OT aus: Teddybärenthread IX: Provencereisebericht

rikmanfredson

Aedilis
Stammrömer
Abgebogen von: Teddybärenthread IX

Anschließen wollten wir „Les Alycamps“, das Elysium, besuchen – die Reste einer antiken Gräberstraße an der Via Aurelia. Auch im frühen Christentum wurde sie weiter genutzt, zumal die ersten Bischöfe von Arles, welche inzwischen als Heilige verehrt wurden, hier beigesetzt waren. Um sich ihrer Fürsprache beim Jüngsten Gericht zu versichern, ließ man sich hier bestatten.



Zu den Alyscamps passt folgendes Gedicht von Rilke (zehntes Sonett an Orpheus; Quelle z.B. hier):

Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,
grüß ich, antikische Sarkophage,
die das fröhliche Wasser römischer Tage
als ein wandelndes Lied durchfließt.

Oder jene so offenen, wie das Aug
eines frohen erwachenden Hirten,
- innen voll Stille und Bienensaug -
denen entzückte Falter entschwirrten;

alle, die man dem Zweifel entreißt,
grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,
die schon wußten, was schweigen heißt.

Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?
Beides bildet die zögernde Stunde
in dem menschlichen Angesicht.


Rilke kam im Mai 09 nach Arles und war von den Alyscamps sehr beeindruckt und zur künstlerischen Auseinandersetzung angeregt. Dieser Eindruck muss so nachhaltig gewesen sein, dass er auch noch über 10 Jahre später Ausdruck in Worten fand: "die ihr nie mein Gefühl verließt."

Ich wagte an anderer Stelle mal zu interpretieren: Die römischen Sarkophage sind sicher die Sarkophage der Alyscamps in Arles. Wiedergeöffnete Münder haben sie deswegen, weil ihnen heute zumeist der Deckel fehlt. War der Sarg geschlossen, hatte der Tote seine Ruhe, und auch der Sarg wusste zu schweigen und sein Inneres als Geheimnis zu bewahren. Nun ist der Deckel geöffnet und die Totenruhe gestört. Nur der Verstorbene kennt den Tod - und der Sarkophag.

Viele antike Grabbauten (z.B. auch das Mausoleum in Glanum), aber auch Sarkophage besitzen Reliefdarstellungen von Tritonen und Meeresungeheuern. Das Wasser symbolisiert dabei das Leben. Wenn Rilke schreibt, dass das fröhliche Wasser römischer Tage die Sarkophage durchfließt, meinte er damit wohl das Leben des antiken Rom. Die Sarkophage standen zu hunderten entlang der Hauptstraße außerhalb der Stadt. Da man wollte, dass die Vorbeigehenden, die Händler und die von weit her Reisenden vom Grab und dem Bestatteten Notiz nehmen, war die Grabstelle, die in der ersten Reihe stand, die teuerste. Man schottete also den Friedhof nicht ab, so wie heute, sondern das Begrabensein war Teil des Lebens und direkt neben dem Grab wogte das Alltagsleben vorbei. Heute tut man sich etwas schwer, sich die Alyscamps als belebte Hauptstraße vorzustellen, wo diese Straße mit den Sarkophagen rechts und links doch wie ein kleines, ruhig gelegtes Idyll inmitten dieser kleinen, pulsierenden Stadt wirkt. Aber mit etwas Phantasie gelang es mir doch, mir auszumalen, wie es wohl war, als hier noch das Leben römischer Tage durchfloss…

Ich ging auch zwischen den Sarkophagen der hinteren Reihen herum, und entdeckte hier und da Gräser und Blumen neben den steinernen Särgen. Zu Rilkes Zeit war der Ort sicherlich noch nicht so gepflegt als heute, sozusagen noch nicht für die Touristen herausgeputzt. Sicherlich gab es mehr Bewuchs zwischen und vielleicht auch in den Sarkophagen ohne Deckel. Dass Rilke Bienen und Falter dort herumschwirren sah, halte ich für sehr wahrscheinlich.


Rik
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Rik,
den Besuch der Alyscamps vor vielen Jahren hatten wir in so guter Erinnerung, dass wir unbedingt noch einmal dorthin wollten.

Die besonders qualitätvollen Sarkophage (teilweise sicher stadtrömische Arbeiten) sind ja inzwischen im Museum ausgestellt, allerdings hatte ich den Eindruck, dass weniger davon präsentiert wurden als noch vor einigen Jahren. Vermutlich, weil man den Platz für das neu ausgestellt Boot brauchte.

Wenn man sich vorstellt, wie die römischen Familien mit Kind und Kegel zu den Parentalia mit ihrem Picknickkorb dort raus gewandert sind und natürlich auch die Verstorbenen an der Fete teilnahmen. Schade, dass man erst in neuerer Zeit auf die archäologischen Schätze so viel Wert legt. Der Bau der Eisenbahntrasse hat hier großen Schaden verursacht.

Merci für das Gedicht von Rilke, das ich als "Gute Nacht Lektüre" mit in die letzte Feriennacht nehme.

Liebe Grüße
Claude
 
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