Italien: Draghi und die große Koalition

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Um die EU-Milliarden nach und nach abrufen zu können, muss Italien 48 "aktivierende Reformen" umsetzen. Dafür hat es anderthalb Jahre Zeit. Die Eingriffe sollen die chronischen Wirtschaftshemmnisse aushebeln und die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Kredite und Zuschüsse aus Brüssel tatsächlich bis 2026 ausgegeben werden und dem Krisenland zu einem soliden Wachstum verhelfen. In Rom lieferte der Premier vor einer Woche die ersten beiden Reformen ab. Pünktlich.
 

„Der Süden hat eine historische Chance“, sagt Carfagna. 191 Milliarden Euro sollen aus dem Recovery Fund für Italien bereitgestellt werden, 40 Prozent dieser Mittel sind für Italiens Süden bestimmt. Die Ministerin listet auf, in welche Bereiche das Geld fließen soll: „Breitband-Internet überall, mehr als 50 Prozent der für die ökologische Wende bestimmten Fonds und mehr als 53 Prozent der Gelder für Infrastruktur gehen in den Süden, überall wird es Hochgeschwindigkeitsstrecken für die Bahn geben“, sagt Carfagna. (...)
Auch die süditalienischen Häfen sollen mit 1,2 Milliarden Euro ausgebaut und verbessert werden, brandaktuell ist auch wieder der Bau einer Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll. Die Brücke soll Sizilien wirtschaftlich anbinden, ihr Bau selbst aber auch Wachstum generieren.
 
EU-Wiederaufbaufonds: Wie Italien aus der Schuldenfalle kommt (handelsblatt.com)

Am Ende wird sich zeigen, ob das EU-Gründungsmitglied so wettbewerbsfähig ist, dass es die Währungsunion nicht mehr gefährdet. „Von dieser hohen Verschuldung werden wir, aber auch die Franzosen, Spanier, alle Europäer, nur durch höheres Wachstum wegkommen“, erklärte der Regierungschef.
Steuern will er keinesfalls erhöhen, die wirtschaftliche Lage sei noch „sehr, sehr ernst“. Gab es Ende 2020 schon erste Zeichen des Aufschwungs, brach die dritte Corona-Welle im Frühjahr umso härter über Italien herein.
 
Wiederaufbaufonds der EU: Wofür Italien die Corona-Hilfen ausgibt | tagesschau.de

Die Justiz, die Verwaltung und das Steuersystem sollen reformiert werden. Die behäbigen Strukturen lähmen schon seit langem die Wirtschaft und das ganze Land. Mehr als ein Viertel der EU-Gelder sind für den digitalen Umbau geplant, etwa für flächendeckend schnelles Internet. Milliarden sind auch für erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit eingeplant, angedacht sind Solar- und Wasserstoff-Projekte.

Viel Geld soll der Süden bekommen, der wirtschaftlich besonders abgehängt ist. Von dem Recovery-Fonds erhoffen sich viele einen Modernisierungsschub für das ganze Land. Gleichzeitig geht die Angst um, die Gelder würden in dunklen Kanälen landen, wie etwa bei der Mafia.

"Wir sind wirklich sehr besorgt. Auf der einen Seite hat die Mafia sehr viel Geld, das sie waschen muss", sagt die Rechtsanwältin Enza Ronda. "Auf der anderen Seite ist es für sie wichtig, dass sie sich die vielen öffentlichen Mittel sichert, besonders in einigen wichtigen strategischen Sektoren wie etwa im Gesundheitswesen."
 

Ab 2040 werden keine Autos mit Benzin- oder Dieselmotoren mehr neu zugelassen, berichtete Verkehrsminister Enrico Giovannini im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica" (Donnerstagsausgabe).

"Wir stehen vor einer Revolution", sagte der Minister. Er kündigte Anreize zur Erneuerung der Fahrzeuge in Italien an.
 

Auch in Europa macht sich das bemerkbar. Aus dem ewigen Konjunktur-Schlusslicht der EU ist eine treibende Kraft geworden. Das Land, das 2018 von einer populistischen Regierung durch brandgefährliche Schuldenpläne, Italexit-Fantasien und den Flirt mit Autokraten in Moskau und Peking zum irrlichternden Außenseiter der Europäischen Union geworden war, nimmt unter dem früheren EZB-Chef nun in Brüssel in der ersten Reihe Platz.
 

An einem Freitagmorgen im Februar aber, in Rom liefen gerade die Verhandlungen zur Bildung der Regierung Draghi, klingelte bei Cingolani das Telefon. Am anderen Ende: der damals designierte Ministerpräsident, der Cingolani einen Ministerposten anbot: "Ich habe ihm gesagt, dass ich gerade an sehr wichtigen Dingen arbeite. Er hat mich aber darauf hingewiesen, dass wenn dein Land dich ruft, du dich zur Verfügung stellen musst. Das schien mir als Begründung mehr als ausreichend - und daher habe ich es gemacht."
 

Soldi und Fuortes waren vom parteilosen Ministerpräsidenten Mario Draghi für die Führungsposten bei Rai nominiert worden. Ähnlich wie bei Schlüsselposten im Kabinett sind die wichtigen Personalien für Italiens Medienlandschaft ein Zeichen für das Bemühen des ehemaligen EZB-Chefs, unabhängige Fachleute statt Parteifunktionäre mit Führungsaufgaben zu betrauen.
 

Die Regierung der breiten Koalition in Rom legt den ersten Teil ihrer Justizreform dem Parlament vor, der Text soll von beiden Kammern ohne wesentliche Änderungen innert einer Woche verabschiedet werden.
 
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Mit Blick auf die Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Februar hat Draghi mehrere Optionen. Er wird selbst als Nachfolger von Präsident Mattarella gehandelt, um mit einem Ministerpräsidenten nach seiner eigenen Vorstellung sein politisches Vermächtnis zu sichern. Oder Draghi erreicht die Wahl eines Staatsoberhaupts nach seinem Wunsch – wofür Justizministerin Cartabia gehandelt wird –, um seine eigene Amtszeit als Regierungschef bis zum Ende der Legislaturperiode im März 2023 zu sichern. Mario Draghi ist in Rom Herr des Verfahrens – im „weißen Semester“ und darüber hinaus.
 

Die Regierung von Premier Mario Draghi will Italiens Cybersicherheit stärken. So entsteht die Nationale Agentur für Cybersicherheit (NCA), an deren Spitze der Informatik-Experte Roberto Baldoni stehen wird, wie die römische Tageszeitung "La Repubblica" am Samstag berichtete.

Zum Hackerangriff siehe Italien und das Coronavirus und ff.
 
Die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi will nun mit viel Geld aus dem europäischen Recovery Fund den Arbeitsmarkt reformieren und etwa spezielle Jobs für Junge fördern oder in eine bessere Ausbildung an den Universitäten investieren.
 

Jetzt wittern die Unternehmer die Chance zu einem Neustart. Ihre Zuversicht ist für den schwierigen Reset fundamental. Nur: Ein Selbstläufer ist sie nicht. Sie muss fortwährend alimentiert werden. Und das ist ein heikler Punkt, denn bisher hängt das Vertrauen von einer einzigen Person ab: von "Super Mario" Draghi.
 
Draghis Kraftprobe
Mario Draghi ist in eine Kraftprobe mit einem Teil der italienischen Gewerkschaften hineingerutscht, die sowohl sein ganzes Verhandlungsgeschick als auch seine Entschlossenheit fordern wird. Die italienische Regierung ist unter seiner Führung nicht zimperlich, wenn es um Zwangsmaßnahmen zur Erhöhung des Gesundheitsschutzes geht. Mit der nun erforderlichen 3-G-Nachweispflicht an jedem Arbeitsplatz bewegt sich Italien näher auf eine allgemeine faktische Impfpflicht zu als andere Länder. (...) Draghi muss aufpassen, dass die Spannungen nicht aus dem Ruder laufen.
 
Bestätigung für Draghis Kurs
Seit seinem Amtsantritt am 13. Februar sitzt der italienische Ministerpräsident Mario Draghi fest im Sattel. Seine breite Koalition – von der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung über die Sozialdemokraten sowie mehrere Kleinparteien rechts und links der Mitte bis zur rechtsnationalen Lega – hält der frühere EZB-Chef geschickt beisammen. In den beiden Parlamentskammern verfügt das Bündnis über jeweils gut vier Fünftel der Stimmen; die einzige parlamentarische Oppositionskraft von nennenswerter Größe sind die postfaschistischen „Brüder Italiens“. Mehr als zwei Drittel der Italiener sind laut Umfragen mit der Arbeit ihres 74 Jahre alten Ministerpräsidenten zufrieden. Selbst den „Krisenmonat“ Oktober dürfte Draghi gut und sogar gestärkt überstehen. Der von einigen Gewerkschaften sowie von faschistischen Splittergruppen angekündigte Protest- und Blockadesturm gegen die von ihm durchgesetzte Einführung der 3-G-Pflicht im gesamten Arbeitsleben zum 15. Oktober war kaum mehr als ein Lüftchen.
 
Eine europäische Vernunft
Die Regierung von Mario Draghi hat den Populismus in Italien ausgebremst.
Diese Siegesnachricht halte ich allerdings für verfrüht. Sondern m.E. handelt es sich eher nur um ein Zwischenhoch bei dem, was die FAZ heute hochgestimmt so beschreibt:
Mit dem Populismus in Italien geht es zu Ende, als habe er den Zug der Zeit verpasst. Als unwiderstehliche Macht der Geschichte hatte ihn Matteo Salvini noch Anfang vergangenen Jahres inszeniert. Sein schrill orchestrierter Marsch auf Rom endete damals am Nordufer des Flusses Rubicone, als die Wähler der Emilia-Romagna es vorzogen, sozialdemokratische und zivile Parteien in ihre Regionalregierung zu schicken.
Jetzt haben überall im Land Bürger der größten Städte den Populismus an den Rand geschoben. Nach den Kommunalwahlen stehen Neapel, Rom, Bologna, Mailand und Turin unter sozialdemokratischer Leitung.
 

Der größte gemeinsame Nenner für das Amt des Staatspräsidenten bleibt somit der parteilose und angesehene Draghi. Doch der ist Ministerpräsident – und hat bislang nicht durchblicken lassen, ob er überhaupt gewählt werden will. In Rom heißt es nun, der Premier könne seine Entscheidung in der Neujahrsansprache bekannt machen. Bis dahin sind es noch sechs Wochen. Sechs Wochen, in denen Italien wieder vom Hoffnungs- zum Wackelkandidaten werden könnte.
 
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