Als Stendhal in Florenz das Stendhal-Syndrom bekam

dentaria

Augustus
Forum-Sponsor
Stammrömer

Stendhal hasste Touristen. Aber er selbst verreiste unheimlich gern. Der französische Schriftsteller Marie-Henri Beyle (1783–1842) ist besser bekannt unter dem selbst gewählten Pseudonym Stendhal. Ja, er hatte sich wirklich nach der Stadt Stendal in der Altmark getauft, aus der Johann Joachim Winckelmann stammte, der Popstar aller Antiketouristen. Man ging damals auf Grand Tour – das war die adelige Art und Weise, Europa zu erkunden, die ab dem 19. Jahrhundert auch für Bürgerliche in Mode kam.

In Florenz wiederum wurde Stendhal ein früher Zeuge des Overtourism: „Verstopft von sechshundert Russen oder Engländern“ schien ihm die Stadt, „ein Museum voller Ausländer, die ihre eigenen Gepflogenheiten dorthin verpflanzen“. Touristen sind eben immer die anderen. Man selbst ist Reisender. Als Stendhal 1817 in Florenz die Kirche Santa Croce besichtigt, haut es ihn um: So viele Gräber berühmter Leute auf einem Fleck: Michelangelo, Machiavelli, Galilei – eines prächtiger als das andere.

Manchmal werden Schlüsselszenen eines Schriftstellerlebens erst Jahrhunderte später richtig gedeutet. Als die Psychiaterin Graziella Magherini es im Florenz der 1970er- und 80er-Jahre immer öfter mit erschöpften Touristen zu tun bekam, die auf ihrer Station landeten, Touristen, die sich in der toskanischen Hauptstadt zu viel zugemutet hatten – zu viel Sehenswürdigkeiten in zu kurzer Zeit – und dann mit Schwindel, Herzrasen und Schwächeanfällen bei ihr vorstellig wurden, da deutete sie die Symptome richtig: Psychischer Zusammenbruch wegen kultureller Reizüberflutung!
 
Zurück
Oben