Italia! Die Italiener und ihre Leidenschaft für das Essen

Bruno-Conti-Fan

Tribunus plebis
Stammrömer
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Die russische Historikerin Elena Kostioukovitch lebt seit mehr als 20 Jahren in Mailand. Sie ist Literaturagentin und Übersetzerin, u.a. für Umberto Eco. Mit ihrem Buch liefert sie einen umfangreichen kulinarischen Giro d'Italia von Friaul bis Sizilien – mit Zwischenstation Rom.

Verlag schrieb:
Die leidenschaftliche Beziehung der Italiener zu ihrer Küche ist legendär. Gespräche über das Aroma eines »ragù« und den passenden Rotwein haben den gleichen Stellenwert wie das Debattieren über Sport oder Politik. Dieses Phänomen hat die Historikerin Elena Kostioukovitch, die seit über 20 Jahren in Italien lebt, nicht mehr losgelassen. Sie nimmt uns mit auf eine Reise durch die Geschichte, Kultur und Traditionen der Küche Italiens.


Jede Region von Nord nach Süd wird in einem Kapitel vorgestellt, an dessen Ende einige typische Gerichte und Produkte erläutert werden. Zwischen den Regionalkapiteln flechtet sie immer ein allgemeines Thema der italienischen Küche und ihrer Geschichte ein. Zum Beispiel Pilger, Juden, Kalender, Pasta, Grundnahrungsmittel, Demokratie oder Totalitarismus. Am Ende des Buches finden sich eine kurze Auflistung von Zubereitungsarten und von Nudelsaucen sowie ein Kapitel darüber, welche Nudelsorten zu welchem Sugo passen. Das wiederum ist fast schon eine politische Frage. ;) Rezepte selbst sind nicht enthalten.

Einleitung schrieb:
Wer als Ausländer nach Italien zieht und eine Weile dort lebt, bemerkt bald, dass in diesem Land viel über Essen gesprochen wird. Viel mehr als anderswo in der Welt. Diese besondere Art, das Alltagsleben und vieles in der Kultur und den menschlichen Beziehungen zu sehen und zu beschreiben, ist so verbreitet, der Gebrauch von Metaphern des Essens in Italien so selbstverständlich, dass man als neu Hinzugekommener früher oder später im Freundeskreis fragt: Wie kommt es, dass ihr und eure Bekannten, eure Schriftsteller, die Journalisten und die Politiker, alle immer so gerne vom Essen reden? Was hat die Zichorie mit dem Klassenkampf zu tun? Warum hat das faschistische Regime während seiner zwanzigjährigen Herrschaft versucht, die Pastasciutta abzuschaffen? […] Wenn man italienische Kultur studiert, sieht man rasch, dass ihre poetischen und narrativen Werke voller Verweise sind, die zwar von Küche und Essen handeln, aber etwas viel Tieferes sagen wollen. Die Sprache selbst, die Redensarten und stehenden Wendungen sind voller Metaphern des Essens (andare a fagiolo, >in die Bohnen gehen< für ''Gefallen finden'', venire come il cacio sui macceroni, >wie der Käse auf den Makkaroni kam<, für ''wie gerufen kommen'', buono come il pane, >gut wie das Brot< für ''gutherzig'', rendere pan per focaccia, >Brot gegen Fladen tauschen<, für ''Gleiches mit Gleichem vergelten'' ...

Bisher habe ich erst einen Teil des Buches gelesen. Der Autorin gelingt der Spagat zwischen einem unterhaltsamen und damit gut lesbaren Text sowie einer gewissen inhaltlichen Tiefe, bei der sie auf zahlreiche historische und literarische Werke zurückgreift. Mit mehr als 550 Seiten - bei einer relativ sparsamen s/w-Bebilderung - ist es ein ganz ordentlicher Wälzer. Wer etwas mehr über italienische Küche abseits von Rezepten wissen will sowie über das Verhältnis der Italiener zum Essen, wird mit dem Buch viel Freude haben.

Latium-Kapitel schrieb:
Wie Massimo Petrocchi in seiner Sammlung historischer Zeugnisse über das Leben im barocken Rom, Roma nel Seicento, schildert, erforderte das Einhalten der Fastenzeit [160 bis 200 Fastentage im Jahr; BCF] von den Bewohnern auch in der Ernährung eine strenge Disziplin. Um sich nicht der Völlerei schuldig zu machen - immerhin eine der sieben Todsünden -, sannen die findigen Römer mit bewundernswertem Humor auf Auswege, um ihren Appetit sowohl an Fest- wie an Fastentagen zu befriedigen. Der hohe Klerus wiederum, der zumindest in dieser Welt keine >Kontrolleure< über sich hatte, schien solche Sorgen nicht zu kennen.

Trotz aller Reden über das Fasten taten sich die römischen Päpste gewiss nicht durch Askese hervor. Noch heute gibt es den timballo die Bonifacio VIII, eine Pastete, die nach dem 1294 bis 1303 amtierenden Papst Bonifatius VIII benannt worden ist – genau dem, der das erste heilige Jahr ausgerufen hat (siehe das Kapitel Pilger). Dieses schmackhafte Gericht enthält Makkaroni, Fleischbällchen, Hühnermägen und ganze Trüffelscheiben, umhüllt von Mürbeteig.

[…]

Die Schlachthöfe von Rom befanden sich zweieinhalb Jahrtausende (bis 1975) immer am selben Ort im Stadtviertel Testaccio. Nicht zufällig haben dessen Bewohner, die wahrscheinlich alle möglichen und vorstellbaren Abfallprodukte gratis bekamen (etwa das schmackhafte >fünfte Viertel< des Ochsen, das die Schlachter wegwarfen), eine unvergleichliche Phantasie entwickelt. Die pajata oder pagliata ist der zarte Darm der Kälber. Er wird zubereitet, ohne vorher geleert und ausgewaschen worden zu sein, denn er enthält ja nichts als den Speisebrei. Und dass er so sauber ist, kommt leider daher, dass man das Tier vor der Schlachtung hat hungern lassen.

[…]

Das >essbare Wappen< Roms, das römischste aller Gemüse ist die Artischocke. [...] Die römische Küche kennt auch ein absolut unerhörtes Gericht, das zur Kategorie der von den Etruskern ererbten archäologischen Schätze gehört, matticella genannt nach matticelle, den Rebschösslingen, die beim Beschneiden der Weinstöcke gekappt werden. Da sie zu nichts anderem taugen, werden sie im Kamin verbrannt, und in der reichlich übrigbleibenden Asche werden die zuvor akkurat geputzten Artischocken gegart. Dann wird in die Mitte jeder Artischocke ein Strohhalm gesteckt, durch den man ganz langsam mit Minze und Knoblauch aromatisiertes Olivenöl und Salz in das Innere träufelt.


Für eine Leseprobe siehe: http://www.fischerverlage.de/media/fs/308/LP_978-3-10-002414-5.pdf
 
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