht Pommes-Bude)?

vielen Dank und lg,
petrus
 
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