Via Papalis: Auf dem Weg der Päpste vom Lateran zum Vatikan

Carissima dentaria,

was für eine Übereinstimmung in der Wahl des künstlerischen Geschmacks! Genau dieses Fresko von Merlozzo da Forli war es, das meine Frau und ich uns als letzte Sehenswürdigkeit bei unserem Besuch in den VM angeschaut haben, obwohl wir nach der Sistina eigentlich nicht mehr aufnahmefähig waren. Wir hetzten damals den endlos langen Korridor Richtung Ausgang, um beim Atrio di Quattro Cancelli zu den stillen, fast menschenleeren! Sälen der Pinakothek zu gelangen. Wir beide standen eine geraume Zeit vor diesem auffallend großen ‚Bild’ und konnten es ungestört auf uns wirken lassen. Der eigentliche Anlaß zu diesem Kunstwerk, nämlich die Einführung des Humanisten Platina in sein Amt als Kustode der Vatikanischen Bibliothek, interessierte mich nicht so sehr; unser Augenmerk richtete sich vielmehr auf die beiden Hauptfiguren in diesem Tableau hochrangiger Persönlichkeiten: auf den majestätisch thronenden Sixtus IV und den vor ihm stehenden hochgewachsenen und stattlichen Renaissancekardinal Giuliano della Rovere, den späteren Papst Julius II.
Die hier fest gehaltene Szene sagt viel aus über die Renaissance und ihre Protagonisten: die Idee des Papsttums als geistige Autorität wird völlig zurückgedrängt von der Idee absolutistischer Alleinherrschaft, deren oberster Repräsentant der Papst selbst ist, der sich wiederum auf eine starke ‚Hausmacht’ stützt, indem er in blindem Vertrauen seine Neffen mit Wohltaten und Privilegien überschüttet und nicht merkt, daß dabei sein überzeitliches Amt in den Strudel der Verweltlichung gerät.
Der breiten Öffentlichkeit ist Merlozzo da Forli nicht wegen dieses Freskos in Erinnerung geblieben, sondern hauptsächlich wegen seiner musizierenden Engel, die von Kennern für die schönsten Weihnachtsengel gehalten werden. Vielleicht hast Du für sie noch Platz auf Deiner Via papalis. Wir hatten für sie damals nur einen ‚kalt staunenden’ Blick übrig.



Cordiali saluti

Seneca
 
Lieber Seneca,​

vielen herzlichen Dank für Deine Ausführungen.​


Der breiten Öffentlichkeit ist Merlozzo da Forli nicht wegen dieses Freskos in Erinnerung geblieben, sondern hauptsächlich wegen seiner musizierenden Engel, die von Kennern für die schönsten Weihnachtsengel gehalten werden. Vielleicht hast Du für sie noch Platz auf Deiner Via papalis. Wir hatten für sie damals nur einen ‚kalt staunenden’ Blick übrig.


Oh ja, meine Fotos der Engel sind fest eingeplant in Santi Dodici Apostoli, ihrem früheren Platz.
Aber erst kommen noch 4 Geschlechtertürme und einiges andere! ;)

Viele Grüße
dentaria​

 
Zuletzt bearbeitet:

... und sind nebenbei meine ersten Kindheitseindrücke von Rom, von dem ich damals noch nichts wusste. ;) Aber als Drucke bzw. Postkarten sind sie mir schon sehr früh begegnet. :nod:
 
Cara dentaria,

wenn man sich mit Julius II beschäftigt, unter dessen Pontifkat die Renaissance ihren Zenit erreichte, kommt man natürlich auch an seinem Grabmal nicht vorbei, von dem heute - wie Du mir sicher bestätigen wirst - nur noch ein trauriger Abklatsch seiner ursprünglich gedachten Monumentalität übriggeblieben und in diesem Zustand in der Kirche S. Pietro in Vincoli zu sehen ist, in die Du uns auch auf Deiner via papalis mitgenommen hast. Die Ironie der Geschichte will es, daß eine damals von Michelangelo geschaffene Nebenfigur heute die Hauptfigur in diesem Grabfragment darstellt, nämlich die Kolossalstatue des Moses, die mich genau so fasziniert wie seine Pietà. Ich habe diese Woche über ihn gearbeitet, und da ich glaube, daß mein Ergebnis auch gut zu Deinem Thema paßt, und weil ich weiß, daß der Moses in Deiner Signatur einen gebührenden Platz gefunden hat, stelle ich Dir meine Gedanken einfach zur Verfügung. Ich hoffe, es ist ganz in Deinem Sinne.

"Blickfang und Publikumsmagnet ist die überlebensgroße Gestalt des Moses, ein Meisterwerk Michelangelos und der Bildhauerei überhaupt. Unter den gestaltenden Händen dieses genialen Künstlers hat sich der helle Marmor aus Carrara in eine Sitzstatue verwandelt, deren kompakt-athletische Körperlichkeit mich mehr an einen Herkules denken läßt als an die biblische Figur, die das Volk Israel aus dem ‚Sklavenhaus Ägypten’ herausgeführt hat. Sofort wird klar, von wem sich der Meister hat inspirieren lassen: es ist der Torso vom Belvedere, den er eifrigst studierte und dessen glatte Oberfläche ihn dazu verleitete, mit seinen Händen und Fingern darüber zu gleiten, um unter der gespannten Haut jeden Muskel, jede Wölbung und jede Ader zu ertasten. Wir sehen den gehörnten und nur mit einem ärmellosen, sommerlichen Überwurf gekleideten Moses auf einer Art Felsstumpf sitzen, der von einem Tuch verdeckt wird, das faltenreich die abgewinkelten Beine umhüllt, und auf der rechten Seite hochgeschlagen, den muskulösen Unterschenkel freigibt, den er mit dem Lederriemen seiner Sandale mehrfach umschlungen hat. Eingeklemmt vom angewinkelten rechten Arm und die untere Ecke schräg aufgestützt auf den äußeren rechten Rand des massiven Stumpfes drückt er die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten fest an seinen Körper, während die Finger den vom Kinn bis zum Bauchnabel niederrauschen Bart zupfen - untrügliches Zeichen dafür, daß er sich noch in Zurückhaltung übt und seine innere Erregung, seine aufgestauten Agressionen bezwingt. Den linken Arm hat er leicht abgeknickt auf seinem Schoß ruhen, wohl nicht lange, um in diesem Zustand zu verharren, sondern angetrieben von der Energie seiner kraftstrotzenden Muskeln loszuschnellen, um mit drohender Gebärde den Zorn Gottes auf sein Volk herabzurufen und die Gesetzestafeln vor ihren Augen zu zertrümmern. Und wundert es, wenn er wutentbrannt flammende Blicke hinausschleudert, die über seine linke Schulter hinweggehen und sich in der Tiefe des Kirchenraumes zu verlieren scheinen? Wir wissen natürlich, wem sie galten: dem eigenen Volk, das nicht mehr an seine Rückkehr vom Sinai glaubte und lieber das Goldene Kalb als ihren neuen Gott verehrte."

Je suis toujours à ta disposition

Seneca
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe dentaria,
hier ein kleiner Hinweis noch zu den Grabdenkmälern, der wahrscheinlich vielen Foristi auch bekannt ist, da hier im Literaturteil schon besprochen:
Host Bredekamp/Volker Reinhardt (Hg.): Totenkult und Wille zur Macht. Die unruhigen Ruhestätten der Päpste in St. Peter, Darmstadt 2004.

Gruß
mystagogus
 
Ich habe diese Woche über ihn gearbeitet, und da ich glaube, daß mein Ergebnis auch gut zu Deinem Thema paßt, und weil ich weiß, daß der Moses in Deiner Signatur einen gebührenden Platz gefunden hat, stelle ich Dir meine Gedanken einfach zur Verfügung. Ich hoffe, es ist ganz in Deinem Sinne.

Vielen herzlichen Dank für diese tolle Erläuterung.
Das simmt, der Moses gehört zu meinen Lieblingszielen in Rom.​

Liebe Grüße
dentaria​


Liebe dentaria,


hier ein kleiner Hinweis noch zu den Grabdenkmälern, der wahrscheinlich vielen Foristi auch bekannt ist, da hier im Literaturteil schon besprochen:​


Host Bredekamp/Volker Reinhardt (Hg.): Totenkult und Wille zur Macht. Die unruhigen Ruhestätten der Päpste in St. Peter, Darmstadt 2004.​


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Hallo mystagogus,
auch Dir vielen Dank für den Buchtipp.​

Leider ist das Buch z.Z. nicht verfügbar!
Viele Grüße
dentaria​
 
Ich verlasse die Piazza di San Pietro in Vincoli durch den Bogengang rechts, die Via di San Francesco di Paola.


In früheren Zeiten hieß dieser kleine Weg noch Vicus Sceleratus - also Frevlergasse.

Dieser Name kommt von einer wirklich frevlerischen Tat.
Der Legende nach wurde hier der König Servius Tullius ermordet. Er war der Sohn eines etruskischen Königs, der wiederum von dem Römern ermordet wurde.
Die Ehefrau brachte dann das gemeinsame Kind in römerischer Gefangenschaft - also in der Sklaverei zur Welt - daher der Name "Servius". Dieser ist von Interesse, da Servius später zunächst Schwiegersohn und dann auch Nachfolger des amtierenden Königs wurde. In dieser Position ließ er die Servianische Mauer errichten.
Einige Meter weiter - auf der Piazza Magnanapoli - werde ich Überreste der Vorgängerin der Aurelianischen Mauer sehen. Hier ein Vergleichskarte der beiden Stadtmauern.





Der Legende nach, wurde Servius Tullius im Auftrag seiner Tochter Tullia ermordet.
Sie soll sogar noch den Vater überrollt haben um ihren Ehemann Lucius Tarquinius Superbus an die Macht zu bringen. Im alten Rom riefen die die Römer ihre Götter an, wenn sie an den Tatort kamen.
 
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.

VIELEN DANK

:thumbup: :nod: :thumbup: :nod: :thumbup:

für die Fortsetzung


Die "Verkehrsinsel" mit dem kleinen Rest der Mauer liegt bei Dir auf dem Bild so schön "ruhig" da ... ich hatte auch (meist morgensfrüh) schon mehrmals das Glück - sonst ... muss man schon ziemlich aufpassen bei dem darumherumbrausenden Verkehr bis man auf der "Insel" ist ...
 
Die "Verkehrsinsel" mit dem kleinen Rest der Mauer liegt bei Dir auf dem Bild so schön "ruhig" da ... ich hatte auch (meist morgensfrüh) schon mehrmals das Glück - sonst ... muss man schon ziemlich aufpassen bei dem darumherumbrausenden Verkehr bis man auf der "Insel" ist ...​

Die Aufnahme ist auch nicht von der Mittagszeit des 6. Dezember.
Ich hatte diese schöneren Bilder noch vom Ostersamstag,
aufgenommen vor 8h - auf dem Weg zur großen Caravaggio-Ausstellung! ;)
 
Hallo, Dentaria,


habe heute in mehreren Abschnitten - wenn mich meine Enkel ließen - Deinen wunderschönen Reisebericht mit den treffenden Ergänzungen gelesen. Vielen Dank!

:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

Ich finde es wunderbar, was Du an einem Tag alles gesehen, erlebt und verarbeitet hast. Natürlich, bei so viel Intensität gehören gute Vor- und Nacharbeit dazu.


Besonders gefreut hat mich Dein Hinweis samt Bilder auf die Geschlechtertürme. Die mag ich nämlich sehr.


Liebe Grüße aus der abendlichen Eifel


Spurensucher
 
Vielen herzlichen Dank Spurensucher,


es folgen morgen oder übermorgen noch 4 Geschlechtertürme.
Der Reisebericht ist die optimale Möglichkeit zur Nacharbeitung! :nod:


Liebe Grüße aus dem Frankenland
dentaria
 
Hallo Dentaria,

auf den Bericht (und auch auf die Geschlechtertürme) bin ich gespannt).

Liebe Grüße aus der mondhellen Eifel

Spurensucher
 
Hallo Dentaria,

auf den Bericht (und auch auf die Geschlechtertürme) bin ich gespannt).

Bevor es mit neuen Türmen weitergeht, noch eine Nachbemerkung zu dem Turm auf der Piazza di San Pietro in Vincoli.


Dieser Turm - der einst zum Palazetto Borgia gehörte -
ist nun Kirchturm von San Franceso di Paola!

So wurde aus dem Geschlechterturm der Familie Margani der Kirchturm der Kalabresen!
Mal wieder ein schönes Beispiel für das Recycling-System der Römer! ;)

 
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torre dei Conti

Zunächst laufe ich im Nieselregen die Via Cavour entlang.
Ich sehe wieder das Kolosseum


und das Forum Romanum vor mir.


Ich aber halte mich rechts, denn dort warten wieder Geschlechtertürme auf mich.

Torre dei Conti


Dieser Turm entstand 1203 im Auftrag von Riccardo Conti de Segni, dem Bruder des amtierenden Papstes Innozenz III.
Er hatte von seinem Turm einen wunderbaren Blick auf die päpstlichen Prozessionen mit seinem Bruder.
Der Torre dei Conti war wohl ursprünglich doppelt so hoch wie jetzt.
Baumeister war Marchionne Aretino aus Arezzo.
Es kann sein, daß er auch die beiden nachfolgenden gebaut hat.
Beim nächsten Turm ist zumindestens sein Name groß angeschrieben.
Der Turm bestand ursprünglich aus drei Ebenen, die sich nach oben verjüngten.
Bei dem großen Erdbeben von 1348 entstanden rießige Schäden und es mußten große Teile abgetragen werden.
Bis - unter Mussolini - für die Via dei Fori Imperiali die Schneise in die antiken Reste geschlagen wurde, war der Turm von einem Palazzo umgeben.

Weiter geht es an der großen Mauer entlang, die das Augustusforum in der Antike vor den häufigen Bränden in der Subura schützen sollte.


Man hat immer wieder tolle Blicke auf die Foren.



Diese Mauer besteht aus großen Rustikaquadern.


Der Baustil wurde im 15. Jh. wiederentdeckt.
Doch - wie fast alles in der Renaissance - nicht in Rom, sondern in Florenz.
Doch die vielen toskanischen Künstler brachten den "neuen" Baustil an den Hof der Päpste und somit nach Rom zurück.

In der Mauer sieht man wunderschöne Fenster und Türen.


Sogar ein Fresko entdecke ich auf meinem päpstlichen Weg zum nächsten Turm.

 
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Liebe Ute,

vielen Dank für sehr interessante weitere Folgen auf dem päpstlichen Weg! Du warst nur einen Tag unterwegs und hast dennoch so viele unerwartete Blicke für uns festgehalten! :thumbup:

Liebe Grüße

Angela
 
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