Da ich gestern abend durch einen Tastendruck zuviel die Fortsetzung meines Rom-Spaziergangs in die unendlichen Weiten des WWW geschickt habe :x :twisted: :lol: - versuche ich es jetzt noch einmal, dem grautrüben hiesigen Gefilden mit ein paar Rom-Erinnerungen zu trotzen.
Also: noch immer
Donnerstag, 30.09.2010
Um 14 Uhr wollen sich mit M. und mir die treffen, die ein weiteres Stück „modernes Rom“ kennen lernen möchten.
Noch sind wir gut zu Fuß, kein Schuh drückt
– wie vielleicht bei dem piccolo bambino auf der Piazza San Pietro: weg damit, ohne geht’s sich leichter -
und bis zur Piazza Risorgimento ist auch nicht so weit. Von dort bringt uns die Tram 19 bis zum Marine-Ministerium und weiter geht es mit dem Bus bis zur Viale Tiziano. Ein kurzes Stück die Via Guido Reni entlang und schon sehen wir die Fahnen flattern:
Schon von außen ist dieser Bau beeindruckend – und dann erst drinnen!
MAXXI – das Museo nazionale delle arti del XXI secolo – dazu zitiere ich aus einem Artikel von Ute Diehl aus „art das Kunstmagazin“:
„Rom ist endlich in der Gegenwart angekommen. Neben Kolosseum und Peterskirche gibt es eine neue Attraktion, einen Museumsbau von Zaha Hadid, das MAXXI. Zehn Jahre dauerten die Bauarbeiten, sechsmal wechselten die Kulturminister und 150 Millionen Euro wurden aufgewandt, um den Italienern ihr erstes Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst zu schenken.“
Das MAXXI wurde am 30. Mai letzten Jahres eröffnet. Ein „exzentrischer“ Bau heißt es (und die Römer nennen ihn jetzt schon „Tagliatelle“), auch wir sind sehr beeindruckt und ich habe mich gerne überreden lassen, nicht nur die Architektur des Museums zu bewundern, sondern auch die Ausstellungen.
Einen ersten Eindruck davon bekommen wir gleich vor der gläsernen Eingangsfront:
Gino_de_Dominicis Skelett „Cosmic Magnet“ (1990) liegt 25 Meter lang hingestreckt und reckt die spitze Pinocchio-Nase in die Luft. Zum ersten Mal wird, hier im MAXXI, sein Werk in einer Gesamtschau gezeigt, die immer wieder die „Tod und Unsterblichkeit“ zum Thema hat.
In den Ausstellungen war es leider, aber verständlicherweise, nicht erlaubt Fotos zu machen. Als mir dies gedeutet wurde hatte ich aber schon
abgelichtet. Werke dieses Künstlers haben wir schon in MMK in Frankfurt mit großem Vergnügen aber auch Ratlosigkeit erleben dürfen.
Mangels Bilder eine kurze textliche Zusammenfassung der in Erinnerung geblieben Kunstwerke aus dem MAXXI. Die/der der sogenannten "Modernen Kunst" 8) nichts abgewinnen kann und trotzdem meinen Reisebericht weiter verfolgen möchte, möge einfach weiter unten wieder dazu stoßen.
Glas-Iglu und Fibonacci-Sequenz von
Mario_Merz, einem Hauptvertreter der Arte Povera. Ab 1968 entstehen die für ihn typischen Iglus aus verschiedensten Materialien (wir haben einen in Glas gesehen) als Form für den „Zusammenhang zwischen Innen und Außen, für das Bergende und Schützende, für das Vergängliche und Flüchtige“. Ist dieser Iglu aus zerbrochenen Glasscheiben Behausung oder „Unbehaustheit“? Etwas später entstehen auch immer wieder seine farbig intensiven Malereien mit Gegenständen und Fibonacci-Zahlen (ja, etwas gerätselt, aber dann doch gemeinsam drauf gekommen, was Fibonacci-Zahlen sind).
Avaton - Il muro in legno, verkohlte Holzarbeiten von
Nunzio Di Stefano, verkohlte und angemalte Holzlatten, eine über die andere geschichtet, wie ein Paravent zusammengesetzt, sehr sinnlich man kann hindurchschauen, sich geschützt dahinter stellen, es riecht nach angekohltem Holz, 2 Meter hoch und sieben lang…
Auch Giuseppe Penone gehört zu den italienischen Arte Povera-Künstlern mit Installationen und Objekten aus Naturmaterialien. Bezug zu Hessen: Teilnehmer der Documenta 5, 7 und 8. Im Mai 2010 wurde Giuseppe Penone als erster Teilnehmer an der Documenta 13, die 2012 stattfinden wird, bekannt gegeben. Mit der Installation “Sculture di Linfa“ aus Holz, Leder, Harz und Carrara-Marmor, die jetzt im MAXXI zu sehen ist, war er auf der Biennale di Venezia. Sculture di linfa, ein ganzer Raum in warmes Gelblicht getaucht, die Wandflächen in braunem Leder reliefartig gefältelt wie Baumrinde und der Fußboden in Carrara-Marmor von glatt poliert zu aufgeraut, schadhaft wechselnd und geteilt durch eine Rinne aus Holz in die Harz eingegossen ist. Zuerst angenehm das Abschreiten dieses Raumes eingehüllt in Naturmaterialien, bis sich ein leichtes Unbehagen einstellt, die Lederwände näher rücken, die unterschiedlichen Marmoroberflächen irritieren..
Von Gilbert (Italiener) & George (Brite) einem Künstlerpaar aus dem Londoner East End, mit dem Anliegen „niedrigschwellige, einfach verständliche Kunst für alle“ zu schaffen, sind ebenso Werke zu sehen (großformatiges „Zweierglück im Winkel“ düstere wandhohe Papierbahnen, wie ein braunschwarzer Wandteppich in den das Paar versinkt) wie von Joseph Beuys „Lavagne“ – Tafeln oder von Pino Pascali, der bereits 1965, dreißigjährig und erst am Beginn seiner viel versprechenden Karriere als arte povera-Künstler, bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt ist.. Im MAXXI ist sein Werk
"fiume con foce tripla" zu sehen, eine Inszenierung mit Wasserläufen, ein „Fluss mit dreifacher Mündung“.
Von Thomas Ruff, dem international angesehenen deutschen Fotokünstler, sind aus einer Fotoserie über italienische Architektur zwei großformatige Fotoarbeiten sehr anschaulich platziert: „m.d.p.n. 2002-2003“, Mercato del Pesce di Napoli di Luigi Cosenza – Fischmarkthalle von Neapel, Architekt Luigi Cosenza.
Die Bedenken, dass bei so einem Haus mit Kurven und spitzen Winkeln, verschlungenen Räumen über mehrere Ebenen, mit schwebenden Treppenrampen und schrägen Stahlstützen, jede Hängetechnik versagen müsste, erwiesen sich als unbegründet. Selbst so ein Riesengemälde wie „Sternenfall“ (4,50 x 5,30 m) von Anselm Kiefer, dem 2008 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen worden ist, hat einen würdigen, angemessenen Platz in der Sammlung des MAXXI gefunden. Voll Symbolik die fallenden Sterne, ein Universum in Bewegung, Lichter gegen dunkle Schwere, in der hingeworfene Wörter einsinken.
Eine der besonders beeindruckenden und bedrückenden Installation war für mich die Koffermauer von Fabio Mauri, „Il muro occidentale o del Pianto“ - Koffer, Taschen, Kisten, unterschiedlichste Gegenstände in Leder, Stoff und Holz, dazwischen eine kleine Efeupflanze und eine gerahmte Fotografie –alles aufgetürmt zu einer Mauer 4 Meter lang und 4 Meter hoch, ein Hinweis auf die Klagemauer in Jerusalem, Symbol für jedes Exil, jede Zerstreuung...
Leichter zu ertragen „Concetto Spaziale – Natura“ von 1959/60. Lucio Fontana, Avantgardekünstler der ersten Nachkriegsgeneration, hat fünf unterschiedlich große Bronzekugeln angeordnet. Dellen und Eindrücke, deutliche Spuren an der Oberfläche, Öffnungen, die dunkles Innere ahnen lassen, Raumtiefe oder Erweiterung und Ausdehnung bedeuten können. Wie gerne würde man da einmal darüber streichen…
Die Zeit verging viel zu schnell, aber wir sollten doch noch einen weiteren Programmpunkt für heute wahrnehmen. Also noch ein Blick vom oberen Saal bis hinab ins Foyer – und mir zittern die Knie, nur auf einem breiten verglasten Streifen im Fußboden stehend und in die Tiefe zu blicken, aber man muss über diesen Glasboden um durch die schrägstehende Glasfront das nicht weniger spektakuläre Panorama auf die Piazza genießen zu können – und man sollte möglichst schwindelfrei sein.
Wieder zurück im Foyer haben wir tatsächlich das Gefühl, dass dieses Gebäudes irgendwie bewegt und man von der darin präsentierten „moderne“ Kunst eine Ahnung bekommt. Und bevor es in der Cafeteria noch den nötigen Espresso gibt, werden wir selbst noch Teil eines Kunstwerkes und stellen uns ins“ Rotlicht“.
Maurizio Mochetti projiziert mittels langer roter Röhren ein rotes Lichtbündel, das auf bestimmte Punkte im Raum fällt. Und diesen Raum kann man einnehmen, was zur Erheiterung führen kann, wenn man so mit rotem Licht übergossen da steht.
Alles hat zusammen gepasst – ein großes Erlebnis.
Wir verlassen das MAXXI, die „Kulturfabrik“ mitten zwischen Mietsblöcken und den Altbauten einer ehemaligen Kaserne gelegen, die dieses Quartiere an der Via Flaminia aufwerten sollte. Das dürfte gelungen sein, denn seit 1960 der Architekt Nervi den ehemals berühmten Palazzetto dello Sport für die Olympischen Spiele gebaut hatte, war hier nicht mehr „viel Staat zu machen“.
Der Palazzetto sieht auch jetzt noch sehr mitgenommen aus, wie wir den Eindruck haben,
als wir jetzt daran vorbei kommen auf dem Weg zur zweiten „modernen Architektur“, dem
Parco della musica.