dies martis ante diem IX Kalendas Maias MMDCCLXXVII ab urbe condita
Marstag, 9. Tag vor den Kalenden des Mai, 2777. Jahr nach Gründung der Stadt

Der Raub der Sabinerinnen

Den Römern mangelt es an Frauen und die umliegenden Städte verweigern ihnen das Heiratsrecht. Also veranstalten die Römer Festspiele, bei deren Gelegenheit sie die Töchter ihrer Nachbarn stehlen. Es kommt zu mehreren Kriegen, deren letzter und schwerster der mit den Sabinern ist, die durch den Verrat der Tarpeia die Burg auf dem Kapitol in ihren Besitz gebracht haben. Nach wechselndem Schlachtenglück, dem Eingreifen Iuppiters und nachdem der sabinische Führer Mettius Curtius beinahe in einem Sumpf versunken wäre, beenden die geraubten Sabinerinnen den Krieg, indem sie flehen, Väter und Ehemänner mögen sich nicht gegenseitig töten. Daraufhin werden die beiden Königreiche vereinigt, Rom wird gemeinsame Hauptstadt und die neue Bezeichnung Quiriten eingeführt:

Das römische Gemeinwesen war nun so stark geworden, dass es jedem seiner Nachbarn im Krieg ebenbürtig war, aber seine Größe drohte nur eine Generation anzudauern, da es wegen des Mangels an Frauen keine Hoffnung auf Nachkommen gab, und es gab kein Recht zur nachbarschaftlichen Heirat. Auf Anraten des Senats sandte Romulus Boten zu den umliegenden Völkern, um um ein Bündnis und das Recht zur gegenseitigen Heirat für sein neues Gemeinwesen zu bitten. [...] Nirgends wurde den Gesandten wohlwollende Aufnahme zuteil. Während ihre Vorschläge verspottet wurden, herrschte doch gleichzeitig ein allgemeines Gefühl der Beunruhigung ob der Macht, die so schnell in ihrer Mitte wuchs. In der Regel wurden sie mit der Frage abgewiesen, ob sie ein Asylum für Frauen eröffnet hätten, denn allein dies würde für eine Heirat von gleich zu gleich sorgen.

Die römische Jugend konnte solche Beleidigungen schlecht ertragen, und es begann danach auszusehen, als liege die Sache auf Gewalt hinaus. Um günstige Zeit und günstige Gelegenheit für einen derartigen Versuch zu sichern, schritt Romulus, seinen Ärger verbergend, zu eifrigen Vorbereitungen für Spiele zu Ehren des Neptun Equester, die er die Consualia nannte. Er befahl, in den umliegenden Städten öffentlich für das Spektakel zu werben, und sein Volk unterstützte ihn, indem es die Feier so großartig ausrichtete, wie es ihr Wissen und ihre Ressourcen zuließen, und die Erwartungen stiegen. Es gab einen großen Zulauf, denn die Menschen waren begierig, die neue Stadt zu sehen. Alle Nachbarn - die Leute aus Caenina, Antemnae und Crustumerium - waren da, und die ganze sabinische Bevölkerung kam, mit den Frauen und Familien. Sie wurden in die verschiedenen Häuser als Gäste geladen, und nachdem sie die Lage der Stadt, die Mauern und die große Zahl der Wohnhäuser, die sie umfasste, gesehen hatten, waren sie erstaunt über die Geschwindigkeit, in der der römische Staat gewachsen war.

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Raub der Sabinerinnen (Nicolas Poussin, 1637)
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Quelle: The Yorck Project

Als die Stunde für die Wettkämpfe gekommen war, und Augen und Konzentration auf das vor den Augen stehende Spektakel gerichtet waren, wurde das vereinbarte Signal gegeben und die römische Jugend rannte in alle Richtungen, um die Jungfrauen, die anwesend waren, fort zu tragen. Der größte Teil wurde wahllos fortgebracht, aber einige besonders schöne Mädchen, die für die führenden Patrizier ausgesucht worden waren, wurden von Plebejern in ihre Häuser gebracht, die dazu beauftragt worden waren. [...] Unruhe und Bestürzung beendeten die Spiele, und die Eltern der Mädchen flohen, verwirrt von der Trauer, bittere Vorwürfe gegen die ausstoßend, die die Gesetze der Gastfreundschaft missachtet hatten, und zu dem Gott flehend, zu dessen festlichen Spielen sie gekommen waren, um Opfer einer gottlosen Freveltat zu werden. Die entführten Mädchen waren nicht weniger mutlos und entrüstet. Romulus selbst jedoch ging umher und erklärte, es sei nur wegen des Hochmuts ihrer Väter geschehen, die ihren Nachbarn das Recht zur Heirat verweigert hätten. Sie würden in ehrbarer Ehe leben und all ihr Eigentum und ihre Bürgerrechte teilen, und, was den Menschen am wichtigsten ist, die Mütter von frei geborenen Kindern sein. Er bat sie, ihren Zorn zu besänftigen und denen ihre Zuneigung zu geben, die das Schicksal zu den Herren ihrer Person gemacht habe. Eine Beleidigung habe oft zu Versöhnung und Liebe geführt. Sie würden ihre Ehemänner umso liebenswerter finden, als alle sich zum äußersten bemühen würden - soweit er es in der Hand habe -, den Verlust von Eltern und Vaterland auszugleichen. Diese Argumente wurden verstärkt durch die Schmeicheleien der Männer, die ihr Verhalten mit der unwiderstehlichen Kraft ihrer Leidenschaft entschuldigten - eine Verteidigung, die effektiver als alles andere ist, wenn man an die Natur einer Frau appelliert.

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Raub der Sabinerinnen (Sodoma, ca. 1525)
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Quelle: The Yorck Project

Die Gefühle der entführten Frauen waren nun vollkommen besänftigt - nicht aber so die ihrer Eltern, die in Trauerkleidung herumliefen und mit tränenreichen Klagen ihre Mitbürger zum Handeln zu bewegen suchten. Auch beschränkten sie ihren Protest nicht auf ihre eigenen Städte; von allen Seiten scharten sie sich um Titus Tatius, den König der Sabiner, und schickten förmliche Gesandtschaften zu ihm, denn er galt als am einflußreichsten in dieser Gegend. Die Leute aus Caenina, Crustumerium und Antemnae hatten am meisten gelitten; sie fanden, Tatius und seine Sabiner handelten zu langsam, also bereiteten sich diese drei Städte gemeinsam auf den Krieg vor. Die Ungeduld und die Wut der Caeniensier war sogar so groß, dass ihnen sogar die Crustumianer und die Antemnaten nicht genug Anstrengungen zeigten, also griffen die antemnatischen Männer allein römisches Gebiet an. Während sie weit verstreut waren, plündernd und zerstörend, fiel Romulus mit einer Armee über sie her, und lehrte sie, dass Wut wertlos ist ohne Stärke. Er schlug sie in heillose Flucht, verfolgte sie, tötete ihren König und nahm ihm die Rüstung; dann, nachdem er den Anführer getötet hatte, nahm er ihre Stadt im ersten Ansturm. [...] Nachdem er seine siegreiche Armee nach Hause geführt hatte, bestieg er das Kapitol, die Rüstung seines toten Feindes auf einem extra dafür angefertigten Gestell vor sich her tragend. Er hängte sie dort an eine Eiche, die die Hirten für heilig hielten, und steckte gleichzeitig die Fläche für den Iuppitertempel ab. Indem er den Gott mit einem neuen Titel ansprach, murmelte er die folgende Beschwörung: "Iuppiter Feretrius [der Schleuderer (der Blitze)]! Dies sind königliche Waffen, die ich, Romulus, ein König und Eroberer, Dir darbringe, und auf dieser Erde, die ich willentlich abgesteckt habe, widme ich einen Tempel, der die Spolia Opimia aufnehmen soll, die in Zukunft nach meinem Beispiel hierher gebracht werden sollen, abgenommen den Königen und Feldherrn unserer Feinde, die im Kampf getötet wurden. Das war der Ursprung es ersten Tempels, der in Rom geweiht wurde. [...] Und so viele Jahre sind vergangen und so viele Kriege geführt worden, und erst zweimal wurde die Spolia Opimia geweiht. So selten hat Fortuna diesen Ruhm den Menschen gegönnt.

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Raub der Sabinerinnen (Johann Heinrich Schönfeld, 1633-1639)
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Quelle: The Yorck Project

Es folgen die Kriege gegen die Antemnaten und die Crustuninianer.

Der letzte dieser Kriege wurde von den Sabinern begonnen und erwies sich als der schwierigste von allen, denn nichts geschah aus Leidenschaft oder Ungeduld; sie verbargen ihre Pläne bis der Krieg tatsächlich begonnen hatte. Strategie wurde von List unterstützt, wie das folgende Geschehen zeigt: Spurius Tarpeius kommandierte die römische Burg. Während seine Tochter Tarpeia hinausgegangen war, um Wasser zu holen für irgendeine religiöse Zeremonie, bestach Tatius sie, seine Truppen in die Burg zu lassen. Einmal eingelassen, erschlugen sie sie mit ihren Schilden - sei es, um den Anschein zu erwecken, dass die Burg im Sturm genommen worden sei, oder um als Warnung zu dienen, dass man Verrätern nicht trauen könne. Eine andere Version erzählt, die Sabiner pflegten goldene Ringe an ihren linken Armen zu tragen und edelsteinbesetzte Ringe, und dass das Mädchen ihnen das Versprechen abnahm, ihr das zu geben, was sie am linken Arm trügen. Dementsprechend begruben sie sie unter ihren Schilden, anstatt ihr goldene Geschenke zu geben. [...]

Wie auch immer, die Sabiner befanden sich im Besitz der Burg, und sie kamen auch am nächsten Tag nicht herunter, obwohl die römische Armee in Schlachtordnung auf dem Platz zwischen dem Kapitol und dem Palatin Aufstellung genommen hatte, bis endlich die Römer, außer sich wegen des Verlusts ihrer Burg und entschlossen, sie zurückzuerobern, zum Angriff übergingen. Dem Rest voranstürmend trafen sich Mettius Curtius auf Seiten der Sabiner und Hostius Hostilius auf Seiten der Römer im Zweikampf aufeinander. Hostius kämpfte auf wenig günstigem Gelände und hielt die römische Sache durch seine furchtlose Tapferkeit, aber zuletzt fiel er. Die römische Linie brach auseinander. Zum alten palatinischen Tor wurde selbst Romulus hinweg gerissen von der Menge der Fliehenden, und dort erhob er seine Hände zum Himmel und rief: "Iuppiter, es war Dein Vorzeichen, das ich befolgte, als ich die ersten Fundamente der Stadt legte. Nun halten die Sabiner ihre Burg, die sie durch Bestechung gekauft haben, und von dort kommend haben sie das Tal genommen und rücken im Kampf hierher vor. schlag Du, oh Vater der Götter, unsere Feinde zurück, verbanne die Furcht aus den Herzen der Römer, und stoppe die beschämende Flucht! Hier gelobe ich Dir einen Tempel, Iuppiter Stator [der Steher], als Monument für die kommenden Generationen, dass es durch deine gegenwärtige Hilfe die Stadt gerettet wurde." Dann, als ob er bemerkt hätte, dass sein Gebet erhört worden sei, schrie er: "Zurück, ihr Römer! Iuppiter Optimus Maximus befiehlt euch, stehen zu bleiben, und den Kampf wieder aufzunehmen!". Sie hielten wie auf Kommando einer göttlichen Stimme inne, und Romulus ging an die vorderste Front, gerade so wie Mettius Curtius vor den Sabinern her von der Burg herabgerannt war und die Römer über das gesamte Gebiet zurückgeworfen hatte, das heute das Forum ist. Er war nun nicht weit entfernt vom palatinischen Tor, und rief: "Wir besiegen unsere gottlosen Widersacher, unsere feigen Feinde. Nun wissen sie, dass es etwas ganz anderes ist, mit Männern zu kämpfen, als wehrlose Mädchen zu rauben." Auf ihn ging inmitten einer Schar tapferer Männer Romulus los. Mettius war auf dem Rücken seines Pferdes, umso leichter wurde er zurückgedrängt. Die Römer verfolgten ihn, und, angestachelt von der Tapferkeit ihres Königs, schlugen die Römer die Sabiner in die Flucht. Mettius, der die Kontrolle über sein Pferd verlor, das durch den Schlachtenlärm verwirrt war, stürzte in einen Sumpf. Die Gefahr, in der ihr General schwebte, lenkte die Sabiner für einen Moment vom Kampf ab; sie riefen und machten ihm Zeichen, um ihn zu ermuntern, und zuletzt, angestachelt zu neuen Anstrengungen, gelang es ihm, sich herauszuiehen. Daraufhin nahmen Römer und Sabiner den Kampf inmitten des Tales wieder auf, aber die römische Sache obsiegte.

Dann begab es sich, dass die sabinischen Frauen, des ihnen angetanen Unrechts wegen Krieg geführt worden war, alle weibliche Furcht abwerfend, sich direkt in die Mitte der fliegenden Geschosse begaben mit aufgelösten Haaren und zerrissener Kleidung. Durch den freien Raum zwischen den beiden Armeen laufend versuchten sie, weiteren Kämpfen Einhalt zu gebieten und die erregten Gemüter zu beruhigen, indem sie an ihre Väter in der einen und an ihre Männer in der anderen Armee appellierten, nicht Fluch auf sich zu laden, indem sie ihre Hände mit dem Blut der Schwiegerväter oder Schwiegersöhne besudelten, noch ihre Nachkommenschaft mit dem Makel des Vatermordes zu belasten. "Wenn" so schrieen sie, "ihr dieser verwandtschaftlichen, dieser ehelichen Bindungen müde seid, dann richtet Euren Ärger gegen uns; wir sind der Grund für diesen Krieg, wir sind es, die unsere Väter und Ehemänner verwundet und getötet haben. Es ist besser für uns, unterzugehen, als ohne den einen oder den anderen von Euch zu leben, als Waisen oder Witwen." Die Armeen und ihre Führer waren bewegt von diesem Flehen. Es herrschte Stille und plötzliche Ruhe. Dann traten die Feldherrn vor um einen Vertrag auszuhandeln. Nicht nur Frieden wurde geschlossen, sondern die zwei Staaten wurden zu einem zusammengeschlossen, die königliche Gewalt zwischen ihnen geteilt, und der Regierungssitz für beide Nationen war Rom. Nach dieser Verdopplung der Stadtgröße wurde den Sabinern ein Zugeständnis gemacht, indem man [für die Römer] die neue Benennung Quiriten, von Cures [der alten sabinischen Hauptstadt], einführte. Zum Gedenken an die Schlacht wurde die Stelle, an der Curtius sein Pferd aus dem tiefen Sumpf auf sicheren Grund befreite, Lacus Curtius genannt. Der glückliche Friede, der dem unschönen Krieg ein abruptes Ende bereitete, machte die sabinischen Frauen ihren Männern noch teurer, und am meisten dem Romulus selbst.

Livius, ab urbe condita 1,9-13

Hinweis: Ich habe mir bei der Übersetzung gelegentlich einige Freiheiten herausgenommen, die dazu führen, dass sich der Text nicht zur Hausaufgabenerstellung eignet.


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