Vorbemerkung
Am 20. April sind wir zu einer zweiwöchigen Studienreise nach Sizilien aufgebrochen. Die Reisegruppe hatte 23 Teilnehmer, also gerade richtig. Die Gruppe war relativ homogen, Reiseleiterin war eine studierte Historikerin und Kunsthistorikerin. Sie hatte außerdem hervorragende Botanik-Kenntnisse, was auf der jetzt blühenden Insel besonders erfreulich war. Wir hatten herrliches Wetter, allerdings keine gute Fernsicht wegen Dunst, und der Ätna verschwand in den Wolken, als wir in Taormina waren (den berühmten DUMONT-Blick vom griechisch/römischen Theater aus haben wir also nicht genießen können).
Sizilien versteht man nicht, wenn man seine Geschichte nicht kennt, denn:
"Die zentrale Lage Siziliens im Mittelmeer hat die wechselhafte Geschichte dieser Insel geprägt. Als Stützpunkte für Seefahrt und Handel hatten die Städte Siziliens stets eine große Bedeutung. Immer wieder haben sich deshalb neue Eroberer der Insel bemächtigt, sind geblieben und haben sich mit der bereits ansässigen Bevölkerung vermischt und ihre Spuren in der Kultur Siziliens hinterlassen. Nur selten war die Insel politisch selbständig, zumeist wurde sie von Reichen oder Staaten beherrscht, die ihr politisches Zentrum anderswo hatten." (Zitat aus Wikipedia)
Außerdem folgt dieser Bericht der Reise-Chronologie, wir werden daher mehrmals in der Historie hin- und herspringen. Es ist also eine kleine Geschichts-Vorlesung angebracht.
Also dann:
Geschichte Siziliens
(frei nach: Brigit Carnabuci, Sizilien, Dumont 2006)
Geschichtlich greifbare Ureinwohner
Sikaner im Westen, Elymer im Nordwesten, Sikuler im Süden. Herkunft dieser Volksstämme in der Wissenschaft umstritten.
Phönizier
1000-750 v. Chr. Phönizische Handelsposten, Gründung u.a. von Motye (Mozia) und Panormos (Palermo). Die Phönizier betrieben keine größere Landnahme, sondern bauten an strategisch günstigen Stellen (Inseln, Halbinseln) Stützpunkte zum Schutz ihrer Handelsschiffe und zur Lagerung der Handelswaren.
Griechen
ab 750 v. Chr. Griechische Kolonisation und erste Stadtgründungen (Naxos, Syrakus etc). Politische Struktur: Stadtstaaten wie im Mutterland. Die Stadtstaaten waren keine Kolonien im heutigen Sinne, sondern unabhängig von ihren Mutterstädten, aber mit ihnen meist dauerhaft befreundet und im Kriegsfall auch verbündet. Diese neuen Städte gründen ihrerseits weitere. Syrakus entwickelte sich zurm einflußreichsten und mächtigsten Stadtstaat auf Sizilien.
570-550 v. Chr. Erste kriegerische Konflikte zwischen Phöniziern und Griechen; ab 550 v. Chr. geraten die phönizischen Siedlungen und Niederlassungen unter karthagischen Einfluß (Punier oder einfach 'Karthager').
570-470 v. Chr. Archaische Epoche: Aufblühen der griechischen Städte, erste große Tempelbauten in Selinunt und Syrakus; Tyrannenzeit.
480 v. Chr. Erster großer Karthagerkrieg: Sieg der Griechen über die karthagisch-phönizischen Truppen in der Schlacht bei Himera (verbündet: Syrakus, Akragas (Agrigent) und Gela). Bau der Siegestempel in Himera, Akragas und Syrakus.
470-405 v. Chr. Klassische Epoche: Vertreibung der Tyrannen und Entstehung von Demokratie in den meisten Städten; Blütezeit der griechischen Kunst und Kultur.
409-405 v. Chr. Zweiter großer Karthagerkrieg: Zerstörung von Selinunt und Himera (409/8 v. Chr.), Belagerung und Plünderung von Akragas (406 v. Chr.), Belagerung von Syrakus (405 v. Chr.).
405-367 v. Chr. Dionysios I. Tyrann in Syrakus: Zurückdrängung der Karthager auf den Westteil Siziliens; blutige Militärherrschaft Dionysios'.
367-344 v. Chr. Nach Dionysios Revolten, Bürgerkriege und Gewaltherrschaft; weite Landstriche Siziliens werden entvölkert.
344-337 v. Chr. Korinth sendet Timoleon an der Spitze einer Flotte nach Sizilien, um die Ordnung wiederherzustellen; Vertreibung der Tyrannen, Frieden mit Karthago, Demokratie in Syrakus.
337-316 v. Chr. Nach Timoleon erneut Bürgerkriege und Anarchie auf Sizilien; Entstehung des Alexanderreiches in Griechenland, Asien und Ägypten (Tod Alexanders des Großen 329 v. Chr., danach Diadochen, Epigonen, Hellenismus).
316-289 v. Chr. Despotie des Agathokles in Syrakus.
312-306 v. Chr. Krieg zwischen Karthago und Syrakus.
289 v. Chr. Tod des Agathokles, Anarchie auf Sizilien.
Römer
274-215 v. Chr. Königreich Hierons II. in Syrakus und Ostsizilien; ab 263 v. Chr.: Hieron II. mit Rom verbündet.
264-241 v. Chr. Erster Punischer Krieg zwischen Karthago und Rom, heftige Kriegshandlungen auf Sizilien; die Karthager verlassen Sizilien. 241 v. Chr. wird Sizilien zur ersten Provinz des Römischen Reiches; das Königreich Hierons II. im Ostteil Siziliens bleibt zunächst bestehen.
ab 227 v. Chr. Einrichtung einer römischen Provinzialverwaltung; Sizilien wird von einem Prätor und zwei Quästoren regiert.
218-201 v. Chr. Im Verlauf des Zweiten Punischen Krieges verbünden sich nach dem Tod Hierons II. Syrakus und Karthago gegen Rom; nach der Niederlage von Syrakus (Archimedes findet den Tod) ist ab 212 v. Chr. ganz Sizilien römische Provinz.
135-101 v. Chr. Revolten und Aufstände gegen Rom (sog. Erster und Zweiter Sklavenkrieg).
73-71 v. Chr. Verres Statthalter von Sizilien; Kunstraub und Unterschlagungen von Millionenbeträgen; Prozeß des Cicero gegen Verres in Rom (70 v. Chr.).
27 v. Chr. Nach den Wirren der Bürgerkriege Beginn der Regentschaft des Augustus; Ende der römischen Republik und Beginn der Kaiserzeit; unter Augustus erfolgt eine Neuordnung der Provinzen; Sizilien wird zu einer senatorischen Provinz und einem Proconsul unterstellt.
27 v. Chr.- 200 n. Chr. Blütezeit des Imperium Romanum; zahlreiche Neu- und Umbauten in den sizilischen Städten (Theater, Odeia und Amphitheater).
222-283 Innere Wirren im Römischen Reich, permanente Kriege an allen Reichsgrenzen; Zeit der >Soldatenkaiser<; Sizilien ist in dieser Zeit eine der ruhigsten Provinzen des Reiches; wachsender Einfluß des Christentums.
Byzantiner und Araber
468-476 Sizilien unter vandalischer Herrschaft.
476-535 Sizilien unter ostgotischer Herrschaft.
535 Belisar, der Feldherr des oströmischen Kaisers Justinian, erobert Sizilien zurück.
827 Der rebellierende byzantinische General Euphemius ruft die Aghlabiden ins Land; 10 000 Mann unter Asad Ibn al-Furat landen in Mazara und beginnen mit der systematischen Eroberung und Besiedlung der Insel von Westen nach Osten.
878 Mit der Eroberung und Zerstörung von Syrakus ist Sizilien fest in muslimischer Hand; Palermo (erobert 831) wird Hauptstadt.
948 Sizilien wird zum Emirat und erlangt dadurch weitgehende Unabhängigkeit.
ab ca. 960 Die Kalbiten in Palermo sind die mächtigsten Emire der Insel.
1038-1040 Bei der byzantinischen Rückeroberung unter Georg Maniakes betreten die drei ältesten Söhne des normannischen Adelsgeschlechts der Hautevilles erstmals sizilischen Boden; unter den arabischen Emiren herrscht Anarchie.
Das Normannenreich auf Sizilien
1030 Der Normanne Rainulf erhält Aversa zu Lehen, das erste normannische Territorium in Unteritalien; von den zwölf Söhnen des kleinen Provinzbarons Tankred aus Hauteville-la-Guichard in der Normandie werden vor allem zwei wichtig: Robert Guiscard und der jüngste Sohn, Roger (geb. 1016), der Ahnherr des sizilianischen Königsgeschlechts der Hautevilles (beide kommen gegen 1046 nach Unteritalien).
1059 Synode von Melfi; die Normannen werden vom Papst mit süditalienischen Fürsten- und Herzogtümern belehnt.
1061 Die normannische Eroberung Siziliens beginnt mit der Einnahme von Messina; die arabischen Emire Ibn ath-Thumna im Südosten und Ibn Hawwas im Inselinnern bekämpfen sich gegenseitig; in dieser Situation bittet Ibn ath-Thumna Roger um Hilfe und bietet ihm dafür die Herrschaft über Sizilien an.
1063 und 1068 Siege Rogers in den Schlachten von Cerami und Misilmeri brechen den sarazenischen Widerstand.
1071 Robert Guiscard erobert Bari; Ende der byzantinischen Herrschaft in Unteritalien.
1091 Mit Noto ergibt sich die letzte sarazenische Bastion in Sizilien.
1101-1112 Nach dem Tode Rogers führt seine Witwe Adelaide die Regentschaft, ab 1105 für Roger II. (geb. 1095).
1112 Volljährigkeit Rogers II.
1127 Mit dem Tode seines Vetters Wilhelm wird Roger II. auch Herzog von Apulien.
1128 Papst Honorius II. belehnt Roger mit Apulien, Kalabrien und Sizilien.
1130 Der Gegenpapst Anaklet II. macht Roger zum König von Sizilien; dieser schwört dem Papst im Gegenzug den Lehnseid.
1146 Mit der Eroberung von Tripolis in Nordafrika wird Roger zum Herrn des zentralen Mittelmeers.
1151 Nach dem Tod dreier älterer Söhne Rogers wird Wilhelm zum Mitregenten gesalbt.
1154-1166 Nach Rogers Tod Wilhelm I., >der Böse< (geb. 1120).
1166-1171 Regentschaft der Margarethe von Navarra; eine kirchliche Partei bildet sich unter Richard Palmer, Bischof von Syrakus, und Walter of the Mill, dem Erzbischof von Palermo (1169).
1166-1168 Margarethes Vetter Stephan du Perche regiert als Kanzler; er greift gegen Barone und korrupte Verwaltungsbeamte durch und muß fliehen.
1171-1189 Wilhelm II., >der Gute< (geb. 1153).
1186 Heirat von Konstanze, einer nachgeborenen Tochter Rogers II., mit dem späteren deutschen Kaiser Heinrich VI.
1189 Antimuslimische Verfolgungen anläßlich der Thronwirren nach Wilhelms II. Tod führen zu einer weiteren arabischen Auswanderungswelle.
1190-1194 Tankred von Lecce, der Neffe Wilhelms I., wird von einer >sizilianischen Partei< in Palermo zum König gewählt; Walter of the Mill und die Barone befürworten die offizielle Erbin Konstanze (bzw. deren Mann Heinrich VI.).
1194-1197 Heinrich VI.; er schickt Königin Sibylla und ihre Töchter gefangen nach Deutschland und läßt ihren Sohn, den minderjährigen Wilhelm III., töten. Heinrich betrachtet Sizilien nur als eine Provinz seines Kaiserreiches, beutet deren finanzielle Ressourcen aus und geht mit äußerster Brutalität gegen den lokalen Adel vor.
Staufer, Anjou und Aragonesen
1197 Das süditalienische Reich Heinrichs VI. bricht mit dessen Tod zusammen; erneute Verfolgung der Muslime.
1198 Die Regentin Konstanze bestimmt vor ihrem Tod Papst Innozenz III. zum Regenten des Königreichs Sizilien und zum Vormund ihres minderjährigen Sohnes Friedrich (geb. 1194, ab 1198 als Friedrich I. König Siziliens, regiert selbst ab 1208; 1212 deutscher König als Friedrich II., 1220 Kaiser, gest. 1250); im Lande herrscht Anarchie, im Landesinnern hat sich unter dem Muslim Mirabetto ein fast eigenständiger Herrschaftsbereich gebildet.
1220 Assisen von Capua; Friedrich etabliert im folgenden wieder die Königsgewalt und schafft einen straff organisierten, zentralisierten Beamten- und Fiskalstaat unter Rückgriff auf die Gesetze seiner normannischen Vorfahren.
1250 Nach Friedrichs Tod folgen Anarchie und Bürgerkrieg; Landwirtschaft und Handel liegen zeitweise darnieder, die Bevölkerungszahl verringert sich drastisch; Manfred, ein illegitimer Sohn Friedrichs, 1250 von seinem Vater zum Statthalter von Sizilien ernannt, nimmt den staufischen Kampf gegen den Papst in Italien auf (Ghibellinen = staufische, kaiserliche, später adlige Partei; Guelfen = päpstliche, antikaiserliche, später Volkspartei).
1258 Manfred läßt sich in Palermo zum König krönen und macht den Königshof wieder zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum.
1266 In der Schlacht von Benevent verliert Manfred Thron und Leben an Karl von Anjou, den Bruder des französischen Königs, den der (französische) Papst Clemens IV. 1265 mit Sizilien belehnt hatte, um Manfred zu besiegen.
1268 Karl von Anjou läßt den letzten Staufer, Konradin, der versucht hatte, das Königreich des Südens für sein Haus zurückzugewinnen, in Neapel hinrichten; Karl verlegt die Hauptstadt nach Neapel - Sizilien gerät immer mehr an die Peripherie; seine Regierungszeit mit ihrem drückenden Fiskalismus wird von den Sizilianern als grausame Fremdherrschaft empfunden.
1282 Die sog. Sizilianische Vesper - eine Revolte, an deren Anstiftung die Aragonesen nicht ganz unbeteiligt waren - macht der Anjou-Herrschaft auf Sizilien ein Ende; die Aufständischen rufen König Peter III. von Aragon ins Land, der Manfreds Tochter Konstanze, die letzte staufische Erbin, geheiratet hatte; Peter verspricht, Sizilien als ein von Aragon unabhängiges Königreich zu führen; auf dem unteritalienischen Festland herrschen weiterhin die Anjou.
1296 Peters jüngerer Bruder, in Sizilien erzogen, usurpiert den Thron als Friedrich II; der jahrzehntelange Krieg gegen die Anjou in Unteritalien führt zu einem Machtzuwachs für die großen Adelsfamilien, deren mächtigste die Familie Chiaramonte ist; die Latifundienstruktur verstärkt sich.
1347 Die Pest und permanente Kriegszüge führen zum weiteren Niedergang von Landwirtschaft und Handel; Schätzungen zufolge sinkt die Bevölkerungszahl in den zwei Jahrhunderten nach der Herrschaft Friedrichs II. von Hohenstaufen um die Hälfte ab.
1372 Friedensschluß mit den Anjou von Neapel und dem Papsttum.
1409 Mit dem Aussterben der aragonesischen Seitenlinie in Sizilien verstärkt sich die Bindung der Insel an das spanische Aragon.
1458 Sizilien wird in Personalunion mit Aragon vereinigt.
1469 Die Heirat von Ferdinand II. von Aragon mit Isabella von Kastilien (>die katholischen Könige<) legt den Grundstein für die Herausbildung des spanischen Staates.
ab ca. 1480 Nordafrikanische Piraten verheeren auf ihren Beutezügen (Sklavenhandel) die Küsten; die Bevölkerung zieht sich ins Landesinnere zurück; organisierte Banden verunsichern die Insel.
1487 Einführung der Inquisition (1481 in Spanien) durch die Spanier, die im folgenden dafür sorgt, daß Sizilien religiös wie kulturell >gut katholisch< bleibt; Verfolgung von konvertierten Juden und Muslimen sowie von Homosexuellen.
1492 Die Vertreibung der Juden bedeutet einen enormen Verlust von Handwerkern und Kapital, der u. a. für die permanente Schwäche der sizilianischen Wirtschaft verantwortlich ist.
Vom spanischen Weltreich bis heute
1516 Spanien - und damit Sizilien - fällt an Karl V. und wird Bestandteil seines Weltreichs.
ab ca. 1600 Der Adel gründet Hunderte von neuen Dörfern und Städten (z. B. Piana dei Greci, Pantelleria, Piana degli Albanesi etc.); viele Albaner und Griechen wandern auf der Flucht vor den Türken ein; die Landwirtschaft bleibt in ihrer Struktur jedoch rückständig.
1693 Ein großes Erdbeben vernichtet zahlreiche Städte im Südosten der Insel: ca. 5% der Bevölkerung kommen um; zahlreiche Städte werden neu wiederaufgebaut.
1713 Der Frieden von Utrecht beendet den Spanischen Erbfolgekrieg und die Vorherrschaft Spaniens in Europa; Sizilien, Spielball der kontinentaleuropäischen Dynastien, fällt an Viktor Amadeus II. von Savoyen.
1720 Österreich bekommt Sizilien im Austausch gegen Sardinien zugesprochen.
1735 Eine Sekundogenitur (Nebenlinie) der spanischen Bourbonen erhält das Königreich Neapel-Sizilien; dieser erste selbständige Staat der Neuzeit in Unteritalien zeigt, vor allem unter Vizekönig Domenico Caracciolo (1781-1786), positive Ansätze zur Modernisierung im Sinne des aufgeklärten Absolutismus; 1767 werden die Jesuiten ausgewiesen.
1782 Die Inquisition wird abgeschafft.
1806-1815 Während der napoleonischen Herrschaft in Unteritalien (Murat ist seit 1808 König von Neapel) bleibt die Insel mit Hilfe britischer Besatzungstruppen unter General Bentinck bourbonisch; König Ferdinand III. residiert derweil in Palermo.
1812 Eine auf britischen Druck erlassene Verfassung schafft den Feudalismus ab; da die Lehen jedoch in Volleigentum umgewandelt werden und keine Landreform stattfindet, bleiben die politischen und ökonomischen Machtstrukturen unangetastet.
1815 Auf dem Wiener Kongreß wird die Bourbonenherrschaft restauriert: das >Königreich beider Sizilien< wird von Neapel aus regiert, sizilianische Flagge, Pressefreiheit und Verfassung werden abgeschafft; Neapel macht sich im folgenden bei den Sizilianern verhaßter, als es die Spanier jemals gewesen waren; die Insel verpaßt den Anschluß an die im übrigen Europa voranschreitende Industrialisierung; eine Dauerkrise in der Landwirtschaft und die nur unzureichend betriebene Bodenreform führen zur Verarmung und leiten eine Radikalisierung der Bauern gegen die bourbonische Herrschaft ein; in den Freiräumen staatlicher Kontrolle und Verwicklungen gelingt es Briganten und lokalen Dons, ihre Macht auszubauen.
1848 Die Revolution wird von den bourbonischen Truppen niedergeschlagen; den gemäßigt-liberalen und bürgerlichen Kräften war die Kontrolle des radikalisierten Volkes im Verlaufe des Aufstandes entglitten; Messina wird dabei zu 90 % zerstört.
1860 Garibaldi landet mit Freiwilligen (»Zug der Tausend«) in Marsala und vertreibt die Bourbonen; er nutzt die Unzufriedenheit der Bauern geschickt für seinen Guerillakrieg gegen die Bourbonen; Sizilien fällt so eine Hebelwirkung bei der anschließenden Einigung Italiens zu.
1861 Sizilien wird Teil des neugegründeten Königreichs Italien unter Viktor Emanuel II. von Piemont.
1866 Da auch die neue Regierung Sizilien vernachlässigt und keine Maßnahmen für einen wirtschaftlichen Aufschwung einleitet, kommt es zu einer erneuten Erhebung, die mit Waffengewalt unterdrückt wird; aufgrund der anarchischen Zustände bildet sich das Mafiasystem heraus.
1880 Eine umfassende Agrarkrise führt zum Zusammenbruch der Landwirtschaft.
1893 Die Landarbeiterunruhen können nur mit Mühe und Gewalt niedergeschlagen werden; die Flucht ins Ausland erscheint nun als einzige Rettungsmöglichkeit, und 1,5 Mio. Sizilianer wandern in die USA, nach Südamerika, Nordafrika und Australien aus.
1922 Sizilien gehört zu den am wenigsten faschistisch durchsetzten Regionen Italiens; nach Mussolinis Machtergreifung bemühen sich jedoch vor allem die landbesitzenden Schichten, mit den Faschisten zusammenzuarbeiten; Maßnahmen wie die Trockenlegung der versumpften Ebene von Catania, die Einführung der widerstandsfähigen amerikanischen Rebe zum Aufstocken einheimischer Sorten, die Gründung der ersten landwirtschaftlichen Fakultät Italiens an der Universität von Catania, die Ausrottung der Malaria und das Versprechen einer Landverteilung an Kleinbauern scheinen einen Aufschwung in der Landwirtschaft einzuleiten, dessen Realisierung allerdings durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrochen wird.
1943 Im Januar entstehen die ersten organisierten Gruppen, die sich für ein unabhängiges Sizilien einsetzen. Als die Alliierten nach schweren Bombardements im April des gleichen Jahres auf Sizilien landen, begegnen sie keinem Widerstand in der Bevölkerung. Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung fordern von der ONU eine Volksabstimmung.
1945 Die EVIS wird geboren (Esercito Volontario per l'Indipendenza della Sicilia). Nach wenigen Monaten werden die Anführer getötet oder eingekerkert.
1946 Sizilien erhält innerhalb der italienischen Republik den Status einer Region mit autonomer Verwaltung. Parteipolitisch gesehen ist es ab dann für beinahe ein halbes Jahrhundert fest in >christlich-demokratischer Hand<. Das Autonomiestatut wird nie voll angewandt und in seinen Paragraphen unauffällig immer wieder geschmälert.
1950 Die Einrichtung der Cassa del Mezzogiorno soll Industrie und Landwirtschaft in Sizilien (und im gesamten Mezzogiorno) fördern und das Nord-Süd-Gefälle abbauen helfen - mit nur geringem Erfolg; viele verlassen ihre Heimat, um als Gastarbeiter in anderen europäischen Ländern zu leben.
1950-1956 Landwirtschaftliche Reform und endgültige Aufhebung der Latifundien.
1959-1964 Eine unkontrollierte Bauwelle setzt ein, die allenthalben riesige Miethausblocks entstehen läßt.
1968 Ein weiteres schweres Erdbeben sucht Westsizilien heim; schwächere Erdbeben betreffen den Osten und Südosten der Insel 1980 und 1990.
seit 1970 Die Wirtschaft der Insel nimmt einen entscheidenden Aufschwung, die Gastarbeiter kehren zurück; die Infrastruktur Siziliens wird deutlich verbessert durch den forcierten Bau von Straßen, Autobahnen und Bewässerungsanlagen.
1982 Im April wird der Abgeordnete Pio La Torre ermordet, der sich gegen die Installierung der Cruise Missile-Raketen in Comiso aufgelehnt hatte. Im September trifft das gleiche Schicksal den neuen Präfekten von Palermo, General Dalla Chiesa. Mit ihm kommen seine junge Frau und sein Leibwächter ums Leben.
1983 Trotz großer Proteste werden die ersten Cruise Missile-Raketen aufgestellt. Die Verhaftung und - mehr noch - die Aussagebereitschaft des Mafiabosses Tommaso Buscetta macht Schlagzeilen in der Weltpresse. Der folgende Mammutprozeß beweist die Macht der mafios-politischen Kräfte: er endet beinahe ausschließlich mit Freisprüchen.
1992 Im Abstand weniger Monate müssen zwei der bekanntesten Staatsanwälte ihr Leben lassen: Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Beide sterben durch Dynamit und mit ihnen ihre Begleiter. Palermo trauert um seine Helden.
1993 Bei den Gemeindewahlen siegen in den zwei größten Städten der Insel außergewöhnliche Männer: Enzo Bianco in Catania und Orlando in Palermo. Orlando räumt in Palermo auf, jugendliche Kriminelle werden in Sozialprojekte eingebunden. Man kann sich in Palermo wieder frei bewegen.
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