Berninis letztes Werk

Claude

Triumphator
Stammrömer
Ich staunte nicht schlecht : Gestern fuhren wir gemächlich vom Cotentin aus in Richtung Lutetia. D. h. wir hatten auf dem Heimweg einige Pausen vorgesehen, unter anderem in Sées (so heißt es seit Napoleon Bonaparte, der den Ort damit von einem Ort in Savoyen abheben wollte. Das Bistum heißt bezeichnenderweise auch heute noch Séez). Damit hatten wir dann den Schlussstein gesetzt und alle normannischen Kathedralen einmal gesehen. In der Kathedrale fanden wir eine Büste vor, die Bernini oder zumindest seinem Atelier zugeschrieben wurde.Das ließ mir dann doch keine Ruhe: wie kommt ein Werk Berninis in so ein abgelegenes Nest mitten in Frankreich?

Die Büste faszinierte mich und ich betrachtete sie von allen Seiten und das mit Muße (Touristen trifft man dort anscheinend auch in der Ferienzeit selten).




Heimgekommen holte ich mein Bernini-Buch von Charles Avery hervor und fand dort eine Abbildung der Büste – allerdings ohne den Hinweis auf die französische Provinzstadt. Hier wird nur auf eine Büste im Chrysler-Museum in Virginia verwiesen, die mit dem letzten Werk, das Bernini geschaffen hat, identifiziert wird. Bernini war zu dem Zeitpunkt bereits über 80 und wollte sie seiner Gönnerin, Christina von Schweden, aus Dankbarkeit zueignen. Da sie zunächst ablehnte, weil sie kein entsprechendes Gegengeschenk machen könne, vererbte er ihr das Bildnis des „Salvator mundi“. Der Biograph Berninis, Baldinucci, berichtet: „dieses Werk war, wie er sagte, sein liebstes, und es war das letzte, das die Welt aus seiner Hand empfing“. Bernini hat das Werk nicht mehr vollendet : seine Kräfte reichten nicht mehr aus, den Entwurf umzusetzen. Ein Tonmodell wird er noch angefertigt haben können, für die Marmorarbeit brauchte der alte Künstler Hilfe. Überliefert sind Entwurfszeichnugen – das Werk selbst war seit dem 17. Jh. verschollen. Die letzte Erwähung stammt aus dem Jahr 1773 – dann verlieren sich die Spuren.

1972 glaubte man, den Salvator mundi in dem amerikanischen Museum wiedergefunden zu haben. Aber es gab noch eine Version dieses Werks – eben die Kopie in Sées, die ein französischer Freund des Künstlers hatte anfertigen lassen. In der Ausstellung, die Bernini zu seinem 100. Todestag im Palazzo Venezia (1999) gewidmet war, wurde genau diese Arbeit aus Sées als das Original präsentiert.

Allerdings gibt es eine weitere Kopie in S. Sebastiano fuori le mura, die nach den Ergebnissen der Kunsthistoriker das Original sein muß. Dies wurde zuerst 2001 angenommen und scheint heute erwiesen zu sein.

An diesem Punkt angelangt, scheint die „Vaterschaft“ des Salvator mundi geklärt. Doch von all dem einmal abgesehen, wird uns mit der Geschichte des Salvator mundi ein Bild von Gian Lorenzo Bernini überliefert, wie wir es bisher nicht gekannt haben; das rührende Bild eines mächtigen Mannes, dem mehr als ein halbes Jahrhundert lang ganz Rom zu Füßen lag, der verehrt, bewundert und hofiert wurde von vier Päpsten, einem Dutzend von Kardinälen, ja sogar vom Sonnenkönig. Und der am Ende seines Lebens doch nichts anderes tun wollte als das: das Bildnis Jesu zu schaffen, seinen „Liebling.“ „Aus Verehrung.“

30Giorni | Der letzte Bernini und der Salvator mundi (von Pina Baglioni)

Das zu meiner Entdeckung in der französischen Provinz. Vielleicht kann ich einen meiner nächsten Besuche in der Urbs dazu nutzen, mir die Skulptur in San Sebastiano anzusehen.

Claude
 
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Liebe Claude,

vielen Dank, dass Du uns an Deiner interessanten Entdeckung teilhaben lässt.
Die Büste gefällt mir auch sehr gut und die damit verbundene Geschichte ist wirklich berührend.
Auf einen Vergleich von Kopie und Original in Rom bin ich gespannt! :nod: :thumbup:
 
Die Gelegenheit ergab sich nun rasch: letzte Woche konnte ich nun das Original in Augenschein nehmen. Der Besuch in San Sebastiano mußte einfach sein und die Reisegefährtinnen brauchten gar nicht zu dem Anstecher überredet werden.

Zum Vergleich die Bilder:



Leider konnte man in dem Falle nicht um die Büste herumgehen, denn sie befindet sich in einer Nische und ist nicht so frei aufgestellt wie in Sées.​

Claude​
 
Heimgekommen holte ich mein Bernini-Buch von Charles Avery hervor und fand dort eine Abbildung der Büste – allerdings ohne den Hinweis auf die französische Provinzstadt. Hier wird nur auf eine Büste im Chrysler-Museum in Virginia verwiesen, die mit dem letzten Werk, das Bernini geschaffen hat, identifiziert wird. (...)
1972 glaubte man, den Salvator mundi in dem amerikanischen Museum wiedergefunden zu haben.

Hallo, Claude,

hier ein Bild der Kopie aus den USA im Netz: Chrysler Museum Collection

 
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