Auf den Spuren von Michelangelo und Raffael im Rom und Umbrien der Renaissance

Julius II. und sein Grabmal

Im März 1505 beauftragte Julius II. den dreißigjährigen Michelangelo ein gigantisches Grabmal für den geplanten neuen Petersdom zu erschaffen.
Zeichnungen kann man entnehmen, wie das Grabmal hätte aussehen sollen:
Ein wuchtiges Monument mit einem Grundriss - laut Forcellino - von 8m x 4,4m und auf 3 Etagen.
Die unterste Stufe mit der diesseitigen Welt, mit den Sklaven und den Gefangenen.
Die mittlere Ebene mit Moses, dem hl. Paulus und den Propheten.
Ganz oben die Skulptur des Papstes.
Auf jeder Seite sollten Marmorstatuen stehen, insgesamt 40 Figuren.
Im Inneren des weißen Marmorblocks ein Hohlraum mit dem Sarg von Julius II.
Für dieses Monumentalwerk sollte natürlich auch nur der beste Marmor verwendet werden.
Daher begab Michelangelo sich persönlich nach Carrara um die Blöcke auszusuchen
und für den Transport nach Rom zu sorgen.
Diese Arbeit nahm 8 Monate in Anspruch.
Der Künstler hatte seine Werkstatt unweit des Petersplatzes und machte sich umgehend ans Werk.
Das Interesse des Papstes am Grabmal ließ allerdings nach (er brauchte nun das Geld für den Neubau des Petersdoms), er gab Michelangelo keine Geldmittel mehr, verweigerte sogar Gespräche mit dem Künstler.
Michelangelo floh nach Florenz und blieb Rom für 2 Jahre fern.
Als Michelangelo schließlich nach Rom zurückkehrte, hatte der Papst bereits eine andere Aufgabe für den Bildhauer - er sollte die Decke der Sixinischen Kapelle ausmalen.
Für den Künstler eine Enttäuschung und Demütigung -
für die Menschheit eines der bedeutendsten Kunstwerke der Welt.
Vier Monate nach Enthüllung der Sixtina starb Julius II.
Die nachfolgenden Päpste hatten immer wieder neue Aufgaben für Michelangelo:
Leo X.: Die Fassade von San Lorenzo in Florenz
Clemens VII.: Die Medici-Grabmale in Florenz
Paul III.: Das Jüngste Gericht in der Sixtina.
Er hätte sehr gerne das Grabmal vollendet, nicht nur als leidenschaftlicher Bildhauer, sondern auch wegen der massiven Drohungen der Erben des Julius ( der Vertrag wurde 5x verändert!).
Im Jahr 1545, also vierzig Jahre nach Erteilung des Auftrags, wird das Grabmal aufgestellt.
-Nicht im San Pietro in Vaticano - sondern in San Pietro in Vincoli.
-Nicht in der Form eines freistehenden Bauwerks, sondern als Fassade.
-Nicht mit 40 Statuen, sondern nur mit 7 Figuren.
Die bereits gefertigten Statuen der Gefangenen und des Siegers paßten nicht mehr zum neuen Grabmal und sind heute in Paris bzw. Florenz zu bewundern.
Julius II. wurde im Petersdom bestattet.​

Der Moses des Michelangelo


Man vermutet, daß die Mosesstatue eine der ersten war, an der er arbeitete, zunächst von 1513 bis 1516. Er meißelte nochmals von 1542 bis 1544 an der Skulptur und erst da gewann der Moses seine Plastizität.
Mit der hochmütigen Attitüde und der zornige Energien, welche Moses ausstrahlt, kann er als idealisiertes Portrait des "Papa terribilis" gesehen werden kann.
Henry Thode sieht Zorn bei den Augenbrauen, Schmerz in den Augen und Verachtung in der vorgeschobenen Unterlippe. Vasaria berichtet davon, dass Michelangelo innerhalb von 2 Tagen die
Blickrichtung der Figur änderte. Sollte er nicht mehr auf den Hochaltar und die Ketten blicken?​

Im Frühjahr 1542 begann Michelangelo 2 weitere Statuen zu bearbeiten, welche die Erlösung repräsentieren sollen:​

Rachel


Sie hat die Hände zum Gebet gefaltet, blickt verzückt nach oben und ist damit ein Symbol des beschaulichen Lebens - die "Vita contemplativa". Sie wirkt, als hätte sie das Diesseits bereits verlassen.​

Lea


Die zweite Tochter des Laban hält ein Diadem in der Hand, blickt in Demut nach vorne und ist die Verkörperung des tätigen Lebens - die "Vita activa". Die Haarpracht soll auf ihre überreichen Gedanken hinweisen. Erstmals bearbeitet Michelangelo den Marmor so, dass er wie feine Schleier wirkt.
Beide sind so dargestellt, wie Dante sie in seiner "Göttlichen Komödie" beschrieben hat (Purg. XXVII, 100-109).
"Lea bin ich, dies wisse, wer mich frägt,
Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
Und emsig wird die schöne Hand geregt.
Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruhn,

Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.
Und freut sie sich der schönen Augen nun,
So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
Denn Schau’n befriedigt sie und mich das Thun.“​

Die Liegefigur des Papstes





Michelangelo schuf die Figur im Moment des Aufrichtens. Miene und Gewand sind so schlicht und schmucklos, dass sie so gar nicht zu Julius II. passen. Dargestellt wird ein Papst, der zurück in die
geistige Dimension gefunden hat - fernab von Macht und Prunk. Erstmals sind die Hände eines Papstes auf seinem Grabmal weder gefaltet, noch in segnender Position.​

Die Sibylle, der Prophet und die Madonna mit Kind wurden von Raffaele da Montelupo vollendet.​
 
Von San Pietro in Vincoli war ich im Nu wieder im Hotel,
wo ich den Abend auf der wunderschönen Dachterrasse ausklingen ließ.​

Am nächsten Morgen fahre ich zunächst zu den Vatikanischen Museen. Die früheste Einlaßzeit ist zwar 9h, aber ab 8.30h darf man mit dem Online-Ticket eintreten.
Bevor der neue Eingang geschaffen wurde, luden Michelangelo und Raffael zum Besuch ein.​


Als erstes laufe ich wie stets "superzügig" zur Sixtina.
Ein - langer - Blick gehört jedoch der Statuengruppe des Laokoon, die das Werk Michelangelos maßgeblich beeinflußt hat.​

Laokoon
Unklar ist immer noch, ob es sich um ein Originalwerk handelt oder um die Kopie einer griechischen Bronze. Die Figuren sind in etwa lebensgroß dargestellt. Geschaffen wurden sie wahrscheinlich im späteren 1. Jahrhundert v. Chr. von drei Bildhauern aus Rhodos: Athanadoros, Polydoros und Hagesandros.​


Geschichte
Der Schriftsteller Plinius d. Ä. beschreibt den Laokoon in seiner "Naturgeschichte" als ein Werk, welches "eigentlich allen Werken der Malerei und der Bildhauerkunst vorzuziehen ist". Zur Zeit der Antike
befand es sich im Palast des Titus - auch damals schon als Prunkstück der kaiserlichen Statuensammlung. Wiedergefunden wurde es 1506, in den Weinbergen auf dem Colle Oppio. Als Papst Julius
II. von dem Fund erfuhr, sandte er sofort Michelangelo und Giuliano da Sangallo zu den Bergungsarbeiten. Er konnte die Skulptur noch 1506 erwerben und ließ sie neben dem Apoll des Belvedere aufstellen. Der detaillierten Beschreibung des Plinius ist es zu verdanken, dass die Skulptur bei ihrer Wiederauffindung - ohne den rechten Arm - am 14. Januar 1506 so schnell identifiziert werden konnte. Da der rechter Arm des Laokoons fehlte, ließ ihn der Papst 1532 durch den Bildhauer und Michelangeloschüler Giovanni Angelo Montorsoli ergänzen. Der siegreich ausgestreckte Arm war allerdings willkürlich ersetzt. Den echten, angewinkelten Arm entdeckte der Archäologe Ludwig Pollak erst 1905, woraufhin die Skulptur überarbeitet werden mußte. Konnte man bei der ersten Armhaltung noch auf eine Rettung des Laokoon hoffen, so war bei der neueren sein Tod gewiß.​

Darstellung
Gezeigt werden der trojanische Priester des Apoll Laokoon und seine beiden Söhne im Todeskampf. Es existieren 2 unterschiedliche Geschichten zum Tod des Laokoon. Die ältere Version erzählt von Sex
mit seiner Frau im Tempel. Gott Apoll war daraufhin so wütend auf seinen Priester, dass er ihm 2 Schlangen schickte, die ihn und seine beiden (oder nur einen?)Söhne töten sollten.
In der jüngeren Variante des Vergil will Laokoon die Trojaner vor der List der Griechen warnen. Da jedoch die Göttin Athena den Untergang der Stadt wünschte, entsandte sie die tötlichen Tiere. Bei der
Skulpturengruppe ist wohl die ältere der Versionen dargestellt, denn als Unschuldiger hätte er ein Knie auf dem Altar gesetzt, als Zeichen, dass er um Hilfe der Gottheit flehte. Laokoon aber dreht sich vom Altar weg, wohlwissentlich, dass er keine Gnade bei seinem Gott finden wird. Die 3 Figuren werden in unterschiedlichem Stadium des Schlangenangriffs gezeigt: Der ältere Sohn ist nur schwach gefesselt und hat noch Aussicht auf ein Entkommen. Der Vater ist am Höhepunkt des Todeskampfes angelangt und der jüngere Sohn hat diesen bereits verloren.
Die Skulptur wurde nicht - wie lange behauptet - aus einem Stein gemeißelt, sondern aus mindestens 7 kunstvoll verschachtelten Teilen zusammengesetzt.​
 
Zuletzt bearbeitet:
Ute, zu Laokon hast Du ja wieder gründlich recherchiert. Ich mag diese Figurengruppe sehr. Ich musste mal eine Bildbeschreibung dazu fertigen. Ob sie gelungen war, weiß ich nicht mehr.
 
Ute, zu Laokon hast Du ja wieder gründlich recherchiert. Ich mag diese Figurengruppe sehr. Ich musste mal eine Bildbeschreibung dazu fertigen. Ob sie gelungen war, weiß ich nicht mehr.

[AMAZON]340653094X[/AMAZON]Schade, dass Du Deine Bildbeschreibung nicht mehr hast, ich hätte sie zu gerne gelesen! :nod:​

Mir hat diese Büchlein über antike Meisterwerke sehr geholfen.​

Außer dem Laokoon werden noch folgende Werke in Rom besprochen:
- Die Pyramide des Cestius
- Commodus als Hercules in den KM
- Der Hercules Farnese (Jetzt in Neapel)
- Der Koloss des Konstantin in den KM​
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr zügig laufe ich zur Sixtina!
Man wird als erster Besucher dort immer sehr nett empfangen! ;)

Sixtinische Kapelle

Baugeschichte
Bereits vor dem Bau der Sixtina stand hier seit dem 11. Jahrhundert ein Vorgängergebäude, die "Cappella magna", also auch eine große Kapelle. Erbaut wurde die neue Palastkapelle des Papstes unter Sixtus IV. della Rovere von 1477 bis 1480 durch den Architekten Baccio Pontelli und den Baumeister Giovanni de`Dolci. Daher erhielt sie - ebenso wie eine Seitenkapelle von Alt St. Peter - den bekannten Namen "Sixtinische Kapelle", obwohl sie eigentlich der Himmelfahrt Marien geweiht ist und damit zu den Römischen Marienkirchen gehört.
Die "Sixtinische Kapelle" in Santa Maria Maggiore dagegen hat
ihren Namen als Grablege von Sixtus V. erhalten.
Besondere Berühmtheit hat sie natürlich als Ort des Konklave, also der Wahl eines neuen Papstes.
Die Proportionen entsprechen denen des biblischen Tempels des Salomon, d.h. sie ist dreimal so lang wie breit und halb so hoch wie lang (40,23m). Die Fläche, die von Michelangelo auszumalen war,
beträgt 1200 Quadratmeter.
Heute betritt der Museumsbesucher die Sixtina über eine nachträglich eingefügte Türe auf der Altarseite.
An der Basis sind die Mauern 3 Meter dick und zeugen von der Bedeutung der Kapelle als Verteidigungsbastion für den Papstpalast.​

Der Kosmaten-Fußboden aus dem 15. Jahrhundert ist wunderschön
und zeigt die ursprüngliche Lage der Chorschranken an, die den Raum einst mittig teilten, wegen der Zunahme auf Seiten des Klerus aber im späten 16. Jahrhundert unter Papst Gregor XIII. versetzt
wurden. Sie sind ein Werk von Mino da Fiesole.​

Von Melozzo da Forli ist dieses auf Leinwand übertragene Fresko, das u.a. Sixtus IV. mit seinem Neffen und Nachfolger Julius II. zeigt.​


Die Weihe erfolgte logischerweise an Maia Himmelfahrt - also dem 15. August 1583. Sixtus IV. galt als großer Marienverehrer.​

Erste Fresken an den Seitenwänden von 1481 bis 1483
Beautragt mit den ersten Freken wurden die berühmtesten toskanischen und umbrischen Maler ihrer Zeit: Pietro Perugino, Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio, Cosimo Rosselli und Luca Signorelli.
Es werden Szenen aus den Alten Testament (Moses) solchen aus dem Neuen Testament (Jesus) gegenüber gestellt.
Die Szenen aus dem Leben des Moses an der Südwand und des Jesus an der Nordwand begannen ursprünglich mit der "Auffindung des Moses" bzw. der "Geburt Christi" von Perugino auf der Altarwand.
Die Fresken - und auch die zugehörigen Fenster - der Altarwand mußten später dem Fresko des "Jüngsten Gericht" weichen. Ebenso das Altarbild von Perugino, welches - entsprechend der Weihe der
Kapelle - die Himmelfahrt Mariens darstellte (es existiert eine Zeichnung in der Albertina) und auch die vier Fresken mit den ersten Päpsten.
Die Original-Fresken der Eingangswand gingen
bei einem teilweisen Einsturz dieser Wand verloren und wurden im 16. Jahrhundert ersetzt.
Von den ursprünglich 32 Papstporträts der 5 Künstler sind noch 28 erhalten - Christus, erste Papst Petrus sowie Linus und Cletus mußten weichen.
Die Decke war blau mit goldenen Sternen ausgemalt, die übliche Deko der Gotik (noch zu sehen in der Basilika San Francesco in Assisi).
Aus dieser frühen Zeit stammen auch die Scheinvorhänge mit dem Wappen der della Rovere.​
 
Cara dentaria,

mit großer Aufmerksamkeit verfolge ich die Fortsetzungen Deines Berichts, und Deine umfangreichen Sachkenntnisse lösen bei mir tiefe Bewunderung aus.
Die Laokoon-Gruppe im Belvederehof stand damals auch im Focus unseres Interesses; vor allem emotional fühlte ich mich zu diesem großartigen Bildwerk hingezogen, weil die Aeneis des Vergil, deren zweites Buch vom Untergang Trojas handelt, die Abschlußlektüre unseres Lateinunterrichtes bildete. Obwohl die Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche harte Plackerei waren und ich mir öfter die Frage nach dem Sinn einer an sich nutzlosen Arbeit stellte, sind mir bis heute noch einige Verse aus der Beschreibung des Hölzernen Pferdes präsent.
Julius II, der kriegerische Papst, hat damals 600 Goldgulden an den Besitzer gezahlt, dessen Weinberg auf dem Colle Oppio über den Überresten des längst vergessenen Goldenen Hauses lag, wo man in einem unterirdischen Gemach diesen Kunstschatz entdeckte. In einem Triumphzug, wie ihn eigentlich nur die römischen Kaiser inszenieren konnten, wurde die Gruppe vom Esquilin auf den Vatikan hinübergeführt.

In meinem Bericht habe ich dazu folgende Gedanken niedergeschrieben:

"Wie Laokoon seinen Speer mit unbändiger Kraft (validis viribus) gegen den gerundeten Bauch (curvam alvum) des Hölzernen Pferdes schleuderte, so kam ich mir in diesem Augenblick auch vor wie eine Speerspitze, die sich zwischen den Fugen (compages) der Herumstehenden und Umhergehenden ihren Weg suchen mußte, um zum gewünschten Ziel zu gelangen. Dann standen wir vor der Skulptur, die Michelangelo enthusiastisch als ‚miracolo dell’arte’, als Wunder der Kunst, und Plinius als ‚Meisterwerk der Kunst’ bezeichnet hatte, und für die Winckelmann sich zu einer Wortschöpfung hatte hinreißen lassen, die sich nur im Deutschen erschließt, und die man sonst in keine andere Sprache übertragen könnte: edle Einfalt und stille Größe!

Im Bilderwerk des Laokoon ist die entscheidende Episode aus dem zweiten Gesang der ‚Aeneis’ festgehalten: Laokoon, der Priester des Neptun (sacerdos), hatte die Trojaner eindringlich davor gewarnt, das Hölzerne Pferd in die Stadt zu ziehen: ‚Equo ne credite, Teucri!’ – ‚Traut nicht dem Pferd, Trojaner!' Für ihn blieben die Griechen unberechenbar und gefährlich. Deshalb ergänzte er weitsichtig: ‚Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes’. – ‚Was immer auch sei, ich fürchte die Danaer (die Griechen), auch wenn sie Geschenke bringen.'
Kaum hatte er seine Warnung ausgesprochen und seiner Wut über das Vorhaben der Trojaner durch den Wurf seines Speeres (hasta) gegen die Wölbung (caverna) des gerundeten Bauches (curvam alvum) Nachdruck verliehen, tauchten von der Insel Tenedos kommend zwei Schlangen (gemini angues) auf mit blutigen Kämmen (iubae sanguineae), das Meer mit gewaltigen Kreisen (immensis orbibus) durchziehend, stürzten sich gezielt attackierend (agmine certo) auf den Vater und die beiden Söhne, umstrickten sie (ligare / implicare) mit fürchterlichen Schlingen (spiris ingentibus) und besiegelten ihr Schicksal durch einen tödlichen Biß (morsu). Selbst das entsetzliche Schreien des Laokoon bis hinauf zu den Sternen (clamores simul horrendos ad sidera tollit) wurde von den Göttern nicht erhört.

Soweit der spannende Bericht des Vergil. Und was zeigt davon die Skulptur? Den entscheidenden Übergang vom Leben zum Tod in seinen entscheidenden Phasen: das sich verzweifelte Wehren gegen ein hereinbrechendes und nicht zu begreifendes Schicksal, der aussichtslose Kampf gegen einen alles vernichtenden Gegner und schließlich sich der unbarmherzigen Macht beugen und ergeben, so daß selbst der letzte Schrei im Mund des Laokoon erstickt. Winckelmann bemerkt dazu: Er erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von seinem Laokoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen … “
Diese Aussage wollte Lessing nicht unwidersprochen gelten lassen, im Gegenteil: sie veranlaßte ihn dazu, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen in seiner berühmten Schrift ‚Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie’. Sinngemäß schreibt er, daß die griechischen Künstler der Schönheit alles untergeordnet hätten: die Schönheit sei das ‚höchste Gesetz der bildenden Künste’. Weil aber durch den Schrei bzw. das Schreien das Gesicht auf ‚ekelhafte Weise’ verstellt bzw. verzerrt würde, habe man auf die weite Öffnung des Mundes (‚das große Maul’) verzichtet und es bei einer Vertiefung bewenden lassen, ‚welche die widrigste Wirkung von der Welt tut’.

Aber wie dem auch sei, die drei Künstler aus Rhodos, die dieses phantastische Bildwerk geschaffen haben, haben sich noch in einem anderen Punkt die Freiheit genommen, von der dichterischen Vorlage des Vergil abzuweichen: dem Triumph des Todes haben sie das Licht der Hoffnung hinzugefügt, denn wenn man sich die Laokoon-Gruppe genau anschaut, entdeckt man, daß der ältere Sohn – auf der rechten Seite – sich aus der tödlichen Umklammerung lösen und sein Leben retten kann.

Aber warum mußte Laokoon zusammen mit seinen beiden Söhnen sterben? Nur weil er die Trojaner davor gewarnt hatte, das unheimliche Gastgeschenk der Griechen anzunehmen? Kannte er ihre Absichten? Wußte er von der tödlichen Gefahr, die in dem Bauch des hölzernern Pferdes steckte? Oder war es bloß die übertriebene Sorge eines Mannes, der sein Mißtrauen und seine Vorbehalte gegenüber den Griechen nie überwinden konnte?
Vergil meinte den Grund für das schreckliche Sterben darin zu sehen, daß Laokoon einen Frevel (scelus) begangen habe, weil er es gewagt hatte, mit seinem Speer das ‚heilige Holz’ (sacrum robur) des Pferdes zu durchbohren (intorserit). Für ein Strafgericht mit tödlichem Ausgang eher ein schwaches Argument!
Auch die bekannte Theorie, die Göttin Athene habe den Tod des Laokoon veranlaßt, weil er durch seine beschwörenden Worte - ausgerufen nach Art eines prophetischen Sehers - versucht hatte, den von ihr gewünschten Untergang Trojas zu verhindern, ist nicht unumstritten.
Ein anderer Ansatz geht von der These aus, Apoll könne die Schlangen geschickt haben, um auf seinen Befehl hin den tödlichen Auftrag zu vollstrecken. Durch den furchtbaren Tod des Trios sollten die Kampfhandlungen um Troja für eine gewisse Zeit unterbrochen werden - eine günstige Gelegenheit, die Aeneas (der Stammvater der Römer) dazu nutzte, um mit einigen Gefährten aus dieser Stadt an die Küsten Italiens (Laviniaque venit litora) zu fliehen. Somit läge im Opfer des Laokoon der Anfang vom Aufstieg Roms, das wie keine andere Stadt des Abendlandes eine geistige und kulturelle Führerschaft übernehmen sollte, deren Einflüsse bis auf den heutigen Tag nachwirken auf dem Gebiete der Kunst, der Bildung und der Naturwissenschaften."

Lieb Grüße
Seneca
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Seneca,

ganz herzlichen Dank für das nette Lob und wieder einmal für die tolle, kenntnisreiche und ausführliche Ergänzung meines Berichts!

Liebe Grüße
dentaria
 
So ratlos wie bei der Sixtina war ich noch nie! Was soll ich denn nur auswählen aus der riesigen Masse an Informationen über dieses Kunstwerk des großen Meisters? Die Sixtina nun mal der höchste
Offenbarungsort der Kunst Michelangelos. Erschwerend kommt hinzu, dass ich die einzelnen Fresken nicht an Hand von Fotos beschreiben kann. Hier zumindest ein Ersatz für Fotos: Gewölbe

Das Dekenfresko des Michelangelo 1508 bis 1512

Der Auftrag
Julius II., der Neffe des Bauherrn Sixtus IV., befahl Michelangelo, die Decke der Sixtina mit den 12 Aposteln in den Stichkappen und den Eckzwickeln auszumalen. Ansonsten mit den üblichen Ornamenten, hier ineinander greifende Quadrate und Kreise.
Der Künstler hatte aber seit seiner - abgebrochenen - Lehrzeit bei den Brüdern Ghirlandaio keinerlei Übung mehr mit der Freskomalerei.
Michelangelo war zudem entrüst über den Auftrag, denn er sah sich als Bildhauer und nicht als Maler. Außerdem wollte er nach wie vor das Grabmal des Julius vollenden. Er unterstellte Bramante, dieser hätte den Papst aus Neid beeinflußt, damit er den Auftrag bekäme, in der Hoffnung, Michelangelo würde scheitern und beim Papst in Ungnade fallen. Schließlich wurde er aber angesichts des hohen Honorars (3000 Dukaten) doch schwach und nahm den Auftrag an. Bei der Unterschrift unter die Verträge setzte er seinem Namen demonstrativ noch ein "Bildhauer" hinzu. Die nötigen Mitarbeiter ließ er zunächst aus der Toskana kommen, denn den Römern vertraute er nicht. Allerdings schickte er sie bald wieder nach Hause und ersetzte sie durch billigere Arbeitskräfte.
Bramante sollte ein Gerüst für die Arbeiten bauen. Da ihm aber zu seiner Schmach keine brauchbare Lösung einfiel, gestaltete Michelangelo das Gerüst selbst. Sein Gestell muß man sich wohl als eine Reihe von bogenförmigen Fußgängerbrücken in luftiger Zöhe vorstellen. Täglich mußten Michelangelo und seine Mitarbeiter eine 14 Meter hohe Leiter zu den Laufstegen emporsteigen und auf diesen dann nochmals 6 Meter höher. Es ist nicht überliefert, ob das Gerüst über ein Sicherheitgeländer verfügte. Allerdings bot das Gerüst soviel Platz, dass Michelangelo nicht im Liegen arbeiten mußte, wie oft behauptet.

Das Bildprogramm
Michelangelo erschien das Motiv der 12 Apostel zu "ärmlich" und erreichte wohl beim Papst die Erlaubnis, nach seinem eigenen Gusto zu wählen.
Für die drei Fresken-Trilogien der Gewölbedecke wählte Michelangelo Themen aus dem Alten Testament: 3 x die Schöpfungsgeschichte, 3 x Adam und Eva, sowie 3 x Noah. Inspiriert wurde er wohl von
den plastischen Arbeiten des Jacopo della Quercia am Hauptportal der Basilika San Petronio in Bologna und Lorenzo Ghibertis Paradies-Pforte am Baptisteriums von Florenz.
Um die Verbindung zu den bestehenden Fresken mit Szenen aus den Leben des Moses und des Christus herzustellen, wählte er einerseits die Propheten und Sibyllen als Mittler zwischen Gott und den
Menschen und andererseits in den Stichkappen und Lünetten die Vorfahren Jesu - 91 an der Zahl, darunter immerhin 25 Frauen. Durch die Einbeziehung der Frauen rückt Michelangelo die Vorfahren Jesu in die Nähe der Heiligen Familie, auch wenn sie von ihrem Verhalten her laut Tolnay das "Elend des Familienlebens" zeigen; angeödet, wütend, apathisch. Hinweise auf seine eigene Kindheit und seine Verwandten?
Die vier Gewölbezwickel in den Ecken zeigen wieder Motive aus dem Alten Testament, die Errettung des jüdischen Volkes vor diversen Bedrohungen: David und Goliath; Judith und Holofernes (ein Selbstporträt?); Die eherne Schlange; Bestrafung Hamans.
Es gibt zwei Arten von nackten Jünglingen an der Decke:
-Die Ignudi - engelgleiche Geschöpfe inspiriert von römische Monumenten - halten Girlanden mit Eichenlaub (teilweise gar vergoldet, um auf das "Goldene Zeitalter" unter Julius hinzuweisen) aus dem Wappen der della Rovere-Päpste. Zwei der Ignudi neben dem "Dankopfer Noahs" erinnern an die Söhne des Laokoon.
-Die Bronzejünglinge welche als Mittler zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen paarweise die Propheten und Sibyllen begleiten - sie sehen eher finster und dämonisch aus.
Zwischen den Ignudi sind insgesamt 10 Medaillons, die Geschichten aus de Büchern der Makkabäer zeigen. Diese sind mit Blattgold belegt und zeigen Szenen, die den Papst verherrlichen sollen - hat Michelangelo sie absichtlich so gestaltet, dass der Betrachter die Bilder von unten nicht erkennen kann?
Die Unterteilung erfolgte durch gemalte Architektur: Simsen, Pilastern, Streben, Konsolen, Nischen und Thronsitzen.

Die Ausführung
Vor Beginn der Malarbeiten mußte erstmal das Fresko mit dem Sternenhimmel abgeklopft werden.
Zunächst malte Michelangelo das Fresko der Sintflut - da man diesen Teil beim früheren Eintritt kaum wahrnahm - bei dem sich jedoch wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse sowohl Schimmel als auch Salzkristalle an der Oberfläche gebildet hatten. Auch wußten seine Helfer beim Anmischen der Farben den römischen Travertin und die Pozzolana nicht im richtigen Verhältnis mit Wasser
anzumischen. Bei diesem Motiv malte der Künstler noch recht kleinformatig, was er bei den beiden anderen Noah-Fresken schon änderte. Selbst die "Ignudi" neben der "Scheidung von Licht und
Finsternis" sind größer als diejenigen neben der "Trunkenheit des Noah", ebenso die Propheten und Sibyllen der westlichen Hälfte. Außerdem wählte er zuerst die die Sekkotechnik, allerdings mit dazu
ungeeigneten Farben, was ebenfalls zu Schäden führte. Die Al-fresco-Malerei erschien Michelangelo am Anfang zu schwierig - im Italienischen bedeutet "stare fresco" "sich in der Klemme befinden"! Es blieb Michelangelo nichts anders übrig, als Teile der Sinflut wieder abzutragen und neu zu malen - es blieb nur die Menschengruppen auf der kleinen Insel erhalten. Dies muß besonders frustriend für ihn
gewesen sein, da Raffael nur wenig entfernt seine ersten Erfolge in den Stanzen feierte. In der Wahl der Farben orientierte er sich an den bereis vorhandenen Fresken, hinter deren Farbigkeit er keinesfalls zurückfallen wollte. Nach der "Sinflut" malte er nicht die Noah-Motive weiter, sondern erst die seitlich anschließenden Bereiche bis hinab zu den Papst-Figuren.
Von Motiv zu Motiv gewann Michelangelo mehr Sicherheit und konnte ab dem "Sündenfall" bereits teilweise auf einen Karton verzichten - für den Feigenbaum und die Schlange. Er entwickelt seine eigene Technik immer weiter, so läßt er in den Augen des Adam den grauen Putz vorscheinen, um meht Tiefe im Blick zu erhalten. Bei der Ausmalung der Lünetten verzichtet er komplett auf die Vorzeichnungen der Kartons. Man nimmt an, dass er in der Sixtina mit dem Schatten seiner Modelle gearbeitet hat, deren Umrisse er direkt auf die Wand malte.
Während der gesamten Arbeitszeit fanden die religiösen Zeremonien weiterhin statt.
Der Prophet Sacharja - plaziert über dem Eingangsportal und dem Wappen der della Rovere - trägt eindeutig die Züge von Julius II.
Der berühmte Finger des Adam stammt gar nicht von Michelangelo, da dieser wieder Rissen in der Decke zum Opfer fiel und vom unbekannten Maler Domenico Carnevale ersetzt wurde.
Bei dem ersten Fresko der Schöpfungsgeschichte verkürzt Michelangelo geschickt die Gestalt Gottes und schafft so eine neue Perspektive an der Decke. Perfekt gelang ihm der perspektivische Effekt beim Propheten Jonas. Der Grund, weshalb gerade Jonas seinen Platz an der Altarwand bekam, könnte seine Geschichte als Vorwegnahme der Auferstehung sein. Jonas ist aber auch ein Spiegelbild des Besuchers, welcher wie er zurückgelehnt die Decke bestaunt. Die Darstellung des Propheten Jeremia könnte auch wieder ein Selbstbildnis sein und hat wohl Rodin zu seinem berühmten "Der Denker" inspiriert.
Andererseits könnte auch Michelangelo durch die Darstellung des Heraklit in Raffaels "Schule von Athen" beeinflußt worden sein.​

Die Wirkung
Bereits am 15. August 1511 wurde die fertige erste Hälfte der Deckenbemalung der Öffentlichkeit vorgestellt.
Nach Beendigung der Arbeiten schmückten einhundertfünzig eigenständige Bildeinheiten mit 343 individuellen Personen die Decke der Sixtina.
Die Begeisterung seiner Mitmenschen war ihm mit der Einweihung des Freskos am 31. Oktober 1512 gewiß. Nur Julius II. hätte gerne noch mehr Gold und teures Ultramarin an der Decke gehabt, aber Michelangelo weigerte sich. Allerdings sollte der Auftraggeber nicht viel von dem Kunstwerk haben - er starb bereits am 21. Februar 1513.
Das ausgerechnet das Freko mit der "Erschaffung der Eva" im Zentrum der biblischen Geschichten ist, ist wohl wieder der Verweis auf Maria, deren Himmelfahrt ja die Sixtinische Kapelle geweiht ist.
Will man das gesmte Bildprogramm der Sixtina verstehen, so muß man es sich erarbeiten.
Jedes Bild hat seine eigene Zentralperspektive. So kann man sich nicht von einem Standort aus das gesamte Freko ansehen, sondern man muß herumlaufen - in einer überfüllten Sixtina gar nicht so
einfach!
Die Sixtina wurde zu einer Art Akademie für Künstler aus aller Welt, die nur zu gerne aus diesem Meisterwerk lernten. Es entstand bald ein Markt für Skizzen nach dem Fresko Michelangelos, die wie Musterbücher verwendet wurden.
Michelangelo hatte neue Maßstäbe in der Malerei gesetzt.

Wer mehr erfahren möchte, wird hier fündig:​

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Danke, jetzt weiß ich auch, warum mir in der Sixtinischen Kapelle nie langweilig wird :~;):nod:
 

Vielen Dank für diese ausführliche Beschreibung und Erklärung! :nod:

Dem schließe ich mich an. Es ist doch immer wieder ein besonderes Erlebnis, die Sistina zu besuchen und dort zu staunen, zumal ich noch den Zustand vor der Renovierung in Erinnerung habe.

Gruß von
mystagogus
 
@ Angela, Ludovico und mystagogus,

vielen Dank für Eure netten Antworten.

Ein Tag alleine - mit einem Experten - in der Sixtina wäre mein Traum! ;) :nod: :~
 
Dann wünsche ich viel Glück bei den Verhandlungen mit dem Vatikan. Bei Deiner Gesinnung sollte das doch ein Kinderspiel sein :~:blush:;)
 
.

VIELEN DANK

:thumbup:
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:thumbup:
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:thumbup:

für die Fortsetzung



Ein Tag alleine - mit einem Experten - in der Sixtina wäre mein Traum! ;) :nod: :~


-> dann drücke ich mal die Daumen :thumbup::thumbup: ( und die großen Zehen dazu) dass es IRGENDWANN mal klappt ...
 
Na ja, ich fürchte, dies ist ein Wunschtraum,
bei dem auch Daumen drücken nichts nützt! ;) :~​

Dennoch besten Dank für die nette Geste! :thumbup:​
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Jüngste Gericht 1536 bis 1541

Der Auftrag
Nach längerem Aufenthalt in Florenz, reiste Michelangelo am 23. September 1534 wieder nach Rom, da er im Auftrag von Klemens VII. Medici ein Fresko für die Altarwand der Sixtina gestalten sollte. Doch​
der Papst verstarb bereits 2 Tage später. Allerdings ist glücklicherweise der Nachfolger Paul III. Farnese von diesem Projekt ebenfalls begeistert, obwohl dafür Fresken von Perugino und Michelangelo selbst zerstört werden müssen. Die Idee für ein neues Fresko kam wohl wegen diverser Schäden an der Altarwand: 1522 brach der Türsturz ein; 1525 beschädigte ein Feuer die Fresken der Wand;Schäden während des Sacco di Roma. Zudem war es der Ergeiz beider Päpste, von ihnen beauftragte Werke Michelangelos in Rom zu hinterlassen. Paul III. befreite gar Michelangelo von seiner Pflicht gegenüber der Familie della Rovere bezüglich des Grabmals Julius II. Bild


Die Ausführung
Das Thema des Freskos ist die Wiederkehr Christi und seine Entscheidung über Erlösung oder Verdammnis. Michelangelos Quellen sind wieder die Bibel und das Werk Dantes. Dramatisch umgesetzt wird es in erster Linie von ihm durch die massiven Bewegungen seiner Figuren.
Bei der Gestaltung des Fährmannes Charon setzt Michelangelo fast wörtlich die Beschreibung Dantes aus der "Göttlichen Komödie" um:
Charon, der Dämon mit der Augen Brand
Versammelt sie, ein Zeichen gebend allen;
Schlägt mit dem Ruder, wer nicht kommt gerannt.
Tatsächlich schlägt Charon mit dem Ruder auf die Sünder ein, die der Hölle entfliehen wollen.
Bei der Auferstehenden der linken Seitel verbildlicht er die Zeilen des Propheten Hesekiel, 37:
Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns.
Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und will euch, mein Volk, aus denselben herausholen und euch ins Land Israel bringen; und ihr sollt
erfahren, daß ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber geöffnet und euch, mein Volk, aus denselben gebracht habe. Und ich will meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt, und will euch in
euer Land setzen, und sollt erfahren, daß ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.
Beide Motive und zudem ebenfalls eine Menge nackter, sich dramatisch bewegender Figuren hatte bereits Luca Signorelli im Dom von Orvieto gemalt - zweifelsfrei von Michelangelo gesehen und
bewundert. Beide zeigen auch die Teufel doch recht menschenähnlich. So spiegeln Michelangelos Teufel die schlechten Eigenschaften der Menschheit wieder: Grausamkeit, Heimtücke, Gier, Gewalt und Bosheit. Im Gegensatz dazu stellt das "Jüngste Gericht" von Giotto eine statische Menschenmenge dar und der Teufel ist eine menschenunähnliche Kreatur.
Im Zentrum aber stehen Christus als Weltenrichter mit Maria, die von zahlreichen Märtyrern und Heiligen begleitet werden, allesamt größer dargestellt als die anderen Figuren. Einige können zweifelsfrei
identifiziert werden: Petrus mit den Schlüsseln; Sebastian mit den Pfeilen; Katharina mit dem Rad; Laurentius mit dem Rost; Bartholomäus - allderdings bartlos - mit seiner Haut (wohl wieder ein
Selbstporträt); Johannes der Täufer mit Fellgewand; Andres mit seinem Kreuz; Simon Zelotes mit der Säge; Blasius mit 2 Wollkämmen etc. In den Lünetten sind Engel mit den Leidenswerken dargestellt
um die Lebensgeschichte Jesu wieder ins Gedächtnis zu rufen. Der untere Teil ist dreigeteilt: links - als zur Rechten Jseu - streben die Auferstandenen dem Himmel entgegen. Mittig die Vorhölle und darüber Engel, die mit ihren 7 Posaunen zum Jüngsten Gericht rufen und den Personen Bücher vorhalten: Das kleine Buch des Lebens für die Auferstandenen und das sehr viel größere Buch der Toten für die Verdammten. Rechts schließlich die Hölle mit den Verdammten und Charon als Fährmann. In der rechten unteren Ecke schließlich Minos, der Höllenwächter. Ihm hat Michelangelo die Gesichtszüge eines seiner schärfsten Kritikers, des Zeremonienmeisters Biagio von Cesena gegeben. Michelangelo schafft die Dynamik, indem er einen aufstehenden Christus zeigt, der die Menschen in Bewegung setzt.

Die Wirkung
Manch einer nahm Anstoß an der Nacktheit vieler Figuren. Aber der Großteil der Betrachter war begeistert. Es wurden viele Kopien in Auftrag gegeben, wie diese hier von Marcello Ventusi von 1548/49, heute in Neapel zu bewundern.​


Der ungeliebte Papst Paul IV. wollte das Fresko gar vernichten lassen. Selbst das Konzil von Trient befasste sich 1563 mit dem Kunstwerk und bemängelte die anstößigen Stellen. Daher erhielt Daniele da Volterra 1564 den Auftrag, die Blößen zu übermalen und ging als "Höschenmaler" in die Geschichte ein (so ist die Kopie von Ventusi ein wichtiges Zeugnis, wie das Fresko ursprünglich aussah!). Nie zuvor wurde eine derart scharfe und öffentliche Diskussion darüber geführt, wie weit die bildende Kunst gehen darf. Für Vasari aber hat Michelangelo nicht nur alle anderen Künstler übertroffen, sondern auch sein eigenes Werk an der Decke der Sixtina.
 
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