Oh Rome! my country! city of the soul! (Canto IV, Childe Harold's Pilgrimage)

Danke für Deine Offenheit, Seneca! Fabian gehört zu Eurem Leben, erst recht am 02. Oktober.

Dein Bericht ist toll, vielen Dank!:thumbup::thumbup::thumbup:

Freue mich auf die Fortsetzung!

Liebe Grüße,
Anna
 
Seneca,
aufrichtigen Dank für Deinen Bericht - Du läßt uns an Deiner Freude teil haben, aber auch an Deinem Leid. Es war sicher nicht einfach diese Zeilen zu schreiben - aber für Dich und Deine Frau gehören Fabian und diese Gedanken mit zu dieser Reise und so auch hierher.

Liebe Grüße
Claude
 
An Alle, die mir auf den ersten Teil meines Beríchts vom Donnerstag geantwortet haben,

ich möchte allen danken, die sich spontan zu Wort gemeldet haben, um ihre Anteilnahme zum Ausdruck zu bringen. Ich weiß, die Kraft und die Macht unserer Sprache reichen nicht aus, um wirklich Trost zu spenden. Ich finde ja selbst keine Worte, um dieses Ereignis zu begreifen. Ich weiß nur, hier paßt etwas nicht zusammen, hier ist ein Naturgesetz ausgehebelt worden. Aber in einer solchen Situation
braucht man manchmal den Raum, um das los zu werden, was einem im Innersten bewegt. Es ist gut zu wissen, dass wir diesen schweren Tag nicht alleine zu gehen brauchen, dass es Leute gibt, die uns verstehen und uns begleiten mit ihren Gedanken und Gefühlen.
Vielen Dank!

Seneca
 
danke für den tollen Bericht. Die persönlichen Eindrücke erinnern mich etwas an meine Reise nach Rom :)

Gruß
Andreas
 
Freitag, d. 3. Oktober 2008: Im Dreieck der Piazza Trinità dei Monti / der Piazza del Popolo und des Augustus-Mausoleums


Wie die anderen Male zuvor auch begann dieser Freitag mit dem morgendlichen Einkauf auf dem Campo de’Fiori und dem anschließenden ausgiebigen Frühstück – das war uns in den wenigen Tagen hier in Rom zu einer schönen Gewohnheit geworden, und wir konnten uns keinen besseren Einstieg für unsere Touren vorstellen als mit einem solchen Ritual zu starten.
Nach den beiden kulturellen Höhepunkten vom Mittwoch und Donnerstag wollten wir heute weniger den Verstand strapazieren als vielmehr den Sinnen alle Freiheiten gestatten, und das wollten wir wieder mit einem Ausflug in die Altstadt tun. Viel stand nicht auf dem Programm: wir wollten uns nur im Dreieck der Spanischen Treppe, der Piazza del Popolo und des Augustus-Mausoleums bewegen. Dieses Ziel lag von unserem Standort aus gesehen bisher am weitesten entfernt, was uns aber nicht daran hindern konnte, es zu Fuß zu erreichen.

Als besonders ‚klugen’ Einfall hatte ich mir ausgedacht, dass es am besten sei, sich der wunderbaren Treppenarchitektur der Scalinata di Trinità dei Monti von ‚oben’, vom Pincio aus zu nähern. Als Einstieg hatte ich den Park an der Porta Pinciana vorgesehen; außerdem wollte ich das Ganze verbinden mit einem Abstecher zum Tritonenbrunnen auf der Pza. Barberini. Ein Blick auf die Karte genügte, und die grobe Richtung stand fest: S. Carlo ai Catinari – S. M. sopra Minerva – Galleria Doria Pamphili – ein Stück den Corso hoch – dann rechts abbiegen in die Via del Tritone bis hinauf zur Pza. Barberini. Das war zwar die kürzeste, aber nicht die schönste Strecke. Vor allem ‚ätzend’ fanden wir die Via del Tritone: hier herrschte ein unglaublicher Verkehr, und dazu kamen der Lärm und die stinkenden Rauchfahnen der unzähligen Fahrzeuge.
Man hätte sich den ganzen Ärger ersparen können, wenn man mehr Zeit und Mühe darin investiert hätte, sich den Weg durch das Labyrinth der Gassen und Gässchen zu suchen. Warum nicht noch einmal am Trevibrunnen vorbei?



Die Fontana del Tritone

Die Piazza Barberini ist „die Gegend des Barock“, so liest es sich im Reiseführer von M. Müller. Innerlich waren wir auf sonnenüberglänzte, prunkvoll gestaltete Fassaden eingestellt, aber an diesem Morgen machte die Pza. Barberini einen eher verwaisten Eindruck auf uns: fast menschenleer, ohne Ausstrahlung, und auch die sie umschließenden, unauffällig wirkenden Häuserfronten trugen nicht dazu bei, den Platz aufzuwerten. Trotzdem ließen wir es uns nicht nehmen – fasziniert von der zauberhaften Verschwendung des Wassers, das in Rom in ständigem Überfluss ausgegossen wird - , uns den Brunnen aus der Nähe zu betrachten.
Wieder so eine Idee des genialen Bernini: vier wasserspeiende Delphine – an eine artistische Darbietung in Seaworld erinnernd – tragen eine Muschel, auf der ein barbarischer Triton aus einem Schneckengehäuse einen starken Strahl in den Himmel bläst. Und nicht zu vergessen die drei Bienen als optischer Blickfang auf Augenhöhe platziert ganz im Sinne seines Gönners, des Barberini-Papstes Urban VIII .





"Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch."

Von der Pza. Barberini gelangten wir dann über die Via Della Purificazione zur Via di Porta Pinciana, der wir ein beträchtliches Stück bergauf folgten in der Hoffnung, einen Einlass in den Park der Villa Medici bzw. der Villa Borghese zu finden. Aber alle Zugänge waren durch schwere Eisentore versperrt, so dass wir uns entschlossen, diesen Versuch abzubrechen, wieder umzukehren und von der Via Sistina zur Spanischen Treppe zu kommen.
Kurz bevor wir die Aussichtsterrasse der SS. Trinità dei Monti erreichten, hatten wir ein Erlebnis der besonderen Art, das mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gehen sollte: vor uns lag ausgebreitet quer über dem Bürgersteig – so dass wir sogar gezwungen waren auszuweichen – eine Bettlerin in ihren schwarzen, schäbigen Kleidern, mit der Rechten um ein paar Münzen flehend und mit der Linken das Gesicht verdeckend. Es versetzte mir innerlich einen Stich, diese erbärmliche Kreatur in einem solchen Zustand vorzufinden – hingestreckt in ihrem Elend, in ihrer ganzen Verzweiflung und Ohnmacht, hingestreckt in diesem Dreck und auf diesem Pflaster. Und das an einem Ort, der nur einen Steinwurf von der sündhaft teuren Einkaufsmeile der Via Condotti entfernt ist! Che contrasto!
Wie weit muss jemand gekommen sein, dass er sich so tief fallen lässt, dass von der Achtung vor sich selbst nichts mehr übrig bleibt als Selbsterniedrigung und viehische Unterwürfigkeit? Unwillkürlich wurde ich an den Psalm 22 erinnert; da heißt es: „Mein Gott, mein Gott warum hat du mich verlassen? … Ich schreie, doch du antwortest nicht. … Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet. Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf.“
Am liebsten hätte ich diesem bedauernswerten Geschöpf auf die Beine geholfen, um ihr ein bisschen menschliche Würde zurückzugeben, aber dann spürte ich in mir eine andere Kraft aufsteigen, die im Wettstreit meiner Gefühle obsiegte und mich ermahnte, es bleiben zu lassen und mir ‚ein Herz aus Stein’ zuzulegen.




Auf der Terrasse der Dreifaltigkeitskirche SS. Trinità dei Monti

Die Doppeltürme der SS. Trinità dei Monti und der Obelisk auf der Terrasse vor der Kirche waren schon ganz nahe ins Blickfeld gerückt, doch die richtige Vorfreude wollte sich nach dem eben Erlebten nicht einstellen. Einem Automatismus folgend lenkten wir die Schritte bis vor die Brüstung dieses Belvedere, schauten einfach hinunter und ließen die Bilder auf uns wirken, ohne sie verstehen zu wollen. Erst allmählich gelang es uns, wieder in die Realität zurückzufinden. Jetzt erst begriffen wir, dass hier von der Höhe des Pincio die Spanische Treppe – für mich eine der schönsten Architekturschöpfungen Roms – wie ein Wasserfall den Hügelhang abwärts gleitet, um sich im unteren Bereich zum weit geöffneten Zuschauerraum eines Amphitheaters auszudehnen, auf dessen Rängen sich die Schaulustigen bequem niederlassen können. Auch heute war jede Stufe besetzt: die Menschen saßen dicht an dicht – ein buntes Völkergemisch – , und sie genossen die Aussicht und die wärmenden Sonnenstrahlen an diesem herrlichen Oktobertag.
Das Geheimnis dieser Treppenanlage liegt in ihrer Harmonie und Ausgeglichenheit, in ihrem rhythmisierenden Wechsel von konkaven und konvexen Formen, von Stufen und Rampen, von Terrassen und Balustraden, vom Zusammenfließen und Wiederauseinanderströmen. Einfach großartig!
Und es wäre alles nur unvollkommen, würde man das Spiel ihrer Proportionen und ihrer Schönheit nur theoretisch beschreiben; man muss die Treppe auch körperlich und sinnlich erfahren, indem man sie Stufe für Stufe ‚erobert’. Das wollten wir tun, wenn wir uns ihr von ‚unten’, von der Pza. di Spagna näherten.

Aber nicht nur die Spanische Treppe, sondern auch der Obelisk hinter meinem Rücken hatte meine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen – vor allem jetzt, wo er dem vollen Sonnenlicht ausgesetzt war und für einen Augenblick die Bedeutung zurückgewann, die er einst in Ägypten besessen hatte. Da war der Obelisk alles andere als ein ‚Bratspieß’ – wie ihn die Griechen nannten in Unkenntnis seiner wahren Bedeutung -, sondern er war das Kultsymbol der majestätischen Gegenwart des Sonnengottes Rê, der – in der Einheit mit seinen zwei anderen Erscheinungen als Cheper und Atum – durch seine Energie von Licht und Wärme als der Schöpfer allen Lebens betrachtet und verehrt wurde.





Auf der Aussichtsterrasse des Monte Pincio

Während ich noch mit der Entzifferung einiger Hieroglyphen beschäftigt war, nutzten die anderen die Zeit, um einen Blick in das Innere der Dreifaltigkeitskirche zu werfen. Etwa eine Viertel Stunde später machten wir uns dann auf den Weg, um an der Villa Medici vorbei zur nächsten ‚Station’ zu gelangen, zur Aussichtsterrasse auf dem Monte Pincio, der das Glück hatte, nie dicht besiedelt gewesen zu sein, sondern nur die Villen einiger reicher Leute (Sallustius / Lucullus) getragen zu haben.
Das Panorama, das sich vor unseren Augen auftat, war einfach überwältigend. Auf der linken Seite – also in westlicher Richtung – erhob sich die majestätische Kuppel der Peterskirche, die alle anderen Kuppeln und Türme überragte, und die zu Recht als die wahre Hüterin Roms bezeichnet werden darf; unter uns die an eine überdimensionale Manege erinnernde Piazza del Popolo, von der im spitzen Winkel drei lange Straßenzüge ausstrahlen: in der Mitte der Corso, der sich quer durch die Stadt mit der Pza. Venezia vereinigt, auf der linken Seite die Via del Babuino zum Quirinal hin, und rechts die Via di Ripetta, die ins Herz der Stadt, in den Rione della Pigna führt. Würde man diese drei Straßen, in deren Ursprungspunkt sich die Zwillingskirchen S. M. dei Miracoli und S. M. in Montesanto befinden, in die entgegengesetzte Richtung verlängern, also zur Porta del Popolo hin, dann würden sie sich genau in der Mitte des Platzes treffen, und zwar da, wo der aus Rosengranit gefertigte Obelisk aufgestellt ist, dessen als Flachrelief herausgemeißelte Inschriften noch heute – nach über 3000 Jahren! – den hohen Grad der ägyptischen Steinmetzkunst sichtbar werden lassen. Dieser Obelisk stammt nämlich aus der Zeit Ramses II. und war für eine Tempelanlage in Heliopolis (heute am nordöstlichen Rand von Kairo) bestimmt.
Auf Veranlassung des Peretti-Papstes Sixtus V. ist er aus dem Circus Maximus hierher transportiert worden mit einem technisch hohen Aufwand, der für die Ingenieurleistung der damaligen Zeit spricht. Dass Sixtus V. der ‚spiritus rector’ dieses Unternehmens war, ist unschwer zu erkennen an den vier wasserspeienden Löwen – die wohl einem ägyptischen Vorbild nachempfunden sind - , denn der aufgerichtete Löwe mit drei Birnen in der Kralle gehörte zum Familienwappen der Peretti (Birnen
à pere).

Zu den Zeiten, als noch die Päpste über Rom regierten, war die Piazza del Popolo wie geschaffen, um hohe Staatsgäste aus dem Norden (Botschafter / Gesandte / Könige) zu empfangen, so auch die schwedische Königin Christine, die nach dem 30-jährigen Krieg zum Katholizismus übergetreten war und beim Papst Schutz suchte. Sie alle mussten die Porta del Popolo passieren, denn hier endete eine schon seit der Antike bestehende Hauptverkehrsader, die Via Flaminia. Wer sich als Pilger von ‚transalpina’ zur Ewigen Stadt aufmachte, der konnte Rom nur betreten, wenn er die Kontrolle an der Porta del Popolo bestanden hatte.


Auch Martin Luther - damals noch als ‚Frater Martinus’ unterwegs - war in Rom

Dazu gehörte auch ein gewisser Martin Luther aus Erfurt, der im Auftrag seines Konvents im Spätherbst des Jahres 1510 nach Rom geschickt worden war, um hier wegen eines Streites innerhalb des Ordens über Organisationsfragen zu verhandeln und um den Papst um Unterstützung zu bitten, und der während seines vierwöchigen Aufenthaltes in dem zur Kirche S. M. del Popolo gehörenden Augustinerkloster (das heute nicht mehr existiert) untergebracht war.
Luther hatte Rom nicht verstanden, obwohl er sich beim ersten Anblick noch auf den Boden geworfen hatte mit den Worten: „Salve, Sancta Roma!“ Er war letztlich doch schockiert vom Sittenverfall des römischen Klerus und vom Papst (Julius II.) selbst, der alle seine Energie in die Kunst, den Luxus und den Wiederaufbau der Peterskirche steckte. „Rom ist ein Zirkus.“, hatte er später einmal gesagt. „Man kann sich dort alles kaufen, sogar Erlösung.“
Rom wurde für den ‚Frater Martinus’ zu einem Schlüsselerlebnis, und so kann man vielleicht die These wagen, dass sich hier an der Porta del Popolo der reformatorische Geist Luthers in ersten, wenn auch noch ganz amorphen Umrissen zu entwickeln begann.
Und auch die Römer haben ihn nicht verstanden. Sie standen wahrscheinlich fassungslos einem Menschen gegenüber, der von Selbstzweifeln geplagt war und getrieben von der Suche nach religiösen Erkenntnissen, und dessen Gedanken sich immer wieder um die eine, seine ganze Existenz durchdringende Frage drehten: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“
Im Bewusstsein der Römer lebt Luther fort als Karikatur: in einem Seitengässchen des Corso befindet sich ein kleiner Trinkbrunnen, fontana del facchino genannt. Da sieht man einen Mann in Kutte und mit Kappe, der ein breit gebändertes Fässchen quer vor seinem Bauch hält. Aus dem Spundloch dieses Fässchens rinnt unaufhörlich ein dünner Wasserstrahl in ein kleines, an eine geöffnete Muschel erinnerndes Brunnenbecken. Und dieser Mann, dessen Gesicht ziemlich 'zerschlagen' aussieht und es im wahrsten Sinne des Wortes auch ist, das ist für das ‚popolino’ Roms der weinselige, einen guten Tropfen nicht verachtende Reformator Doktor Martin Luther aus Wittenberg.

Mit diesem Wissen im ‚Gepäck’ verließen wir den Aussichtsbalkon des Pincio; es dauerte keine fünf Minuten und wir standen selbst auf dem Platz, der den Päpsten in der Vergangenheit als Empfangssalon diente. Wie riesig er in Wirklichkeit ist, merkten wir erst jetzt. Wir kamen uns richtig verloren vor. Uns erschien er auch nicht wie ein Empfangssaal, sondern eher wie ein Exerzierplatz, bestens geeignet für militärische Umzüge und Paraden. Für uns kein Ort, um lange zu verweilen; eigentlich wollten wir direkt durchgehen zur Pza. di Spagna, wenn … ja, wenn mich nicht die so hervorragend erhaltenen Kartuschen Ramses II., des vielleicht größten Pharaos der ägyptischen Geschichte, fasziniert hätten. Die Zeit, sie mit der Kamera aufzunehmen, musste man mir zugestehen. Und die Photos sind so gut gelungen, dass sie für die Erklärung seiner beiden Namen – des Geburtsnamens und des Thronnamens – ohne jede Einschränkung zu gebrauchen sind.


Geburtsname und Thronname Ramses II.


Fangen wir also mit dem ersten Ringnamen an! Er ist ganz symmetrisch gestaltet, so dass eine vertikale und horizontale Aufteilung entsteht. Die obere Hälfte der Kartusche wird ausgefüllt durch zwei sitzende Götter: links der falkenköpfige Gott bzw. Ra - mit der Sonnenscheibe und dem Anch-Zeichen (auch bekannt als Lebenszeichen oder Henkelkreuz) - , ihm gegenüber der Gott Amun mit der Doppelfederkrone und dem Was-Szepter. In der Mitte ein flaches Zeichen (es soll ein Kanal sein): man spricht es ‚meri’, was auf deutsch geliebt heißt; es bewirkt eine horizontale Trennung.
Darunter erscheinen drei Zeichen, die von links nach rechts zu lesen sind:
Das erste, einem Dreizack ähnelnden Zeichen (drei zusammengebundene Fuchsfelle darstellend) ist ein sog. Drei-Laut-Zeichen, und man spricht es als ‚mes’, was soviel wie geboren oder Sohn des … heißt; das mittlere Zeichen (ein gefaltetes Tuch) wird als ‚es’ gelesen und verstärkt nur das ‚mes’ * ; und das letzte Zeichen (Riedgras symbolisierend) liest sich als ‚su’=ihn.
Der Geburtsname Ramses II. lautet im Original dann so: Ra-mes-su (Ra hat ihn geboren / Ra hat ihn gezeugt), meri-Imen (geliebt von Amun).

___________________________________________________________________________________________
* Übrigens: von ‚mes-es’ stammt der Name Moses ab, der ja bekanntermaßen das Volk Israel im Auftrage seines Gottes Jahwe aus dem 'Sklavenhaus Ägyptens', wie es im AT heißt, geführt hat.


Auch in seinem Thronnamen lässt sich eine klare Ordnung erkennen, bestehend aus einer oberen Hälfte (drei Zeichen) und einer unteren Hälfte (ebenfalls drei Zeichen).

Re ist zweimal als Sonnenscheibe (ein sog. Ideogramm) dargestellt. Obwohl die Sonnenscheibe immer die erste Stelle im Thronnamen einnimmt, ist sie doch erst am Schluss zu lesen. Daher müssen zuerst die beiden Zeichen unter der Sonne beachtet werden. Links sind Hals und Kopf eines Caniden zu erkennen: ein Drei-Laut-Zeichen, ‚user’ ausgesprochen, in der Bedeutung von stark. Auf der rechten Seite die Göttin der Gerechtigkeit und Wahrheit (immer zu erkennen an der Pfauenfeder auf dem Kopf): die Göttin Maat.
Folglich lautet der erste Teil des Thronnamens: user-Maat-Rê, was man im Deutschen etwa so übersetzen kann: „stark ist die Gerechtigkeit des Rê“. Die Griechen machten übrigens daraus: ‚Ousimarês’ oder auch ‚Osimandias’.
Dieser Name erhält noch einen Zusatz:
Das erste Zeichen (auch ein Drei-Laut-Zeichen) stellt ein Beil mit einem Hauklotz dar: ‚setep’=erwählt; darunter die Wasserlinie ‚en’=von. Daraus ergibt sich dann für den Zusatz folgende Lesart: setep-en-Rê, was mit ‚erwählt von Rê’ wiedergegeben werden kann.



Auf dem Weg zur Piazza di Spagna

Also: wie gesagt, uns war nicht danach zumute, uns lange auf diesem ehemaligen Versammlungsplatz für Päpste und Gesandte aufzuhalten. Gedanklich waren wir schon mit unserem nächsten Ziel beschäftigt, der Pza. di Spagna. Um dorthin zu kommen, wählten wir die kürzeste Verbindung, die Via del Babuino, die Pavianstraße, benannt nach einer antiken Figur (einem Satyr mit Dudelsack), die so verstümmelt war, dass die Römer sie für einen Pavian hielten.
Wir sind der Via del Babuino nicht einfach stur geradeaus gefolgt, sondern sind immer mal wieder stehengeblieben, um zurückzuschauen, um durch die dunkle Häuserschlucht hindurch einen Blick auf den vom Sonnenlicht angestrahlten Obelisken zu werfen, dessen Größe mit zunehmender Entfernung und in der sich verengenden Perspektive immer weiter abnahm.



Je mehr wir uns der Pza. di Spagna näherten, desto teurer wurden auch die Geschäfte: Schuhe bis zu 1000 € und Handtaschen ab 1200 € aufwärts auf der nach oben offenen Preisskala. Und das Publikum? Relativ jung! Frauen in den 30ern und nicht die reiferen Jahrgänge wie man vermuten könnte, für die das ‚Shoppen’ in solchen Konsumtempeln zum Synonym für die Erotik des Alters geworden ist. Ich habe mich ernsthaft gefragt, was Leute dazu bewegt, für Dinge, die dem Diktat der Mode – also der kürzesten Form der Ewigkeit – unterworfen sind, so viel Geld auszugeben? Ist ihnen das Instrumentarium abhanden gekommen, um beurteilen zu können, was noch angemessen und was maßlos übertrieben ist? Hat sich ihre Welt reduziert auf materielle Bedürfnisbefriedigung, auf den zwanghaften Wahn, den Verlockungen und Versuchungen dieser ‚Daseinsvergolder’ erliegen zu müssen, die meinen, mit ihrem Luxus-Ramsch das Leben ihrer Kunden aufwerten zu können? Merken sie nicht, dass ihr Glück zusammenschrumpft auf die Flüchtigkeit des Augenblicks, dass sie ständig gehetzt werden von der Gier nach neuen Wünschen, so dass Goethes Worte zutreffen, wenn er sagt: „So tauml’ ich von Begierde zu Genuss, und im Genuss verschmacht' ich nach Begierde.“



Auf der Piazza di Spagna vor dem Barcaccia-Brunnen

Nur noch wenige Schritte, dann mündete die Via del Babuino in die Pza. di Spagna, die vielleicht nicht zu den schönsten, aber sicher zu den meistbesuchten Plätzen Roms gehört.
Es gibt einen Punkt, wo sich sozusagen alle Kraftlinien dieses Platzes treffen: es ist der Barkenbrunnen von Pierro Bernini, dem Vater des großen Sohnes Lorenzo. Zu diesem Boot aus Stein, dessen dünne Wasserstrahlen aus stumpfen, abgerundeten Kanonenrohren hervorspritzen, fühlten wir uns magisch hingezogen. Obwohl hier eine drangvolle Enge herrschte und sich alle für das schönste Erinnerungsphoto in die beste Position bringen wollten, gelang es mir einen dieser Pylone zu sichern, die zur Aufnahme des Eisengeländers bogenförmig um den Brunnen angeordnet sind. Auf diesen ‚Grenzstein’ setzte sich mir zuliebe meine Frau, und so konnte ich eine ganze Serie von Photos ‚schießen’, mal mit der Barke, mal mit der Treppe oder einfach mit den vielen, neugierig herumstehenden Menschen im Hintergrund.
Erst danach hatte ich den Blick frei für die wohl großartigste Treppenarchitektur Roms, wenn nicht sogar der ganzen Welt. Vom Pincio aus betrachtet hatte mich der Lauf der Treppe noch an die Kaskaden eines Wasserfalls erinnert, von hier unten aus drängte sich der Vergleich mit dem Stundenglas einer Sanduhr auf, wobei die erste Terrasse mit den sich verzweigenden Treppenaufgängen den engen ‚Hals’ der beiden Hälften bildete. Und dieser hinreißend schöne Anblick wurde im wahrsten Sinne des Wortes gekrönt durch die Doppeltürme der SS. Trinità dei Monti und die Nadel des Obelisken in der Mitte.





Die Spanische Treppe oder die Scalinata della Trinità dei Monti

Und was wäre diese Bühne des Lebens ohne die vielen Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – sich ganz dem dolce farniente hingeben, indem sie miteinander plaudern, in der Sonne dösen, ungeniert flirten, sich ausruhen von den Strapazen eines anstrengenden Giro durch das centro storico oder einfach nur schauen und das bunte Treiben beobachten, das sich stets verändert und doch seine Gestalt als farbenfrohes Knäuel nie verliert.
Auch an diesem Tag waren alle Stufen bis hinauf zum ersten Treppenabsatz gut ‚bevölkert’, und mittendrin in dieser Menschenansammlung bewegte sich – wie eine Marionette von unsichtbaren Fäden gelenkt – ein junges Model in einem knallroten und langen, einer griechischen Priesterin nachempfundenen Kleid, mal nach hinten zurückgleitend, mal nach vorne schwebend oder einfach wie eine grazile Balletteuse die Treppe Stufe für Stufe herunterschreitend. Ich hätte mich gerne unter die Profis gemischt, aber zunächst galt es, in diesem Getümmel unsere beiden ‚Ausreißer’, Schwager und Schwägerin, wiederzufinden, die wir zum Glück kurze Zeit später vor dem linken der beiden oberen Treppenaufgänge entdeckten, wo sie sich ganz lässig gegen diesen massiven, quaderförmigen Pfeiler anlehnten, der die in sanftem Schwung nach unten strebende Balustrade auffängt; und zwar so gekonnt lässig, dass sie ein ganz tolles Photomotiv abgaben. Also war ich erst einmal mit ihnen beschäftigt, und als ich mich wieder diesem Mannequin zuwenden wollte, hatten sie schon ihre Photos im ‚Kasten’ und waren gerade dabei aufzubrechen. Che peccato!
Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf die Suche nach anderen interessanten Blickfängen zu begeben. Ich hätte mich hier noch lange aufhalten können, doch schon bald drängten unsere beiden Mädels zum Aufbruch: sie wollten unbedingt in die Via Condotti.





„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten.“ - Es bleibet dabei auch und gerade in der Via Condotti

Die Via Condotti ist ein Muss für alle Rombesucher. Sie ist die Einkaufsmeile schlechthin: der haute volée, den Prominenten, der Schickeria und den Neureichen dient sie als Laufsteg und den Touristen – die mit Sicherheit das Gros der Passanten stellen – als Prozessionsweg. Aber es ist nicht ganz einfach, unter den vielen Menschen das extravagante Publikum ‚herauszufiltern’: diese Leute wollen nach Möglichkeit auch nicht auffallen; während das farsi vedere noch in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts angesagt war, so gibt man sich heute betont zurückhaltend und diskret. Man möchte am liebsten incognito bleiben.
Auch wir vier reihten uns in diesen Strom der ewig Neugierigen ein, und ohne ein festes Ziel vor Augen schlenderten wir diesen Catwalk der Mode und Eitelkeiten hinunter, wo sich hinter unscheinbaren Fassaden die Konsumpaläste von Gucci, Armani, Versace, Bulgari usw. verbergen, und die in ihren Auslagen mit einem Minimum an Dekoration auskommen und selbstverständlich auf eine Preisauszeichnung ihrer ausgestellten Kostbarkeiten verzichten. Da wird einem schnell und unmissverständlich bedeutet, dass die ‚Selektion’, wer sich zum erlauchten Kundenkreis zählen darf oder nicht, über das Portemonnaie entschieden wird. Nur wer über das nötige Kleingeld verfügt - und wer davon reichlich hat - , dem steht es zu, diese Konsumtempel zu betreten. Alle anderen bleiben ‚draußen vor der Tür’ und müssen sich mit ‚kalt staunender’ Bewunderung zufrieden geben.
Und leider wird noch eine andere Botschaft vermittelt, nämlich die, dass in einer bestimmten Schicht – der Klasse der oberen Zehntausend – nur ein Wert zählt, dem sich alles andere unterzuordnen hat, und zu dem es keine Alternative gibt: das ist der schnöde Mammon, durch den es erst möglich wird, sich diese unverschämt teuren und exklusiven (aber oft nicht schönen) Statussymbole zu leisten – ohne den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass die Grenze vom Luxus zur Dekadenz längst überschritten ist. Und sie finden auch nichts dabei, diese Trouvaillen stolz zu präsentieren, um damit in ihrem Umfeld die nötige Beachtung einzufordern und um sich selbst gegen die anderen – den Pöbel – abzugrenzen. Che divertimento dubbio!
Was ihnen zu guter Letzt noch fehlt, wäre ein schönes Etikett mit der deutlich sichtbaren Aufschrift: Fertig zum Almabtrieb!“



„Deux belles créatures!“

Wie ich schon eben andeutete, ist es nicht leicht, die Vertreter des Geldadels und der ‚high society’ auf den ersten Blick zu erkennen. Einmal in der Masse untergetaucht, bilden gerade die Leute, auf die sie gewöhnlich von oben herabblicken, den besten Schutz. Man braucht also zu deren ‚Entdeckung’ viel Glück, das richtige ‚timing’, das nötige Quantum Sensibilität, oder der Zufall muss helfen, wie es in unserem Fall passiert ist.
Während unsere Frauen mit ungläubigem Erstaunen und unvermindertem Eifer sich von Schaufenster zu Schaufenster vorarbeiteten, nutzten wir Männer die Zeit, die Leute zu beobachten, die an uns vorbeigingen sowohl in die eine Richtung – nach unten – als auch in die andere Richtung – nach oben. Eigentlich das gleiche Bild, wie man es aus unseren Großstädten auch kennt: alles in Bewegung, alles unterwegs, alle in Eile, und jeder ist nur noch mit sich selbst beschäftigt.
Und da fielen uns plötzlich zwei hübsche „Dinger“ auf – deux belles créatures de la nature würde man vielleicht in Frankreich sagen – zwei hochgewachsene Erscheinungen, aufrechter Gang, gut aussehend, modisch gekleidet mit der passenden edlen Handtasche dazu, vielleicht so Ende zwanzig, Arm in Arm mit einander plaudernd – kurzum, man konnte es ihrer Körpersprache ansehen, dass sie sich ihres Aussehens, ihrer bellezza und auch ihres Geldes bewusst waren (das Sein bestimmt bekanntlich das Bewusstsein), und dass sie es darauf anlegten, die bewundernden Blicke des Publikums entgegenzunehmen, aber dass auch gleichzeitig in ihrer Physiognomie jene subtile Form von Überheblichkeit mitschwang, bei der jedermann sofort weiß, dass sie nur die stumme Anerkennung dulden, ansonsten keine Annäherung, sondern nur den gebührenden Abstand wünschen. Und um das Ganze noch zu steigern, trugen beide dieselbe Kopfbedeckung – für mich nicht gerade der letzte Schrei, le dernier cri, aber doch so ungewöhnlich, dass mir fast die sprachlichen Kategorien fehlen, um sie zu beschreiben. Sie erinnerte mich an die kunstvoll gehäkelten Gebetskäppchen, ich glaube Kufi oder Gefiya genannt, wie sie gerne von Männern in den arabischen Ländern getragen werden.
Also, so ein Käppchen, dessen Farbe ins Beige-Braune hineinspielte, diente ihnen als auffallender Kopfschmuck. Vielleicht doch mehr als nur ein modisches Accessoire, sondern in Wirklichkeit ein offen zur Schau getragenes Symbol ihres moslemischen Glaubens?
„Hast du die beiden Paradiesvögel gesehen?“ Diese Bemerkung konnte ich mir doch nicht verkneifen. Mein Schwager nickte nur und sah den beiden noch eine Weile hinterher, bis sie plötzlich die Richtung wechselten, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Warum sie es taten, wurde uns sofort klar: sie waren die ganze Zeit schon – mit der nötigen Distanz – zwei jungen Männern gefolgt, vermutlich Begleiter zu ihrem persönlichen Schutz, von denen jeder jeweils in der linken und rechten Hand eine gut gefüllte Einkaufstasche davonschleppte!

„Eigentlich könnte ich jetzt einen Cappuccino gebrauchen“, sagte ich so zu meinem Schwager. „Ich übrigens auch“, meinte er nur lakonisch. Da wir sowieso nicht vorhatten, ihn im Caffè Greco zu trinken, beschlossen wir, unseren Giro noch ein Stückchen fortzusetzen, um uns dann in der Nähe des Augustusmausoleums, der dritten und letzten Koordinate in dem von uns geplanten Dreieck, die richtige Bar zu suchen.
Am Largo Goldoni bogen wir nach rechts in den Corso, kurz darauf passierten wir die stattliche Kirche S. Carlo al Corso, und direkt dahinter ging es dann nach links über einen kleinen Platz und durch einen Gebäudedurchgang auf die Pza. Augusto Imperatore, wo wir unter einer hohen Arkade, die zur Fassade einer modernen Gebäudearchitektur gehörte, das von uns erhoffte nette Plätzchen zum Ausruhen fanden – und zwar mit unmittelbarem Blick auf den kaiserlichen Grabhügel.



Das Augustusmausoleum und der Friedensaltar des Augustus, die Ara Pacis Augustae

„Irgendetwas passt hier nicht zusammen“, dieser Gedanke schoss mir plötzlich durch den Kopf und ließ mich nicht mehr los. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ihn in klare Konturen zu fassen, es wollte mir einfach nicht gelingen.
Erst, nachdem wir bezahlt hatten und an dem Punkt angelangt waren, der dem Eingang des Augusteums genau gegenüberliegt, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: die Grabstätte ist viel zu sehr eingeengt von den hoch aufragenden Fassaden der arkadengesäumten, klotzig wirkenden Mietskasernen. Nun, ich will nicht verschweigen, dass von dem einstigen imposanten Rundbau nicht viel mehr übrig geblieben ist als ein Kern aus rohem Tuffgestein, der in seinem gegenwärtigen Zustand einen vernachlässigten Eindruck hinterlässt; aber wenn man bedenkt, wie diese Anlage, die von weitem aussah wie ein Rundtempel auf einem gigantischen Sockel aus konzentrischen Mauern, gewirkt haben muss, als das Marsfeld noch unbebaut war, ja dann wird durch die heutige Kulisse der Blick auf das in der Antike so stolze Gebäude total verstellt und seine Wirkung verfremdet.
Da es zum Friedensaltar des Augustus – zur Ara Pacis Augustae – nicht mehr weit war, ließen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, uns dieses Meisterwerk aus feinstem Carrara-Marmor anzuschauen. Bei diesem Heiligtum handelt es sich um eine Stiftung des Senats, das im Jahre 9 v. Chr. anlässlich der Pax Romana eingeweiht und dem Volk übergeben wurde.
Die Ara Pacis ist nichts anderes als eine Opferstätte, die von vier nach oben offenen Umfassungswänden umschlossen ist. Der Altar selbst steht auf einem erhöhten Podest, den man über Stufen von zwei gegen-überliegenden Portalen erreicht. Weniger das Innere als vielmehr die Friesplatten auf den Außenwänden sind die eigentliche Attraktion – „von klassischer Kühle und Vornehmheit“, wie R. Raffalt treffend bemerkt.
Besonders angetan waren wir von dem Opferzug der kaiserlichen Familie auf der Südseite des Altars, den Augustus selbst anführt, begleitet von Priestern und den Angehörigen aus seinem engsten familiären Umfeld.
Auch das Relief mit der Erdgöttin Tellus bzw. der Göttin Italia verdiente unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie ist als sitzende Figur dargestellt, inmitten einer felsigen Landschaft und umgeben von Pflanzen und Tieren. Ihr Kopf ist bedeckt mit einem Schleier, ihr Körper umhüllt von durchsichtigem Stoff. Ihre Arme hat sie schützend um die beiden Kinder gelegt, auf die sie liebevoll hinunterschaut. Zwischen ihnen – auf ihrem Schoß ausgebreitet – sind verschiedene Früchte zu sehen, vielleicht Symbol ihrer Fruchtbarkeit.
Im Vordergrund – zu ihren Füßen – erkennt man ein Rind, das sich zum Ruhen niedergelegt hat, und ein Schaf, das friedlich im Gras weidet.
Flankiert wird die Göttin von den zwei weiblichen allegorischen Figuren der Luft und des Windes – mit nackten Oberkörpern und mit Tüchern, die sie, vom Wind aufgeweht, kranzförmig umschließen.
Die linke scheint auf einem Schwan mit gespreizten Flügeln davonzuschweben, und die rechte auf einem Seeungeheuer mit zähnestarrendem Gebiss davonzugleiten. Beide haben ihre Augen auf die Erdgöttin in der Mitte gerichtet.
Wie ich gelesen habe, sollen durch das Tellus-Relief die Wohltaten des Goldenen Zeitalters – der aetas aurea – veranschaulicht werden.





Auf dem Weg zur Piazza Farnese

Als wir wieder aus dem Mausoleum heraustraten, empfing uns ein unangenehmer Nieselregen – auf der Kanareninsel La Palma als Chippy-Chippy bekannt. Dazu gesellte sich ein böiger Wind aus Westen. So schnell kann hier das Wetter umschlagen! Also, sämtliche Pullover raus und angezogen – das war jetzt das Gebot der Stunde. Dann machten wir uns bereit für unseren langen ‚Marsch’ durch Roms Altstadt; und dabei konnten wir uns nur wundern, wie schnell man die fliegenden Händler aus den asiatischen Ländern mit Dutzenden von Regenschirmen ‚versorgt’ hatte. An jeder Straßenecke hörte man jetzt nur noch „Ombrello? Ombrello?“. Wir lehnten dankend ab, denn diese ‚Dinger’ waren von so miserabler Qualität, dass sie den ersten Einsatz nicht überlebt hätten. Wir dagegen suchten uns im Schutz der Gassen und Gässchen, der Häuser und Eingänge bis zu unserem Ziel, der Pza. Farnese ‚durchzuschlagen’. Da wir sehr gut in der Zeit waren, konnten wir es uns sogar erlauben, uns für einen längeren Augenblick unterzustellen, wenn es mal heftiger anfing zu regnen. Gottseidank keine pioggia insistente: der Regen ließ schon deutlich nach, als wir die Pza. Cinque Lune erreicht hatten, und er war ganz verschwunden, als wir uns dem Bannkreis der Piazza Farnese näherten.


Auf der Piazza Farnese

Dieser Platz verströmt längst nicht die Heiterkeit wie der stimmungsvolle und einladende Campo de’Fiori gleich nebenan, dessen Laute, Rufe und Stimmen durch die Via della Corda bis hierher durchdringen. Er wirkt, ähnlich der breitflächig gerundeten Pza. del Popolo, wie ein Empfangssaal, nur ist er viel stiller, viel leerer, viel einsamer, und er wäre noch ein Stückchen verlassener, gäbe es an seinem linken oberen Rand (zur Altstadt hin) nicht die paar Caffès und die Osteria ‚Ar Galletto’, in der wir an diesem Abend Gast sein wollten.
Die Piazza Farnese wird beherrscht von der Renaissancefront des Palazzo Farnese, der mich irgendwie an ein Festungsgebäude erinnert und wegen seiner Unzugänglichkeit etwas Unnahbares und Fremdartiges ausstrahlt. In ihm ist heute die französische Botschaft untergebracht, und dessen Eingang ist tagsüber immer von mehreren Carabinieri bewacht, die demonstrativ ihre Jeeps davor in Position gebracht haben.
Aber was wäre die Piazza ohne ihre beiden Brunnen? Sie stellen die eigentlichen dekorativen Elemente auf diesem Platz dar und sind ein echter Blickfang, bestehend aus zwei antiken graugrünen Granitwannen gleicher Größe, die man über dem Wasserspiegel der imposanten Brunnenbecken so platziert hat, dass sie in ihrer optischen Wahrnehmung auch richtig zur Geltung kommen. Und um ihren Anblick noch zu verschönern, hat man sie mit der Farnese-Lilie und einer kleeblattähnlichen Auffangschale geschmückt, aus der das kühle Nass in unterschiedlich breiten Strähnen nach unten fließt und dieses ungleichmäßige Plätschern hervorruft.




Draußen an den Tischen der Osteria „Ar Galletto“

Obwohl wir an diesem Abend für unsere Verhältnisse viel zu früh dran waren, uns ins ‚kulinarische Abenteuer’ zu stürzen, mussten wir erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die zur Osteria ‚Ar Galletto’ gehörenden Außenplätze schon gut besetzt waren. Also, worauf sollten wir noch warten? Wir suchten uns einen Tisch ganz in der Nähe des Brunnens, der vom Kunstlicht magisch verklärt wurde und dessen Plätschern uns die ganze Zeit begleiten sollte.
Wie fast immer, so stellten wir uns auch diesmal ein Zwei-Gang-Menu zusammen mit zwei Karaffen Wein und mit acqua minerale con gas, dem wir später noch ein dolce folgen ließen. Neben uns saß noch ein deutsches Pärchen, das eigentlich nichts anderes tat, als sich schweigend anzustarren; nur ab und zu wurde das Schweigen unterbrochen, um sich ganz unverbindlich einige Belanglosigkeiten mitzuteilen. That’s amore!
Irgendwann gaben sie dem Kellner einen Wink, um zu bezahlen, dann erhoben sie sich unauffällig – von uns fast nicht bemerkt – und verschwanden grußlos.
Kurze Zeit danach erschien eine Gruppe Frauen mittleren Alters, die sich wohl für hier verabredet hatten und gute Bekannte des alten padrone waren, denn er begrüßte jede ganz herzlich mit einem bacio. Endlich kam Leben an unseren Tisch.
Später ging wieder ein kräftiger Schauer nieder. Jetzt waren die Improvisationskünste des padrone gefragt. Offensichtlich mit der Lage vertraut, spannte er zwei, drei Regenschirme zwischen unserem Sonnenschutz und dem angrenzenden Mauerwerk und konnte so vorübergehend verhindern, dass die Person, die ‚vor Kopf’ saß, nass wurde. Als aber dann ein Wind aufzog, mussten wir alle zusammenrücken, und ich hatte plötzlich das Gefühl, in einer großen Familie zu sein.
Irgendwie assozierte ich mit dieser Situation – ich kann gar nicht erklären warum – einige Verse von H. v. Hofmannsthal, die mir spontan einfielen, und die allerdings nur noch bruchstückhaft meinem Gedächtnis erhalten geblieben sind:


Es war so schön … Denkst Du nie mehr daran?
Freilich, Du hast mir weh getan, so weh …
Wenn nach dem schwülen Abend Regen kam
Und wir am Fenster standen … ah, der Duft
Der nassen Bäume … Alles das ist hin,
Gestorben, was daran lebendig war!
… Ich bat, bei Dir zu sein,
Nicht grauenvoll, um Dich zu quälen nicht,
Nur wie wenn einer einen Becher Wein
Austrinkt und flüchtig ihn der Duft gemahnt
An irgendwo vergessne, leise Lust.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Sececa,
leider bin ich erst jetzt wieder auf Deinen fortgesetzten Bericht gestoßen. Besonders fasziniert hat mich die Beschreibung der Pieta, die genauso wie die enthaltene Kritik sehr treffend ist.
Wenn ich bei einem Campo Santo Besuch nur wenig Zeit hatte, bin ich in der Zeit vor den Personenkontrollen zumindest mal eine Viertelstunde in den Dom gehuscht und habe bei der Pieta geweilt. Anfangs war es die Maria mit dem kunstvollen Kleid, die mich besonders anzog. Inzwischen ist der Korpus Jesu für mich das Bild des perfekten Toten; "die letzte Ruhe", die mich auch ruhig werden lässt.

Herzlichen Dank für die hervorragende Schilderung.

Ludovico
 
Hallo und Moin, Moin Seneca!



VIELEN DANK

:thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:


für die Fortsetzung

... ich freue mich schon auf mehr ...



Gruß - Asterixinchen :)
 
Samstag, d. 4. Oktober 2008: Auf dem Aventin (Parco Savello – S. Sabina – Pza. dei Cavalieri di Malta – S. Anselmo) - Auf dem Protestantischen Friedhof (Cimitero Acattolico) - Scala Santa - Kurzbesuche der beiden Kirchen S. Giovanni in Laterano und S. Stephano Rotondo


Auf dem Weg zum Aventin


Unsere heutige Entdeckungstour sollte in eine der ruhigsten Ecken Roms führen, nämlich auf den Aventin und anschließend auf den Protestantischen Friedhof an der Porta S. Paolo.
Diesmal wollten wir uns den Weg nicht durch das verschachtelte Ghetto bahnen, sondern wir wählten die Variante längs des Lungotevere, einer der verkehrsreichsten und lautesten Straßenadern Roms. Wir waren innerlich darauf eingestellt, wurden dafür aber mit schönen Blicken auf den ruhig dahinfließenden Tiber, auf die Tiberinsel und auf die drei Brücken entschädigt, die hier den Fluss in kurzen Abständen überspannen.
Kurz darauf passierten wir die Kirche S. M. in Cosmedin mit dem schlanken, siebenstöckigen und sicher schönsten Campanile, den es in Rom zu bewundern gibt, und der berühmten Brunnenmaske der Bocca della Verità in der Vorhalle. Diese Kirche wurde errichtet von griechischen Mönchen auf dem wohl ältesten Markt Roms, dem antiken Forum Boarium, und war für lange Zeit der religiöse Mittelpunkt einer starken byzantinischen Gemeinde.



Fast am Ende des Tiberbogens angekommen, hielten wir kurz an, denn von diesem Aussichtspunkt zeigt sich die Stadt von einer ganz idyllischen Seite, wo die mächtigen Kronen der Ahornbäume, die das linke und rechte Tiberufer säumen, die Fassaden der Häuser verdecken und nur ab und zu das Rot der Dächer durchschimmern lassen. Rechts von uns kamen jetzt die Pfeiler und die Eisenkonstruktion des Ponte Palatino ins Blickfeld, dann kaum wahrnehmbar die Ruine des Ponte Rotto, und im Hintergrund tauchte einem Riegel vergleichbar die Tiberinsel auf mit der kleinen Kirche S. Bartolomeo all’Isola. Und in der Ferne erhob sich über allem schwebend die majestätische Kuppel von Sankt Peter.


Wir wechselten dann auf die andere Seite des Lungotevere und stiegen über den gepflasterten Weg des Clivo di Rocca Savella zum Aventin hinauf, der mit seiner flachen Wölbung der niedrigste der sieben Hügel ist und zu den vornehmsten Wohngegenden Roms zählt: mit exklusiven Villen, von Gärten umgeben und hohen Mauern eingefriedet, und mit einigen uralten Kirchen, die die Stille dieses Ortes mit den luxuriösen Residenzen teilen. Kaum vorstellbar, dass der Aventin einmal das Viertel der armen Leute gewesen ist!
Der Clivo di Rocca Savella ist in seinem unteren Bereich ziemlich steil, so dass wir gezwungen waren, ein paar ‚Kunstpausen’ einzulegen. Aber der Anstieg war es nicht allein, mit einem Mal war die Luft schwül und drückend geworden: Regen kündigte sich an.
Auf seinem Scheitelpunkt schwenkt der Weg nach links, und von hier ab verwandelt er sich in eine der romantischsten Passagen, die wir gegangen sind – eingezwängt zwischen hohen Steinmauern, vom Grün der Bäume und Kletterpflanzen überwuchert.



Im Parco Savello

Wenig später hatten wir den kleinen Parco Savello mit seinem malerischen Orangengarten und seiner phantastischen Aussichtsterrasse erreicht, die den Besucher mit einem 180°-Panorama belohnt. Wir schauten über die Wipfel der sich am Tiber entlangziehenden Baumreihen auf die sanften Anhöhen des Gianicolo, dann ließen wir unsere Blicke gleiten über die Dächer von Trastevere bis hin zum Vatikanischen Hügel, wo sich – ganz gleich, von welcher Seite man sie auch betrachtet – die Peterskirche mit ihrer markanten Silhouette erhob; sie ist und bleibt die wahre Herrscherin Roms.
Noch war die ganze Szenerie vom Licht der Sonne überglänzt, aber weit hinten über den Kämmen der Berge türmten sich schon mächtige Wolkenpakete auf, die mit ihrer dunklen Fracht begannen, den Horizont bedrohlich zu verfärben. „Guckt euch mal den Himmel an!“, sagte ich zu den anderen, und ich ahnte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er seine Schleusen öffnete.




In der Kirche Santa Sabina

Bis zur Perle des Aventin, der Kirche S. Sabina, waren es nur einige Meter. Mit ihrer Apsis, die unter den Schirmen der stattlichen Pinien immer wieder zum Vorschein kam, ragt sie weit in den Park hinein. Durch das große Steintor in der Umfassungsmauer gelangten wir auf den Vorplatz und von da aus durch die düster wirkende Vorhalle, deren Fenster mit locker verzurrter Baufolie behangen waren, in das Innere der Kirche, in der gerade ein Gottesdienst für ein junges Brautpaar begonnen hatte. Da wollten wir natürlich nicht stören, und deshalb ließen wir uns unauffällig hinten an der Außenwand – direkt links neben dem Eingang – auf einer Bank nieder. So konnten wir Raum und Zeremonie auf uns wirken lassen. Uns überraschte die marmorne Kühle und strenge Sachlichkeit dieses hallenartigen Raumes, der sein Licht empfängt von den großen, rundbogigen Fenstern hoch über den antiken Säulen des Mittelschiffs, und der auf jedes überflüssige Dekor verzichtet.
Die Verwandten und Freunde der festlich gekleideten Hochzeitsgesellschaft hatten auf den barocken Vorbildern nachempfundenen Stühlen links und rechts vom Mittelgang ihre Plätze eingenommen, wobei jede Stuhlreihe mit einem prächtigen Blumenbouquet geschmückt war. Dem Brautpaar selbst hatte man den besonderen Platz vor dem Altar zugewiesen, der ebenfalls mit einem aufwendig gestalteten Gesteck dekoriert war und zusätzlich mit Blumengirlanden, die von beiden Seiten des Tisches nach unten fielen.
Mit feierlichem Ernst folgten die Teilnehmer der Ansprache des Priesters (eines Dominikanerpaters), und ich verstand Worte wie matrimonio – rimanere fedele – fiducia – amore profondo – dare parole usw. Man kann sich leicht ausdenken, worüber der Padre gesprochen hat: dass die Ehe keine Lebensform von gestern ist, sondern dass sie auch heute noch ihre Gültigkeit besitzt, wenn man sie auf ein Fundament gegenseitigen Vertrauens und tiefer Liebe stellt, die alles verzeihen und verstehen kann; und wenn man versucht, sich zu unterstützen, wo immer es geht, und die Probleme des Alltags gemeinsam zu bewältigen. Natürlich ist sie ein fragiles Gebilde, das behütet und umsorgt sein will, und sie ist vor allem dann gefährdet, wenn man meint, sich selbst verwirklichen zu müssen, ohne dabei auf die Gefühle, Wünsche und Vorstellungen des anderen Rücksicht zu nehmen. Und selbstverständlich sollte man bei allem, was man tut, den nicht vergessen, der sich nie aufdrängt, der immer diskret im Hintergrund bleibt, aber der von Anfang an „seine Liebe in unsere Herzen gegossen hat“ (Röm 5,5) und dessen Eigentum wir sind und bleiben, Gott nämlich.




Das Schlüsselloch im Hauptportal der Malteservilla oder il buco di Roma

Wir hatten jetzt genug gesehen, und ‚auf leisen Sohlen’ verließen wir den Kirchenraum; es ging wieder zurück durch den abgedunkelten Korridor der Vorhalle vorbei an dem berühmten Mittelportal, dessen Holz sich im Laufe der Jahrhunderte schwarz eingefärbt hat und somit die Figuren in den verschiedenen Reliefs nicht zu erkennen waren, weil sie von diesen Lichtverhältnissen und dieser Farbe regelrecht ‚verschluckt’ wurden. Dann traten wir wieder ins Freie und bogen nach rechts in die Via S. Sabina, die nach wenigen Schritten einmündet in die Pza. dei Cavalieri di Malta, die von einer aufwendig gestalteten Steinmauer eingefasst wird, hinter der sich noch heute die Villa del Priorato, die Sommerresidenz des Großmeisters des Malteserordens, befindet.
Ungefähr ein gutes Dutzend älterer Besucher hatte man in Großraumtaxis hierher gebracht, die sich – einer hinter dem anderen - vor dem grünen, kassettenförmigen Hauptportal mit dem eisenbeschlagenen Schlüsselloch aufgestellt hatten und darauf warteten, bis sie an der Reihe waren, um eine der zauberhaftesten Veduten Roms zu sehen. Als wir uns der kleinen Gruppe näherten, konnte ich meine klammheimliche Freude nicht darüber verhehlen, wie die Leute mit akrobatischen Verrenkungen versuchten, den richtigen ‚Durchblick’ hinzubekommen, wie sie schützend ihre Hände ums Gesicht legten (daher auch die abgegriffenen Fläche auf dem Holz!), um sich gegen das lästige Streulicht zu wehren, und wie sie nach wenigen Augenblicken triumphierend in die Runde blickten, als hätten sie das Aha-Erlebnis ihres Lebens gehabt, und wie sie das Ganze noch mit Worten kommentierten, für die der restringierte Code unserer Sprache völlig ausreicht.
Inzwischen hatten wir uns auch in die Schlange eingereiht, ich hatte den drei anderen den Vortritt gelassen, weil ich noch damit beschäftigt war, meine Optik auf ‚unendliche Entfernung’ zu justieren, aber außer ein paar sinnlosen Zufallphotos ist nichts Gescheites dabei herausgekommen.
Endlich war es so weit, dass auch ich einen Blick durchs Schlüsselloch werfen durfte. Was für eine Perspektive! Aus dieser Sicht kam es mir vor, als sei die Kuppel von Sankt Peter geschrumpft und von ihrer wahren Dimension nur noch eine Miniaturansicht übrig geblieben; vielleicht Folge einer optischen Täuschung, weil sie im Vordergrund eingerahmt wurde durch die Bögen der grünbelaubten Bosquetten, und weil der sichtbare Ausschnitt nicht größer war als das Format einer Postkarte.
Also für eine Gartengestaltung schon wirklich ein origineller Einfall, eine geradezu verrückte Idee – una pazza idea: da wird eine Pergola bzw. ein Gang aus hochgewachsenen Bäumen mit tunnelartig geformten Kronen angelegt, dessen Achse genau auf die Peterskirche ausgerichtet ist, dann ein Portal aus Holz so in eine Umfassungsmauer eingesetzt, dass aus dem Blick durchs Schlüsselloch ein Blick in ein Kaleidoskop wird – einen launigeren Einfall menschlichen Geistes mit so verblüffender Wirkung wird man in Rom kein zweites Mal finden!




Die Klosterkirche der Benediktiner S. Anselmo

Nur in Rufweite von unserem Standort - sozusagen um die Ecke und schräg gegenüber der ägyptischen Botschaft - lag die Benediktinerabtei S. Anselmo inmitten eines parkähnlichen Terrains mit prächtigem Baumbestand. Tritt man über die Schwelle dieses Geländes wird die klösterliche Ruhe und Abgeschiedenheit geradezu körperlich spürbar. Besonders malerisch der arkadengesäumte Innenhof ganz im Stile eines Kreuzganges mit einem kleinen, blumengeschmückten Springbrunnen und der Bronzefigur des Ordensgründers Benedikt von Nursia auf der nach oben offenen quadratischen Rasenfläche. Natürlich statteten wir auch dem Klosterladen einen kurzen Besuch ab, wurden aber nicht fündig.
Wieder auf dem Vorplatz der Klosterkirche, fielen auch schon die ersten Tropfen von oben. Im Nu hatte sich der Himmel zusammengezogen, und angesichts des zu erwartenden Regens entschlossen wir uns, umzukehren und in der Kirche S. Sabina Schutz zu suchen.




Wieder in der Kirche Santa Sabina

Gerade eben hatten wir die rettende Vorhalle erreicht, da ging ein heftiger Schauer nieder: es goß wie aus Kübeln. Wir nahmen wieder die gleichen Plätze ein wie eine gute halbe Stunde zuvor; die Messe neigte sich dem Ende entgegen: der Schlusssegen war erteilt, und das letzte Lied wurde gesungen, aber nicht von der Hochzeitsgesellschaft selbst, sondern von einer Sängerin – auf einem Harmonium begleitet - , deren Stimme aus der Weite des Raumes bis zu uns herüberdrang und fast entrückt, fast sphärisch klang.
Kaum war der offizielle Gottesdienst zu Ende, da kam Bewegung unter die Leute. Jeder wollte der Erste sein, um dem frisch vermählten Paar zu seinem neuen Glück zu gratulieren. Man umarmte sich, es gab Küsschen links und rechts, man zeigte offen seine Freude, alte Bekannte wiederzusehen und Überraschungsgäste begrüßen zu dürfen, man lachte und scherzte – kurzum, Szenen, so ungezwungen, so natürlich, so voller überschäumender Lebensfreude und warmer Herzlichkeit, die man in dieser Art nur im Süden antrifft, und die für das mediterrane Temperament wie geschaffen sind, sich bühnenreif zu entfalten. Und dazwischen die Photographen, die natürlich jede Einzelheit für die Nachbetrachtung dokumentieren wollten. Ich konnte nur staunen, wie gelassen die beiden – Braut und Bräutigam – das Défilé der Gratulanten abwickelten.
Diese Bilder hatten mich innerlich dermaßen bewegt, dass ich spontan aufgestanden bin, um das Geschehen ganz aus der Nähe mit der Kamera festzuhalten, trotz der Warnungen meiner Frau, die mir zuflüsterte: „Das kannst du doch nicht machen! Wie sieht das denn aus!“

Nach und nach gingen jetzt alle Teilnehmer dieser 'noblen' Gesellschaft durch einen Nebeneingang aus der Kirche, denn auf das Brautpaar wartete noch eine besondere Überraschung. An den aufgespannten Schirmen konnte man sehen, dass der Regen noch immer nicht aufgehört hatte. Also brauchten wir uns mit dem Rausgehen auch nicht zu beeilen.
Und wie der Zufall es wollte, waren wir vier für einen kurzen Augenblick mit den Hauptakteuren dieses Vormittags allein in der Kirche. Ich bat nochmals um ein ganz persönliches Photo, und bei dieser Gelegenheit musste ich zwei kleine Sätze auf italienisch loswerden, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich ganz holprig anhörten: „Tanti auguri di tutti e noi e in bocca al lupo per il vostro nuovo periodo della vita. Anque noi, ci siamo sposati in ottobre, 33 anni fa!“
Die beiden konnten sich ein Lächeln nicht verdrücken, und ich glaubte, in diesem Moment ihre Sympathie zu spüren. Dann traten sie an die Schwelle des Nebenportals, und ein Konfettiregen aus Reiskörnern, Blumenblättern und Papier prasselte unter den Jubelrufen der Gäste auf sie nieder. Auch diese Prozedur ließen sie in aller Ruhe über sich ergehen. Einfach bewundernswert!



Danach verließen sie eilig in ihren Autos den Vorplatz von S. Sabina, um jetzt den schönsten Teil des Tages folgen zu lassen, die festa mit ausgiebigem pranzo und mit anschließendem cantando-ballando. Was hätte ich doch darum gegeben, in diesem Kreis dabeisein zu dürfen!
Und wir? Was machten wir? Wir stellten uns allmählich ein auf den Abstieg vom Aventin, ohne dabei nicht den kritischen Blick zum Himmel zu vergessen. Unser Ziel: der cimitero acattolico, der nicht-katholische Friedhof, aber im Deutschen hartnäckig als Protestantischer Friedhof bezeichnet. Konnte es ein kontrastreicheres Programm geben?


Auf dem Weg zum Protestantischen Friedhof

Mit dem Regen war es erst einmal vorbei, aber dafür wurde es jetzt von unten nass, und schon nach wenigen Schritten spürte man, wie Kälte und Feuchtigkeit langsam an den Beinen hochzogen. Der Himmel war zudem wolkenverhangen, und zusätzlich blies uns ein frischer Wind ins Gesicht. Also richtiges Friedhofswetter!
Wir verließen den stillen Aventin über die Via di Porta Lavernale. Rechts von uns, ein wenig versetzt, die Gebäude der riesigen Klosteranlage von S. Anselmo. Am Largo Manlio Gelsomini orientierten wir uns nach links zur Porta S. Paolo, mit den zwei auffälligen bauchigen Türmen. Im Altertum hieß sie noch Porta Ostiense, und von hier aus gab es eine direkte Verbindung zu Roms Seehafen Ostia. Hier an der Porta S. Paolo treffen heute mehrere Straßenzüge sternförmig aufeinander, was ihre isolierte Lage erklärt. Auf alten Stadtansichten kann man jedoch erkennen, dass sie früher fest in den Mauerring des Aurelian integriert war.
Genau an dieser Stelle war es – an der Pza. di Porta S. Paolo – , dass wir einem älteren deutschen Ehepaar begegneten, das wie wir auf der Suche nach dem Eingang des Protestantischen Friedhofs war – vom Sprachduktus und Habitus aus beurteilt zwei klassische Akademiker! Sie gaben sich zunächst ‚zugeknöpft’, unsere Konversation beschränkte sich auf Suggestivfragen, also musste ein flotter Spruch her, um das Eis zu brechen. „Wir sind also nicht die einzigen ‚Verrückten’, die ihre Zeit in Rom mit einem Spaziergang auf einem Friedhof verbinden!“ Und siehe da, sie wurden gesprächig und erzählten, dass sie zusammen mit ihren erwachsenen Kindern einige Tage in Rom verbrächten, die ihrerseits gestern schon die gleiche Tour wie sie heute unternommen und, wie sie stolz hinzufügten, alle Gräber gefunden hätten. Ich wurde stutzig und fragte deshalb vorsichtig: „Wie ist das möglich? Wie findet man sich da zurecht? Gibt es Hinweise zu den wichtigsten Gräbern?“ Ich hatte wohl ihre Aufmerksamkeit geweckt. „Nein! Nein!“, lautete die Antwort. „So einfach ist das nicht. Dazu braucht man schon einen detaillierten Plan.“
Den hatten sie natürlich dabei, und zwar in Form einer Broschüre, die man übrigens in dem kleinen Büro am Eingang des Friedhofs erwerben kann. Darin befindet sich der zum Ausklappen gedachte Faltplan mit allen Parzellen (zona), Wegen und Grabstätten mit entsprechender Numerierung und den dazu gehörenden Namen. Bestimmt eine unverzichtbare Hilfe für alle Friedhof-Freaks! Ich war baff erstaunt und konnte meine Verwunderung nicht zurückhalten: „Das nenne ich eine Vorbereitung mit Tiefgang! Da muss ich leider passen.“

Inzwischen waren wir an der Pyramide des Cestius angekommen, diesem Gebirge aus einem Kern von Ziegelsteinen und einem Mantel von grau-schwarzem Travertin mit den glatten, geneigten Seitenwänden – nach streng geometrischer Vorlage errichtet – und deren Felsenspitze sich wachend über dem cimitero acattolico erhebt. Intuitiv wusste ich, dass hier der Eingang nicht zu finden war, denn nach meiner Kenntnis lag der Friedhof nicht außerhalb, sondern an der Aurelianischen Mauer, aber innerhalb des Stadtgebietes. Einmal unterwegs gingen wir ein Stück an diesem alten Schutzwall entlang, dann bogen wir rechts ab in die Via N. Zabaglia, und von da aus betraten wir durch einen Nebeneingang – eine Eisentür, soweit ich mich erinnere – den Friedhof, der so viele Namen trägt und von den Römern kurz und bündig als Testaccio bezeichnet wird.



Auf dem Friedhof der vielen Namen

Schlagartig befindet man sich in einer anderen Welt – vom Lärm des vorbeirollenden Verkehrs hermetisch abgeschirmt. Es ist ein malerisches Fleckchen Erde, ein Ort des Friedens und der Stille, ein Refugium der Nachdenklichkeit und Besinnung, das mehr an einen Park als eine Ruhestätte für Tote erinnert. Man muss sich das ganze Gelände vorstellen als ein langgestrecktes Geviert, das zur Aurelianischen Mauer ansteigt, und das in seinem ältesten Teil, also am Fuß der Pyramide, eben ausläuft und den Charakter eines englischen Landschaftsgartens annimmt. Er ist bestanden und umschattet von schlanken Zypressen, von hohen Pinien mit ihren ausladenden Schirmen, von Lorbeerbäumen, von Sträuchern und Hecken, dazwischen ein verschlungenes Wegenetz und überall verstreut die unzähligen Gräber, die geradezu zur Entdeckungstour und zum stillen Dialog einladen.
Jedes Grab ist anders gestaltet, keins gleicht dem anderen! Angefangen von schlichten Grabsteinen, über Stelen, Sarkophagen, Büsten, Skulpturen, Kreuze in allen nur denkbaren Ausführungen bis hin zu geflügelten und gefallenen Engeln – alle Stile und Formen sind erlaubt, rührende Versuche, die Verstorbenen über den Tod hinaus zu ehren und die Erinnerung an ihre Person zu bewahren, steinerne Zeugnisse einer illustren Gesellschaft, die dem Zauber Roms erlegen war, und die – aus welchen Gründen auch immer – es abgelehnt hatte, den Status eines echten Römers anzunehmen.



Wir hatten nicht den Ehrgeiz, ‚alle Gräber zu finden’, sondern nur ein paar der bekanntesten. Uns kam es mehr darauf an, sich ganz der romantischen Atmosphäre zu öffnen. Vier Grabstätten wollten wir uns genauer ansehen, und das musste auch ohne Plan gelingen. Zu diesem Zweck verteilten wir uns über das gesamte Friedhofsgelände, und jeder nahm sich eine Parzelle – una zona – vor. Das Grab des Sohnes zu finden, dessen Vater zu meinen Lieblingsdichtern gehört, Goethe nämlich, stellte keine besondere Herausforderung dar, zumal es auch ausgeschildert ist. Es liegt im oberen oberen Drittel des Gräberfeldes – nicht weit entfernt vom Aurelianischen Befestigungsgürtel und schon mehr in Richtung Parte Antica (Alter Teil), bewacht und beschattet von zwei hohen Zypressen. Für ein Einzelgrab überraschte uns die Größe der schmalen Stele mit dem Portrait-Medaillon von Goethes Sohn, in der noch nicht einmal sein Vorname eingraviert ist. August Goethe kam im Alter von vierzig Jahren nach Rom, und schon zehn Tage später starb er in seiner Wohnung, oder um es in Anlehnung an den dichterischen Genius seines berühmten Vaters zu sagen: „Sein Weg führte leise zum Orkus hinab.“
Es war das Schicksal des August Goethe, immer im Schatten des Dichterfürsten gestanden zu haben, und selbst im Tod durfte er nur bleiben, was er in seinem ganzen Leben war: „Goethe filius“ - Sohn Goethes!



Zu den zweifellos berühmtesten Toten gehören die beiden englischen Dichter Keats und Shelley – beide viel zu jung gestorben: der eine (Keats) an Schwindsucht, der andere (Shelley) ertrunken bei einer Segeltour im Golf von La Spezia, dessen Aschenurne unter mächtigen Pinien ihre letzte Ruhestätte gefunden hat, während sein Herz bei seiner Frau in England blieb. Cor Cordium – Herz der Herzen – diese zwei Worte findet man unter dem Namen dieses virtuosen Sprachbeherrschers auf seiner schlichten Grabplatte eingemeißelt. Darunter drei Zeilen aus Shakespeares „The Tempest“ (Der Sturm).

Peace, peace! he is not dead, he doth not sleep –
He hath awakened from the dream of life –
(from ADONAIS)

Was ich an den Engländern immer bewundert habe (und immer noch bewundere), das ist der grenzenlose Einfallsreichtum ihrer Wortschöpfungen. Auch hier auf dem cimitero acattolico haben sie in der Inschrift, die auf dem Grabstein von John Keats eingelassen ist, – übrigens ohne seinen Namen, sondern nur mit einer Leier und zersprungenen Saiten – ein eindrucksvolles Dokument ihrer Sprachkunst hinterlassen: "This Grave contains all that was Mortal of a Young English Poet. Here lies One Whose Name is writ in Water“ - Hier ruht einer, dessen Name in Wasser geschrieben ist.

Nicht weit von hier, im Schatten der Cestius-Pyramide, die an diesem trüben Nachmittag nichts Erhabenes ausstrahlte, sondern wie ein trutziger Eckturm wirkte, ist die Begräbnisstätte der beiden Söhne von Wilhelm v. Humboldt, damals Gesandter am päpstlichen Stuhl und von Papst Pius VII. sehr geschätzt. Zwei kleine Säulen – in der Höhe abgestuft und mit Inschriften in lateinischer Sprache versehen – markieren die Stelle ihrer letzten Ruhe. In stiller Kontemplation standen wir einige Augenblicke davor, und Erinnerungen an unser eigenes schweres Schicksal wurden wachgerufen, was an diesem Ort unvermeidbar war.



Tief beeindruckt und nachdenklich verließen wir den - wie viele meinen - nach Père Lachaise in Paris romantischsten und verträumtesten Friedhof der Welt: it might make one in love with death to be buried in so sweet a place (man könnte den Tod liebgewinnen, an einem so anmutigen Ort begraben zu sein) – besser als Shelley es tut kann man seine Liebe zu diesem „Elysium“ nicht ausdrücken.
Vor dem Hinausgehen war natürlich die übliche Spende zum Erhalt dieses einmaligen Kulturdenkmals ‚fällig’. Wieder auf der Via Caio Cestio blickte ich noch einmal zurück, und da fiel mir das zinnenbestückte Hauptportal auf, das eher zum Eingang eines Castells als eines Friedhofs passt, und die in großen Lettern aus dem Stein gehauene Inschrift: RESURRECTURIS , also denen, die auferstehen werden. Wenigstens im Angesicht des Todes, dachte ich, sind die dogmatischen Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten aufgehoben, und beide vereint der Glaube an die Auferstehung, d. h., dass sie von der Hoffnung getragen sind, nicht in eine bodenlose Leere zu fallen, sondern in ewigem Schauen mit Gott verbunden zu bleiben.



Was soll man mit einem verregneten Samstagnachmittag in Rom anfangen?

Jetzt hatten wir uns eine längere Pause verdient. Wir kehrten zur Pza. di Porta S. Paolo zurück, und schon die Bar auf der gegenüberliegenden Seite – an der Ecke Viale della Piramide Cestia / Viale Giotto – im Blick, ging der nächste Schauer nieder, und zwar so heftig, dass wir uns genötigt sahen, im Laufschritt die breite Ausfahrtstraße zu überqueren, um uns in den schützenden Bereich der Bar zu retten. Wie sich herausstellte, hatte man sie durch einen zusätzlichen Gästeraum mit ein paar Cafétischchen und Stühlen erweitert; da hinein zogen wir uns zurück, nahmen eine Kleinigkeit zu uns und überlegten, was wir mit dem Rest des Nachmittags anfangen sollten. „In die Caracalla-Thermen gehen – das können wir uns für heute schenken“, gab ich zu bedenken. „Ich jedenfalls habe bei dem Wetter keine Lust, in diesen alten Gemäuern herumzulaufen.“
Die anderen stimmten mir zu. Was also tun? In einem solchen Fall gibt es eigentlich nur zwei Wahlmöglichkeiten: entweder ein Museum oder eine Kirche besuchen. Wir entschieden uns für die letzte Option: San Giovanni in Laterano hieß unser neues Ziel, das wir mit der Metro erreichten. Zuerst mit der Linie B nach Termini, dann umsteigen in die Linea A bis zur Station S. Giovanni, an der Via Appia Nuova.



Scala Santa und die Capella Sancta Sanctorum

Zunächst ein bisschen orientierungslos, wohin wir uns wenden sollten, fanden wir doch schnell den richtigen Weg zu unserer Destination. Kurz nachdem wir einen der bogenförmigen Durchbrüche an der Porta S. Giovanni durchschritten hatten, strahlte die durch Säulen und Pilaster streng gegliederte zweistöckige Fassade von St. Johann im Lateran vor uns auf, die gekrönt wird durch eine hohe umlaufende Balustrade mit der weithin sichtbaren Statue des auferstandenen Christus, flankiert von Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten und weiteren ‚Vorposten’ des Himmels, die mit bewegtem Gestus auf die Basilica, den Lateranpalast, den weiten Vorplatz und auf die hinter der Aurelianischen Mauer beginnende Campagna herabblicken.
Wer sich heute der großen Freitreppe auf dem weiten Gelände vor S. Giovanni nähert, kann sich kaum vorstellen, dass sich hier einst der Lateranpalast – eine Burg mit Türmen und Hallen – gestanden hat, in dem die wohl glanzvollsten Konzilien der Katholischen Kirche stattgefunden, und in dem die Päpste bis zu ihrem Babylonischen Exil in Avignon residiert haben, und an den heute nur noch die Scala Santa erinnert mit der päpstlichen Privatkapelle Sancta Sanctorum.
Weil wir nicht riskieren wollten, vor verschlossenen Türen zu stehen, sind wir zuerst dorthin gegangen – ganz unbefangen und unvoreingenommen, da sich unsere Kenntnisse über diese heilige Stiege in Grenzen hielten: es soll sich um die Treppe aus dem Amtssitz des Pontius Pilatus in der Burg Antonia handeln, auf der Jesus zu seiner Verurteilung hinaufgestiegen war, und die er als Todeskandidat wieder verlassen hatte, und die auch Luther während seines Romaufenthaltes auf Knien erklommen katte.
Unterwegs flachste ich noch mit meinem Schwager herum: „Du als alter Lutheraner hättest heute nach fast 500 Jahren die einmalige Gelegenheit, es dem Reformator gleichzutun und Abbitte für deine schwarze Seele zu leisten.“
Doch als wir dann an diesem Ort, über dem eine nicht zu beschreibende, geheimnisvoll-beklemmende Stimmung lag, standen, schauten wir uns nur fragend an. Damit hatten wir nicht gerechnet: Menschen, uns den Rücken zugekehrt, mit gefaltenen Händen und tief gesenkten Köpfen, schweigend ins Gebet versunken, Raum und Zeit vergessend, im stillen Dialog ganz Gott hingegeben, rutschten auf Knien die 28 mit Holz verkleideten Marmorstufen hinauf, um dann oben angekommen vor einem Eisengitter innezuhalten und einen Blick durch das dahinter liegende Fenster ins Allerheiligste zu werfen.

Das sind Augenblicke, wo bei mir das Denken aufhört und das Erstaunen beginnt; ich muss gestehen, eine solche Frömmigkeit ist mir fremd und sie wird mir immer fremd bleiben: ich könnte zu ihr nie einen inneren Bezug herstellen. Sie muss wohl beruhen auf einem tief verwurzelten Glaubensverständnis, dem die Erkenntnis zugrundeliegt, dass der Glaube nicht nur von der Überzeugungskraft des verkündeten Wortes lebt, sondern vom mysterium – vom Verborgenen also – , das zu erleben und zu erfahren gerade solche sinnenfällige Orte wie dieser hier unverzichtbar sind, der zu unserer Überraschung neben dem Heiligen auch das Profane toleriert.
Für uns jedenfalls kam nur die ‚profane’ Variante in Frage, indem wir den linken der beiden Treppenaufgänge nahmen, kurz vor dem vergitterten Fenster stehenblieben und einen verstohlenen Blick in die Capella Sancta Sanctorum warfen, deren Inschrift in Goldlettern auf einem Querbalken über dem Altar dem Beter und Besucher verheißt: Non est in toto sanctior orbe locus – dass es auf der ganzen Erde keinen Ort gibt, der heiliger ist als dieser.
Von unserem Standort aus betrachtet hat sich diese Heiligkeit nicht erschlossen: wir haben die Kapelle als einen fast leeren Raum wahrgenommen, mit zahlreichen, wunderschönen Fresken ausgeschmückt, von einem gedämpften Licht ausgeleuchtet und mit einem an die Bundeslade erinnernden Altar zwischen zwei Porphyrsäulen und in einer Art Schrein die Ikone des Christus als Erlöser, dessen dunkles, ernst wirkendes und von einem Bart fast verdecktes Angesicht kaum zu auszumachen war.
Nur wer wie der Beter auf der Treppe, der in innigster Zwiesprache mit Gott dessen Nähe gesucht und erfahren hat, zum ersten Mal nach langem, mühsamem Aufstieg auf den Heiland schaut, der wird in diesem Abbild des Höchsten – oder wie Goethe es ausgedrückt hätte: "Der am Gleichnis schon genug hat" – den Beweis für das Absolut-Wahre und Ewig-Göttliche sehen, und ist über jeden Zweifel seines Tuns, ob sinnvoll oder nicht, erhaben.



Im Sauseschritt in die Lateranbasilica


Wir verließen diesen Ort, der uns so viele Rätsel aufgegeben, aber keine „ohnmächtigen Schauer“ zurückgelassen hatte. Diese hatten uns draußen in der Wirklichkeit eingeholt: ein heftiger Schlagregen peitschte uns entgegen, und zu allem Unglück war auch noch die Ampel am Fußüberweg, der auf die andere Seite der Pza. di S. Giovanni hinüberführte, auf ‚Rot’ gesprungen. Instinktiv suchten wir Deckung hinter dem kleinen Kiosk auf der Ecke, was aber nicht viel nutzte, und eben wechselte die Farbe auf ‚Grün’, da ging es im Sauseschritt in die schützende Vorhalle der Kirche, die für sich in Anspruch nimmt, „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises“ zu sein – „Omnium Urbis et Orbis Ecclesiarum Mater et Caput“.
Sie ist seit altersher die Kirche des Bischofs von Rom und des jeweiligen Papstes und damit die ranghöchste der katholischen Christenheit, obwohl sich faktisch gesehen ihr Machtzentrum nach der Rückkehr der Päpste aus dem Exil in Avignon auf den Vatikanischen Hügel verlagert hat.
Um uns über die Geschichte und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Lateranbasilica einen Überblick zu verschaffen, wollten wir jeweils zu zweit einen Audioguide nehmen, aber: niemand von uns hatte an diesem Tag einen Ausweis bei sich, und der junge Mann an der Ausgabestelle im linken Bereich der Vorhalle ließ sich auch durch einen 50 €-Schein als Pfand nicht beeindrucken: "Mi dispiace. È il regolamento!" Schade! So mussten wir uns auf unsere eigene Beobachtungsgabe verlassen.

Wir betraten das Innere des Gotteshauses durch das linke Seitenschiff, und sofort umgab uns die wohltuende Wärme von S. Giovanni – ein Grund mehr, unseren Aufenthalt hinauszuziehen. Ihre ganze Pracht wird entfaltet, wenn man sich in die Mitte der Basilica begibt und den ganz im Geiste des Barock gestalteten hallenartigen Raum auf sich wirken lässt: da ist zu beiden Seiten die Reihe der mächtigen Doppelpfeiler, dazwischen eingelassen die Baldachine der zwölf Apostel, der eigentlichen ‚Stützen’ der Kirche Jesu Christi, die wiederum von fast schwarzen Säulen umstanden sind, und im Giebelfeld die Taube mit dem Zweig eines Olivenbaumes im Schnabel – das Wappen des Pamphili-Papstes Innozens X. Wunderbar gestaltet der Fußboden mit dem Wappen der Colonna, der Säule, und die vergoldete Kassettendecke mit aufwendigen Schnitzarbeiten und den beiden großflächigen Familienwappen von Papst Pius IV. und Papst Pius V.
Der eigentliche Blickfang ist der Altarraum unter der Vierung, in deren Mitte der Hauptaltar aus weißem Marmor steht; darüber erhebt sich, einem Tabernakel gleich und getragen von vier Granitsäulen, ein Aufsatz in filigraner Ausführung und figurenreich, hinter dessen Gitter die wohl kostbarsten Stücke aus dem Reliquienschatz der Katholischen Kirche aufbewahrt werden: die Köpfe von Petrus und Paulus.
Auffallend auch das Mosaik in der Halbkuppel der weit nach hinten versetzten Apsis. Im Zentrum ein Kreuz als Zeichen des Sieges über den Tod, errichtet auf dem heiligen Berg, aus dessen Quellen vier Flüsse gespeist werden, und Hirsche und Schafe ihr Wasser trinken. Flankiert wird das Kreuz von einer Gruppe von Heiligen, unter denen auch Maria zu erkennen ist, die schützend ihre Hand über einen knienden Papst hält.

Mehr an Informationen war an diesem Spätnachmittag nicht herauszuholen. „Vielleicht schaffen wir es noch am letzten Tag, uns genauer mit S. Giovanni zu beschäftigen.“ – mit diesem Gedanken verließen wir die erste Kirche der Christenheit, und machten uns bereit für den Abstieg vom Monte Celio.
Über die Via S. Stefano Rotondo und der sich anschließenden Via S. Paolo della Croce, die vor allem im unteren Teil, dem Clivo di Scauro zur ‚Hochform’ aufläuft, ging es hinab ins Tal zwischen Aventin und Palatin. Gottseidank hatte der Regen aufgehört, aber dafür war es empfindlich kalt geworden, so dass wir sofort ein verschärftes Tempo anschlugen. Selbst am Obelisken auf der Rückseite der Lateranbasilica konnte ich vorübergehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Er ist ja der älteste und größte aller in Rom aufgestellten ‚Sonnennadeln’, hatte mehr als 2000 Jahre vor dem großen Amun-Re-Tempel in Karnak gestanden, wurde danach im Circus Maximus in der Mitte der Spina aufgestellt, wo er später infolge eines verheerenden Brandes umgestürzt, in drei Teile zerbrochen und schließlich in der Erde versunken war. Sixtus V. ließ ihn dann Ende des 16. Jahrhunderts ausgraben und legte seinen jetzigen Bestimmungsort vor dem Palast des Lateran fest. Seine Oberfläche ist kunstvoll gestaltet mit Hieroglyphen bester Qualität, und der Name seines Auftraggebers – Thutmosis III. – erscheint mehrfach in den Königskartuschen.




Ein überraschender Zwischenstopp


Etwa auf der Hälfte unseres Rückwegs legten wir einen Zwischenstopp ein, der eigentlich gar nicht vorgesehen war: S. Stefano Rotondo, diese uralte Rundkirche auf dem Caelius, hatte ihre Tore geöffnet, vermutlich wegen einer Hochzeitsfeier, denn in diesem Augenblick waren einige Leute damit beschäftigt, letzte Blumendekorationen herauszutragen.
Von außen betrachtet wirkt diese Kirche unscheinbar. Und dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die graue Farbgebung, den versteckt liegenden Standort und die hohen Bäume, die ihre Ansicht fast vollkommen verdecken.
Man betritt S. Stefano durch einen von kleinen Arkaden unterbrochenen Vorbau und einen hallenartigen Durchgang – den einzig erhaltenen Arm eines griechischen Kreuzes, das in den kreisförmigen Grundriss der Kirche einbezogen war – und sogleich fällt ein Kranz von Säulen auf, die in gleichmäßigen Abständen auf der Peripherie des großen Innenkreises stehen und dadurch in dem ganzen Raum eine rhythmische Ordnung entstehen lassen. Die Säulen selbst dienen als Stütze für einen zylindrischen Aufbau, durch bogenförmige Fensteröffnungen unterbrochen, die – je nach Tageszeit – für ein wechselvolles Licht-und Farbspiel sorgen.
Der Säulenkranz begrenzt nicht nur den Zentralraum, sondern gleichzeitig einen weiteren ringförmigen Umgang, der nach außen hin durch ein Mauerwerk abgeschlossen wird.
S. Stefano Rotondo ist die Titelkirche des Münchner Erzbischofs Wetter und mit deutscher Hilfe teilweise restauriert. Trotz aller Bemühungen ist der stumpfe Belag, der dem altehrwürdigen und altersschwachen Kirchengebäude anhaftet, noch längst nicht beseitigt, was aber niemanden von einem Besuch dieser frühchristlichen und in ihrem Stil einmaligen Basilica abhalten sollte.



Endlich geschafft!

Als wir wieder ins Freie traten, hatte die Dämmerung schon eingesetzt, und wir hatten jetzt nur noch einen Wunsch, nämlich unsere heutige Tour so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. In wenigen Minuten hatten wir den Vorplatz von SS. Giovanni e Paolo erreicht, deren viereckiger Campanile – in Ziegelbauweise errichtet und mit den kleinen weißen Säulchen in den Fensteröffnungen – die hohen Gebäude des angrenzenden Klosters deutlich überragte.
Kurz danach hatten wir den ersten der sieben Bögen durchschritten, die den alten Clivus Scauri überspannen und die Längsseite der Kirche abstützen – ein wirklich romantischer Winkel! Und nach ein paar Schritten waren wir am Fuße des Celio angelangt, dem Endpunkt unseres heutigen Rundgangs: S. Gregorio Magno mit der großen Freitreppe im Rücken und die Talsenke zwischen Aventin und Palatin vor uns im Blickfeld.
Was jetzt folgte, war schon fast Routine: hinübergehen nach Trastevere und Ausschau halten nach einer gemütlichen Trattoria in lauschiger Umgebung.
 
Zuletzt bearbeitet:
S. M. in Cosmedin mit (...) der berühmten Brunnenmaske der Bocca della Verità in der Vorhalle.
Die soweit ich weiß heute überwiegende Meinung der Archäologen verficht allerdings eine andere These, derzufolge es sich um einen alten Kanaldeckel der Cloaca Maxima handelt. ;)

In der Kirche Santa Sabina
Bis zur Perle des Aventin, der Kirche S. Sabina, waren es nur einige Meter. Mit ihrer Apsis, die unter den Schirmen der stattlichen Pinien immer wieder zum Vorschein kam, ragt sie weit in den Park hinein. Durch das große Steintor in der Umfassungsmauer gelangten wir auf den Vorplatz und von da aus durch die düster wirkende Vorhalle, deren Fenster mit locker verzurrter Baufolie behangen waren, in das Innere der Kirche, in der gerade ein Gottesdienst für ein junges Brautpaar begonnen hatte. Da wollten wir natürlich nicht stören, und deshalb ließen wir uns unauffällig hinten an der Außenwand – direkt links neben dem Eingang – auf einer Bank nieder. So konnten wir Raum und Zeremonie auf uns wirken lassen. Uns überraschte die marmorne Kühle und strenge Sachlichkeit dieses hallenartigen Raumes, der sein Licht empfängt von den großen, rundbogigen Fenstern hoch über den antiken Säulen des Mittelschiffs, und der auf jeden überflüssigen Dekor verzichtet.
Die Verwandten und Freunde der festlich gekleideten Hochzeitsgesellschaft hatten auf den barocken Vorbildern nachempfundenen Stühlen links und rechts vom Mittelgang ihre Plätze eingenommen, wobei jede Stuhlreihe mit einem prächtigen Blumenbouquet geschmückt war. Dem Brautpaar selbst hatte man den besonderen Platz vor dem Altar zugewiesen, der ebenfalls mit einem aufwendig gestalteten Gesteck dekoriert war und zusätzlich mit Blumengirlanden, die von beiden Seiten des Tisches nach unten fielen.
Mit feierlichem Ernst folgten die Teilnehmer der Ansprache des Priesters (eines Dominikanerpaters), und ich verstand Worte wie matrimonio – rimanere fedele – fiducia – amore profondo – dare parole usw. Man kann sich deshalb leicht ausdenken, worüber der Padre gesprochen hat: daß die Ehe keine Lebensform von gestern ist, sondern daß sie auch heute noch ihre Gültigkeit besitzt, wenn man sie auf ein Fundament gegenseitigen Vertrauens und tiefer Liebe stellt, die alles verzeihen und verstehen kann; und wenn man versucht, sich gegenseitig zu unsterstützen und die Probleme des Alltags gemeinsam zu bewältigen. Natürlich ist sie ein fragiles Gebilde, das behütet und umsorgt sein will, und sie ist vor allem dann gefährdet, wenn man meint, sich selbst verwirklichen zu müssen, ohne dabei auf die Gefühle, Wünsche und Vorstellungen des anderen Rücksicht zu nehmen. Und sebstverständlich sollte man bei allem, was man tut, nicht den vergessen, der sich nie aufdrängt, der immer diskret im Hintergrund bleibt, aber der von Anfang an „seine Liebe in unsere Herzen gegossen hat“ (Röm 5,5) und dessen Eigentum wir sind und bleiben, Gott nämlich.
Was diesen Passus betrifft, bin ich ganz und gar "bei dir" - und patta wird vermutlich glücklich sein über diese schöne Beschreibung seiner römischen Lieblingskirche! Diesbezügl. geht es mir übrigens sehr ähnlich - wenngleich es mir ein wenig an pattas Entschiedenheit gebricht. :blush: :~
 
Hallo und Moin, Moin Seneca!



VIELEN DANK

:thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:


für die schöne Fortsetzung


Ich bin schon gespannt wie es weitergeht

:!: :!: :!:



Gruß - Asterixinchen :)
 
Was diesen Passus betrifft, bin ich ganz und gar "bei dir" - und patta wird vermutlich glücklich sein über diese schöne Beschreibung seiner römischen Lieblingskirche! Diesbezügl. geht es mir übrigens sehr ähnlich - wenngleich es mir ein wenig an pattas Entschiedenheit gebricht. :blush: :~

patta ist glücklich, auch wenn das Wort "gebrechen" in Zusammenhang mit seinem Namen eher ein "Verbrechen" ist :D
 
Seneca schrieb:
Kurz darauf passierten wir die Kirche S. M. in Cosmedin mit dem schlanken, siebenstöckigen und sicher schönsten Campanile, den es in Rom zu bewundern gibt
Der von SS. Giovanni e Paolo auf dem Celio ist aber auch sehr schön, fast noch ein wenig mehr ...

Vielen Dank für die professionell beschriebenen Eindrücke eines meiner Lieblingshügel :thumbup::thumbup:
 
Hallo patta,

es gebricht mir nicht an meiner Ehrlichkeit - um mich ‚gauklerisch’ auszudrücken - , Deinen Eindruck zu bestätigen. Wir sind noch am gleichen Abend, als wir den Celio über die Via di Paolo della Croce bzw. den Clivo di Scauro herabgingen an SS. Giovanni e Paolo vorbeigekommen. Auch uns ist dieser schöne Glockenturm aufgefallen. Leider war es für einen Besuch der Kirche zu spät.

Ciao, e alla prossima
Seneca
 
Seneca,

versuche nicht, Gauki zu kopieren 8O
Bitte :D

Mehr zur Kirche folgt im Reisebericht (bitte frag nicht, wann der kommt 8))

patta
 
Sonntag, d. 5. Oktober 2008: ein Tag mal nicht nach Plan, sondern vom Zufall bestimmt



Bonjour, Tiburtina - Bonjour, Tristesse

Schon vor Beginn unserer Reise hatte ich angekündigt: „Wir werden nicht die ganze Zeit in Rom bleiben, an einem Tag fahren wir aufs Land – nach Tivoli, dem alten Tibur, um uns dort die Villa des Hadrian und die Gregoriana anzuschauen.“
Das sollte an diesem Sonntag geschehen, und wegen der Anfahrt von zwei Stunden und des umfangreichen Besichtigungsprogramms hatten wir uns heute morgen mit dem Frühstück beeilt und unsere Wohnung gegen ‚halb zehn’ verlassen. Mit dem 64-er Bus ging es zunächst nach Termini; von da aus nahmen wir die Metro nach Tiburtina, um dann mit der Regionalbahn, der FR 2, weiter nach Tivoli zu fahren. Den Informationen von ROMA-ANTIQUA blind! vertrauend, sollte der Zug in halbstündlichem Takt die Stazione Tiburtina verlassen.
Ein kurzer Blick auf den Fahrplan genügte, um zu wissen, wann es los ging: um 10.50 Uhr. Schnell zum Automaten, und da fing der Ärger an! Wir hatten einen Geldschein mit einem viel zu hohen Wert eingegeben, und jetzt konnte er das Restgeld nicht ‚ausspucken’, sondern nur einen Coupon, den wir erst am Schalter einlösen mussten. Während die anderen auf den Ausdruck der Karten warteten, bin ich schon mal mit der Quittung zum Schalter gelaufen, kam aber nicht gleich dran, weil auch vor mir ein paar Leute in der Schlange warten mussten. Es dauerte fast eine Ewigkeit, bis ich aufgerufen wurde, nach vorne zu treten – wenigstens kam es mir so vor. Ich schob den Schein durch den Schlitz der Panzerglasscheibe und stellte gleichzeitig die Frage: „Scusi, signore. Riusciamo a prendere il treno in tempo per Tivoli?“ - „Tivoli? No! Oggi è domenica, e la domenica il treno parte alle 13.50!“
Damit war Tivoli ‚gestorben’. Erst den Zug um 14.00 Uhr nehmen, das machte keinen Sinn. Ich konnte meine tiefe Enttäuschung nicht zurückhalten und fühlte mich im ersten Augenblick gedanklich wie blockiert. Die Information mit dem halbstündlichen Takt war hinfällig: sie bezog sich nur auf die reinen Arbeitstage, am Wochenende galt ein eingeschränkter Fahrplan. Was also tun?
Erst einmal das Geld für die jetzt nutzlosen Fahrkarten zurückverlangen (das ging reibungslos, aber eben nur auf italienisch), und alles Weitere draußen besprechen: nur raus aus dieser für einen längeren Aufenthalt nicht einladenden Bahnhofshalle.

Und dann standen wir draußen. Mein Gott, wie sah das hier aus! Also, die Gegend um die Stazione Tiburtina gehört nicht zu den Topadressen Roms. Kein Vergleich mit den stillen vornehmen Quartieren des Aventin und des Celio: dieses Viertel erinnerte mich an ein tristes, nichtssagendes Industriegebiet, und zu aller Tristesse befand sich in unmittelbarer Nähe auch noch ein Knotenpunkt mit Auf- und Abfahrten der Ringautobahn und der stark befahrenen Via Tiburtina. Man sieht diesem Viertel an, dass es nicht über Generationen hinweg gewachsen ist, sondern auf dem Reißbrett entwickelt und dann in die Landschaft gesetzt wurde. Und genau diese Kulisse ist es, die bevorzugt obskures Gesindel anlockt, und die gleichzeitig diese ‚Aura’ des Proletenhaften um sich verbreitet.
Zu überlegen gab es nicht viel: ich schaute mir die Karte an, und der erste grüne Fleck, der mir auffiel und schon wieder mehr stadteinwärts lag, war der Park der Villa Torlonia, von der mir noch in Erinnerung geblieben war, dass während der Zeit des Faschismus Mussolini hier seine Residenz eingerichtet hatte, und dass nach dem Krieg der Park und die Gebäude verwahrlosten und für die Öffentlichkeit gesperrt waren. Dahin sollte es zuerst gehen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, direkt ins Zentrum zurückzufahren und noch eine Besichtigung des Quirinalspalastes, der nur am Sonntag geöffnet ist, ‚hinzukriegen’. Aber auf diese eigentlich so nahe liegende Idee sind wir nicht gekommen.


Na, gut. Wir jedenfalls stellten uns auf einen längeren Marsch durch ein Stadtviertel ein, das außer einer Ansammlung von gesichtslosen, uniformen Wohnblocks, einigen Bars und Cafés nicht viel zu bieten hatte. An diesem Vormittag waren nur wenige Leute unterwegs, und man hatte den Eindruck, dass die Bewohner die Schläfrigkeit vom Vorabend noch nicht abgeschüttelt hatten. Gerade eben wurden die ersten Cafés geöffnet, und die Kellner wischten lustlos und gelangweilt die Tische ab und stellten die Stühle zurecht.


... und dann flanierten wir im Park der Villa Torlonia

Obwohl schon von weitem an den mächtigen, alles überragenden Kronen der Bäume die ungefähre Lage der Villa Torlonia zu erkennen war, gelang es uns erst nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum einen Nebeneingang dieser Parkanlage zu finden, die von der Größe her mit dem Palatin zu vergleichen ist und vom Grundriss her ein Quadrat beschreibt.
In diesem Bereich wirkte das abschüssige Gelände verwildert und vernachlässigt, ist aber bei den Joggern mit seinen verschlungenen Wegen als Trainingsstrecke sehr beliebt. Erst wenn man die Höhe erreicht hat, entfaltet der Park seinen ganzen Charme als Landschaftsgarten, mit einem dichten Wegenetz, das so angelegt ist, dass im Schnittpunkt seiner Hauptachsen der weithin sichtbare, weiß leuchtende klassizistische Bau des Palazzo Principale liegt.

Überall gab es Ruhezonen, stille verträumte Winkel unter hohen Palmen, die sich einer großen Akzeptanz erfreuten. Auf unserer gut einstündigen ‚passeggiata’ entdeckten wir zwei Obelisken aus rosa Granit (keine echten, nur Nachbildungen), errichtet an markanten Punkten, von denen sich ein schöner Blick auf die Vorder- und Rückseite des Casino Nobile eröffnete; wir entdeckten weitere, verstreut im Gelände liegende Gebäude, die man absichtlich so in die Architektur dieses Gartens eingefügt hat, dass sie der Auflockerung dienen und seinen Reiz zusätzlich erhöhen.



Wir erkannten Wirtschaftsgebäude, eine aufwendig gestaltete Brunnenanlage, umgeben von hohen Bosquetten und so in einen Hang hineingebaut, dass sich das Wasser über drei schüsselförmige und vom Umfang her mächtige Auffangbecken, die untereinander durch rampenähnliche Überläufe verbunden sind, kaskadenartig und in breitem Schwall ergießen kann und die Sinne des Flaneurs durch den wechselnden Rhythmus des Fallens und Aufgefangenwerdens verzaubert. Wir erkannten ein Theater mit der auffälligen Rundung seiner Stützmauer, und zu guter Letzt einen Tempel und sogar künstliche Ruinen (finte rovine), die außer ihrer dekorativen Ansicht keinerlei Funktion haben.
Unser Spaziergang endete an der Casina delle Civette (àKäuze), einem Jugendstilgebäude, unglaublich verschachtelt, mit Erkern, Türmchen, Loggien, Bogengängen usw., in dem der letzte Torlonia-Fürst aus dieser unvorstellbar reichen Mäzenatendynastie seine Phantasien von einem Märchenschloss verwirklicht hatte. Wir waren froh, hier endlich eine Toilette gefunden zu haben, um unsere ganz menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Das muss auch mal gesagt sein.



Auf zu neuen Taten!

Nach diesem Rundgang hatte sich mein Ärger über die verpasste Gelegenheit, Tivoli nicht gesehen zu haben, schon wieder gelegt, und ich begann jene Zuversicht zurückzugewinnen, die im Überschwang der Gefühle ‚Blütenträume’ reifen lässt. „Wisst ihr was?“, sagte ich, als wir uns schon wieder dem Ausgang näherten. „Was sollte uns daran hindern, im nächsten Jahr die Umgebung von Rom zu erkunden? Latium mit seinen mittelalterlichen Ortschaften und seiner malerischen Landschaft ist bestimmt ein lohnendes Reiseziel. Dann könnten wir’s ja noch mal mit Tivoli versuchen.“
Die anderen konnten sich nur zu einem Lächeln überwinden. „Wir sind doch erst noch in Rom.“, meinte mein Schwager – il mio cognato. „Warum soll ich mir Gedanken machen, was im nächsten Jahr ist. Wir müssen doch erst wissen, wie es heute Nachmittag weitergehen soll.“ - „Ganz einfach“, entgegnete ich. „Wir holen das nach, was wir gestern nicht geschafft haben: die Caracalla-Thermen!“
Die anderen waren meinem Vorschlag gegenüber nicht abgeneigt. Also auf zur nächsten U-Bahnstation! Bis zur Pza. Bologna war es nicht allzu weit, und weil wir unterwegs an einer kleinen Bar und an einer in dieser Gegend wohl ziemlich bekannten pasticceria (die große Zahl der Laufkundschaft veranlasste uns zu dieser Vermutung) vorbeikamen, ließen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, uns mit einem schönen italienischen Eis und einem wunderbaren Cappuccino zu verwöhnen.
Zwischen Pza. Bologna und Circo Massimo lagen nur fünf Stationen, und der Weg zu den Caracalla-Thermen führte uns über die von hohen Pinien gesäumte Viale di Terme di Caracalla, die sich kurz darauf verzweigt in die Via Latina und die Via Appia.



In den Caracalla-Thermen

Schon von weitem waren die gewaltigen Überreste dieser Badeanlage – die es von der Höhe leicht mit den gotischen Kathedralen aufnehmen können – zu sehen. An diesem Nachmittag hatte die Sonne ihr ganzes Licht über diesen riesigen Komplex ausgeschüttet und ließ die rostbraunen Farben des mit Aushöhlungen und Gewölberesten reichlich ‚gesegneten’ Ziegelmauerwerks auf seiner südwestlichen Seite erstrahlen, während die nordöstliche tief im Schatten lag.
Da wir gänzlich unvorbereitet waren und unsere Phantasie nicht gereicht hätte, uns die Urgestalt dieser Thermen vorzustellen von dem, was als Ruine übrig geblieben ist, hielten wir es für das Beste, uns mit zwei Audioguides auszustatten – und diesmal ganz perfekt und den Vorschriften entsprechend mit Ausweis! Dazu gab es einen farbigen, mit Nummern versehenen Übersichtsplan, und mit diesem optischen ‚Leitfaden’ konnten wir uns von Station zu Station vorarbeiten und wurden dabei umfassend informiert. Ich will mich hier nicht in Einzelheiten verlieren, sondern nur ein paar grundsätzliche Überlegungen anstellen.

Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass die Caracalla-Thermen zu den größten öffentlichen Gebäuden der Antike zählten. Von der Grundfläche her beschreibt diese Anlage ein riesiges Quadrat, das geradezu zu einer streng symmetrischen und achsialen Aufteilung herausforderte. Auf der Hauptachse lagen hintereinander gereiht die wichtigsten Räume dieser Anlage: das Caldarium mit zusätzlichen Schwitzbädern – das Tepidarium – die große, gewölbeüberspannte Basilica in der Mitte – und das Frigidarium, ein großes, nicht überdachtes Kaltwasserbecken. Die Anordnung dieser Räume war zwingend vorgeschrieben, denn sie wurden von einem zentralen Heizungssystem erwärmt; um Energieverluste möglichst gering zu halten, durften sie nicht zu weit auseinanderliegen, und die Versorgungswege mussten kurz sein. Folglich lag das Caldarium den Heizöfen (praefurnia) am nächsten.
Die gesamte Technik der Heizanlage und der Wasserversorgung und die Lager für die riesigen Mengen an Brennholz befanden sich unter der Erde: dazu musste ein verzweigtes Netz von Gängen angelegt werden. Die Arbeit der hier tätigen Sklaven blieb den Gästen oben verborgen.
Bedingt durch die Achsensymmetrie ergaben sich spiegelbildlich gesehen zwei Bauhälften, folglich auch zwei Eingänge, rechts und links neben dem großen Schwimmbecken, so dass sich die Besucherströme erst wieder in der Basilica trafen; es gab auf jeder Seite die gleiche Zahl von Nebenräumen, und begrenzt wurde das Hauptgebäude durch zwei große Freilicht-Innenhöfe, in denen die sehr beliebten Ballspiele (Dreieck-Spiele) stattfanden und alle Arten gymnastischer und athletischer Übungen durchgeführt wurden.



Wer heute vor den gewaltigen Ruinen der Caracalla-Thermen steht, der zweitgrößten Thermenanlage Roms und nur noch übertroffen von der des Diokletian, und dieses Gerippe aus hoch aufragenden Mauern, Pfeilern, Säulen und eingestürzten Räumen betrachtet, die auf mich wie verlassene Höhlen wirkten, kann sich nicht vorstellen, mit welchem Luxus und Prunk dieser Komplex ausgestattet war: die Wandelhalle der Basilica von einem mächtigen Kreuzkuppelgewölbe überspannt, die Rundhalle des Caldarium – das Prunkstück dieser Anlagen - , auf deren Pfeilern eine Kuppel ruhte kaum kleiner als die des Pantheon, Räume in allen Größen und allen nur denkbaren Variationen: von eckig über rund bis oval; Säulen aus ägyptischem Granit, Wände verkleidet in unterschiedlichsten Marmorfarben und mit verspielten Fresken geschmückt; Deckengewölbe mit feinstem Stuck und Fußböden mit prächtigen Mosaiken; Badewannen aus Porphyr und Granit, Nischen für die vielen Statuen und Standbilder; großzügig ausgestattete Bibliotheken, Vortragssäle, ausgedehnte Parkanlagen – es gab nichts, was diesen Aufwand an Reichtum und Raffinesse hätte verhindern können: Extravaganzen eines Kaisers, der zur Sicherung seiner Herrschaft die Gunst des römischen Stadtvolkes brauchte; dem es nicht so sehr darum ging, seinen Ruhm zu mehren, sondern darum, mit einem fast kostenlosen Freizeitangebot und einem gigantischen Dienstleistungsapparat dahinter die Leute bei Laune zu halten. Er wollte ihnen so das Gefühl geben, in einem Kaiserpalast zu sein, der ihnen selbst gehörte.

Die Thermen waren mehr als ein Spaßbad im modernen Sinn: die Wechselbäder zwischen warmem und kaltem Wasser, die Massagen und intensive Körperpflege dienten einzig und allein dem körperlichen Wohlbefinden, das den Geist freimachen sollte für die Diskussion philosophischer Themen, für die Beschäftigung mit der Literatur oder für die Auseinandersetzung mit der Kunst und ihren ästhetischen Fragen. Kurzum: die Thermen stellten eine Kombination dar zwischen Vergnügungstempel und Kulturpalast.

Wie es in einem römischen Bad zuging, darüber hat Seneca in einem Brief an seinen Freund Lucilius berichtet, und man könnte meinen, es handele sich um ein antikes Radio-Feature:


SENECA LUCILIO SUO SALUTEM
(56,1): … supra ipsum balneum habito. Propone nunc tibi omnia genera vocum, quae in odium possunt aures adducere: cum fortiores exercentur et manus plumbo graves iactant, cum aut laborant aut laborantem imitantur, gemitus audio, quotiens retentum spiritum remiserunt, sibilos et acerbissimas respirationes; cum in aliquem inertem et hac plebeia unctione contentum incidi, audio crepitum inlisae manus umeris, quae prout plana pervenit aut concava, ita sonum mutat. Si vero pilicrepus supervenit et numerare coepit pilas, actum est.

SENECA GRÜSST SEINEN [FREUND] LUCILIUS
(56,1): … Ich wohne gerade über einem solchen Bad. Jetzt stell' dir die vielen verschiedenen Geräusche (Töne) vor, die mich wütend (verrückt) machen, und die [sogar] in Hass umschlagen können: wenn diejenigen, die sich mit ihrer Kraft beweisen müssen, ihre Übungen absolvieren und ihre mit Blei beschwerten Hände schwingen, wie sie sich quälen oder Anstrengung vortäuschen, so ist ein Stöhnen zu hören und ein Pfeifen, gefolgt vom Schnaufen und Japsen der übelsten Art, sobald die angehaltene Luft entwichen ist (nachdem sie die angehaltene Luft herausgelassen haben). Oder nehmen wir den Behäbigen (den 'Faulen'), der sich mit einer einfachen Massage (mit dem üblichen Einölen) zufriedengibt: da dringt [jedesmal] der Schall vom Klatschen der Hand auf seine Schultern zu mir empor; und der Ton verändert sich, je nachdem, ob sie hohl oder flach aufschlägt. Und wenn auch noch ein Ballspieler dazukommt und anfängt seine Würfe zu zählen, dann ist es ganz vorbei!


Im Landschaftsgarten der Caracalla-Thermen

Nach dem Rundgang wollten wir die Thermen nicht sofort verlassen: der wunderbare Sonnentag und die herrlich-warme Luft animierten geradezu, uns noch eine ganze Weile in diesem weitläufigen Parkgelände aufzuhalten. Wir wollten einfach das schöne Wetter genießen und Zeit für uns selbst nehmen. Es machte Spaß, unter diesen hohen Pinien mit ihren weit geöffneten Schirmen spazierenzugehen, immer wieder stehen zu bleiben, um die Eindrücke und Stimmungen auf uns wirken zu lassen oder um aus unterschiedlichen Positionen einen Blick zurück auf die Ruinenlandschaft zu werfen: mal waren die Thermen vom hohen Buschwerk verdeckt, mal schimmerte nur ein Streifen Ziegelmauerwerk hindurch, dann wiederum lagen sie in ihrer ganzen Geborstenheit da – stumme Zeugen einer fast vergessenen, glanzvollen Vergangenheit, die die prophetischen Worte Goethes, wie eine Mahnung an uns gerichtet, in Erinnerung riefen: „… und alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“

Die Stille und Ruhe, die diesen Ort umgaben, taten uns gut. Wir fühlten, wie das Herz weit und dem Geist Raum gegeben wurde; wir fühlten uns einbezogen in diese Sinfonie von Licht, Farben und Wärme, und für einen begrenzten Augenblick war so ein ‚common sense’ zwischen Innenwelt und Außenwelt entstanden. Dieser Nachmittag hatte wirklich etwas Versöhnliches!

Es fiel uns schwer, von diesem romantischen Garten Abschied zu nehmen. Dieses „Verweile doch, du bist so schön!“ war in den Stunden, die wir hier verbrachten, Realität geworden – flüchtige Momente eines Glücks, das sich nicht binden lässt.




... ein letztes Mal

Zum letzten Mal führte heute unser Weg durch die Senke zwischen Aventin und Palatin, vorbei an der alten Rennstrecke des Circus Maximus. Im Bewusstsein dieses letzten Mals hielten wir noch einmal auf der Piazzale Ugo la Malta an, und unser Blick ging hinüber auf den ehemaligen Kaiserhügel und blieb ruhen auf den starren Resten aus rötlich-braunen Ziegeln, höhlenreich und dem unaufhaltsamen Zerfall der Zeiten trotzend und aufleuchtend im immer noch vollen Licht der tiefstehenden Sonne. Und je weiter wir uns nach rechts wandten, desto deutlicher traten die Konturen des stillen Celio hervor, und über dem grünen Dickicht der Pinien und Zypressen zeichneten sich die Rückseite von SS. Giovanni e Paolo mit ihrem schlanken, wohlproportionierten Glockenturm ab und die erhöhte Front von S. Gregorio mit dem dahinterliegenden Kloster der Kamaldulenser.



Trastevere per sempre

Bald waren wir auf der anderen Tiberseite, und die Gassen und Gässchen von Trastevere hatten uns wieder mit ihrem unvergleichlichen Zauber gefangen genommen. Ich kann es nur wiederholen: Trastevere ist mit keinem anderen Stadtviertel vergleichbar; Trastevere ist ein Zustand, der Inbegriff von Lebensfreude, Gelassenheit, Charme und des kulinarischen Genusses.
Und kein Wort zu S. Maria in Trastevere, der ältesten Kirche Roms, die der Madonna geweiht ist? Doch, aber fast ein entschuldigendes. Weil die ‚Fossa’ (das Loch) – eine abfällige Bezeichnung dieses Ortsteils am Westufer des Tibers aus Sicht der römischen Aristokratie – immer den Schlusspunkt unserer Streifzüge durch die Stadt bildete, stand uns nicht der Sinn danach, eine weitere Besichtigung anzuhängen. Wir konzentrierten uns mehr darauf, etwas zu finden, was Leib und Seele zusammenhielt.



... und S. Maria in Trastevere im Vorbeigehen

So haben wir von S. M. in Trastevere nur die von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlte Außenfassade mit den leuchtenden Mosaiken und den hoch aufragenden Campanile wahrgenommen, der wie ein trutziger Wachturm das uralte Kirchengebäude durch den wechselvollen Lauf der Zeiten beschützt. Wir haben die bogenreiche Vorhalle mit den vier barocken Heiligen auf der umlaufenden Balustrade gesehen, die als dunkle Gestalten – schattenhaft und unheimlich – wie eine Bedrohung wirkten, links und rechts begrenzt von den Fronten eines Palastes, und davor die Piazza mit dem vielgestaltigen Brunnen. Dieser von allen Seiten umschlossene Platz ist das eigentliche Herzstück Trasteveres und ein Treffpunkt für die vielen jungen Leute und Touristen, die sich alle von dem bunten Treiben hierher gezogen fühlen.
An diesem späten Nachmittag hätten wir theoretisch Zeit genug gehabt, uns auch den Innenraum von S. Maria anzuschauen, aber ‚mein Gedank’ und Wunsch strebte’ (abgewandeltes Zitat aus dem 'Hamlet') zum Gianicolo – my thoughts and wishes bent towards Gianicolo - , um im Glanz der letzten Strahlen das goldene Feuer über der Ewigen Stadt zu erleben.
Dazu musste ich die anderen erst noch überreden, am besten mit einer diabolischen Versuchung: „Wisst ihr was?“, fing ich an. „Wir sind gut in der Zeit; zum Essen ist es eigentlich jetzt zu früh. Ich könnte euch aber noch zu einer Stelle für Verliebte führen, da liegt euch Rom zu Füßen! Hättet ihr Lust dazu?“
Und siehe da, ich hatte ihre Neugier geweckt. Dass es steil würde, hatte ich vorsichtshalber nicht erwähnt. Und es wurde steil! Gerade in der Via di Porta S. Pancrazio legte der Weg ordentlich zu, und in seinem letzten Teil verwandelte er sich sogar in einen Treppenaufstieg.




Auf dem Gianicolo und Rom goldumrandet: ein Finale glorióso

Oben angekommen, wurden wir vom Rauschen der gewaltigen Wassermassen der Acqua Paola begrüßt, die sich aus drei großen Hallen einer Schauwand in ein riesiges, halbkreisförmiges Becken aus Marmor stürzten – und das unter den wachsamen Augen zweier auf hohen Podesten lauender Drachen im Hintergrund. Eine Inschrift, eine sog. 'mostra', über den Rundbögen dieses Wasserportals nannte den Namens seiner Erbauers: Papst Paul V., dessen Familienwappen – Adler und Drache – den Giebel der triumphalen Front krönte. Dieser Papst hatte im Jahr 1612 die alte Wasserleitung des Kaisers Trajan wiederherstellen lassen, die aus dem See von Bracciano kommt; seitdem versorgt sie das dicht besiedelte Viertel von Trastevere mit dem lebensnotwendigen Nass.



Solche Orte wie der Belvedere vor der Fontana dell'Acqua Paola haben immer ihr Publikum, vor allem dann, wenn sich der Tag dem Ende zuneigt. Dann versammeln sich hier die Verliebten, die von ‚La Luna innamorata’ träumen, die romantisch Veranlagten, die die Sehnsucht nach unbeschreiblich schönen Augenblicken antreibt, alle Müßiggänger und solche Leute wie wir, die aus der Gräue des Nordens an die Stätten des Lichts geflohen sind.
So war es auch heute Abend. Schnell musste noch ein Brautpaar (zum wievielten Mal wohl?) auf dem Beckenrand für ein letztes Photoshooting posieren, und zwar so, dass die Illusion entstehen sollte, sie haben sich an den schimmernden Wassern eines jade-grünen Sees niedergelassen. Irgendwie erinnerte mich das Ganze an die berühmte Szene aus Fellinis Film ‚La dolce vita’, als Anita Ekberg mit blonder Mähne und schwarzem Abendkleid ihren Partner Marcello Mastroianni zu einem nächtlichen Bad im Trevi-Brunnen verführte.

Aber was wäre Rom ohne den abendlichen Sonnenuntergang? Jetzt waren fast alle Blicke auf die unter uns liegende Stadt und auf die Hügelkette der Sabiner und Albaner Berge im Hintergrund gerichtet, deren dunkle Umrisse sich am nachtblauen Horizont aufzulösen begannen, über dem sich ein weit gespannter Himmelsbogen gewölbt hatte. Und vor unseren Augen hatte die Sonne in einer letzten Kraftanstrengung ihr restliches Gold über die Dächer der Häuser ausgeschüttet, und aus dem unüberschaubaren, nicht zu entflechtenden Gewirr der Fassaden aus Stein ragten die majestätischen Kuppeln der Kirchen in zeitloser Erhabenheit heraus.



So hatte der Tag, der heute morgen in Tiburtina mit Tristesse und Enttäuschung anfing, ein gran finale, ein finale glorióso gefunden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo und Moin, Moin Seneca!



VIELEN DANK

:thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

für die Fortsetzung


.... übrigens Anagnina gefällt mir auch nicht besser als Tiburtina




Gruß - Asterixinchen :)
 
Danke für die sehr stimmungsvolle Beschreibung. Ja, in unserem geliebten Rom gibt es auch, wie in den meisten Großstädten, üble Gegenden, sogar Slums.

Ich denke aber, die Fortsetzung wird auch wieder positivere Aspekte Roms beleuchten.

Ludovico
 
Eure Enttäuschung :( und (zunächst einmal) "gedankliche Blockade" kann ich gut nachvollziehen :nod: - das hätte bei mir durchaus ähnlich verlaufen können.

Bin gespannt auf die Fortsetzung! :nod:
 
Zurück
Oben